Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 24.06.2021, B 7 AY 5/20 R

Asylbewerberleistungen - Analogleistungen - Hilfe in sonstigen Lebenslagen - Reisekosten für die Wahrnehmung eines Anhörungstermins im Asylverfahren - atypischer Bedarf - analoge Anwendung - Hilfe zum Lebensunterhalt - abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs - einmaliger Bedarf - sonstige Leistung nach § 6 AsylbLG - Anwendbarkeit auf Analogleistungsberechtigte

Leitsätze

Reisekosten, die analogleistungsberechtigten Ausländern anlässlich der Wahrnehmung eines Behördentermins im Asylverfahren entstehen, lösen keinen Anspruch auf Hilfe in sonstigen Lebenslagen aus.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Oktober 2020 aufgehoben. Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. Juli 2017 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit ist die Übernahme von Fahrt- und Übernachtungskosten für die Wahrnehmung eines Anhörungstermins im Asylverfahren in Höhe von 191,25 Euro.

Die Kläger sind ukrainische Staatsangehörige, verheiratet und die Eltern eines 2013 geborenen Sohnes. Sie reisten 2014 jeweils mit einem Besuchsvisum nach Deutschland ein, hielten sich zunächst bei der Mutter des Klägers im Kreisgebiet des Beklagten auf und suchten im Oktober 2014 um Asyl nach. Die Antragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erfolgte wegen übermäßiger Arbeitsbelastung des BAMF erst Anfang Juni 2015, als die Kläger einer Gemeinschaftsunterkunft in B zugewiesen waren und dort ihren Aufenthalt hatten. Im Juli 2015 wurden die Kläger, die während des Asylverfahrens über Aufenthaltsgestattungen verfügten, auf eigenes Betreiben nach H umverteilt (Bescheid der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen - Standort Braunschweig - vom 20.7.2015). Ihre Asylanträge wurden vom BAMF abgelehnt (Bescheide vom 22.5.2017).

Vom Beklagten erhielten sie zunächst Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), seit November 2015 sog Analogleistungen nach § 2 AsylbLG, (ua bewilligt für Juli 2016 durch die insoweit herangezogene Stadt H mit Bescheid vom 1.8.2016). Ende Juni 2016 legten die Kläger beim Sozialamt der Stadt H die Ladung des BAMF vom 24.6.2016 zur Anhörung am 5.7.2016, 8.00 Uhr, in Ingolstadt vor und erkundigten sich wegen der Übernahme von Fahrt- und Hotelkosten. Nachdem sie Ende Juni 2016 erfolglos die Verlegung der Anhörung zu der Außenstelle des BAMF in Braunschweig beantragt hatten, fuhren sie mit ihrem Sohn und der Mutter des Klägers in deren Pkw am Vorabend der Anhörung nach Ingolstadt und übernachteten dort in einem Hotel. Die Kosten für die Fahrt und das Familienzimmer wurden - nach dem Vortrag der Kläger darlehensweise - von der Mutter des Klägers getragen. Der Antrag der Kläger auf Kostenübernahme der Hotelkosten in Höhe von 84 Euro und der Benzinkosten in Höhe von (geschätzt) 107,25 Euro wurde abgelehnt (Bescheid der Stadt H vom 15.7.2016; Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 19.12.2016). Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die hiergegen erhobenen Klagen abgewiesen (Urteil vom 13.7.2017). Auf die Berufungen der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Klägern 191,25 Euro zu zahlen (Urteil vom 22.10.2020). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Anspruch auf Übernahme der für die Wahrnehmung des Anhörungstermins im Asylverfahren geltend gemachten Kosten ergebe sich aus § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII); es handle sich um einen atypischen Bedarf; die Geldleistungen nach § 73 Abs 1 Satz 2 SGB XII seien als Beihilfe zu erbringen (Ermessensreduzierung auf Null).

