Ein Versicherter hat keinen erneuten Insolvenzgeld-Anspruch nach Erklärung der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter im Rahmen eines ersten Insolvenzverfahrens bei fortbestehender Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das freigegebene Sondervermögen.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Zahlung von Insolvenzgeld (InsG).
Die Klägerin war ab Oktober 2010 bei dem Inhaber des C. -Pflegedienstes Herrn S. -T. (nachfolgend: Arbeitgeber) als Hauswirtschafterin beschäftigt. Über dessen Vermögen wurde mit Beschluss des AG Essen am 1.11.2011 ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Die Beklagte bewilligte der Klägerin InsG für rückständiges Arbeitsentgelt in den Monaten September und Oktober 2011 in Höhe von 1614,65 Euro.
Im Rahmen des Insolvenzverfahrens gab der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit des Arbeitgebers aus dem Insolvenzbeschlag nach § 35 Abs 2 der Insolvenzordnung (InsO) frei (Schreiben des Insolvenzverwalters vom 8.11.2011). Der Arbeitgeber betrieb den Pflegedienst sodann in reduziertem Umfang weiter. Das zunächst befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde zum 1.1.2012 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.
Ein erneutes Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit, das die im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens freigegebene Tätigkeit betraf, wurde mit Beschluss des AG Essen vom 1.8.2012 eröffnet. Den weiteren Antrag auf Bewilligung von InsG vom 7.8.2012, mit dem die Klägerin geltend machte, dass noch Arbeitsentgelt für die Monate Juni/Juli 2012 in Höhe von insgesamt 2473,21 Euro ausstehe, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 27.8.2012; Widerspruchsbescheid vom 27.9.2012).
Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, einem Anspruch auf InsG stehe entgegen, dass die Zahlungsunfähigkeit des früheren Arbeitgebers der Klägerin, auf der die Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens am 1.11.2011 beruht habe, bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 1.8.2012, ununterbrochen fortgedauert habe. Dies ergebe sich aus den aktenkundigen Unterlagen, insbesondere den gutachtlichen Stellungnahmen des Insolvenzverwalters vom 30.7.2012 und 28.11.2012 an das AG Essen. In seinem Schreiben an das SG vom 3.6.2013 sei er zu der nachvollziehbaren Einschätzung gelangt, dass der Schuldner die Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt habe. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht daraus, dass sich das zweite Insolvenzverfahren auf das nach Eröffnung vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen des Arbeitgebers aus seiner selbstständigen Tätigkeit und damit eine andere Masse bezogen habe. Das SGB III gehe davon aus, dass es grundsätzlich nur ein Insolvenzereignis für den Anspruch auf InsG gebe. Bei dem Schutz durch InsG im Arbeitsförderungsrecht habe der Gesetzgeber von Anfang an vor Augen gehabt, dass durch die Aufrechterhaltung eines Betriebs nach einem Insolvenzereignis weitere Arbeitsentgelt- und Beitragsrückstände entstehen könnten. Er habe sich dennoch bewusst für eine nur beschränkte Sicherung der Ansprüche der Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträger aus der Insolvenzgeldversicherung entschieden. Unionsrecht stehe der bisherigen Auslegung und Anwendung der SGB III-Vorschriften zum Vorliegen eines erneuten Insolvenzereignisses nicht entgehen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III, des Sozialstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG und Art 2 Abs 1 GG) sowie von Art 2 Abs 1 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (nachfolgend: RL 2008/94/EG). Nach Freigabe der Tätigkeit habe sie davon ausgehen müssen, dass es mit dem Betrieb bergauf gehe und sie eine Vergütung erhalte. In seinen bisherigen Entscheidungen habe sich das BSG nur mit der Bedeutung eines Insolvenzplanverfahrens für einen Anspruch auf InsG befasst. Erfolge - wie hier - eine Freigabeerklärung müsse auch der Schutz des sozial schwächeren Arbeitnehmers, für den der Umstand einer durchgehenden Zahlungsunfähigkeit nicht erkennbar sei, beachtet werden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Juni 2016 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 6. Dezember 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2012 Insolvenzgeld für die Monate Juni und Juli 2012 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus, ein neues Insolvenzereignis könne nicht eintreten, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Nach den Tatsachenfeststellungen und der Beweiswürdigung des LSG sei dies hier der Fall. Der Freigabebeschluss des Insolvenzverwalters könne schon nach seinem Inhalt nicht die Annahme rechtfertigen, dass eine Zahlungsfähigkeit wiederhergestellt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 27.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2012 (§ 95 SGG), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin für die Monate Juni und Juli 2012 InsG für ausgefallenes Arbeitsentgelt zu zahlen. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zu Recht mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG).
2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf InsG liegen nicht vor, weil es an einem (erneuten) Insolvenzereignis im Sinne des SGB III fehlt.
a) Nach § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Nr 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr 2) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 3).
Zwar ist durch den Beschluss des AG Essen vom 1.8.2012 erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden, sodass ein weiteres Insolvenzverfahren im Sinne der InsO vorliegt. Ein (neues) arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis iS des § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III ist damit jedoch nicht eingetreten, weil das frühere Insolvenzereignis - hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen desselben Arbeitgebers vom 1.11.2011 - gegenüber dem Eintritt eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung im arbeitsförderungsrechtlichen Sinne entfaltet.
b) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass ein neues Insolvenzereignis im Sinne des SGB III nicht eintritt und folglich keine Ansprüche auf InsG auslöst, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit desselben Arbeitgebers noch andauert. Dies war hier der Fall.
Für die Annahme einer wiedererlangten Zahlungsfähigkeit genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3, S 4; BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 11; BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 ff = SozR 4-4300 § 183 Nr 14, RdNr 16; BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - NZS 2015, 591 ff; vgl bereits zum Kaug nur BSG vom 27.8.1998 - B 10 AL 7/97 R - SozR 3-4100 § 141e Nr 3, S 8).
Nur bei einem Wechsel des Arbeitgebers während des Sanierungsverfahrens kann es - wegen der rechtlichen Bezogenheit des Eintritts eines Insolvenzereignisses auf den jeweiligen Arbeitgeber - gerechtfertigt sein, von einem anderen Insolvenzereignis iS der §§ 165 ff SGB III auch unbesehen einer zwischenzeitlich erneut erlangten Zahlungsfähigkeit auszugehen (BSG vom 28.6.1983 - 10 RAr 26/81 - BSGE 55, 195 = SozR 4100 § 141b Nr 27). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht gegeben, weil das zweite Insolvenzereignis denselben Arbeitgeber im insolvenzgeldrechtlichen Sinne betraf.
Zur durchgehenden Zahlungsunfähigkeit hat das LSG - für den Senat bindend - festgestellt (§ 163 SGG), dass bei dem Schuldner bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit wieder eingetreten ist, die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Dabei ist das LSG nicht von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der Zahlungsunfähigkeit ausgegangen. Seine Feststellung wird vielmehr durch folgende Zahlen erhärtet: Am Tag der Eröffnung des (erneuten) Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen, dem 1.8.2012, haben Aktiva im Form eines Vermögens in Höhe von 220 305,35 Euro Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 614 381,43 Euro gegenüber gestanden. Unter Berücksichtigung von Aus- und Absonderungsrechten ist für die freie Masse lediglich ein Vermögen in Höhe von 39 309,35 Euro verfügbar gewesen, aus der die Verbindlichkeiten zu befriedigen waren. Das LSG hat festgestellt, dass der Arbeitgeber der Klägerin auch nach der Freigabe seiner betrieblichen Tätigkeit bereits am 8.11.2011 insbesondere im Entgeltbereich (Ansprüche auf Arbeitsentgelt, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung) seit Januar 2012 wiederum erhebliche Rückstände aufgebaut und auch sonstige laufende Verbindlichkeiten, etwa bezogen auf das Grundstück in H. , von dem aus der Pflegedienst zuletzt betrieben worden ist, nicht begleichen konnte.
c) Die vorliegende Konstellation eines zweiten Insolvenzverfahrens nach Freigabe des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens (siehe hierzu aa) rechtfertigt keinen Verzicht auf das Erfordernis einer tatsächlichen Behebung der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nach einem ersten Insolvenzverfahren (siehe hierzu bb). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats zu Ansprüchen auf InsG bei Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens (siehe hierzu cc). Ein etwaiges Vertrauen des Arbeitnehmers auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit - auch soweit es sich auf eine bestimmte Gestaltung des Insolvenzverfahrens bezieht - kann nur im Rahmen des § 165 Abs 3 SGB III berücksichtigt werden und begründet nach aktueller Gesetzeslage keinen Anspruch auf InsG (siehe hierzu dd). Unionsrecht steht nicht entgegen (siehe hierzu ee).
aa) Der Insolvenzverwalter hat mit seiner Erklärung vom 8.11.2011 entschieden, die selbstständige Tätigkeit des Arbeitgebers der Klägerin freizugeben, ohne dass diese dauerhafte und unwiderrufliche Erklärung (Ries in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, § 35 InsO RdNr 76) durch die nachlaufende Sonderkompetenz des Gläubigerausschusses bzw der Gläubigerversammlung (§ 35 Abs 2 Satz 3 InsO) außer Kraft gesetzt worden ist.
