Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 26.05.2021, B 6 KA 8/20 R

Vertragsärztliche Versorgung - Veröffentlichung von Beschlüssen des Bewertungsausschusses im Internet - Wirksamkeit nach Hinweis im Deutschen Ärzteblatt - rückwirkende Budgetierung von Gesprächsleistungen

Leitsätze

1. Beschlüsse des Bewertungsausschusses sind bei einer Bekanntgabe im Internet erst mit der Veröffentlichung eines Hinweises im Deutschen Ärzteblatt auf die Internetfundstelle amtlich publiziert und damit wirksam.

2. Eine rückwirkende Budgetierung von Gesprächsleistungen ist zulässig, wenn der Vertragsarzt aufgrund der Unvollständigkeit der ursprünglichen Regelung zur Bildung des Budgets mit einer Ergänzung des Beschlusses durch den Bewertungsausschuss rechnen musste.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung für das Quartal 1/2014 im Hinblick auf die Budgetierung von Gesprächsleistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä).

Mit Beschluss vom 31.5.2013 (303. Sitzung) zur Weiterentwicklung des EBM-Ä im hausärztlichen Versorgungsbereich in den Jahren 2013 und 2014 (Deutsches Ärzteblatt <> 2013, A-1509) legte der Bewertungsausschuss (BewA) ua das folgende Vorgehen zum 1.10.2013 fest: "Es erfolgt die teilweise Ausgliederung einer Gesprächsleistung aus der Versichertenpauschale. Die Versichertenpauschalen sind entsprechend zu bereinigen. Es ist eine Begrenzung der Abrechnungshäufigkeit möglichst auf Arztebene sicherzustellen. Hierbei ist zu prüfen, ob Unterschiede in der Struktur der Behandlungsfälle berücksichtigt werden können."

In Umsetzung dieser Vorgaben führte der BewA zum 1.10.2013 mit Beschluss vom 27.6.2013 (309. Sitzung) zur Änderung des EBM-Ä ua eine neue Gebührenordnungsposition (GOP) 03230 (Problemorientiertes ärztliches Gespräch im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung) ein (Beschluss idF des Erratums vom 12.7.2013, 2013, A-1509 bis A-1524). Zugleich nahm er ebenfalls mWv 1.10.2013 folgende Nr 10 in die Präambel 3.1 (Hausärztlicher Versorgungsbereich) des Abschnitts III (Arztgruppenspezifische GOP) auf:
"Für die Gebührenordnungsposition 03230 wird ein Punktzahlvolumen für die gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 erbrachten und berechneten Gespräche gebildet. Das Punktzahlvolumen beträgt 45 Punkte multipliziert mit der Anzahl der Behandlungsfälle gemäß Nr. 11 dieser Präambel. In Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinischen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten beträgt das Punktzahlvolumen 45 Punkte für jeden Behandlungsfall gemäß Nr. 11 dieser Präambel, an dem ein Arzt gemäß Nr. 1 dieser Präambel beteiligt ist."

Mit weiterem Beschluss vom 18.12.2013 (319. Sitzung) "zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. Oktober 2013" änderte der BewA Nr 10 der Präambel 3.1: Satz 1 und Satz 2 blieben unverändert. In Satz 3 heißt es nunmehr " … für jeden Behandlungsfall gemäß Nr. 11 dieser Präambel, bei dem ein Arzt gemäß Nr. 1 dieser Präambel vertragsärztliche Leistungen durchführt und berechnet". Zudem wurde ein Satz 4 angefügt: "Über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 werden nicht vergütet."

Der Beschluss wurde am 20.12.2013 auf der Internetseite des Instituts des BewA www.institut-ba.de und am 24.1.2014 im (A-143 bis A-145) veröffentlicht. Ebenfalls am 24.1.2014 wurde im (aaO, A-139) eine Mitteilung über diesen Beschluss abgedruckt; zudem enthält das an gleicher Stelle einen Hinweis, dass die entscheidungserheblichen Gründe zu diesem Beschluss auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses unter www.institut-ba.de veröffentlicht sind.

Die Klägerin ist eine aus zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehende, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Berufsausübungsgemeinschaft (BAG). Im Quartal 4/2013 vergütete die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ihr die GOP 03230 noch im vollem Umfang mit 90 Punkten. Für das Quartal 1/2014 setzte sie mit Honorarbescheid vom 15.7.2014 die abgerechneten 1263 Gespräche statt mit 90 lediglich mit 35,3 Punkten fest und vergütete die GOP 03230 dieses Quartals mit einer begrenzten Gesamtpunktzahl von 44 640 Punkten (45 Punkte multipliziert mit 992 Behandlungsfällen) anstelle der von der Klägerin abgerechneten 113 670 Punkte (Vergütungsquote von 39,27 %). Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte unter Hinweis auf das im EBM-Ä geregelte Gesprächsbudget und die hieraus folgende Quotierung der Leistung zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.5.2016).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.6.2018), das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 22.5.2019). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, eine unzulässige rückwirkende Budgetierung für das Quartal 1/2014 liege - anders als die Klägerin meine - nicht vor. Der Beschluss vom 18.12.2013 sei bereits am 20.12.2013 auf der Homepage des BewA veröffentlicht worden. Dies sei ausreichend, um dem Beschluss Wirksamkeit zu verleihen. Bereits aus dem Wortlaut des § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V folge, dass sowohl die Veröffentlichung im als auch im Internet genüge. Soweit die Vorschrift vorsehe, dass bei einer Bekanntmachung im Internet im ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden müsse, folge hieraus kein Vorrang des Printmediums . Nach der Gesetzesbegründung sollte dies lediglich der besseren Auffindbarkeit der Rechtsnorm durch den Rechtsanwender dienen. Auch inhaltlich unterliege der Beschluss des BewA keinen rechtlichen Bedenken.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V geltend. Das Erfordernis, bei einer Bekanntmachung von Beschlüssen des BewA im Internet zwingend einen Hinweis auf die Fundstelle im zu veröffentlichen, stelle keinen selbstständigen Annex zur Bekanntmachung im Internet dar. Dies spreche vielmehr dafür, dass die Internetveröffentlichung gegenüber der Printveröffentlichung eine untergeordnete Rolle spielen solle. Die Veröffentlichung der Internetfundstelle in der Printausgabe diene auch nicht lediglich der Transparenz und der besseren Auffindbarkeit, auch wenn sich eine ähnliche Argumentation in der Gesetzesbegründung finde. Dazu sei die dortige Formulierung zu wenig konkret. Nach der Rechtsprechung des BSG sei von jedem Arzt zu erwarten, dass er sich über die herkömmlichen Medien informiere. In diesem Zusammenhang habe das BSG festgestellt, dass das als offizielles Organ der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) fungiere. Dagegen sei nicht davon auszugehen, dass alle Ärzte gleichermaßen Zugriff auf die Online-Veröffentlichungen des BewA hätten. Es könne nicht erwartet werden, dass die digitalen Veröffentlichungen gleichermaßen verfolgt würden wie die analogen. Bei einer kumulativen Veröffentlichung im Internet und im - wie sie hier erfolgt sei - stelle sich zudem die Frage, welche Fassung gelten solle. Eine Regelung hierzu enthalte das SGB V nicht.

Unerheblich sei, dass der BewA bereits in seiner 309. Sitzung Regelungen für ein Gesprächsbudget beschlossen habe, ohne aber die Rechtsfolgen, nämlich die Kürzung des darüber hinausgehenden, abgerechneten Leistungsvolumens zu regeln. Erst mit dem Beschluss des BewA in der 319. Sitzung, dass über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche nicht mehr vergütet würden, habe eine hinreichend bestimmte Regelung für eine Reduktion des Honoraranspruchs des Vertragsarztes vorgelegen. Ohne die Klarstellung wäre offengeblieben, ob die über das Budget hinausgehenden Leistungen nicht oder mit einem geringeren (quotalen) Wert vergütet würden, wie dies beispielsweise bei den sog freien Leistungen auf der Ebene des Honorarverteilungsmaßstabs üblich sei. Eine budgetierte Vergütung sei daher aufgrund der Veröffentlichung des Beschlusses im Laufe des Quartals 1/2014 im erst ab dem Folgequartal 2/2014 möglich gewesen.

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 22.5.2019 und des SG Stuttgart vom 27.6.2018 aufzuheben sowie den Honorarbescheid der Beklagten vom 15.7.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 12.5.2016 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, über den Honoraranspruch der Klägerin für das Quartal 1/2014 mit der Maßgabe neu zu entscheiden, dass die Leistungen nach GOP 03230 EBM unbudgetiert vergütet werden.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

§ 87 Abs 6 Satz 9 SGB V enthalte zwei gleichrangig nebeneinander stehende Veröffentlichungsmöglichkeiten, wonach die Beschlüsse des BewA im oder im Internet bekannt zu machen seien und, falls die Bekanntmachung im Internet erfolge, im ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden müsse. Dies folge bereits aus dem Wortlaut ("oder"). Ein anderes Verständnis der Regelung, wie es die Klägerin vertrete, würde dazu führen, dass die Bekanntmachungsalternative "im Internet" praktisch bedeutungslos wäre und ins Leere liefe, da in diesem Fall auch statt des (zusätzlich) geforderten Hinweises im 2. Halbsatz von § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V gleich eine Veröffentlichung im erfolgen könne. Das habe der Gesetzgeber mit der Ergänzung um die alternative Bekanntmachung "im Internet" nicht gewollt. Er habe hiermit eine echte Alternative schaffen wollen, die auch den technischen Fortschritt und den Medienwandel in der Zeit des Internets abbilde. An keiner Stelle lasse sich dem Gesetz oder der Gesetzesbegründung entnehmen, dass der zu veröffentlichende Hinweis im eine Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer Veröffentlichung im Internet sein solle. Vielmehr gehe klar und eindeutig aus der Gesetzesbegründung hervor, dass der Gesetzgeber lediglich das Auffinden des Beschlusses habe gewährleisten wollen. Das Internet sei heutzutage ein herkömmliches und allgemein zugängliches Informationsmedium. So werde auch im vertragsärztlichen Bereich verstärkt auf Digitalisierung gesetzt, wie zB die elektronische Einreichung der vertragsärztlichen Abrechnung und die Telematikinfrastruktur zeigten.

Im Übrigen sei bereits mit dem Beschluss des BewA in seiner 309. Sitzung am 27.6.2013 auch für die Klägerin klar gewesen, dass ihr für die Abrechnung der GOP 03230 nur ein begrenzt abrechenbares Punktzahlvolumen zur Verfügung stehen werde. Als in Angelegenheiten des Vertragsarztrechts (sach)verständige Ärzte dürfe bei den Mitgliedern der Klägerin davon ausgegangen werden, dass ihnen die Auswirkungen eines maximal abrechenbaren Punktzahlvolumens bei einer begrenzten Gesamtvergütung bekannt seien. Insoweit sei der Ergänzung von Nr 10 der Präambel Nr 3.1 um einen Satz 4 durch den Beschluss des BewA in der 319. Sitzung lediglich eine klarstellende Funktion zugekommen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die GOP 03230 des EBM-Ä konnte bereits im Quartal 1/2014 nicht mehr über das für die Klägerin maßgebliche Punktzahlvolumen hinaus abgerechnet werden.

A. 1. Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs 2 SGB V (hier noch idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 <im Folgenden: aF>; heute: § 106d Abs 2 SGB V). Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest. Die insofern durchgeführte Abrechnungsprüfung zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - erbracht und abgerechnet worden sind, insbesondere die Vorgaben des EBM-Ä erfüllen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 25.11.2020 - B 6 KA 14/19 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 27 RdNr 14 mwN).

2. Die auf der Grundlage von § 106a Abs 1 SGB V aF vorgenommene sachlich-rechnerische Richtigstellung, gegen die sich die Klägerin wendet, ist rechtmäßig. Zu Recht hat die Beklagte die Gesprächsleistungen der Klägerin nach GOP 03230 im Quartal 1/2014 entsprechend den Vorgaben der Nr 10 der Präambel 3.1 (dazu a) auf 44 640 Punkte begrenzt. Dies folgte allerdings nicht bereits mit der notwendigen Klarheit aus der ursprünglichen Regelung idF des Beschlusses vom 27.6.2013 (dazu b), sondern erst aus der Ergänzung der Nr 10 der Präambel 3.1 um einen Satz 4 durch Beschluss vom 18.12.2013 (dazu c). Entgegen der Auffassung der Klägerin misst sich der Beschluss vom 18.12.2013 keine unzulässige Rückwirkung bei. Zwar ist dieser erst mit der Veröffentlichung im im Januar 2014 wirksam geworden; jedoch durfte die Klägerin hier ausnahmsweise nicht auf eine unveränderte Rechtslage vertrauen (dazu d). Die Budgetierung der Gesprächsleistungen ist auch im Übrigen mit höherrangigem Recht vereinbar (dazu e).

a) Zeitgleich mit der zum 1.10.2013 erfolgten Ausgliederung der mit 90 Punkten bewerteten GOP 03230 für problemorientierte ärztliche Gespräche im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung aus der hausärztlichen Versichertenpauschale (GOP 03110 ff EBM-Ä; seit dem 1.10.2013 GOP 03000 EBM-Ä), führte der BewA mit Beschluss vom 27.6.2013 ein Punktzahlvolumen für die gemäß dieser GOP erbrachten und berechneten Gespräche ein. Das Punktzahlvolumen betrug 45 Punkte multipliziert mit der Anzahl der - in Nr 11 der Präambel 3.1 näher definierten - Behandlungsfälle (Nr 10 der Präambel 3.1 Satz 1 und 2). In BAGen - wie der Klägerin - sowie Medizinischen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten betrug das Punktzahlvolumen 45 Punkte für jeden Behandlungsfall, an dem ein zur Abrechnung der GOP des hausärztlichen Versorgungsbereichs berechtigter Arzt (vgl Nr 1 der Präambel 3.1) beteiligt ist (Nr 10 der Präambel 3.1 Satz 3 aF; idF des Beschlusses vom 18.12.2013: " … für jeden Behandlungsfall gemäß Nr. 11 dieser Präambel, bei dem ein Arzt gemäß Nr. 1 dieser Präambel vertragsärztliche Leistungen durchführt und berechnet"). Im Ergebnis waren damit problemorientierte ärztliche Gespräche nach der GOP 03230 nur dann im vollen Umfang von 90 Punkten (je vollendete 10 Minuten) von dem Punktzahlvolumen umfasst, wenn sie maximal in jedem zweiten Behandlungsfall angesetzt wurden. Dass die Berechnung des Punktzahlenvolumens der Klägerin für das Quartal 1/2014 iH von 44 640 Punkten ausgehend von den in diesem Quartal bei den beiden Ärzten der Klägerin angefallenen 992 Behandlungsfällen (992 Behandlungsfälle x 45 Punkte) diesen Vorgaben des EBM-Ä entsprach, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig.

b) Der vom BewA - wie sich aus der weiteren Rechtsentwicklung erschließt - intendierte völlige Abrechnungsausschluss für die über dieses Punktzahlvolumen hinausgehenden Gespräche gemäß der GOP 03230 war hingegen Nr 10 der Präambel 3.1 in seiner ursprünglichen Fassung des Beschlusses vom 27.6.2013 nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit zu entnehmen.

(1) Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM-Ä - des BewA gemäß § 87 Abs 1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (BSG Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 14/13 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 28 RdNr 11 mwN; zuletzt BSG Urteil vom 25.11.2020 - B 6 KA 14/19 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 27 RdNr 18 mwN).

(2) Ausgehend von diesen Maßstäben war dem Wortlaut der (ursprünglich einzigen) Sätze 1 bis 3 der Nr 10 der Präambel 3.1 lediglich die Bildung eines Punktzahlvolumens zu entnehmen, ohne dass erkennbar war, in welcher Art sich dies konkret auf die Abrechenbarkeit der Gesprächsleistungen auswirken sollte. Der Begriff des "Punktzahlvolumens" ist für sich genommen neutral und bezeichnet lediglich eine bestimmte Menge von Punkten. Eine Begrenzung, etwa der Abrechenbarkeit, auf dieses Punktzahlvolumen ist dem Begriff selbst nicht zu entnehmen. Hierfür bedarf es einer zusätzlichen Regelung, wie dies etwa bei den Laborleistungen im Rahmen der Abstaffelung des sog Wirtschaftlichkeitsbonus (GOP 32001 EBM-Ä) geschehen ist (vgl Nr 3 der Präambel 32.2 bzw Nr 4 der Präambel 32.3; vgl jetzt auch die aktuelle Regelung in Nr 9 der Präambel 3.1: " … wird ein Punktzahlvolumen … gebildet, aus dem alle gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 erbrachten Leistungen zu vergüten sind"; vgl auch BSG Urteil vom 23.2.2005 - B 6 KA 55/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 9 zum EBM-Ä 1999). Der Beschluss vom 27.6.2013 war insofern unvollständig.

(3) Auch eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte bringt nicht die erforderliche Klarheit. Die mit Beschluss vom 31.5.2013 zur Weiterentwicklung des EBM-Ä im hausärztlichen Versorgungsbereich in den Jahren 2013 und 2014 vereinbarten Änderungen im hausärztlichen Versorgungsbereich zum 1.10.2013 sahen lediglich vor, dass im Rahmen der beabsichtigten teilweisen Ausgliederung einer Gesprächsleistung aus der Versichertenpauschale eine Begrenzung der Abrechnungshäufigkeit möglichst auf Arztebene sicherzustellen sei. Hierbei sei zu prüfen, ob Unterschiede in der Struktur der Behandlungsfälle berücksichtigt werden können. Zur Art der Begrenzung macht dieser Beschluss keine Vorgaben. Vielmehr geht er gerade davon aus, dass - abhängig von den zugrunde liegenden Behandlungsfällen - sogar eine differenzierte Regelung in Betracht kommt. Aus den auf der Internetseite des Instituts des BewA unter www.institut-ba.de veröffentlichten entscheidungserheblichen Gründen zu diesem Beschluss ergeben sich ebenfalls keine weiteren Anhaltspunkte. Diese lauten:
"Die Ausgliederung einer Gesprächsleistung soll für eine angemessenere Abbildung des erforderlichen Leistungsbedarfs bei zeitintensiven Gesprächen sorgen" (unter 2.1 "Maßnahmen zum 1. Oktober 2013").

Auch die entscheidungserheblichen Gründe zum Beschluss vom 27.6.2013 zur Änderung des EBM-Ä, mit dem die Nr 10 in die Präambel 3.1 eingefügt wurde, erlauben keinen hinreichenden Rückschluss auf den konkreten Umfang der Beschränkung. Hierin heißt es unter 2. Regelungsgründe:
"Mit dem Ziel einer Mengensteuerung der Gesprächsleistung erfolgt die Aufnahme einer Regelung zur Bildung eines Gesprächsbudgets in die Präambeln 3.1 und 4.1 des EBM" (ebenfalls veröffentlicht unter www.institut-ba.de).

Damit wird zwar angesprochen, dass es sich bei dem Punktzahlvolumen um ein Gesprächsbudget handeln soll. Wie sich dies konkret auf die Honorarabrechnung auswirkt, erschließt sich hieraus jedoch nicht in ausreichendem Maße. Letztlich war nicht auszuschließen, dass die über das individuelle Punktzahlvolumen hinaus geltend gemachten Gesprächsleistungen - ähnlich wie bei Regelleistungsvolumina überschreitenden Leistungen im Rahmen der Honorarverteilung - zumindest noch abgestaffelt vergütet werden.

c) Erst mit der Einfügung von Satz 4 in die Nr 10 der Präambel 3.1 stand für die Vertragsärzte mit der erforderlichen Klarheit fest, dass "über das Punktzahlvolumen hinausgehende Gespräche gemäß der Gebührenordnungsposition 03230 … nicht vergütet" werden. Die rückwirkend zum 1.10.2013 eingeführte Regelung erweist sich damit als konstitutiv und nicht lediglich klarstellend. Hiervon gehen ersichtlich auch die Vertragsparteien des EBM-Ä aus, wenn sie in den entscheidungserheblichen Gründen formulieren: "Es erfolgt eine Konkretisierung bezüglich der Festlegung zum Gesprächsbudget" (aaO, unter 2. Regelungsinhalt, Zu 1. und 6.). Dementsprechend hat auch die Beklagte eine Begrenzung der Gesprächsleistungen nicht bereits ab dem 1.10.2013 (Quartal 4/2013), sondern erst ab dem 1.1.2014 (Quartal 1/2014), nämlich nach dem von ihr angenommenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beschlusses vom 18.12.2013 vorgenommen. Um die Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers, die jederzeit möglich ist (vgl BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 31), handelte es sich damit bei der Einfügung von Satz 4 der Präambel auch nach der Auffassung der am BewA beteiligten Vertragsparteien und der Beklagten nicht.

d) Die Anwendung der Nr 10 der Präambel 3.1 Satz 4 auf den Honoraranspruch der Klägerin für die im Quartal 1/2014 erbrachten Gesprächsleistungen verstößt dennoch nicht gegen das Verbot einer echten Rückwirkung von Normen (zu Letzterem vgl <1>). Zwar hat das LSG zu Unrecht angenommen, die hier streitige Ergänzung der Präambel mit Beschluss vom 18.12.2013 sei bereits mit der Veröffentlichung auf der Internetseite des Instituts des BewA am 20.12.2013 amtlich publiziert und damit wirksam geworden. Das trifft nicht zu. Das für die Verkündung und damit die Wirksamkeit des Beschlusses, der eine Rechtsnorm darstellt, maßgebliche Datum ist erst die Veröffentlichung im am 24.1.2014 (dazu <2>). Jedoch war die echte Rückwirkung hier ausnahmsweise zulässig, da die Klägerin nicht auf den unveränderten Bestand der Rechtslage vertrauen durfte (dazu <3>).