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 73 SGB XII. Weder der vorliegende Mobilitätsbedarf noch die Übernachtungskosten der Kläger unterfielen dieser Norm. Eine abweichende Festlegung des Regelsatzes zugunsten der Kläger nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII komme wegen des nur einmaligen Bedarfs nicht in Betracht. Mobilitätsbedarfe seien im Regelsatz berücksichtigt. Die bewusste Herausnahme von Übernachtungskosten aus der Regelsatzberechnung schließe auch bei § 73 SGB XII die Anerkennung einer besonderen Lebenslage aus. Auch eine Anwendung des § 6 AsylbLG komme nicht in Betracht. Soweit das LSG eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen habe, sei eher an die Notwendigkeit einer Kostenregelung durch das BAMF zu denken, als den Sozialhilfeträger in die Pflicht zu nehmen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. Oktober 2020 aufzuheben und die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. Juli 2017 zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme der für die Wahrnehmung des Anhörungstermins im Asylverfahren geltend gemachten Kosten, weder nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 73 SGB XII noch nach § 6 Abs 1 Satz 1 AsylbLG noch nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 27a Abs 4 Satz 1 Alt 2 SGB XII (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung <aF>).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Stadt H vom 15.7.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 19.12.2016 (§ 95 SGG), mit dem der Antrag der Kläger auf Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung des Anhörungstermins im Asylverfahren am 5.7.2016 in Ingolstadt abgelehnt worden ist. Hiergegen wenden sich die Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG, § 56 SGG), soweit sie den Anspruch auf § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 73 SGB XII stützen; denn sie gehen wegen einer Ermessensreduzierung auf Null von einem gebundenen Anspruch aus. Soweit die Kostenerstattung als (einmalige) Erhöhung des Regelsatzes (vgl § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII aF) geltend gemacht wird, ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage statthafte Klageart; der Bescheid vom 1.8.2016, mit dem die Leistungen für Juli 2016 bewilligt wurden und der in diesem Fall vom Beklagten auf Grundlage von § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zu ändern wäre, ist insoweit in das laufende Widerspruchsverfahren einzubeziehen (§ 86 SGG; zum Ganzen bereits Bundessozialgericht <BSG> vom 20.4.2016 - B 8 SO 5/15 R - BSGE 121, 139 = SozR 4-3500 § 18 Nr 3, RdNr 9). Nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist nach entsprechender Klarstellung im Revisionsverfahren eine darlehensweise Leistungsgewährung (vgl § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 37 Abs 1 SGB XII), weil das Begehren der Kläger (§ 123 SGG) sich ausschließlich auf eine zuschussweise Übernahme der Kosten richtet.

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Nach den bindenden Feststellungen des LSG zum Landesrecht (§ 163 SGG) ist der Beklagte seit der Umverteilung der Kläger nach H 2015 für die Durchführung des AsylbLG sachlich und örtlich zuständig (§ 2 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes zur Aufnahme von ausländischen Flüchtlingen und zur Durchführung des AsylbLG <Nds AufnG> vom 11.3.2004, Nds GVBl S 100; geändert mWv 1.1.2007 durch Gesetz vom 13.12.2007, Nds GVBl S 710; § 10a Abs 1 Satz 1, § 10 Satz 1 AsylbLG) und hat die Stadt H zur Durchführung der Aufgaben nach dem AsylbLG im Namen des Beklagten herangezogen (§ 2 Abs 3 Satz 1 Nds AufnG); über Widersprüche entscheidet der Beklagte (§ 1 Abs 1 und 2, § 2 Abs 1 Satz 1 der Heranziehungsvereinbarung vom 16.2.2016).

In der Sache besteht ein Anspruch aus § 2 Abs 1 AsylbLG (hier in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 <BGBl I 2187>) iVm § 73 SGB XII (in der ab 1.1.2005 unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 <BGBl I 3022>) entgegen der Auffassung des LSG nicht. Die Kläger sind zwar Analogleistungsberechtigte, die Voraussetzungen einer "Hilfe in sonstigen Lebenslagen" nach § 73 SGB XII liegen aber nicht vor.

