Sozialhilfe - Ablehnung der Übernahme von Passbeschaffungskosten - Bindungswirkung bis zur Bestandskraft des Ablehnungsbescheides - Hilfe in sonstigen Lebenslagen - atypischer Bedarf - Arbeitslosengeld II - Mehrbedarf - unabweisbarer laufender besonderer Bedarf - abweichende Leistungserbringung als Darlehen - Unabweisbarkeit des Bedarfs
1. Die Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Passes sind kein einmaliger, unabweisbarer Bedarf, wenn das Aufenthaltsgesetz andere Möglichkeiten eröffnet, um der Passpflicht im Bundesgebiet zu genügen.
2. Die Ablehnung von einmaligen Leistungen der Existenzsicherung bindet die Behörde und die Gerichte nur für die Zeit bis zum Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids.
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. April 2017 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 20. Mai 2015 zurückgewiesen, soweit sie Leistungen zur Beschaffung eines Passes vom Beklagten begehrt.
Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit sind Passbeschaffungskosten.
Die 1970 geborene, erwerbsfähige Klägerin ist weißrussische Staatsangehörige und lebt im Kreisgebiet des beklagten Landkreises. Seit 1997 verfügt sie über einen unbefristeten Aufenthaltstitel, zuletzt über eine Niederlassungserlaubnis. Sie bezieht seit 2005 von dem im Berufungsverfahren beigeladenen Jobcenter laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Bereits im Jahr 2012 lehnte der Beigeladene die Gewährung eines Darlehens nach § 24 Abs 1 SGB II wegen der Kosten für die Beschaffung eines Passes ab (Bescheid vom 5.6.2012). Einen Antrag (vom 25.11.2014) auf Übernahme der Kosten für die Verlängerung ihres bis zum 7.1.2015 gültigen Passes, die die Klägerin mit rund 600 Euro angab, lehnte er ab, weil einmalige Leistungen keinen Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II begründeten (Bescheid vom 26.11.2014). Den unter Vorlage dieses Bescheids beim Beklagten gestellten Antrag lehnte auch dieser ab (Bescheid vom 1.12.2014; Widerspruchsbescheid vom 8.4.2015).
Die gegen den Beklagten gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20.5.2015). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat den Beigeladenen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Klägerin ein Darlehen für die notwendigen Passbeschaffungskosten zu gewähren (Beschluss vom 13.1.2017), das die Klägerin nicht in Anspruch genommen hat. Auf die Berufung hat das LSG den Beklagten verurteilt, über den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden und die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom 27.4.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klage sei als Anfechtungs- und Verpflichtungsbescheidungsklage begründet. Die Bedarfslage, die bei Ausländern durch die Kosten für die Beschaffung oder Verlängerung eines Heimatpasses entstünden, stelle eine sonstige Lebenslage iS des § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) dar, weil die Kosten keiner der als regelbedarfsrelevant abgebildeten Verbrauchsausgaben, auch nicht der Bedarfsposition der "sonstigen Dienstleistungen", zugeordnet werden könnten. Der Einsatz öffentlicher Mittel sei vorliegend auch gerechtfertigt. Es sei der Klägerin nicht auf unabsehbare Zeit zuzumuten, sich mit einem Ausweisersatz nach § 48 Abs 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz - (AufenthG) zu begnügen. Das Entschließungsermessen wegen der Erbringung der Leistung sei damit auf Null reduziert, nicht aber das Ermessen wegen der Frage, welche Leistungen zur Deckung der geltend gemachten Bedarfe gewährt würden (Beihilfe oder Darlehen).
