Gerichtsgebäude
Das Gebäude des Bundessozialgerichts ist ein Ort der Rechtsprechung und Begegnung, zugleich aber auch ein Symbol für die wechselvolle Geschichte Deutschlands.
Im Nationalsozialismus errichtet als monumentales Symbol des Machtanspruchs, nach dem Krieg unter anderem als Militärhospital genutzt, ist das Gebäude seit Mitte der 1950er Jahre ein zentraler Ort für die Wahrung demokratischer Werte. Hier findet unabhängige Rechtsprechung im Dienste des sozialen Rechtsstaates statt, zunächst durch das Bundessozialgericht und das Bundesarbeitsgericht gemeinsam, seit 1999 mit der Verlegung des Bundesarbeitsgerichts nach Erfurt allein durch das Bundessozialgericht.
Im Zuge der Instandsetzung des Gebäudekomplexes und der Erweiterung in den Jahren 2008 und 2009 ist die architektonische Vergangenheit mit der Gegenwart zusammengeführt worden. In 22 Monaten wurde der Altbau einer vollständigen Grundsanierung mit Beseitigung der baulichen Defizite und zeitgemäßen Ausbaustandards unterzogen. Auf Grund funktionaler Anforderungen und in Anbetracht des Denkmalschutzes entstand für den großen Sitzungssaal des Bundessozialgerichts ein aus dem Altbau herausgelöster, separater Baukörper im Innenhof.
Im Kasseler Stadtteil "Vorderer Westen" an der Grenze zum Stadtteil "Bad Wilhelmshöhe" gelegen, steht der in eine Grünanlage eingebettete Gebäudekomplex aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen als Gesamtensemble unter Denkmalschutz.
1935/1938
Der als Generalkommando IX. Armeekorps (zugleich Wehrkreiskommando IX.) der deutschen Wehrmacht in der Zeit von 1935 bis 1938 erbaute monumentale Gebäudekomplex wurde, als Vierflügelanlage mit verlängertem Nordflügel um einen quadratischen Innenhof gruppiert, in neoklassizistischem Stil errichtet. Bedingt durch das hängige Gelände eines ehemaligen Bachlaufs musste das Gebäude auf 1250 Stahlbetonpfeilern gegründet werden. Auf der Südseite zur Wilhelmshöher Allee ist es viergeschossig und zur Regentenstraße fünfgeschossig ausgeführt. Die Putzfassaden über dem rustizierten Sockelgeschoss sind durch Sandsteingewände und Sandsteinlisenen gegliedert.
Das historische Gebäude hatte zwei Eingangsbereiche, die mit ihrer monumentalen Architektur zugleich den Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus abbilden: Auf der Ostseite, zum Graf-Bernadotte-Platz gelegen, einen Pfeilerportikus mit vorgelagerter Außentreppenanlage, zwei monumentalen Plastiken und einem dreiläufigen Marmortreppenhaus im Innern sowie auf der Südseite die ehemalige Fahnenhalle mit vorgelagertem Ehrenhof und Pfeilerkolonnaden.
1945/1947
Im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört, wurde das weitläufige Gebäude von den Amerikanern ab April 1945 als Hauptquartier und "General Hospital" genutzt. Im Jahr 1947 erfolgte die Übergabe des Gebäudes samt medizinischer Einrichtungen an die Stadt Kassel, die es nun ausschließlich für zivile Zwecke – als "Stadtkrankenhaus Wilhelmshöhe" – nutzte.
1950/1951
Nach der Wiederherstellung der im Krieg zerstörten Kasseler Kliniken und der damit verbundenen Schließung des Krankenhauses zog 1951 das Grenzschutzkommando West als Hauptnutzer in das Gebäude ein.
1954
Im Mai 1954 nahmen das Bundesarbeitsgericht und im September 1954 das Bundessozialgericht in dem ehemaligen "Generalkommando" ihre Arbeit auf. In diesem Zeitraum wurde das Gebäudeinnere für Gerichtszwecke hergerichtet.
1999
Im Jahr 1999 wurde das Bundesgrenzschutzpräsidium nach Fuldatal (Landkreis Kassel) verlegt und das Bundesarbeitsgericht zog in einen Neubau nach Erfurt um.