Mit seiner Erklärung gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin hat der Insolvenzverwalter von der durch § 35 Abs 2 Satz 1 InsO (in der Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007 <BGBl I 509>) eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, gegenüber einem Schuldner, der - wie hier der Arbeitgeber der Klägerin - eine selbstständige Tätigkeit ausübt, klarzustellen, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Bei dieser sog Freigabe- oder Negativerklärung, mit welcher der Insolvenzverwalter das Vermögen eines Schuldners aus der selbstständigen Tätigkeit freigibt, handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner. Mit dieser Erklärung verzichtet der Insolvenzverwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis aus § 80 Abs 1 InsO hinsichtlich des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit (vgl BT-Drucks 16/3227 S 17).
Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO betrifft als Erklärung mit Gesamtwirkung nicht nur einzelne Vermögensgegenstände, sondern ist auf eine bestimmte Form des Wirtschaftens in Gestalt einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gerichtet. Das unternehmerische Vermögen als Gesamtheit von Gegenständen und Werten wird aus dem Insolvenzverfahren herausgelöst. Rechte und Pflichten daraus sind folglich außerhalb des Insolvenzverfahrens geltend zu machen (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 153). Die ab dem Wirksamwerden der Freigabeerklärung aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners stehen als ihm gehörendes insolvenzfreies Sondervermögen grundsätzlich allein den Neugläubigern, deren Forderungen erst nach der Freigabeerklärung entstanden sind, nicht aber den (bisherigen) Insolvenzgläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung. Insofern zerschneidet die Negativerklärung das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner zukünftig ausgeübten selbstständigen Tätigkeit. Vertragsverhältnisse werden insgesamt und je als Ganzes erfasst. Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen sind - auch ohne zusätzliche Kündigungserklärungen des Insolvenzverwalters - ab Zugang der bei dem Schuldner wirksam werdenden Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters insgesamt nur noch gegen den Schuldner, und nicht mehr gegen die Masse durchsetzbar (BGH vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322 ff, 327 f; BGH vom 18.4.2013 - IX ZR 165/12 - MDR 2013, 1314, 1315; BGH vom 22.5.2014 - IX ZR 136/13 - NJW 2014, 2585 ff; BSG vom 10.12.2014 - B 6 KA 45/13 R - BSGE 118, 30 = SozR 4-2500 § 85 Nr 81, RdNr 25 ff). Auch das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber bestand nach der Freigabeerklärung mit dieser Maßgabe fort (BAG vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - BAGE 146, 295, 299 f).
bb) Mit einer Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO ist aber nicht bereits aus Gründen des Insolvenzrechts die zwingende Vermutung auch des Wiedereintritts der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers der Klägerin im Sinne der Regelungen des InsG nach dem SGB III verbunden. Zwar ist ein weiteres Insolvenzverfahren - nach einmaliger Freigabeerklärung nach § 35 Abs 2 InsO oder bei einer Kette von Folgeinsolvenzen nach zulässigen weiteren Freigaben - nicht von vornherein masselos (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 175 f), weil eine neue selbstständige Haftungsmasse entsteht und den neuen Schuldnern zur Verfügung steht. Auch die neue Haftungsmasse ist aber - gerade zB bezogen auf fortlaufende Vertragsverhältnisse - mit den bisherigen vertraglichen Pflichten belastet. In einer doppelten Teleologie (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 166) soll durch die Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht nur dem Schuldner eine Chance auf eine erfolgreiche Selbstständigkeit und wirtschaftlichen Neubeginn gegeben werden, sondern gerade auch die Insolvenzmasse von Verbindlichkeiten aus der weiteren gewerblichen Tätigkeit des Schuldners entlastet werden (BGH vom 9.2.2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322, 333). Aus Sicht des Insolvenzverwalters bei der Freigabeerklärung ist es bei einer Abwägungsentscheidung in einer Gesamtschau aller Faktoren (Reis in Kayser/Thole, Insolvenzordnung, 8. Aufl 2016, § 35 InsO RdNr 66) gegebenenfalls sinnvoll, eine Negativerklärung gerade bei einer die Masse potentiell belastenden, also wirtschaftlich voraussichtlich nicht erfolgreichen Tätigkeit abzugeben (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 176; BAG vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - BAGE 146, 295 ff, 300 "legislatorisches Ziel, dem Insolvenzverwalter die Freigabe verlustreicher Betriebsführung zu ermöglichen"; vgl auch BT-Drucks 16/3227, S 17). Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Regelung des § 35 Abs 2 InsO Konsequenz der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit des Schuldners ist, der auch während des Insolvenzverfahrens eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausüben kann (Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 InsO RdNr 132). Zudem muss der Schuldner eine Ausgleichsabgabe aus Erträgen der neuen Tätigkeit an die Gläubigergemeinschaft entrichten (§ 35 Abs 2 Satz 2 iVm § 295 Abs 3 InsO).