(1) Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (hier: Art 12 Abs 1 bzw Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des GG geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 7.10.2015 - 2 BvR 568/15 - juris RdNr 14; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 11.8.2020 - 1 BvR 2654/17 - NZA 2020, 1338 = juris RdNr 15; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021 - 2 BvL 8/19 - NJW 2021, 1222 = juris RdNr 140 mwN, auch zur Veröffentlichung in BVerfGE 156 vorgesehen). Es gilt ebenso für untergesetzliche Rechtsnormen (zu Rechtsverordnungen s zB BVerfG Beschluss vom 8.6.1977 - 2 BvR 499/74 ua - BVerfGE 45, 142, 173 ff; BVerfG Beschluss vom 13.11.1990 - 2 BvF 3/88 - BVerfGE 83, 89, 109 f), auch für solche des Vertragsarztrechts (vgl dazu BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 89, 102 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 84, 98; zuletzt BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 15). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten (BVerfG Beschluss vom 3.12.1997 - 2 BvR 882/97 - BVerfGE 97, 67, 78 f; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021, aaO, RdNr 132). Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegt eine echte Rückwirkung dann vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte dann, wenn ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich Rechtspositionen nachträglich entwertet (BVerfG Beschluss vom 28.11.1984 - 1 BvR 1157/82 - BVerfGE 68, 287, 306; BVerfG Urteil vom 23.11.1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE 101, 239, 263; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021 - 2 BvL 8/19 - NJW 2021, 1222 = juris RdNr 134 mwN, auch zur Veröffentlichung in BVerfGE 156 vorgesehen; ebenso zB BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 89 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 84 f und zuletzt Senatsurteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 15). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (Verkündung) der Norm abzustellen (vgl BVerfG Beschluss vom 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 - BVerfGE 132, 302, 318; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021, aaO, RdNr 134; BSG Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 3/14 R - BSGE 117, 149 = SozR 4-2500 § 106 Nr 48, RdNr 24). Dies war hier der 24.1.2014 (hierzu sogleich unter <2>).

Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass eine Honorarbegrenzungsregelung, wie sie hier mit dem Punktzahlvolumen für Gesprächsleistungen vorliegt, nur unechte Rückwirkung entfalten kann, solange die Abrechnung für das jeweilige Quartal (hier: 1/2014) zum Zeitpunkt der Verkündung der Änderung des EBM-Ä noch nicht erfolgt war (hier: Honorarbescheid vom 15.7.2014). Zwar entsteht der konkrete Honoraranspruch erst nach Prüfung der Abrechnung und Berechnung des tatsächlichen Anspruchs des Vertragsarztes auf Honorarteilhabe, weswegen Änderungen von Regelungen des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) für noch nicht abgerechnete Quartale im Regelfall nur einen Eingriff in noch nicht abgeschlossene Sachverhalte darstellen und damit in Anwendung der Grundsätze über unechte Rückwirkungen bzw tatbestandliche Rückanknüpfungen bei Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe im Verhältnis zum Vertrauensschaden rechtmäßig sind. Dies gilt indessen nicht stets für Regelungen des EBM-Ä. Dessen Funktion erschöpft sich nicht in der Bewertung ärztlicher Leistungen, sondern ihm kommt auch Steuerungsfunktion insoweit zu, als er auf das Leistungsverhalten des Arztes einwirken soll. Dem kann der EBM-Ä nur nachkommen, wenn die entsprechenden Regelungen zu dem Zeitpunkt, in dem der einzelne Leistungserbringer über das Ob und das Wie der Leistungserbringung entscheidet, in Kraft sind. Der Senat hat dementsprechend die rückwirkende Herausnahme ärztlicher Leistungen aus dem EBM-Ä sowie die rückwirkende Reduzierung der Punktzahl, mit der die einzelne Leistung bewertet worden ist (vgl BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 93 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 88), ebenso wenig gebilligt wie die nachträgliche Änderung der Voraussetzungen der Leistungserbringung einer GOP durch Einfügung des Zusatzes "einmal am Behandlungstag" (vgl zu dem Ganzen: BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 18 ff; vgl auch zur rückwirkenden Änderung einer Punktwertgarantie im HVM: BSG Urteil vom 24.9.2003 - B 6 KA 41/02 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 14). Nichts anderes kann gelten, wenn im Nachhinein eine individuelle Obergrenze für die Abrechenbarkeit einer Gesprächsleistung eingeführt wird.

(2) Nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen werden abstrakt-generelle Rechtsnormen erst mit ihrer Verkündung rechtlich existent (BVerfG Beschluss vom 22.3.1983 - 2 BvR 475/78 - BVerfGE 63, 343, 353; BVerfG Beschluss vom 7.7.2010 - 2 BvR 748/05 ua - BVerfGE 127, 61, 75 f). Das Rechtsstaatsprinzip verlangt über die ausdrückliche Regelung für Gesetze und Rechtsverordnungen in Art 82 Abs 1 GG hinaus für alle materiellen Rechtsnormen, dass sie der Öffentlichkeit so förmlich zugänglich gemacht werden, dass die Betroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können (vgl BVerfG Beschluss vom 2.4.1963 - 2 BvL 22/60 - BVerfGE 16, 6, 16 f, 18 f = juris RdNr 31, 37; BVerfG Beschluss vom 24.5.1977 - 2 BvL 11/74 - BVerfGE 44, 322, 350 f - Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen; BVerwG Urteil vom 10.10.2019 - 4 CN 6/18 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr 219 = juris RdNr 13 mwN zum Begriff der Bekanntgabe in § 47 Abs 2 Satz 1 VwGO). Diese Kenntnisnahme darf auch nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein (BVerfG Beschluss vom 22.11.1983 - 2 BvL 25/81 - BVerfGE 65, 283, 291 = juris RdNr 36 zu Bebauungsplänen). Das gilt auch für untergesetzliche Rechtsnormen des Vertragsarztrechts (BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 90 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 85; zuletzt BSG Urteile vom 26.6.2019 - B 6 KA 66/17 R - SozR 4-2500 § 87b Nr 21 RdNr 36 und - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 16, jeweils mwN).

aa) Dementsprechend regelt § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V idF des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl I 2983) mWv 1.1.2012 (seit 11.5.2019: § 87 Abs 6 Satz 10 SGB V), dass Beschlüsse des BewA im oder im Internet bekannt zu machen sind; falls die Bekanntmachung im Internet erfolgt, muss im ein Hinweis auf die Fundstelle veröffentlicht werden (fast wortgleich § 7 Abs 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des BewA idF vom 1.9.2012 mWv 16.11.2012, vgl Beschluss des BewA in seiner 289. Sitzung <schriftliches Verfahren>; im Folgenden: Geschäftsordnung; insofern unverändert in der aktuellen, im Internet abrufbaren Fassung vom 31.12.2020). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte damit eine Bekanntmachung der Beschlüsse "entweder im Internet oder im Deutschen Ärzteblatt bzw. in beiden Medien gleichzeitig erfolgen" können. Zudem werde "festgelegt, dass bei einer alleinigen Bekanntmachung im Internet immer zusätzlich ein Hinweis auf die Fundstelle im Deutschen Ärzteblatt zu veröffentlichen ist, um das Auffinden des Beschlusses durch den Rechtsanwender zu gewährleisten" (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906 S 62 Zu Nr 22 <§ 87>, Zu Buchst m).

Bei einer elektronischen Bekanntmachung fehlt es zwar an einer Verkörperung der Norm durch ein amtlich verantwortetes und gedrucktes Exemplar, sodass sich der genaue Zeitpunkt der Bekanntgabe durch "in Verkehr bringen" - anders als bei dem "Ausgeben" eines Printmediums (vgl etwa BVerfG Beschluss vom 2.4.1963 - 2 BvL 22/60 - BVerfGE 16, 6, 18 f = juris RdNr 37 zur Verkündung eines formellen Gesetzes) - nicht ohne Weiteres bestimmen lässt. Infolgedessen hat der Normgeber darzulegen und im Falle des Bestreitens nachzuweisen, dass die Norm auf einer von ihm zu verantwortenden Seite mit dem Willen, sie amtlich bekannt zu machen, ins Internet eingestellt wurde und wann dies geschah (Tag der Bekanntgabe). Tag der Bekanntgabe ist dabei grundsätzlich der Tag, der im Rahmen der Internetveröffentlichung als solcher bezeichnet wird (vgl BVerwG Urteil vom 10.10.2019 - 4 CN 6/18 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr 219 = juris RdNr 16 zu § 47 Abs 2 Satz 1 VwGO), hier etwa durch eine entsprechende Datumsangabe unter www.institut-ba.de (vgl auch § 7 Abs 2 Satz 1 Geschäftsordnung).

Aus dem Wortlaut des § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V und der Gesetzesbegründung folgt zunächst, dass die Bekanntgabe der Beschlüsse des BewA im Internet und im grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander stehen; ein Vorrang der bisherigen Praxis, Beschlüsse des BewA im zu veröffentlichen, besteht nicht. So fehlt es etwa an einer Regelung, dass nur der im veröffentlichte Text als authentisch gilt (so aber zB § 27a Abs 1 Satz 4 VwVfG "Öffentliche Bekanntmachung im Internet", bei dem die Veröffentlichung im Internet - wie sich bereits aus dem Wortlaut ergibt - nicht die eigentliche Bekanntmachung darstellt, sondern lediglich einen weiteren Zugangsweg zu den zu veröffentlichenden Informationen ermöglicht, vgl auch Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl 2020, § 27a RdNr 14; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl 2018, § 27a RdNr 53).

Andererseits ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift (Hinweis "muss" veröffentlicht werden) sowie der Gesetzesbegründung (Hinweis sei "immer zusätzlich" zu veröffentlichen) auch, dass die (gleichzeitige) Veröffentlichung eines Hinweises auf die Stelle, an der der Beschluss im Internet bekannt gegeben wird, Voraussetzung für eine wirksame Bekanntmachung ist. Der Gesetzgeber hat in § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V - anders als etwa in § 9 Abs 2 Satz 1 und 2 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KVG LSA) idF vom 2.11.2020 (GVBl LSA, 630) - gerade nicht ausdrücklich geregelt, dass die Beschlüsse des BewA bereits mit ihrer Bereitstellung im Internet öffentlich bekannt gemacht sind und der Hinweis auf die Internetadresse lediglich nachrichtlich erfolgt (vgl zu einer ähnlichen Situation beim zweistufigen Verkündungsverfahren eines Bebauungsplanes bzw der Genehmigung eines Bebauungsplanes gemäß § 10 Abs 3 BauGB BVerwG Beschluss vom 3.6.2010 - 4 BN 55.09 - BauR 2010, 1733 = juris RdNr 13: Hinweis auf den Ort der Einsichtnahme in der Bekanntmachung ist Wirksamkeitsvoraussetzung).

Dabei muss der Senat nicht entscheiden, ob der Hinweis auf die Fundstelle im Internet (§ 87 Abs 6 Satz 9 Halbsatz 2 SGB V) aus verfassungsrechtlicher Sicht erforderlich ist oder ob auch eine andere Regelung rechtsstaatlichen Anforderungen genügen würde. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet - wie ausgeführt - lediglich, dass Rechtsnormen so zu verkünden (bekannt zu machen) sind, dass die Betroffenen sich vom Erlass und vom Inhalt der Rechtsnorm verlässlich Kenntnis verschaffen können und dass diese Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein darf (vgl erneut BVerfG Beschluss vom 2.4.1963 - 2 BvL 22/60 - BVerfGE 16, 6, 16 f = juris RdNr 31; BVerfG Beschluss vom 22.11.1983 - 2 BvL 25/81 - BVerfGE 65, 283, 291 = juris RdNr 36). Ob die Möglichkeit, sich vom Norminhalt zuverlässig Kenntnis zu verschaffen, durch die Art und Weise der Veröffentlichung unmittelbar erschwert wird, hängt von den jeweiligen Umständen ab, die sich einer Verallgemeinerung über den konkreten Fall hinaus entziehen (vgl BVerwG Beschluss vom 18.10.2006 - 9 B 6.06 - Buchholz 310 § 108 Abs 2 VwGO Nr 66 = juris RdNr 4 mwN zur Bekanntmachung von kommunalen Satzungen in einer Zeitung; BVerwG Urteil vom 27.6.2013 - 3 C 21.12 - BVerwGE 147, 100 = juris RdNr 20). Dabei spielt auch der konkrete Adressatenkreis, der typischerweise von einer Regelung betroffen ist, eine Rolle (vgl BVerwG Urteil vom 27.6.2013 - 3 C 21.12 - BVerwGE 147, 100 = juris RdNr 26; vgl aber auch BVerwG Beschluss vom 5.12.2013 - 4 BN 48.13 - BauR 2014, 503 = juris RdNr 4 für den Fall, dass keine weitgehend homogene Personengruppe von dem Geltungsbereich der Norm erfasst wird). Vorliegend dürfte der Gesetzgeber wohl die fortschreitende Nutzung des Internets und der elektronischen Datenverarbeitung durch Vertrags(zahn)ärzte (vgl etwa § 86 SGB V zur Verordnung in elektronischer Form, § 291a SGB V zur elektronischen Gesundheitskarte, § 295 Abs 4 Satz 1 SGB V zur papierlosen Übermittlung im Rahmen der Abrechnung, § 341 SGB V zur elektronischen Patientenakte, insbesondere § 341 Abs 6 Satz 1 und 2 SGB V zur Verpflichtung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer, über die für den Zugriff auf die elektronische Patientenakte erforderlichen Komponenten und Dienste zu verfügen) ebenso berücksichtigen wie den Umstand, dass es sich bei dem angesprochenen Adressatenkreis der Vertrags(zahn)ärzte um Akademiker mit einem hohen Bildungsniveau handelt.