Mit seiner Revision macht der Beklagte eine Verletzung von § 73 SGB XII geltend. Für Ansprüche auf Grundlage dieser Vorschrift sei kein Raum, weil gleichartige Bedarfe, nämlich die Bedarfe für die Neuausstellung eines Personalausweises, im Regelsatz abgebildet seien. Zudem habe das LSG die Bedürftigkeit der Klägerin zu Unrecht bejaht.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. April 2017 abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 20. Mai 2015 insgesamt zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Beigeladene hat sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückweisung der Berufung der Klägerin begründet, soweit sie Leistungen vom Beklagten verlangt (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Wegen möglicher Ansprüche gegen den Beigeladenen führt das Obsiegen des Beklagten in der Revisionsinstanz zur Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht nicht; denn Bedarfe für die Verlängerung eines ausländischen Passes lösen keine "sonstige Lebenslage" iS des § 73 SGB XII aus. Ob ein Anspruch der erwerbsfähigen Klägerin auf eine darlehensweise Gewährung der Passbeschaffungskosten gegen den Beigeladenen besteht, kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entschieden werden.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 1.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.4.2015, gegen den sich die Klägerin zulässigerweise im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage wendet. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind Ansprüche der Klägerin auf weitere Leistungen der Existenzsicherung zur Deckung der Bedarfe, die durch die Verlängerung ihres Passes anfallen (Gebühren, Kosten für Übersetzungen und Beglaubigungen verschiedener Dokumente sowie Fahrkosten anlässlich der Antragstellung und der Abholung des Passes). Durch die Revision (ausschließlich) des Beklagten, der sich gegen seine Verurteilung durch das LSG wendet, ist der Streitgegenstand nicht auf Leistungen nach dem SGB XII beschränkt. Soweit sich dessen Verurteilung als rechtswidrig erweist und damit aufzuheben ist, ist von Amts wegen das Begehren der Klägerin auf die in Streit stehenden Leistungen nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen und damit auch gegen den Beigeladenen zu prüfen (vgl BSG vom 13.7.2010 - B 8 SO 14/09 R - BSGE 106, 268 = SozR 4-4200 § 16 Nr 5, RdNr 19; BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - BSGE 119, 99 = SozR 4-3520 § 2 Nr 5, RdNr 10).
Dabei steht der möglichen Verurteilung des Beigeladenen zu weiteren Leistungen nach dem SGB II die Bestandskraft der Bescheide vom 5.6.2012 und vom 26.11.2014 nicht entgegen; im Zeitpunkt der letzten Entscheidung des Beklagten (also dem 8.4.2015), der vorliegend Ausgangspunkt der gerichtlichen Überprüfung ist, war die Bindungswirkung dieser Ablehnungen entfallen. Der Beigeladene hat den Anspruch zuletzt mit Bescheid vom 26.11.2014 unter allen rechtlichen Grundlagen (nicht lediglich als laufenden Bedarf) abgelehnt, wie sich aus dem Verfügungssatz des Bescheids (Ablehnung des Antrags "für eine Passerneuerung") ergibt. Soweit damit auch die Ablehnung eines Sonderbedarfs für eine einmalige Leistung erfolgt ist, bindet dies die Behörde und die Gerichte nur für die Zeit bis zum Eintritt der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids. Die Gewährung von einmaligen Leistungen der Existenzsicherung (sei es auf Grundlage von § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II, sei es auf Grundlage von § 24 Abs 3 SGB II) ist nach der jeweils aktuell geltend gemachten Notlage auszurichten; Bezugspunkt für den Bedarf ist seine Unabweisbarkeit nach den jeweiligen Umständen. Die Leistung ist nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu prüfen (vgl zu einmaligen Leistungen nach § 24 Abs 3 SGB II bereits BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 45/08 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 5 RdNr 14). Eine Ablehnung bezieht sich folglich nur auf die Umstände, die im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde (objektiv) vorlagen; regelmäßig also auf den Monat der Ablehnung des Sonderbedarfs (als Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung; zur Möglichkeit der Ablehnung einer einmaligen Leistung durch die Behörde auch für einen längeren Regelungszeitraum vgl Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 31.8.1995 - 5 C 9/94 - BVerwGE 99, 149, 154 - NJW 1996, 2588). Einer ablehnenden Behördenentscheidung über einen laufenden Mehrbedarf auf Grundlage von § 21 SGB II (der in der Sache allerdings ausscheidet; dazu später) kommt von vornherein keine Bindungswirkung für künftige Bewilligungsabschnitte (der hier am 1.2.2015 begann) zu (vgl nur BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10).