Unter Berücksichtigung dieser Ausgestaltung des Freigabeverfahrens ist es regelmäßig ergebnisoffen, ob die Zahlungsfähigkeit bei Fortführung der selbstständigen Tätigkeit wiederhergestellt wird. Hier hat der Arbeitgeber der Klägerin eine Zahlungsfähigkeit nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG) - auch unter Berücksichtigung des kurzen Zeitraums zwischen den beiden Insolvenzereignissen (vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 165 RdNr 62, Stand Februar 2016) - nicht wieder erlangt.
cc) Bezogen auf die Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens hat der Senat zudem bereits betont, dass es die Konkurrenz von regulärem Insolvenzverfahren und Insolvenzplanverfahren ausschließt, allein das Insolvenzplanverfahren zu begünstigen, indem den Gläubigern durch die wiederholte Zuerkennung von InsG-Ansprüchen ein Sondervorteil verschafft wird (BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3, RdNr 19). Diese Überlegung greift auch für das hier vorliegende Freigabeverfahren im Insolvenzfall, welches mehrfach hintereinander erfolgen kann (vgl nur Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl 2017, § 35 RdNr 175 f).
Zwar liegt bei einer Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners im Insolvenzverfahren eine andere Ausgangslage vor, weil - anders als in den vom Senat bereits entschiedenen Fallgestaltungen von Insolvenzplanverfahren - ein Sondervermögen außerhalb des Insolvenzverfahrens gebildet wird (vgl hierzu Krasney, KrV 2015, 84; zum Insolvenzplanverfahren BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3; BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9; BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 11/11 R - BSGE 112, 235 ff = SozR 4-4300 § 183 Nr 14; BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - NZS 2015, 591). Dies führt jedoch - wie dargelegt - wegen der damit verfolgten verschiedenen Zielsetzungen nicht zwingend zu der Annahme der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit. Mit den §§ 165 ff SGB III verfolgt der Gesetzgeber dagegen lediglich die (begrenzte) Sicherung bestimmter Lohnforderungen bei Insolvenz des Arbeitgebers. Trotz eines engen inhaltlichen Zusammenhangs zwischen den Vorschriften der InsO und anderen insolvenz- und arbeitsrechtlichen Sicherungsmechanismen bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers mit dem arbeitsförderungsrechtlichen InsG (Voelzke in Küttner, Personalhandbuch 2017, 24. Aufl 2017 "Insolvenzgeld") kann auch bei einer Freigabeerklärung im Insolvenzverfahren nicht auf eine Wiederherstellung der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit nach einem ersten Insolvenzereignis verzichtet werden.
dd) Ein etwaiges Vertrauen der Klägerin auf eine mögliche Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit ihres Arbeitgebers kann keinen erneuten Anspruch auf InsG begründen.