Ebenso wenig muss der Senat entscheiden, ob der Umstand, dass § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V nicht selbst regelt, unter welcher Internetadresse die Beschlüsse des BewA bekannt zu geben sind, den Gesetzgeber unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zur Normierung eines Hinweises auf die Fundstelle im Internet verpflichtet. Dies wird zwar regelmäßig die Internetseite des Instituts des BewA www.institut-ba.de sein (vgl insofern auch § 7 Abs 1 Satz 1 Geschäftsordnung), Wirksamkeitsvoraussetzung der Veröffentlichung ist dies jedoch nicht (vgl dagegen für den Fall einer Veröffentlichung von bereichsspezifischen Hygienerahmenkonzepten im Internet, wenn in der zugrunde liegenden Verordnung genau geregelt ist, in welchem Veröffentlichungsmedium und unter welcher Adresse die Konzepte zu veröffentlichen sind: OVG des Saarlandes Beschluss vom 12.10.2020 - 2 B 288/20 - juris RdNr 10). Es steht dem BewA frei, in Zukunft eine andere von ihm verantwortete Internetseite für die Bekanntgabe seiner Beschlüsse einzurichten, ohne dass eine Gesetzesänderung erforderlich wäre. Eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung des BewA bedürfte zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit und müsste im Internet veröffentlicht werden (§ 87 Abs 3e Satz 2 und 3 SGB V). Kehrseite dieser Freiheit in der Wahl der Internetseite ist die vom Gesetzgeber normierte Verpflichtung, zugleich mit der Bekanntmachung im Internet einen Hinweis auf die Fundstelle im zu veröffentlichen.

Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Veröffentlichung im Internet sind vorliegend jedoch ohne Belang, weil es nach § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V für eine wirksame Bekanntgabe auf die Publikation im ankommt. Hätte der Gesetzgeber die Printausgabe des nicht mehr als unverzichtbare Grundlage der Veröffentlichung zumindest eines Hinweises auf eine Änderung des EBM-Ä vorschreiben wollen, hätte dies ausdrücklich geschehen müssen. Damit wäre nämlich ein Bruch mit der jahrzehntelangen Tradition verbunden, dass im , das jeder Arzt als Mitglied einer Ärztekammer erhalten kann, die Beschlüsse des BewA enthalten sind oder zumindest auf sie hingewiesen wird. Der Einwand, kaum ein Arzt lese regelmäßig die gesamte Ausgabe des , ist genauso irrelevant wie die Erwägung, kaum ein Bürger lese regelmäßig das Bundesgesetzblatt. Maßgeblich ist die gesicherte und allgemein bekannte Möglichkeit der Kenntnisnahme einer zugänglichen Quelle. Wenn diese künftig eine Internetseite sein soll, muss das jedenfalls klar geregelt sein. Dies ist hier nicht geschehen. Aus den vom Gesetzgeber in § 87 Abs 6 Satz 9 SGB V gewählten Formulierungen wird vielmehr unmissverständlich deutlich, dass er derzeit (weiterhin) zumindest einen Hinweis im für erforderlich hält, um den betroffenen Vertrags(zahn)ärzten verlässlich Kenntnis vom Erlass und vom Inhalt der Beschlüsse des BewA zu verschaffen. Ein Vertrags(zahn)arzt soll sich zumindest aktuell darauf beschränken dürfen, das als dem offiziellen Publikationsorgan der Bundesärztekammer und der KÄBV (BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 90 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 86; BSG Urteil vom 26.6.2002 - B 6 KA 26/01 R - juris RdNr 23) nach Veröffentlichungen oder - bei Veröffentlichungen im Internet - nach Hinweisen auf neue Beschlüsse des BewA zu sichten (zur Frage, ob dies auch für Vertragszahnärzte gilt und ob für diese nicht eine Veröffentlichung in den Zahnärztlichen Mitteilungen zu erfolgen hat vgl Hamdorf in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 12/19, § 87 RdNr 393; Freudenberg, jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, Stand 15.6.2020, § 87 RdNr 95).

Soweit die Beklagte geltend macht, bei einer Auslegung des § 87 Abs 6 Satz 9 Halbsatz 2 SGB V im Sinne einer Wirksamkeitsvoraussetzung wäre die Bekanntmachungsalternative "im Internet" praktisch bedeutungslos und liefe ins Leere, kann dem nicht gefolgt werden. Ein kurzer Hinweis auf die Bekanntgabe des Beschlusses des BewA unter Angabe der maßgeblichen Internetseite wird in der Regel sehr viel kurzfristiger, womöglich schon in der nächsten Ausgabe des , veröffentlicht werden können als ein möglicherweise mehrseitiger Beschluss. Dies belegt auch der Umstand, dass der Beschluss vom 18.12.2013 tatsächlich erst in der 4. Ausgabe des vom 24.1.2014 und damit über einen Monat nach Beschlussfassung abgedruckt wurde, was sich nicht allein mit den dazwischen liegenden Feiertagen erklären lässt. Dass hier aufgrund der Beschlussfassung durch den BewA unmittelbar vor den Weihnachtsfeiertagen und dem letztmaligen Erscheinen des vor dem Beginn des ersten Quartals des Jahres 2014 am 23.12.2013 eine wirksame Bekanntgabe des Beschlusses vom 18.12.2013 im Jahr 2013 faktisch kaum noch möglich war, ist dabei hinzunehmen (vgl jetzt aber zu Beschleunigungsmöglichkeiten bei einer Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren § 7 Abs 1 Satz 3 der aktuellen Geschäftsordnung des BewA).

bb) Der Beschluss des BewA vom 18.12.2013 zur Änderung des EBM-Ä mWv 1.10.2013 wurde nicht bereits mit seiner Veröffentlichung im Internet am 20.12.2013, sondern erst mit der Bekanntgabe im vom 24.1.2014 wirksam verkündet. Denn ein Hinweis auf die Bekanntgabe des Beschlusses zur Änderung des EBM-Ä im Internet sowie auf die betreffende Fundstelle ist zu keinem Zeitpunkt im veröffentlicht worden. Im Jahr 2013 ist - wie ausgeführt - nach der Beschlussfassung lediglich noch das vom 23.12.2013 erschienen. Weder diese noch die nachfolgenden Ausgaben des Jahres 2014 enthalten einen Hinweis auf den Beschluss zur Änderung des EBM-Ä aus der 319. Sitzung.

Erst am 24.1.2014 wurde der Beschluss im (A-143 bis A-145) veröffentlicht. Zeitgleich wurde dort ( 2014, A-139) eine Mitteilung über diesen Beschluss veröffentlicht; unter 6. heißt es ua: "Der Bewertungsausschuss hat einen Beschluss zur Änderung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) mit Wirkung zum 1. Oktober 2013 gefasst und Anpassungen am Hausarzt-EBM vorgenommen." Zudem enthält das den Hinweis: "Die entscheidungserheblichen Gründe zu diesem Beschluss sind auf der Internetseite des Instituts des Bewertungsausschusses unter www.institut-ba.de veröffentlicht." Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Veröffentlichung des Beschlusses selbst im Internet ist auch an dieser Stelle nicht erfolgt. Die von der Klägerin angesprochene Problematik möglicherweise voneinander abweichender Fassungen des Beschlusses bei einer parallelen Veröffentlichung im Internet sowie im stellte sich hier daher von vorneherein nicht.

