Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 03.11.2021, B 11 AL 4/20 R

Insolvenzgeldanspruch - Arbeitnehmereigenschaft - arbeitsrechtlicher Maßstab für den Arbeitnehmerbegriff - Vorstand einer Aktiengesellschaft - Organstellung - zuvor bestehender Arbeitsvertrag - fehlender Anstellungsvertrag über die Vorstandstätigkeit - Trennungsprinzip - Innenverhältnis - Fortführung des weisungsgebundenen Arbeitsverhältnisses - kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH

Leitsätze

1. Der Kreis der insolvenzgeldberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist nach arbeitsrechtlichen Maßstäben zu bestimmen (Aufgabe von BSG vom 4.7.2007 - B 11a AL 5/06 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 8).

2. Die bloße Organstellung als Vorstand einer Aktiengesellschaft steht der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegen, entscheidend ist vielmehr die Ausgestaltung des schuldrechtlichen Verhältnisses zwischen der Gesellschaft und ihrem Vorstand (Aufgabe von BSG vom 22.4.1987 - 10 RAr 6/86 = BSGE 61, 282 = SozR 4100 § 141a Nr 8).

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. März 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch im Revisionsverfahren seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Insolvenzgeldberechtigung des Klägers für die Zeit vom 1.7.2011 bis 30.9.2011.

Der 1955 geborene Kläger schloss am 20.5.2011 einen Arbeitsvertrag mit der Y AG (im Folgenden: AG), für die er sodann zumindest vom 1.7.2011 bis 30.9.2011 tätig war. Am 27.6.2011 wurde er als einzelvertretungsberechtigter Vorstand der AG in das Handelsregister B des Amtsgerichts München (HRB 189751) eingetragen. Sein Ausscheiden als Vorstand wurde am 22.9.2011 eingetragen; in der Zwischenzeit hatte die AG neben dem Kläger keinen weiteren Vorstand. Am 29.2.2012 schlossen die Arbeitsvertragsparteien vor dem Arbeitsgericht München einen Vergleich, wonach die AG dem Kläger zur Abgeltung aller finanzieller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis einen Betrag von 10 922,25 Euro zahlen sollte. Wegen Verzugs mit der vorgesehenen Ratenzahlung stellte der Kläger einen Insolvenzantrag. Daraufhin wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der AG eröffnet (Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 19.3.2013 - 32 IN 665/12). Am 29.5.2013 bestätigte der Insolvenzverwalter in seiner Insolvenzgeldbescheinigung gegenüber der Beklagten, dass dem Kläger seinerzeit noch offene Netto-Arbeitsentgeltforderungen von 1681,50 Euro für August 2011 und von 3640,75 Euro für September 2011 zustanden.

Im Oktober 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten schriftlich die Gewährung von Insolvenzgeld. Mit Bescheid vom 2.4.2013 bewilligte diese ihm einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld in Höhe von 3800 Euro. Nach einem Hinweis des Insolvenzverwalters auf die Bestellung des Klägers zum Vorstand der AG lehnte die Beklagte den Insolvenzgeldantrag des Klägers ab und verlangte die Erstattung des gezahlten Vorschusses. Dem Kläger fehle es an der erforderlichen Arbeitnehmereigenschaft, weil er als Vorstand eine unternehmerähnliche Position innegehabt habe (Bescheid vom 12.6.2013, Widerspruchsbescheid vom 8.10.2013).

Das dagegen vom Kläger fristgerecht angerufene SG hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, "dem Kläger für den Zeitraum vom 1.7.2011 bis 30.09.2011 Insolvenzgeld in Höhe von insgesamt 5.322,25 € zu gewähren" (unter Anrechnung des gewährten Vorschusses in Höhe von 3800 Euro). Der Kläger sei im Insolvenzgeldzeitraum Arbeitnehmer gewesen, obwohl er zeitgleich zum Vorstand der AG bestellt gewesen sei. Diese Stellung habe er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht wahrgenommen. Vielmehr sei er weisungsgebunden im Vertrieb der AG tätig gewesen. Von den ihm rechtlich zustehenden Befugnissen als Vorstand habe er tatsächlich keinen Gebrauch gemacht.

Die von der Beklagten fristgerecht eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Das LSG ist der Ansicht des SG gefolgt, wonach die Arbeitnehmereigenschaft nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls zu bestimmen sei. Diese ließen eine Weisungsabhängigkeit des Klägers bezüglich der Art und Weise seiner Arbeitsleistung erkennen. Dieser habe auch kein Unternehmerrisiko getragen und sei nicht am Gewinn der AG beteiligt gewesen. Von seiner Organstellung dürfe nicht auf die Rechtsnatur des Innenverhältnisses zur AG geschlossen werden. Diesem liege ein schuldrechtlicher Anstellungsvertrag zugrunde, der im vorliegenden Fall als Arbeitsvertrag zu qualifizieren sei.