Vertrauensschutzgesichtspunkte im Zusammenhang mit einem Insolvenzereignis berücksichtigt allein die Regelung des § 165 Abs 3 SGB III. Hat eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder eine Arbeit aufgenommen, besteht hiernach ein Anspruch auf InsG für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses (vgl zur Entstehungsgeschichte dieser beiden Vertrauensschutztatbestände: BSG vom 27.8.1998 - B 10 AL 7/97 R - SozR 3-4100 § 141e Nr 3; BT-Drucks 12/3211, S 27; zur vorangegangenen Rspr: BSG vom 19.3.1986 - 10 RAr 8/85 - SozR 4100 § 141b Nr 37; BSG vom 22.2.1989 - 10 RAr 7/88 - 10 RAr 10/88 - SozR 4100 § 141b Nr 45 S 167; BSG vom 17.5.1989 - 10 RAr 10/88 - SozR 4100 § 141b Nr 46 S 170).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Umwandlung des befristeten Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht das Tatbestandsmerkmal der Aufnahme einer Arbeit iS des § 165 Abs 3 SGB III erfüllt. Jedenfalls steht die Kenntnis der Klägerin von dem ersten Insolvenzereignis am 1.11.2011 einer Anwendbarkeit des § 165 Abs 3 SGB III entgegen. Von einer Unkenntnis von einem Insolvenzereignis im Sinne dieser Regelung ist nur auszugehen, solange kein ausreichender Anhaltspunkt vorhanden ist, dass der Arbeitnehmer Kenntnis von einem vorausgegangenen Insolvenzereignis nach § 165 Abs 1 SGB III hat (Peter-Lange in Gagel, SGB II / SGB III, § 165 SGB III, RdNr 77 f, Stand 12/2014). Wegen der Anknüpfung des geschützten Vertrauens an den tatsächlich gegebenen Umstand eines Insolvenzereignisses kann nicht allein das Vertrauen eines Arbeitnehmers auf ein etwaiges "Potential" des derzeit zahlungsunfähigen, aber beruflich weiterhin tätigen Arbeitgebers, also auf möglicherweise in Zukunft zu erwartende Einnahmen, dazu führen, dass ein erneuter Anspruch auf InsG trotz weiterhin vorliegender Zahlungsunfähigkeit besteht (vgl BSG vom 29.5.2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 15). Von der Anknüpfung einer Vertrauensschutzregelung an die Art und Weise der Ausgestaltung eines Insolvenzverfahrens (Insolvenzplanverfahren, Freigabeerklärung zur weiteren Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit des Arbeitgebers) unbesehen einer weiterhin bestehenden tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit hat der Gesetzgeber bisher abgesehen, obgleich der Schuldner für seine weitere selbstständige Tätigkeit auf eine Beschäftigung der bisherigen Arbeitnehmer nach Freigabeerklärung als unentbehrliche Betriebsgrundlage zumeist angewiesen ist (vgl zu diesem Aspekt BAG vom 21.11.2013 - 6 AZR 979/11 - BAGE 146, 295 ff, 300; kritisch auch Cranshaw, jurisPR-InsR 13/2015, Anm 1).
ee) Diese Auslegung und Anwendung des § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III verstößt nicht gegen Vorgaben des europäischen Rechts. Nach Art 2 Abs 1 der RL 2008/94/EG gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgeschriebenen Gesamtverfahrens beantragt worden ist, das die Insolvenz des Arbeitgebers voraussetzt und den teilweisen oder vollständigen Vermögensbeschlag gegen diesen Arbeitgeber sowie die Bestellung eines Verwalters oder einer Person, die eine ähnliche Funktion ausübt, zur Folge hat. Dies setzt weiter voraus, dass entweder die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften zuständige Behörde die Eröffnung des Verfahrens beschlossen oder festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen. Die Richtlinie knüpft also grundsätzlich an ein formelles Insolvenzereignis an und ermöglicht es den Mitgliedstaaten, mehrere formell eigenständige, wegen materiell andauernder Insolvenz aber sachlich verbundene Insolvenzverfahren zu einem Gesamtverfahren zusammen zu fassen. Eine solche Zusammenfassung wird durch diese Option jedoch nicht europarechtlich angeordnet (Kolbe, ZInsO 2014, 2155, 2157); sie existiert im nationalen Recht nicht.
Die europarechtliche Regelung schreibt nicht vor, dass und unter welchen Voraussetzungen ein bereits eingetretenes Insolvenzereignis arbeitsförderungsrechtlich abgeschlossen ist, um ein neues Insolvenzereignis annehmen zu können (vgl bereits BSG vom 21.11.2002 - B 11 AL 35/02 R - BSGE 90, 157, 161 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 S 7; BSG vom 6.12.2012 - B 11 AL 10/11 R; BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 9/14 R - NZS 2015, 591 ff). Der EuGH hat zudem aus dem Schutzzweck der Richtlinie abgeleitet, dass "eine Verbindung zwischen der Zahlungsunfähigkeit und den unbefriedigten Ansprüchen auf Arbeitsentgelt" bestehen müsse (Urteil vom 28.11.2013 - C-309/12 - ZESAR 2014, 291, 295). Wegen dieses kausalen Zusammenhangs zwischen dem Forderungsausfall und einer materiellen Insolvenz können bei einer Mehrheit von Insolvenzereignissen nur dann mehrere Garantieansprüche ausgelöst werden, wenn ein entsprechender Zusammenhang für jedes dieser Ereignisse zu bejahen ist (Kolbe, ZInsO 2014, 2155, 2158). Daran fehlt es hier bezogen auf das weitere Insolvenzereignis vom 1.8.2012.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.