Ansprüche auf Leistungen nach § 73 SGB XII gegen den Beklagten als den auf Grundlage der bindenden Feststellungen des LSG örtlich und sachlich zuständigen Träger der Sozialhilfe bestehen nicht.
Nach § 73 Satz 1 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Leistungen nach dieser Vorschrift, die zu den "Hilfen in anderen Lebenslagen" nach dem 9. Kapitel des SGB XII gehören, erfordern eine besondere, atypische Situation. Eine sonstige Lebenslage iS des § 73 Satz 1 SGB XII zeichnet sich dadurch aus, dass sie von keinem anderen Leistungsbereich des SGB XII erfasst ist und damit einen Sonderbedarf (atypische Bedarfslage) darstellt (BSG vom 16.12.2010 - B 8 SO 7/09 R - BSGE 107, 169 = SozR 4-3500 § 28 Nr 6, RdNr 13 mwN; BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R - SozR 4-3500 § 21 Nr 1 RdNr 24). Insbesondere die Vorschrift des § 27a Abs 4 SGB XII (nunmehr in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 <BGBl I 3159), die eine abweichende Bemessung des Regelsatzes ermöglicht, macht deutlich, dass eine Bedarfslage, die vom Regelbedarf erfasst ist, aber beim Leistungsempfänger in atypischem Umfang besteht, nicht über § 73 Satz 1 SGB XII gedeckt wird. Mangels Regelungslücke scheidet auch eine "analoge" Anwendung von § 73 Satz 1 SGB XII bei einmaligen oder laufenden Bedarfslagen, die vom Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII erfasst sind, aus. Entgegen der Auffassung des LSG handelt es sich bei den Kosten für die Passbeschaffung bei Ausländern, die hier sowohl die vom Herkunftsland allgemein erhobenen Gebühren als auch die Folgekosten durch notwendige Übersetzungen und Beglaubigungen sowie die Fahrten zur Botschaft umfassen, aber um solche Kosten, die vom Regelbedarf (vgl § 27a Abs 2 Satz 1 iVm § 28 SGB XII) erfasst sind (vgl im Einzelnen BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 18 ff und Entscheidung des Senats vom 29.5.2019 - B 8 SO 14/17 R).
Für Leistungsberechtigte nach dem SGB II, die von Leistungen nach dem Neunten Kapitel des SGB XII nicht dem Grunde nach ausgeschlossen sind (vgl § 21 Satz 1 SGB XII iVm § 5 Abs 2 SGB II), gilt im Anwendungsbereich des § 73 Satz 1 SGB XII nichts anderes. Soweit § 73 Satz 1 SGB XII in der Rechtsprechung des BSG zur Rechtslage vor dem 3.6.2010 aus verfassungsrechtlichen Gründen auf bestimmte Fälle eines der Höhe nach atypischen, laufenden Regelbedarfs erweiternd ausgelegt worden ist (dazu aber Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 207), ist für eine Auslegung des § 73 Satz 1 SGB XII, die danach differenziert, welchem Existenzsicherungssystem der Hilfebedürftige angehört, nach Schaffung einer Mehrbedarfsregelung in § 21 Abs 6 SGB II (mit dem Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 27.5.2010 <BGBl I 671>) kein Bedürfnis mehr (vgl bereits BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 13/10 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 24).
Ein Anspruch der Klägerin auf darlehensweise Gewährung der Passbeschaffungskosten, die nach den bindenden Feststellungen des LSG erwerbsfähige Hilfebedürftige ist und als Ausländerin mit Niederlassungserlaubnis nicht aus rechtlichen Gründen vom Bezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist, kann sich aber auf Grundlage von § 24 Abs 1 SGB II gegen den Beigeladenen ergeben, ohne dass diesem insoweit ein Ermessen zustünde. Für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII kommt wegen solcher Kosten die Gewährung eines ergänzenden Darlehens auf Grundlage von § 37 Abs 1 SGB XII (ggf iVm § 42 Abs 5 SGB XII) in Betracht. § 21 Abs 6 SGB II kommt dagegen als Anspruchsgrundlage nicht Betracht, weil es sich angesichts der Gültigkeitsdauer eines Passes nicht um einen regelmäßig wiederkehrenden Bedarf handelt (BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 38).
Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, ist nach § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II ein solcher Bedarf auf Antrag hin (vgl § 37 Abs 1 Satz 2 SGB II) und bei entsprechendem Nachweis als Sachleistung oder als Geldleistung durch ein Darlehen zu decken. Ob ein solcher Anspruch besteht, kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG vom Senat nicht abschließend entschieden werden. Einen entsprechenden Antrag auf Darlehen hat die Klägerin zwar gestellt; denn sie hat geltend gemacht, dass es sich bei den Kosten um einen Sonderbedarf handele, und im Laufe des Verfahrens auch erkennbar werden lassen, dass zumindest eine darlehensweise Gewährung notwendig sei. Allein daraus, dass sie die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Verfügung gestellte Leistung nicht abgerufen hat, lässt sich für den Senat kein anderer Schluss ziehen; dies mag das LSG im Einzelnen klären. Ebenso mag es den im Revisionsverfahren von den Beteiligten vorgebrachten Zweifeln an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nachgehen.
Bislang fehlen jedenfalls ausreichende Feststellungen zur Unabweisbarkeit des Bedarfs für die Beschaffung eines Passes. Die Kosten für die Passbeschaffung, die - vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung durch das LSG - nach dessen Schätzungen zwischen 600 und 750 Euro liegen, übersteigen zwar schon angesichts der erforderlichen Übersetzungen, Beglaubigungen und den beiden persönlichen Vorsprachen in der Botschaft Weißrusslands, die entsprechende Fahrkosten nach sich ziehen, die Kosten für die Beschaffung eines (deutschen) Personalausweises bei Weitem. Der Vergleich mit den im Regelbedarf hierfür enthaltenen Kosten macht deutlich, dass wegen dieser Kosten ein nennenswertes Ansparpotential im Pauschalbetrag nach § 20 Abs 1 Satz 3 SGB II nicht vorgesehen ist. In solchen Fällen ist die Gewährung eines Sonderbedarfs im Grundsatz unabweisbar (vgl nur BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 - BVerfGE 137, 34 = SozR 4-4200 § 20 Nr 20, RdNr 116).
Auch wenn ein Bedarf vom Regelbedarf umfasst ist, ist ein einmaliger Sonderbedarf aber dann nicht unabweisbar iS des § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II, wenn er durch Inanspruchnahme anderer staatlicher Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, gedeckt bzw vermieden werden kann. Das Merkmal der "Unabweisbarkeit" ist insoweit Ausdruck des allgemeinen Nachranggrundsatzes (vgl § 9 Abs 1 SGB II und § 2 SGB XII). Die Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Passes wären - entgegen der Auffassung des LSG - nicht zur Sicherung existenzieller Bedarfe erforderlich, wenn für den Betroffenen auf Grundlage von § 48 Abs 2 AufenthG (hier in der Fassung, die die Norm mit Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 25.11.2011 <BGBl I 2258> erhalten hat) ein Ausweisersatz ausgestellt würde. In den Existenzsicherungssystemen, die geknüpft an das Territorialprinzip (vgl § 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - <SGB I>) Bedarfe im Grundsatz nur bei gewöhnlichem Aufenthalt (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II) bzw tatsächlichem Aufenthalt im Inland abdecken (vgl dazu BSG vom 25.4.2018 - B 8 SO 20/16 R - SozR 4-3500 § 23 Nr 4 RdNr 17 für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII), sind Kosten eines Ausweispapiers nur als existenznotwendig anzusehen, soweit damit der Pflicht zum Besitz und ggf zur Vorlage eines Ausweispapiers im Inland nachgekommen werden muss (vgl bereits BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 25 ff). Ausländer unterliegen insoweit zwar der Passpflicht nach § 3 Abs 1 Satz 1 AufenthG (hier in der Fassung, die die Norm mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 <BGBl I 1970> erhalten hat). Für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen Ausländer die Passpflicht nach § 3 Abs 1 Satz 2 AufenthG aber auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs 2 AufenthG; die Strafbarkeit wegen des Verstoßes gegen die Passpflicht (vgl § 95 Abs 1 Nr 1 AufenthG; insoweit in der seit dem Inkrafttreten des AufenthG unveränderten Fassung vom 30.7.2004 <BGBl I 1950) entfällt in diesen Fällen. Der Ausweisersatz wird für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII gebührenfrei erteilt (vgl § 48 Abs 1 Nr 10, § 53 Abs 1 Satz 1 Nr 8 Aufenthaltsverordnung <AufenthV>).
Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs 2 AufenthG ist, dass der Ausländer einen Pass seines Heimatlandes nicht auf zumutbare Weise erlangen kann (vgl auch § 55 Abs 1 Nr 1 AufenthV). Bietet der Regelbedarf aber bezogen auf die Erfüllung der Passpflicht keinen Spielraum, um einen Betrag in der hier in Rede stehenden Größenordnung anzusparen, liegt es nahe, die Beschaffung eines Passes wegen der damit verbundenen Kosten, jedenfalls soweit sie die allgemein vom Heimatland erhobenen Gebühren (vgl insoweit § 55 Abs 1 Satz 3 iVm § 5 Abs 2 Nr 4 AufenthV) erheblich übersteigen, als unzumutbar iS des § 48 Abs 2 AufenthG anzusehen (vgl Möller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 48 AufenthG RdNr 18); das SGB II und das SGB XII sehen hierfür jedenfalls im Ausgangspunkt keine zuschussweise Leistung vor (vgl für Anspruchsberechtigte nach §§ 3, 6 Asylbewerberleistungsgesetz <AsylbLG> aber BT-Drucks 18/2592 S 21, 22 und BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 33/17 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 24 RdNr 30 mwN). Insbesondere § 73 Satz 1 SGB XII bietet eine solche Grundlage - wie ausgeführt - nicht (anders aber zB Verwaltungsgericht <VG> Aachen vom 25.10.2016 - 8 K 745/14 - RdNr 37 ff - juris und dazu Harich, jurisPR-SozR 9/2017 Anm 1).
Dagegen fällt das Bedürfnis der Klägerin, in ihr Heimatland reisen zu können (das mit dem Ausweisersatz nicht abgedeckt würde), grundsätzlich nicht unter die existenzsicherungsrechtlich geschützten Bedarfslagen. Ob und in welchen Fällen ausnahmsweise existenznotwendige Bedarfe entstehen, die mit einem Reisewunsch ins Ausland verbunden sind (vgl zu denkbaren Fallgestaltungen zuletzt BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 30 RdNr 20 ff, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), braucht vorliegend nicht weitergehend geklärt werden. Es ist nicht festgestellt, dass solche Bedarfe bei der Klägerin konkret bestehen. Allein die Möglichkeit eines familiären Notfalls im Ausland bedeutet keine Unabweisbarkeit eines Bedarfs für einen Pass, der Reisen ins Ausland ermöglicht. Ebenfalls offen bleiben kann deshalb die Frage, ob in einem familiären Notfall ein Reiseausweis für Ausländer als Passersatzpapier auf Grundlage von § 4 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Abs 1 AufenthV (ggf auch ein Notreiseausweis, vgl § 4 Abs 1 Nr 2 iVm § 13 Abs 1 Nr 2 AufenthV) ausgestellt werden könnte.
Das LSG wird daher nach Zurückverweisung zu prüfen haben, ob die Klägerin (auch um eine seit 2015 im Raum stehende Strafbarkeit nach § 95 Abs 1 Nr 1 AufenthG abzuwenden) einen Ausweisersatz iS des § 48 Abs 2 AufenthG beantragt hat und ob und mit welcher Begründung die Ausstellung dieser Bescheinigung abgelehnt worden ist. Auf eine entsprechende Antragstellung kann der Bedürftige zur Abwendung einer einmaligen Bedarfslage dann verwiesen werden, wenn die Beantragung nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Erst im Anschluss an diese Feststellungen kann abschließend beurteilt werden, ob die Gewährung eines Sonderbedarfs (als Darlehen) unabweisbar ist.
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.