(3) Damit entfaltet der Beschluss vom 18.12.2012 aus der 319. Sitzung für das gesamte hier allein streitgegenständliche Quartal 1/2014 (zum Quartalsprinzip vgl BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 31 mwN) eine echte - grundsätzlich unzulässige - Rückwirkung. Von diesem Grundsatz gilt hier jedoch eine Ausnahme, da ein eventuelles Vertrauen der Klägerin, Gesprächsleistungen nach der GOP 03230 im Quartal 1/2014 ohne Begrenzung abrechnen zu können, nicht schützenswert war.

Echte Rückwirkungen und die Rückbewirkung von Rechtsfolgen sind nur ausnahmsweise rechtmäßig. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes jedoch nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war. Hierzu hat das BVerfG typisierende Fallgruppen entwickelt, in denen die Rückbewirkung von Rechtsfolgen ausnahmsweise zulässig ist. Hierbei handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage (vgl BVerfG Beschluss vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 258; BVerfG Beschluss vom 3.12.1997 - 2 BvR 882/97 - BVerfGE 97, 67, 79 f; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 RdNr 61 = juris RdNr 64; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021 - 2 BvL 8/19 - NJW 2021, 1222 = juris RdNr 142, 161 mwN, auch zur Veröffentlichung in BVerfGE 156 vorgesehen). Diese Falltypen sind - mit Ausnahme des Bagatellvorbehalts - Ausprägungen des Grundgedankens, dass allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers rechtfertigen oder gar erfordern können (vgl BVerfG Beschluss vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 258 = juris RdNr 129; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021, aaO, RdNr 142 mwN).

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht (mehr) auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (vgl BVerfG Urteil vom 30.4.1952 - 1 BvR 14/52 ua - BVerfGE 1, 264, 280; BVerfG Urteil vom 19.12.1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261, 272; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 RdNr 62 = juris RdNr 65; BVerfG Beschluss vom 10.2.2021 - 2 BvL 8/19 - NJW 2021, 1222 = juris RdNr 143, jeweils mwN, auch zur Veröffentlichung in BVerfGE 156 vorgesehen). Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste (vgl BVerfG Beschluss vom 4.5.1960 - 1 BvL 17/57 - BVerfGE 11, 64, 72 f; BVerfG Beschluss vom 17.1.1979 - 1 BvR 446/77 ua - BVerfGE 50, 177, 193 f; BVerfG Beschluss vom 8.4.1998 - 1 BvR 1680/93 ua - BVerfGE 98, 17, 39; BVerfG Beschluss vom 12.5.2009 - 2 BvL 1/00 - BVerfGE 123, 111, 130 f; BVerfG Beschluss vom 2.5.2012 - 2 BvL 5/10 - BVerfGE 131, 20, 41; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 RdNr 62 = juris RdNr 65), oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (BVerfG Beschluss vom 14.11.1961 - 2 BvR 345/60 - BVerfGE 13, 215, 224 = juris RdNr 31 ff; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 - BVerfGE 135, 1 RdNr 62 = juris RdNr 65 mwN). Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern (vgl BVerfG Urteil vom 19.12.1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261, 272 f; BVerfG Urteil vom 23.11.1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE 101, 239, 263 f, 268), wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (vgl BVerfG Beschluss vom 17.1.1979 - 1 BvR 446/77 ua - BVerfGE 50, 177, 193 f; BVerfG Beschluss vom 18.2.2009 - 1 BvR 3076/08 - BVerfGE 122, 374, 394 f, jeweils mwN; vgl auch für den Fall des Rechtsscheins durch eine - ungültige - belastende Norm BVerfG <Kammer> Beschluss vom 11.8.2020 - 1 BvR 2654/17 - NZA 2020, 1338 = juris RdNr 17) oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (sogenannter Bagatellvorbehalt, vgl BVerfG Beschluss vom 23.3.1971 - 2 BvL 2/66 ua - BVerfGE 30, 367, 389; vgl zu dem Ganzen BVerfG Beschluss vom 10.2.2021 - 2 BvL 8/19 - NJW 2021, 1222 = juris RdNr 143 mwN, auch zur Veröffentlichung in BVerfGE 156 vorgesehen; vgl auch BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 96 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 91 f; BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 22).

Ausgehend von diesen Maßstäben genügte die rückwirkende Ergänzung der Nr 10 der Präambel 3.1 um einen Satz 4 verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Klägerin konnte zu keinem Zeitpunkt im Quartal 1/2014 erwarten, die zum 1.10.2013 neu eingeführte GOP 03230 für ein problemorientiertes ärztliches Gespräch uneingeschränkt abrechnen zu können. Allerdings ergibt sich dies nicht bereits aus dem Beschluss des BewA vom 18.12.2013. Die vom BVerfG entwickelte Rechtsprechung zum Wegfall des Vertrauensschutzes ab dem Tag der "endgültigen Beschlussfassung im Bundestag" (vgl BVerfG Beschluss vom 14.5.1986 - 2 BvL 2/83 - BVerfGE 72, 200, 260, 262) findet bei untergesetzlichen Normen keine Anwendung (BSG Urteil vom 17.9.1997 - 6 RKa 36/97 - BSGE 81, 86, 99 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 95 f = juris RdNr 42 mwN). Entsprechendes gilt, soweit die Beklagte meint, das Vertrauen der Klägerin in eine unbegrenzte Vergütung ihrer Gesprächsleistungen sei mit der Veröffentlichung des Beschlusses vom 18.12.2013 im Internet am 20.12.2013 zerstört worden. Eine solche Annahme würde dem Zweck des Hinweises auf die Veröffentlichung im (§ 87 Abs 6 Satz 9 Halbsatz 2 SGB V), den Normadressaten verlässlich Kenntnis von der Existenz und dem Inhalt der sie betreffenden Änderung des EBM-Ä zu erlangen, zuwiderlaufen.

Von den in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannten Fallgruppen zulässigerweise echt rückwirkender Gesetze ist hier derjenige der Unklarheit und Verworrenheit der ursprünglichen Gesetzeslage einschlägig. Der Beschluss über die Bildung eines Budgets für die Leistungen nach GOP 03230 EBM-Ä vom 27.6.2013 mit Wirkung zum 1.10.2013 war insofern unvollständig, als nicht bestimmt war, was mit Gesprächsleistungen geschehen sollte, die über das Budget hinaus abgerechnet werden (vgl aber auch AAA - Abrechnung aktuell für Ärzte - vom 25.7.2013 "Aus alt mach neu: Jetzt doch wieder eine <hausärztliche> Erörterungsleistung", der bereits auf der Grundlage des Beschlusses vom 27.6.2013 davon ausgeht, dass Mehrleistungen nicht vergütet würden). Klar war jedoch immer, dass eine Abrechnung zum vollen Punktwert ausgeschlossen war, weil das mit dem Sinn eines Budgets für eine Einzelleistung unvereinbar ist. Insofern ist auch von Bedeutung, dass der Normgeber das Punktzahlvolumen für die gemäß der GOP 03230 erbrachten und berechneten Gespräche in Höhe von 45 Punkten pro Behandlungsfall bereits zeitgleich mit der Ausgliederung der Gesprächsleistung aus der hausärztlichen Versichertenpauschale mit Beschluss vom 27.6.2013 gebildet hatte. Damit stand bereits mit der Einführung der GOP 03230 für problemorientierte ärztliche Gespräche im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung fest, dass diese nicht unbegrenzt vergütet würden. Aus der Begrenzung auf 45 Punkte pro Behandlungsfall bei einer Bewertung der GOP 03230 EBM-Ä mit 90 Punkten je vollendete 10 Minuten wird zudem deutlich, dass der BewA ein solches Gespräch nur in jedem zweiten Behandlungsfall als erforderlich und uneingeschränkt abrechenbar ansah (zu einem Fall, in dem die Vertragsärzte nicht mit der rückwirkenden Einschränkung der Abrechenbarkeit der Leistung rechnen mussten vgl dagegen: BSG Urteil vom 26.6.2019 - B 6 KA 8/18 R - SozR 4-2500 § 87 Nr 36 RdNr 22 ff, insbesondere RdNr 25 zur GOP 88740 "Schweineinfluenza").

