Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 26.02.2019, B 11 AL 3/18 R

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2017 aufgehoben, soweit die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2015 verurteilt worden ist, der Klägerin auch vom 12. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 Insolvenzgeld in Höhe von 1885,02 Euro unter Anrechnung des bereits geleisteten Vorschusses zu erbringen.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg).

Die Klägerin war seit August 2014 als Büroangestellte bei der C. GmbH (im Folgenden: Arbeitgeberin) beschäftigt. Zur Vermeidung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage der Arbeitgeberin ordnete das AG Baden-Baden auf Antrag der AOK Karlsruhe vom 30.10.2014 deren vorläufige Insolvenzverwaltung an (Beschluss vom 13.11.2014). Mit den Beschlüssen vom 13.7.2015 (11 IN 384/14 bzw 11 IN 418/14) lehnte es die Anträge der AOK Karlsruhe und der Arbeitgeberin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit sofortiger unwiderruflicher Freistellung und mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Wirkung zum 31.1.2015 (Schreiben vom 12.12.2014).

In ihrem Antrag auf Insg vom 23.12.2014 gab die Klägerin an, dass Lohnzahlungen für November 2014, Dezember 2014 und Januar 2015 ausstünden. Der vorläufige Insolvenzverwalter informierte die Beklagte mit Hinweis auf eine Anzeige zur Entlassung gemäß § 17 KSchG (Massenentlassungsanzeige). Der Geschäftsbetrieb der Arbeitgeberin sei zum 11.12.2014 vollständig eingestellt worden (Schreiben vom 22.12.2014; Gutachten vom 11.6.2015). Dagegen ging die Beklagte von einer Fortführung des Betriebs bzw einer Übernahme der Arbeitsverhältnisse durch die T. GmbH aus und teilte dieser mit, dass sie gemäß § 613a BGB neben der Insolvenzschuldnerin für den ausgefallenen Lohn hafte (Schreiben vom 27.2.2015).

Sodann bewilligte die Beklagte der Klägerin Insg als Vorschuss in Höhe von 1750 Euro. Zugleich wies sie darauf hin, dass dieser Betrag zu erstatten sei, soweit ein Anspruch auf Insg nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt werde (Bescheid vom 4.3.2015). Später bewilligte sie Insg nur in Höhe von 1577,25 Euro. Insg könne vom 1.11.2014 bis längstens zum 11.12.2014 gezahlt werden, weil die Arbeitsverhältnisse durch Betriebsübergang am 12.12.2014 auf die T. GmbH übergegangen seien. Der überzahlte Betrag in Höhe von 172,75 Euro sei zu erstatten (Bescheid vom 24.7.2015; Widerspruchsbescheid vom 2.9.2015).

Das SG Mannheim hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin weiteres Insg für den Zeitraum vom 12.12.2014 bis 31.1.2015 in Höhe von 1961,46 Euro zu gewähren (Urteil vom 20.4.2016). Es lasse sich aufgrund des von der Beklagten mitgeteilten Sachverhalts nicht feststellen, dass der Betrieb der Arbeitgeberin mit ursprünglich mindestens 80 Arbeitnehmern und zahlreichen Filialen vollumfänglich von der T. GmbH weitergeführt worden sei.

Das LSG hat das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.9.2015 verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 12.12.2014 bis 31.1.2015 Insg in Höhe von 1885,02 Euro unter Anrechnung des bereits geleisteten Vorschusses zu gewähren, im Übrigen die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.10.2017). Insolvenzereignis sei der Beschluss des AG Baden-Baden vom 13.7.2015. Eine von der Beklagten behauptete Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin schon bei Betriebsaufnahme stehe einem Anspruch auf Insg nicht entgegen. Es könne auch nicht eingewandt werden, dass ein Dritter in die Pflichten der zahlungsunfähig gewordenen Arbeitgeberin eingetreten sei. Der Senat könne offenlassen, ob tatsächlich ein Betriebsübergang vorliege. Es widerspreche dem Zweck des Insg, wenn der Arbeitnehmer nach einer durch ein gesetzliches Insolvenzereignis eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers auf das Ergebnis des Insolvenzverfahrens bzw die Geltendmachung von ausstehenden Arbeitsentgeltansprüchen gegen Dritte verwiesen werde. Anders als vom SG ausgesprochen, habe die Klägerin keinen (Rest-)Anspruch auf Insg in Höhe von 1961,46 Euro, sondern nur einen solchen in Höhe von 1885,02 Euro.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der § 165 Abs 1 SGB III, § 166 Abs 1 Nr 1, 2. Alt SGB III, § 169 Satz 1 SGB III sowie des § 613a Abs 2 Satz 1 BGB. Habe bei einem Betriebsübergang ein Arbeitgeberwechsel vor dem Insolvenzereignis stattgefunden, ende der Insolvenzgeldzeitraum mit der Betriebsübernahme. Das vom LSG zitierte Urteil des BSG (Urteil vom 2.11.2000 - B 11 AL 23/00 R - SozR 3-4100 § 141b Nr 22) betreffe nur den Zeitraum einer gesamtschuldnerischen Haftung von Arbeitgeber und Betriebsübernehmer für die Zeit vor einem Betriebsübergang.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2017 insoweit aufzuheben, als damit das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20. April 2016 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2015 verurteilt worden ist, der Klägerin auch für die Zeit vom 12. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015 Insolvenzgeld in Höhe von 1885,02 Euro unter Anrechnung des bereits geleisteten Vorschusses zu gewähren, und das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 20. April 2016 auch im Übrigen aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Das LSG habe keine weiteren Ermittlungen zum Betriebsübergang anstellen müssen. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass das Arbeitsverhältnis auf die T. GmbH übergegangen sei. Zudem habe sie keine Kenntnis vom Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gehabt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten hat im Umfang der von ihr beantragten Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob die Klägerin einen Anspruch auf höheres Insg hat, lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 24.7.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.9.2015, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, höheres Insg unter Berücksichtigung auch des Zeitraums vom 12.12.2014 bis 31.1.2015 zu zahlen. Weiter hat sie mit diesem Bescheid die teilweise Erstattung des vorschussweise erbrachten Insg in Höhe von 172,75 Euro verlangt. Der Bescheid vom 24.7.2015 hat den Vorschussbescheid vom 4.3.2015 vollständig ersetzt (§ 168 SGB III, § 39 Abs 2 SGB X). Da das Berufungsgericht das zusprechende Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten nur insoweit aufgehoben hat, als diese zur Zahlung von Insg in Höhe eines Betrags von mehr als 1885,02 Euro verurteilt worden ist, ist Streitgegenstand mangels Revision der Klägerin letztlich das Begehren der Beklagten, deren statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) insgesamt abzuweisen.

2. a) Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Insg ist § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854). Hiernach haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt nach § 165 Abs 1 Satz 2 SGB III die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers (Nr 1), die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr 2) oder die vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr 3).

Durch die Beschlüsse des AG Baden-Baden zur Abweisung der Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin vom 13.7.2015 ist ein Insolvenzereignis iS des § 165 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB III eingetreten. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass eine ohnehin nicht festgestellte, von vornherein bestehende Zahlungsunfähigkeit der bisherigen Arbeitgeberin einem Anspruch auf Insg nicht entgegenstünde. Nur bei einem Insolvenzereignis nach § 165 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III wird eine Kausalität zwischen einer neu eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland gefordert. Die Klägerin hatte nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) grundsätzlich aus dem bis zum 31.1.2015 bestehenden Arbeitsverhältnis noch Arbeitsentgeltansprüche. Unbesehen ihrer unwiderruflichen Freistellung ab 12.12.2014 ist für das Ende des Arbeitsverhältnisses iS des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III nicht dessen faktisches Ende (im Sinne des sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses), sondern das rechtliche Ende (nach arbeitsrechtlichen Maßstäben) maßgebend (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 165 RdNr 90, Stand Juni 2018; Kühl in Brand, SGB III, 8. Aufl 2018, § 165 RdNr 31). Die Klägerin hat auch die Ausschlussfrist des § 324 Abs 3 SGB III für die Beantragung von Insg gewahrt.

b) Der Ausgleich von Ansprüchen auf rückständiges Arbeitsentgelt durch Insg iS des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III erfolgt jedoch nur für solche arbeitsrechtlichen Ansprüche, die in den Insolvenzgeldzeitraum fallen. Die Lage des Insolvenzgeldzeitraums bestimmt sich neben dem Zeitpunkt des Insolvenzereignisses nach den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses mit dem jeweiligen insolventen Arbeitgeber vor Eintritt des Insolvenzereignisses. § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III sichert also nicht jegliches ausgefallenes Arbeitsentgelt im Zusammenhang mit einer Insolvenz, sondern nur arbeitsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers gegen einen konkreten Arbeitgeber (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 165 RdNr 46, Stand Juni 2018), der wiederum von einem der in § 165 Abs 1 Satz 2 SGB III bezeichneten Insolvenzereignisse betroffen sein muss (E. Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 165 RdNr 38).

c) Im Falle eines Betriebsübergangs vor dem Insolvenzereignis endet der Insolvenzgeldzeitraum trotz fortbestehenden Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers (hierzu sogleich) mit der Betriebsübernahme durch den neuen Erwerber. Wegen eines Insolvenzereignisses bei dem (bisherigen) Arbeitgeber steht dem Arbeitnehmer Insg dann nur bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs zu (so auch LSG Berlin-Brandenburg vom 13.6.2018 - L 18 AL 52/16 - juris RdNr 25; Hess in GK- SGB III, § 165 RdNr 189, Stand November 2017; Kühl in Brand, SGB III, 8. Aufl 2018, § 165 RdNr 34; Schmidt in Nomos-Kommentar SGB III, 6. Aufl 2017, § 165 RdNr 27; aA Bissels/Witt, Aktuelles Arbeitsrecht in Krise und Insolvenz, NZI 2018, 349 f).

Dies folgt aus § 613a BGB. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser nach § 613a Abs 1 Satz 1 BGB in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Nach der Rechtsprechung des BAG enthält § 613a Abs 1 BGB als Tatbestandsmerkmal kein auf die bestehenden Arbeitsverhältnisse bezogenes Rechtsgeschäft. Der Übergang des Arbeitsverhältnisses ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 613a Abs 1 BGB, sondern die gesetzliche Rechtsfolge des Betriebsübergangs (vgl nur BAG vom 30.10.1986 - 2 AZR 101/85 - BAGE 53, 251). Mit dem Betriebsübergang ist der Betriebserwerber der neue Arbeitgeber bei Fortbestand des bisherigen Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis geht auf ihn über (Müller-Glöge in Münchener Kommentar, 7. Aufl 2016, § 613a BGB RdNr 77 "Vertragspartnerwechsel auf Arbeitgeberseite"; BAG vom 11.11.2010 - 8 AZR 392/09 - NZA 2011, 763, 765).

Zwar bestimmt § 613a Abs 2 BGB, dass der bisherige Arbeitgeber neben dem neuen Inhaber als Gesamtschuldner für Verpflichtungen nach § 613a Abs 1 BGB haftet, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden. Für noch ausstehende Arbeitsentgeltansprüche der Klägerin gegenüber ihrer bisherigen Arbeitgeberin vor dem von der Beklagten behaupteten Betriebsübergang am 12.12.2014 hat die Beklagte jedoch Insg bewilligt.

Eine Konstellation, in welcher die Arbeitsverhältnisse bei dem Betriebsveräußerer verbleiben, weil die betroffenen Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprechen, ist hier nicht gegeben. Insofern bestimmt § 613a Abs 6 BGB, dass der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung zu dem Betriebsübergang schriftlich widersprechen kann. Der Widerspruch gegen den Betriebsübergang wirkt auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück (vgl nur BAG vom 19.2.2009 - 8 AZR 176/08 - BAGE 129, 343, 348). Nach § 613a Abs 5 BGB hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang über Einzelheiten des Betriebsübergangs (Zeitpunkt, Grund, Folgen, Maßnahmen) zu unterrichten. Erfolgt die Unterrichtung erst nach dem Betriebsübergang, beginnt - unbesehen des Zeitpunktes des Übergangs - die Monatsfrist erst nach dem Zugang der Unterrichtung zu laufen (Müller-Glöge in Münchener Kommentar, 7. Aufl 2016, § 613a BGB RdNr 120; vgl auch BAG vom 28.6.2018 - 8 AZR 100/17 - AP Nr 475 zu § 613a BGB zur Verwirkung des Widerspruchsrechts nach nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung bei widerspruchsloser Weiterarbeit bei dem neuen Inhaber über einen Zeitraum von sieben Jahren). Hier liegen jedoch weder eine (ordnungsgemäße) Unterrichtung noch ein Widerspruch der Klägerin gegen den fraglichen Betriebsübergang vor.

d) Anders als die Klägerin und das Berufungsgericht meinen, ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht, dass ein Betriebsübergang in der vorliegenden Konstellation unbeachtlich wäre. Hiernach setzt ein Insg-Anspruch voraus, dass ein Arbeitnehmer bestimmte Arbeitsentgeltansprüche gegen seinen Arbeitgeber hat, diese nicht erfüllt worden sind und bei dem Arbeitgeber ein Insolvenzereignis eingetreten ist. Kann der Arbeitnehmer Dritte neben dem Arbeitgeber wegen seiner Entgeltforderungen in Anspruch nehmen, sieht das Gesetz nicht vor, dass der Anspruch auf Insg nicht oder erst entsteht, wenn auch der Dritte zahlungsunfähig geworden ist (BSG vom 30.4.1981 - 10/8b/12 RAr 11/79 - BSGE 51, 296, 298 = SozR 4100 § 141b Nr 18 S 73; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 23/00 R - SozR 3-4100 § 141b Nr 22 S 99). Diese Entscheidungen betrafen jedoch jeweils Sachverhaltskonstellationen, in denen arbeitsrechtliche Ansprüche im Insolvenzgeldzeitraum sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber als auch gegenüber Dritten bestanden. Die hier vorliegende Fallgestaltung eines Betriebsübergangs vor dem Insolvenzereignis weicht davon ab, weil eine (zeitgleiche) Einstandspflicht von Veräußerer und Betriebserwerber für die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis regelmäßig nur bis zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs besteht. Fand ein möglicher Betriebsübergang - wie vorliegend von der Beklagten behauptet - in den letzten drei Monaten vor Eintritt des Insolvenzereignisses statt, entfällt wegen des Arbeitgeberwechsels der Anspruch auf Arbeitsentgelt gegen den bisherigen Arbeitgeber. Es kann daher für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.9.2015 nicht dahingestellt bleiben, ob - wie die Beklagte meint - am 12.12.2014 ein Betriebsübergang stattgefunden hat.

3. Für das weitere Verfahren gibt der Senat zunächst folgende Hinweise: Bei der Prüfung, ob der Betrieb der ehemaligen Arbeitgeberin auf die T. GmbH übergegangen ist und dies zudem auch die Tätigkeit der Klägerin als Büroangestellte umfasste, ist die Rechtsprechung des BAG zugrunde zu legen. Danach liegt ein Betriebs(teil)übergang iS von § 613a Abs 1 Satz 1 BGB - wie auch im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen (ABl Nr L 82 S 16) - vor, wenn die für den Betrieb verantwortliche natürliche oder juristische Person, die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt und die in Rede stehende Einheit nach Übernahme durch den neuen Inhaber ihre Identität bewahrt (BAG vom 25.8.2016 - 8 AZR 53/15 - AP Nr 466 zu § 613a BGB RdNr 25 ff mwN). Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit ihre Identität bewahrt, müssen sämtliche den Vorgang des Betriebsübergangs kennzeichnende Tatsachen, insbesondere die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten berücksichtigt werden. Diese Umstände sind Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung (BAG aaO RdNr 27).

Fraglich ist nach den bisher getroffenen Feststellungen schon ein Inhaberwechsel durch Rechtsgeschäft, also durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung (vgl hierzu Winter in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum Europäischen Arbeitsrecht, 2. Aufl 2018, Art 1 RL 2001/23/EG, RdNr 36) und dessen Zeitpunkt. Unklar ist auch, ob der Betrieb tatsächlich in der bisherigen Struktur einschließlich einer gesonderten Verwaltungsabteilung weitergeführt worden ist. Aufzuklären sind ferner die näheren Umstände der von der Beklagten behaupteten "Übernahme von rechnerisch weniger als die Hälfte der ursprünglichen Belegschaft", evtl durch Rückfrage bei dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Allerdings ist das Gericht nur zu solchen Ermittlungen verpflichtet, die der Sachverhalt und der Vortrag der Beteiligten nahe legen (Schmidt in Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl 2017, § 103 RdNr 7 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Zu Ermittlungen ohne konkrete Anhaltspunkte "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" besteht (auch unter verfassungsrechtlichen Erwägungen) keine Verpflichtung (BVerfG vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03 - juris RdNr 19; vgl BSG vom 17.12.1997 - 11 RAr 61/97 - BSGE 81, 259 = SozR 3-4100 § 128 Nr 5).

4. Lässt sich nach Ausschöpfung der Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht feststellen, ob ein Betriebsübergang stattgefunden hat, trägt die Beklagte hierfür die objektive Beweislast (Feststellungslast).

Nach den Grundsätzen der Verteilung der objektiven Beweislast, die die Rechtsprechung des BSG entwickelt hat (stRspr vgl BSG vom 26.11.1992 - 7 RAr 38/92 - BSGE 71, 256, 260 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7 S 32 mwN; vgl BSG vom 14.10.2014 - B 1 KR 27/13 R - BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 18 mwN, jeweils mit weiteren Nachweisen), gilt, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache im Zweifel zulasten des Beteiligten geht, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet. Ist die objektive Beweislast nicht unmittelbar selbst und eindeutig vom Gesetz bestimmt, ist letztlich maßgeblich, welche Seite nach dem Plan des Gesetzgebers, hilfsweise nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, mit dem potentiellen "Unrecht" belastet werden kann. Es sind dabei nicht nur der Zweck der Norm, sondern auch ihre Stellung sowie Erfordernisse wirksamen Rechtsschutzes zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für die Abgrenzung bieten so unterschiedliche Kriterien wie Regel und Ausnahme, die Zumutbarkeit der Belastung mit einem Beweisnachteil und der Zurechenbarkeit der Ungewissheit bzw Unaufklärbarkeit zur Verantwortungssphäre der einen oder anderen Seite (BSG vom 26.11.1992 und 14.10.2014, aaO).

Nach diesen Grundsätzen und dem Regelungsgefüge der §§ 165 ff SGB III trägt die Beklagte die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Betriebsübergangs im Insolvenzgeldzeitraum; denn dies kann zu einer für die Arbeitsverwaltung vorteilhaften Verkürzung der Insolvenzgeldzahlung führen. Zwar müssen Arbeitnehmer im Falle eines späteren Insolvenzereignisses darlegen, dass sie "für die vorangegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt" haben. § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III liegt aber der Regelfall eines (weiterhin bestehenden) Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen (insolventen) Arbeitgeber ohne Entgeltzahlung zugrunde. Die Konstellation eines Betriebsübergangs, bei dem das bisherige Arbeitsverhältnis ohne tatsächliche Entgeltzahlung zwar fortbesteht, es aber wegen des Wechsels in der Person des Arbeitgebers zu einer Vorverlagerung des Insolvenzgeldzeitraums kommen kann, ist demgegenüber der Ausnahmefall.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Zweck des Insg, das der Sicherung des Lebensunterhalts des Arbeitnehmers dienen und deshalb möglichst schnell erbracht werden soll (BSG vom 20.3.1984 - 10 RAr 11/83 - BSGE 56, 211, 214 = SozR 4100 § 141b Nr 32 S 130). Dies findet seinen Ausdruck auch in der Regelung zum Anspruchsübergang. Nach § 169 Satz 1 SGB III gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insg begründen, mit dem Antrag auf Insg auf die Bundesagentur über. Dieser Anspruchsübergang vollzieht sich bereits mit der Antragstellung, also zu einem Zeitpunkt, zu dem über den Antrag auf Insg noch nicht entschieden worden ist. In Zweifelsfällen findet deshalb stets ein Anspruchsübergang statt (BSG vom 20.6.2001 - B 11 AL 97/00 R - SozR 3-4100 § 141m Nr 3 S 7), dessen Umfang noch nicht konkretisiert werden kann. Das Risiko der Realisierung von Arbeitsentgeltansprüchen liegt demnach bei der Beklagten bei gleichzeitig vollständiger Absicherung der Arbeitnehmer über das für höchstens drei Monate zu erbringende Insg. Auch diese "Klärungsverantwortung" der Beklagten für etwaige, noch nicht abschließend feststehende Arbeitsentgeltansprüche bestätigt, dass die objektive Beweislast für den von ihr behaupteten Betriebsübergang nach der Schutzrichtung der Insolvenzgeldvorschriften bei ihr liegt.

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

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