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe den Kläger zu Unrecht als Arbeitnehmer angesehen. Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft seien generell aus dem Schutzbereich der Insolvenzgeld-Versicherung ausgeschlossen. Diese formale Betrachtungsweise diene der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Sie entspreche der beitrags- und versicherungsrechtlichen Einordnung, weil auch der Versicherungsfreiheitstatbestand des § 27 Abs 1 Nr 5 SGB III allein an die Organstellung anknüpfe.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. März 2019 und des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid der Beklagten vom 12.6.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.10.2013 (§ 95 SGG). Sein Begehren auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 1.7.2011 bis 30.9.2011 verfolgt der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Nicht streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 2.4.2013, mit dem sie dem Kläger einen Vorschuss auf das zu erwartende Insolvenzgeld bewilligt hat. Ein solcher Verwaltungsakt erledigt sich gemäß § 39 Abs 2 SGB X mit der endgültigen Entscheidung (vgl BSG vom 9.5.1996 - 7 RAr 36/95 - SozR 3-4100 § 112 Nr 28 S 126).

Die Vorinstanzen sind im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage zulässig und begründet ist. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12.6.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.10.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Zeit vom 1.7.2011 bis 30.9.2011 in Höhe von insgesamt 5322,25 Euro (einschließlich des Vorschusses von 3800 Euro) zu. Er ist daher auch nicht verpflichtet, den Vorschuss zu erstatten.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Insolvenzgeld ist § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III. Danach haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Anders als die Beteiligten und die Vorinstanzen meinen, ist im vorliegenden Fall nicht die sachlich übereinstimmende Vorgängervorschrift des § 183 Abs 1 Satz 1 SGB III in der vom 12.12.2006 bis 31.3.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006 (BGBl I 2742) anwendbar. Sie ist außer Kraft getreten, bevor das streitgegenständliche Insolvenzereignis eingetreten ist, sodass dem Kläger mit Ablauf des 31.3.2012 noch kein Insolvenzgeldanspruch zugestanden haben kann. Da diese Entgeltersatzleistung aber ohnehin nicht vom Katalog des § 422 Abs 1 SGB III umfasst ist und § 443 SGB III keine spezielle Übergangsvorschrift enthält, bleibt es insoweit beim allgemeinen Geltungszeitraumprinzip, wonach der Eintritt des Versicherungsfalls das anwendbare Recht bestimmt (eingehend zum Ganzen Deinert in Gagel, SGB II/SGB III, § 422 SGB III RdNr 15 f, 104 ff mwN, Stand März 2017).

Die Vorinstanzen sind im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger im Insolvenzgeldzeitraum vom 1.7.2011 bis 30.9.2011 Arbeitnehmer iS des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III war. Dem steht nicht entgegen, dass er in dieser Zeit überwiegend (bis 22.9.2011) zugleich Vorstand der AG war.

Der insolvenzgeldrechtliche Arbeitnehmerbegriff, der im Gesetz nicht definiert wird, ist rein arbeitsrechtlich zu verstehen (ebenso etwa Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 183 RdNr 81, Stand Oktober 1999; Kallert in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl 2021, § 165 SGB III RdNr 3; Kühl in Brand, SGB III, 9. Aufl 2021, § 165 RdNr 9; Scholz in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III - Arbeitsförderung, 7. Aufl 2021, § 165 RdNr 6; aA etwa E Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 165 RdNr 29 <Stand 15.02.2021>; Schön in Böttiger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl 2019, § 165 RdNr 9; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 165 RdNr 36 f, Stand VII/21). Die bisherige BSG-Rechtsprechung, die für den Insolvenzgeldanspruch von einem speziellen "arbeitsförderungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff" ausgegangen ist (zuletzt BSG vom 4.7.2007 - B 11a AL 5/06 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 8 RdNr 14 und B 11a AL 45/06 R juris RdNr 14; ebenso bereits zum Konkursausfallgeld BSG vom 30.1.1997 - 10 RAr 6/95 - SozR 3-4100 § 141b Nr 17; BSG vom 7.9.1988 - 10 RAr 10/87 - SozR 4100 § 141b Nr 41; BSG vom 29.7.1982 - 10 RAr 9/81 - SozR 4100 § 141b Nr 24), wird insoweit aufgegeben.

Dafür spricht schon der Wortlaut des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III, in dem von "Arbeitnehmerinnen" und "Arbeitnehmer" die Rede ist, nicht jedoch von der Beschäftigung (§ 7 SGB IV). