Bundessozialgericht

Geschichte

Sozialgerichtsgesetz

Bundesgesetzblatt vom 4. September 1953 mit dem Sozialgerichtsgesetz

Durch das Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 3. September 1953 sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit errichtet worden. Die feierliche Eröffnung des Bundessozialgerichts fand am 11. September 1954 statt. Am 23. März 1955 folgte die erste öffentliche Sitzung durch den 1. Senat.

Bis zum Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes zum 1. Januar 1954 gab es für die heute der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Rechtsgebiete keine selbstständigen Gerichte. Als Vorläufer des Bundessozialgerichts wird vielfach das im Jahre 1884 als höchste Instanz für Angelegenheiten der Sozialversicherung errichtete Reichsversicherungsamt angesehen. Es hatte im Zeitraum seines Bestehens bis zum Jahr 1945 nicht nur reine Verwaltungsgeschäfte zu erledigen, sondern vor allem rechtsprechende Tätigkeit auszuüben. Oberste Instanz auf dem Gebiet der früher bedeutsamen Kriegsopferversorgung war das beim Reichsversicherungsamt gebildete Reichsversorgungsgericht.

Auch in der Nachkriegszeit wurden Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit noch einige Jahre vor Behörden, insbesondere den Oberversicherungsämtern, ausgetragen. Erst das Sozialgerichtsgesetz gewährleistete eine einheitliche Anwendung und Fortbildung des Rechts durch unabhängige Gerichte mit nur an Gesetz und Recht gebundene Richterinnen und Richter. Seither bestehen die nach heutigem Verfassungsverständnis erforderlichen Voraussetzungen dafür, dass den Bürgerinnen und Bürgern der durch Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz verfassungsmäßig verbürgte umfassende Rechtsschutz ermöglicht wird.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 sind auch in allen neuen Bundesländern selbstständige Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (Sozialgerichte und Landessozialgerichte) errichtet worden.

Forschungsprojekt

Ausschnitt aus dem Cover des Buches zum Forschungsprojekt "Das Bundessozialgericht und die Formierung des westdeutschen Sozialstaats"

Das von einem wissenschaftlichen Beirat begleitete Projekt erforschte von Februar 2019 bis April 2022 die Gründungs- und Wirkungsgeschichte des Bundessozialgerichts im entstehenden Sozialstaat der Bundesrepublik bis Mitte der 1970er Jahre. In einem dreischrittigen Vorgehen wurde erstens die Institutionengeschichte des 1954 errichteten und damit jüngsten Bundesgerichts untersucht. Der Fokus wurde dabei auf die maßgeblichen Akteure in Rechtspolitik und Sozialgerichtsbarkeit während der Errichtungsphase gerichtet, ferner auf zentrale Personalentscheidungen, auf die Karrierewege der Bundesrichter und den Umgang mit deren NS-Vergangenheit. Darüber hinaus fragte die Studie, welches institutionelle Selbstverständnis sich am Bundessozialgericht herausbildete und beschrieb dessen Wandel unter veränderten politischen und sozialstaatlichen Rahmenbedingungen.

In einem zweiten Schritt wurde die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in den Blick genommen. Anhand ausgewählter Rechtsgebiete wurde erforscht, welche Gestaltungskraft die Kasseler Judikatur im entstehenden westdeutschen Sozialstaat entfaltete. Hierfür befasste sich die Studie mit Grundsatzurteilen zur Kriegsopferversorgung und zur Sozialversicherung, deren Voraussetzungen und Folgewirkungen in den zeitgenössischen sozialpolitischen Kontext eingeordnet wurden.

Drittens wuchs dem Bundessozialgericht über die Aufgaben der Rechtsfindung und Rechtsauslegung hinaus auch eine eigenständige Rolle im Akteursgefüge des Sozialstaates zu. Untersucht wurde, in welchem Maße und mit welchen Wirkungschancen das Bundessozialgericht als institutioneller Akteur oder aber einzelne Persönlichkeiten aus dem Kreise seiner Richter auch jenseits der Rechtsprechung Einfluss auf die Entwicklung des Sozialrechts und die Gestaltung der Sozialpolitik genommen hatten.

Am 15. Januar 2024 wurden im Konferenzzentrum des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Berlin die Ergebnisse des Forschungsprojekts vorgestellt. Die im Verlag C.H. Beck veröffentlichte Studie schildert die Rolle des Bundessozialgerichts für die Auslegung von Gesetzen, seinen Einfluss auf Politik und Wissenschaft und das Handeln der Richter zwischen NS-Belastung und demokratischer Neuorientierung.

Pressemitteilung Nummer 2/2024 vom 16. Januar 2024

Leseprobe "Das Bundessozialgericht und die Formierung des westdeutschen Sozialstaats"

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