Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 10/23 R

Rentenversicherung - Kindererziehungszeiten - Kinderberücksichtigungszeiten- Zuordnung - Mutter - Vater - Verfassungsmäßigkeit

Verhandlungstermin 18.04.2024 11:30 Uhr

Terminvorschau

H. G. ./. DRV Hessen
Der Kläger begehrt die Vormerkung von Kindererziehungszeiten und weiterer Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.

Der 1958 geborene Kläger und die Kindsmutter lebten zunächst in häuslicher Gemeinschaft mit der 2001 geborenen Tochter. Sie gaben keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit ab. Der Kläger war nach der Geburt der Tochter weiterhin in Vollzeit beschäftigt. Die Kindsmutter war nach der Geburt zunächst nicht beschäftigt und nahm kurz vor dem 6. Geburtstag der Tochter eine geringfügige Beschäftigung auf. Sie zog am 10. November 2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt seitdem vom Kläger und der Tochter dauerhaft getrennt. Inzwischen ist ihr Aufenthalt unbekannt, das Ruhen ihrer elterlichen Sorge wurde vom Familiengericht festgestellt.

Der beklagte Rentenversicherungsträger merkte auf Antrag die Zeit vom 10. November 2008 bis zum 18. Juli 2011 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung beim Kläger vor. Für die Zeit vor dem Auszug der Kindsmutter lehnte er die Vormerkung von rentenrechtlichen Zeiten wegen Kindererziehung ab. Da keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben worden sei und sich eine überwiegende Erziehung durch den Kläger erst ab dem 10. November 2008 habe nachweisen lassen, erfolge eine Zuordnung bei der Kindsmutter.

Das Sozialgericht hat die Klage nach weiteren Ermittlungen zum Umfang der (zeitlichen) Erziehungsanteile der Eltern abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hat ausgeführt, die Zuordnung von Kindererziehungszeiten orientiere sich vorrangig am gemeinschaftlichen Willen der Eltern. Wenn dieser, wie hier, nicht erklärt worden sei, sei die überwiegende Erziehungsleistung maßgeblich. Hier habe sich ein überwiegender Erziehungsanteil des Klägers für den streitbefangenen Zeitraum jedoch nicht nachweisen lassen. Die Erziehungszeit werde daher der Mutter zugeordnet. Die Auffangregelung verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, sondern diene in zulässiger Weise der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen.

Der Kläger rügt unter anderem eine Verletzung der gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG. Er werde aufgrund seines Geschlechts benachteiligt. Das hinter der Auffangregelung stehende Rollen- und Familienbild entspreche nicht mehr der gesellschaftlichen Realität. Eine an das Geschlecht anknüpfende Benachteiligung liege ferner darin, dass bei gleichgeschlechtlichen Elternpaaren in vergleichbarer Situation die Kindererziehungszeiten zu gleichen Teilen zwischen den Elternteilen aufgeteilt würden.

Verfahrensgang:
Sozialgericht Darmstadt, S 6 R 80/18, 09.03.2020
Hessisches Landessozialgericht,L 2 R 122/20, 21.02.2023

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 13/24.

Terminbericht

Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Der Kläger kann die Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten wegen der Erziehung seiner Tochter nicht beanspruchen.

Zutreffend hat der beklagte Rentenversicherungsträger die Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI zur Anwendung gebracht. Danach wird die Erziehungszeit der Mutter zugeordnet, wenn die Eltern keine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit abgegeben haben und eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vorliegt. Auf die Regelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI, wonach Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden, kann der Kläger sich nicht berufen. Hierbei handelt es sich um eine weitere Auffangregelung für Konstellationen, in denen sonst keine Zuordnung der Kindererziehungszeit möglich ist. Hier ergibt sich jedoch bereits aus Satz 9 eine Zuordnung zur Mutter.

Die Auffangregelung des § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI verletzt nicht das Gleichberechtigungsgebot des Artikel 3 Absatz 2 GG. Zwar bewirkt sie eine unmittelbare Benachteiligung des Vaters. Sie ist aber zur Verwirklichung des Gleichstellungsgebots gerechtfertigt. Indem die Auffangregelung die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet, werden faktische Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde daher von Anfang an als Beitrag zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen konzipiert. Obgleich die Erwerbstätigenquote und teilweise auch der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern insbesondere mit Kindern unter drei Jahren gestiegen ist, bleiben sie immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück. Die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 9 SGB VI ist auch verhältnismäßig. Die Zuordnungsregelungen in § 56 Absatz 2 SGB VI lassen genügend Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil.

Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung gegenüber Personen geltend macht, die ein Kind als einer von mehreren gleichgeschlechtlichen Elternteilen erziehen, und bei denen nach der ergänzenden Auffangregelung in § 56 Absatz 2 Satz 10 SGB VI eine Aufteilung der Erziehungszeit zwischen den Elternteilen erfolgt, liegt schon keine geschlechtsbezogene Differenzierung vor. Auch das allgemeine Gleichheitsgebot des Artikel 3 Absatz 1 GG ist nicht verletzt, weil bei gleichgeschlechtlichen Eltern die Zielsetzung der Bevorzugung von Müttern keine Rolle spielen kann.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 13/24.

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