2006 bis 2009
Bereits seit Jahren zeichnete sich ab, dass die altersbedingten Mängel in der Bausubstanz und der technischen Infrastruktur eine grundlegende Erneuerung und Modernisierung der gesamten Liegenschaft verlangten. Technischer Verschleiß, Feuchtschäden, Brandschutzprobleme, gesperrte Außentreppenanlagen kennzeichneten den Zustand. Schutzmaßnahmen wegen desolater Natursteinverkleidungen und herabfallendem Putz mussten an zahlreichen Gebäudeteilen getroffen werden.
Nach Prüfung verschiedener Alternativen für eine funktionale Unterbringung des Bundessozialgerichts wurde Anfang 2006 der Bauantrag zur Modernisierung der Liegenschaft am Graf-Bernadotte-Platz in Kassel genehmigt.
Nach intensiver Planung und Koordinierung wurde der Baubeginn am 18. Februar 2008 realisiert. Während der Bauzeit dienten das ehemalige Gebäude des Bundesarbeitsgerichts und ein dreistöckiger Bürocontainerkomplex als Ausweichquartiere.
Im Dezember 2009 konnte das Bundessozialgericht in das modernisierte und sanierte Gerichtsgebäude zurückziehen.
Der Haupteingang
Der Haupteingang des Gebäudes befindet sich seit dem Umbau auf der Südseite. Ebenengleich gelangt man vom Graf-Bernadotte-Platz in das neue Eingangsfoyer. Die ehemalige Fahnenhalle erhielt für diese Funktion einen völlig neuen Charakter. Die Rückwand wurde herausgebrochen und durch Glas ersetzt. Genau hier ist auch der Zugang zum großen Sitzungssaal. Die moderne Gestaltung des Foyers steht im Dialog mit der historischen Natursteinverkleidung. Eine Lichtdecke verstärkt den Eindruck von Modernität.
Der große Sitzungssaal
Benannt nach der Kasseler Juristin und Politikerin Elisabeth Selbert, ist der große Sitzungssaal das "Herz" des modernisierten und sanierten Gerichtsgebäudes. Am Endpunkt der neuen Erschließungsachse von der Wilhelmshöher Allee gelegen, setzt der Saalbau ein sichtbares Zeichen im zeitgemäßen Umgang mit dem ehemaligen Militärgebäude. Durch seine organische, freie Gestaltung bildet der Elisabeth-Selbert-Saal einen Kontrast zur Herrschaftsarchitektur der 1930er Jahre. Im Gegensatz zu der achsialsymmetrischen und quadratischen Bauweise des historischen Gebäudes möchte die ovale Architektur eine freiheitliche Denk- und Lebensweise symbolisieren. Er ist damit zugleich Symbol für den neuen Inhalt, die Sozialrechtsprechung. Durch seine Lage in unmittelbarer Nähe zum Haupteingang ist der Saal für Prozessbeteiligte sowie Besucherinnen und Besucher barrierefrei zu erreichen. Dies gilt für alle übrigen Sitzungssäle des Gerichts gleichermaßen.
Die Funktionsbereiche
Die Funktionsbereiche im Bundessozialgericht wurden im Zuge der Modernisierung und Sanierung ebenfalls völlig neu geordnet. Grundlage hierfür waren die funktionellen Beziehungen der Bereiche zueinander, Sicherheitsfragen, strukturelle Überlegungen zur Einordnung der verschiedenen Abteilungen sowie wirtschaftliche und technische Überlegungen.
Der bestehende Sitzungssaal im Altbau (heute Jacob-Grimm-Saal) wurde modernisiert und ein zweiter Saal (heute Weißenstein-Saal) nach dem gleichen Prinzip in die Struktur des Altbaus eingeordnet. Ebenfalls modernisiert wurde der große Besprechungssaal (heute Bernadotte-Saal). Weitere Besprechungsräume in unterschiedlicher Art und Größe wurden in das Gerichtsgebäude neu eingeordnet.
Große Teile des 1. Untergeschosses und Räume im Erdgeschoss beherbergen die Bibliothek. Hierzu waren aufwändige statische Ertüchtigungen zur Lastenerhöhung notwendig.
Sämtliche Büroräume wurden von Grund auf saniert und nach den heutigen Anforderungen an Schallschutz, Ergonomie und moderner Informations- und Kommunikationstechnik umgestaltet.
Zudem wurde eine neue - auch für die Öffentlichkeit zugängliche - Cafeteria mit entsprechender Kücheneinrichtung geschaffen.