Es bestand letztendlich also nur die Wahl zwischen einer Abstaffelung und einem Ausschluss der Berechnung jeglicher über das Volumen hinausgehender Gesprächsleistungen, wie es dann am 18.12.2013 beschlossen wurde. Mit dem Beschluss vom 18.12.2013 hat der BewA geklärt, was nach seiner Intention schon ab dem Quartal 4/2013 gewollt, im Beschluss vom 27.6.2013 aber nur unvollständig formuliert worden war. Insoweit enthält der Beschluss vom 18.12.2013 - wie dargelegt (vgl oben RdNr 18 ff) - zwar keine reine Klarstellung eines missverständlichen Normtextes, die ohnehin auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der ursprünglichen Norm (1.10.2013) zurückgewirkt hätte. Dieser Beschluss durfte sich aber ausnahmsweise trotz seines Charakters als eigenständige Regelung und nicht nur technische Berichtigung Rückwirkung beimessen. Ob diese auch schon das Quartal 4/2013 erfassen konnte, kann offenbleiben, weil die Beklagte ihn erst zu Beginn des Quartals 1/2014 angewandt hat. Zu Beginn dieses Quartals kannte jeder Vertragsarzt das Budget für die Leistungen nach GOP 03230 und musste mit dessen "Scharfstellung" rechnen, die der BewA tatsächlich schon am 18.12.2013 vorgenommen hatte (vgl auch BSG Urteil vom 23.3.2011 - B 6 KA 9/10 R - SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 25 - Rückwirkung von Richtgrößen; BSG Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 79 RdNr 44 ff).

e) Die Begrenzung der Abrechenbarkeit der Gesprächsleistungen nach GOP 03230 verstößt auch im Übrigen nicht gegen höherrangiges Recht. Die gerichtliche Überprüfung der auf der Grundlage des § 87 SGB V vom BewA vereinbarten einheitlichen Bewertungsmaßstäbe ist im Wesentlichen darauf beschränkt, ob der Ausschuss den ihm zustehenden Entscheidungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgenutzt hat (BSG Urteil vom 19.8.1992 - 6 RKa 18/91 - SozR 3-2500 § 87 Nr 5 S 23; BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 86 mwN; BSG Urteil vom 3.4.2019 - B 6 KA 67/17 R - SozR 4-2500 § 75 Nr 21 RdNr 21 mwN). Hierfür ist nichts ersichtlich. § 87 Abs 2b Satz 1 SGB V sieht für den EBM-Ä die Abbildung von Leistungen der hausärztlichen Versorgung in Form von Versichertenpauschalen ausdrücklich im Sinne einer Sollregelung vor; für Leistungen, die - wie hier die Gesprächsleistungen - besonders gefördert werden sollen, können Einzelleistungen oder Komplexleistungen vorgesehen werden. Auch der in der Leistungsbeschränkung liegende Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der in der Klägerin organisierten Ärzte ist gerechtfertigt. Wegen der hier gegebenen geringen Eingriffstiefe zu Lasten der Ärzte reichen sachlich nachvollziehbare Erwägungen der Normgeber im Hinblick auf deren Gestaltungsfreiheit aus (zum Prüfmaßstab vgl BVerfG Beschluss vom 16.7.2004 - 1 BvR 1127/01 - SozR 4-2500 § 135 Nr 2 RdNr 21 ff; BSG Urteil vom 12.2.2020 - B 6 KA 25/18 R - BSGE 130, 39 = SozR 4-2500 § 73b Nr 4, RdNr 33 f mwN; vgl auch BVerfG Beschluss vom 22.10.2004 - 1 BvR 528/04 ua - SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr 13 speziell zu den Leistungsbeschreibungen des EBM-Ä). Eine Beschränkung der Abrechenbarkeit von problemorientierten ärztlichen Gesprächen im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung auf jeden zweiten Behandlungsfall pro Quartal ist nachvollziehbar (vgl auch BSG Urteil vom 8.3.2000 - B 6 KA 16/99 R - BSGE 86, 30, 40 ff = SozR 3-2500 § 83 Nr 1 S 12 = juris RdNr 51 ff zu Teilbudgets). Eine solche Einschätzung steht auch im Einklang mit der Leistungslegende der GOP 03230: Ein problemorientiertes ärztliches Gespräch im Zusammenhang mit einer lebensverändernden Erkrankung (obligater Leistungsinhalt: Gespräch von mindestens 10 Minuten Dauer mit einem Patienten und/oder einer Bezugsperson; fakultativer Leistungsinhalt: Beratung und Erörterung zu den therapeutischen, familiären, sozialen oder beruflichen Auswirkungen und deren Bewältigung im Zusammenhang mit der/den lebensverändernden Erkrankung<en>) dürfte, auch wenn der Begriff der lebensverändernden Erkrankung nicht näher definiert wird, bei einer durchschnittlichen Hausarztpraxis nicht in jedem Behandlungsfall erforderlich sein (siehe auch die Chronikerpauschalen GOP 03220 und 03221, die das Vorliegen einer "lang andauernden", lebensverändernden Erkrankung voraussetzen: 3.2.2 <Chronikerpauschalen, Gesprächsleistung> des EBM-Ä 1/2014). Zu berücksichtigen ist zudem, dass für besondere lebensverändernde Konstellationen gesonderte GOP vorgesehen sind, so etwa außer der bereits erwähnten Chronikerpauschale die GOP für die palliativmedizinische Betreuung von Patienten (vgl die GOP 03370, 03371, 03372 für die palliative Ersterhebung und Betreuung von schwerstkranken und sterbenden Patienten, die zum Teil nicht neben der GOP 03230 abrechenbar sind) oder die GOP im Anhang 2 Teil A (Kostenpauschalen) der Onkologie-Vereinbarung (Anlage 7 zum BMV-Ä; vgl etwa die GOP 86520, welche auch die Gespräche im Zusammenhang mit der Tumortherapie umfasst). Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass der Abrechnungsausschluss dazu führt, dass erbrachte Gesprächsleistungen nicht angemessen vergütet würden.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des von ihr ohne Erfolg geführten Rechtsmittels zu tragen.

Wenner                    Rademacker                    Just

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