Nach § 2 Abs 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Kläger waren im Juli 2016 als Inhaber von Aufenthaltsgestattungen (§ 55 Abs 1 Asylgesetz <AsylG>; hier in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 <BGBl I 3474>) gemäß § 1 Abs 1 Nr 1 AsylbLG dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem AsylbLG und haben seit November 2015 die zum damaligen Zeitpunkt geltende, an die Dauer eines Asylverfahrens typisierend angelehnte Wartefrist von 15 Monaten erfüllt. Die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland haben sie weder durch die bloße direkte - ohne Umweg über einen sicheren Drittstaat - Einreise in das Bundesgebiet noch durch das Betreiben des im Juli 2016 noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens (vgl dazu BSG vom 17.6.2008 - B 8 AY 13/07 R - juris RdNr 14) rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst (vgl zum Rechtsmissbrauch im Einzelnen BSG vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2, RdNr 32 ff und BSG vom 24.6.2021 - B 7 AY 4/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen). Ein solches Verhalten lag nach den Feststellungen des LSG, das keine Anhaltspunkte für ein vorwerfbar verspätetes Asylgesuch oder fehlerhafte Angaben zur Identität erkennen konnte, nicht vor.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist nach § 2 Abs 1 AsylbLG abweichend von den §§ 3 bis 7 das SGB XII auf die Kläger entsprechend anzuwenden; diese entsprechende Anwendung erfasst auch die Vorschriften des Neunten Kapitels über die "Hilfe in anderen Lebenslagen" (vgl zur Blindenhilfe nach § 72 SGB XII BSG vom 24.6.2021 - B 7 AY 1/20 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Die Voraussetzungen des § 73 SGB XII liegen jedoch nicht vor. Nach Satz 1 dieser Norm können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Eine sonstige Lebenslage iS des § 73 Satz 1 SGB XII zeichnet sich dadurch aus, dass sie von keinem anderen Leistungsbereich des SGB XII erfasst ist und damit eine atypische Bedarfslage darstellt (vgl BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 8 RdNr 14 und BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 14/17 R - FEVS 71, 221 = juris RdNr 11, jeweils mwN).

Leistungen nach § 73 SGB XII, die zu den "Hilfen in anderen Lebenslagen" nach dem Neunten Kapitel des SGB XII gehören, erfordern eine besondere, atypische Situation, die vorliegend mit der Wahrnehmung eines Termins bei einer Behörde und den dabei entstandenen Kosten nicht verbunden ist. Die am 5.7.2016 anlässlich der Wahrnehmung des Anhörungstermins in Ingolstadt entstandenen Fahrt- und Übernachtungskosten stellen keinen atypischen Bedarf iS des § 73 SGB XII dar (vgl zu Mobilitätsbedarfen beim Umgangsrecht als "Mehrbedarf zum Regelbedarf" etwa BSG vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - BSGE 118, 82 = SozR 4-4200 § 21 Nr 21, RdNr 17 f; BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R - BSGE 127, 78 = SozR 4-4200 § 21 Nr 30, RdNr 20 f). Sowohl "sonstige Verwaltungsgebühren" als auch Mobilitätsbedarfe bzw Verkehrsdienstleistungen und auch Gaststätten- und Beherbergungsdienstleitungen sind als typischerweise anfallende Bedarfe bei der Bemessung des Regelbedarfs (§ 27a Abs 2 Satz 1 iVm § 28 SGB XII, in der Fassung vom 24.3.2011, BGBl I 453) beachtet und entweder als regelbedarfsrelevant anerkannt oder in der Weise berücksichtigt worden, dass sie nicht zu einer Erhöhung der Leistungen geführt haben. Es sind dies keine "unbenannten" Bedarfe; für § 73 Satz 1 SGB XII ist damit kein Raum.

Die dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 24.3.2011, RBEG 2011 <BGBl I 453>) zugrundeliegende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 erfasste in Abteilung 12 unter der Rubrik S "Sonstige Waren und Dienstleistungen" in der Rubrik S/03 ua auch Bedarfe, die im Zusammenhang mit verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgängen entstehen, "sonstige Verwaltungsgebühren", die bei der Ermittlung des Regelbedarfs unter dem Code 1270 900 "Sonstige Dienstleistungen, nicht genannte" berücksichtigt wurden (BT-Drucks 17/3404 S 63 f, vgl Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 7, 2013, S 10, 52). Die EVS 2008 erfasste in Abteilung 7 die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Referenzhaushalte für "fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne im Luftverkehr/ohne auf Reisen)" (vgl BT-Drucks 17/3404, S 59) ua Personenbeförderung im Öffentlichen Personennahverkehr und Schienenverkehr (Eisenbahn, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn) und hat diese in ungekürzter Höhe als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben für Erwachsene anerkannt (vgl BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 14/17 R - FEVS 71, 221 = juris RdNr 14 mwN). Die Verbrauchsausgaben für einen (eigenen) Pkw wurden nicht als existenzsichernd angesehen (vgl BT-Drucks 17/3404 S 59), ebenso nicht auswärtige Übernachtungskosten, weil diese Ausgaben regelmäßig nicht der Existenzsicherung dienten (vgl Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen in Abteilung 11 der EVS 2008, BT-Drucks 17/3404 S 62 f); von den Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen wurden bewusst nur 28,5 Prozent der durchschnittlichen Ausgaben als regelbedarfsrelevant eingestuft (Speisen und Getränke in Restaurants, Cafés und an Imbissständen sowie in Kantinen und Mensen). Damit sind die bei den Klägern angefallenen Bedarfe dem Grunde nach bei der Regelsatzbemessung beachtet und berücksichtigt worden.

Mangels Regelungslücke scheidet eine "analoge" Anwendung von § 73 Satz 1 SGB XII bei einmaligen oder laufenden Bedarfslagen, die vom Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII erfasst sind, aus. Die vom LSG zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug genommene frühere Rechtsprechung des BSG zu Fahrtkosten in Ausübung des Umgangsrechts (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 21 ff), die insoweit für Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) noch auf § 73 SGB XII rekurriert hatte, ist in der Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und der Einführung von Mehrbedarfen für einen atypischen laufenden Mehrbedarf (vgl § 21 Abs 6 SGB II) nicht fortgeführt worden (vgl zuletzt BSG vom 29.5.2019 - B 8 SO 8/17 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 8 RdNr 15). Für Bedarfe, die der Sache nach vom Regelbedarf umfasst sind, kommt auch für Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsylbLG neben den Fällen der abweichenden Bemessung nach § 27a Abs 4 SGB XII (dazu später) nur die darlehensweise Gewährung von Leistungen in Betracht (§ 37 Abs 1 SGB XII).

Soweit das LSG darauf hinweist, dass die formale Anhörung des Ausländers nach § 25 AsylG ein Kernstück des Asylverfahrens ist und auf unionsrechtlichen Verfahrensgarantien beruht, ist das zwar zutreffend, führt aber nicht zu einer anderen Beurteilung der Bedarfslage. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass die Wahrnehmung dieses Termins nicht an nicht vorhandenen Mitteln scheitert. Dies wird jedoch mit einer darlehensweisen Leistungsgewährung auf Grundlage nach § 37 Abs 1 SGB XII erreicht. Danach sollen auf Antrag notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden kann. Um einen solchen Bedarf handelt es sich der Sache nach, ohne dass eine abschließende Entscheidung zu den hier vorliegenden Umständen des Einzelfalls erforderlich wäre. Die Kläger haben eine darlehensweise Gewährung (zumindest im Revisionsverfahren) ausdrücklich nicht beantragt.

Dass der Gesetzgeber in § 6 Abs 1 Satz 1 Alt 4 AsylbLG, der aber auf die Kläger keine Anwendung findet (dazu sogleich), typisierend für diejenigen Personen, die sich im Asylverfahren befinden und die Wartefrist des § 2 Abs 1 AsylbLG noch nicht erfüllt haben, einen Anspruch auf bestimmte sonstige Leistungen vorsieht, die zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind, führt nicht zur normativ begründeten Annahme eines in gleicher Weise bestehenden atypischen Bedarfs für Analogleistungsberechtigte, die die Wartefrist erfüllt haben und leistungsberechtigt nach § 2 Abs 1 AsylbLG iVm § 73 SGB XII sind. Eine solche normative Erstreckung eines anerkannten atypischen Bedarfs für Personen, die sich erst kurze Zeit im Bundesgebiet aufhalten, auf Personen mit verfestigtem Aufenthalt ist weder geboten noch sachgerecht. Die reduzierten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG sind bei Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 Nr 1 AsylbLG (nur) für die Dauer des Asylverfahrens gedacht; die Öffnungsklausel des § 6 AsylbLG hat Auffangfunktion. Hingegen sind Analogleistungsberechtigte nach Erfüllung der Wartefrist nach § 2 Abs 1 AsylbLG zwar weiterhin dem AsylbLG zugeordnet, erhalten aber höhere Leistungen und profitieren auch und gerade von der Regelbedarfsermittlung nach dem SGB XII und damit auch von der Anerkennung von bei verfestigtem Aufenthalt typischerweise bestehenden Bedarfen. Soweit das LSG darauf hinweist, dass die Anerkennung eines existentiellen Bedarfs im Bereich der Grundleistungen im Grundsatz auch für dessen rechtliche Relevanz im Rahmen der Analogleistungen sprechen kann, ist dem in dieser Allgemeinheit zwar nicht zu widersprechen. Was sich bei einem beginnenden oder kurzfristigen Aufenthalt während der Dauer eines Asylverfahrens noch als atypische Bedarfslage zusätzlich zu den (reduzierten) Grundleistungen erweist, stellt sich aber (wie oben ausgeführt) wegen der Kosten für Mitwirkungspflichten bei einem längeren verfestigten Aufenthalt unter dem Regime des § 2 Abs 1 AsylbLG mit der einhergehenden Berücksichtigung solcher Kosten bei der Regelbedarfsermittlung nach dem SGB XII als benannte und damit nicht mehr atypische Bedarfslage dar.

Da die Kläger Analogleistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG beanspruchen können, scheidet die (unmittelbare oder entsprechende) Anwendung des § 6 Abs 1 AsylbLG als Anspruchsgrundlage aus. Nach dem Wortlaut der Norm und der Bedeutung der Grundleistungen nach §§ 3 ff AsylbLG als eigenständiges Sicherungssystem zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums in der ersten Zeit des Aufenthalts während des Asylverfahrens können Analogleistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG aus § 6 AsylbLG keine Rechte herleiten, weil die Vorschriften des SGB XII an die Stelle der Vorschriften über die existenzsichernden Leistungen des AsylbLG treten.

Auch ein Anspruch nach § 27a Abs 4 Satz 1 Alt 2 SGB XII aF unter Abänderung des Bescheids vom 1.8.2016, der Analogleistungen für Juli 2016 bewilligt hat, kommt nicht in Betracht. Danach wird im Einzelfall der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Ein lediglich einmalig auftretender Bedarf unterfällt nicht dem Anwendungsbereich dieser Norm, sondern es wird ein laufender höherer Bedarf vorausgesetzt (Coseriu in Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 27a SGB XII RdNr 10; R. Becker in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 37 RdNr 12 <Stand: 23.1.2017>; offengelassen von BSG vom 20.4.2016 - B 8 SO 5/15 R - BSGE 121, 139 = SozR 4-3500 § 18 Nr 3, RdNr 13), wie sich auch aus der zum 1.1.2017 klarstellend geänderten Gesetzesfassung ergibt (vgl BT-Drucks 18/9984, 90). Für die Deckung einmaliger Bedarfsspitzen ist damit ein "ergänzendes" Regelsatzdarlehen nach § 37 Abs 1 SGB XII zu gewähren.

Ein Anspruch nach § 9 Abs 3 Satz 1 AsylbLG iVm § 65a Abs 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Danach kann auf Antrag Ersatz notwendiger Auslagen in angemessenem Umfang erhalten, wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 SGB I nachkommt. § 65a SGB I ist zwar auch im Bereich des SGB XII anwendbar (vgl Gutzler in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 65a RdNr 3), aber auf das Sozialverwaltungsverfahren zugeschnitten und betrifft nur das Rechtsverhältnis zwischen der Sozialbehörde, die ein Tun nach §§ 61 f SGB I verlangt, und einer Sozialleistungen beantragenden Person. Vorliegend zielt dieser Kostenerstattungsanspruch also auf Mitwirkungspflichten in Bezug auf die Leistungen nach dem AsylbLG ab. Eine analoge Anwendung auf Auslagen, die im Asylverfahren im Verhältnis zum BAMF entstehen, scheidet aus. Der Beklagte muss sich ein etwaiges Fehlverhalten des BAMF, das den Anhörungstermin nicht in leicht erreichbare Nähe zum Wohnort der Kläger verlegt hatte, auch nicht zurechnen lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Krauß                       Bieresborn                      Luik

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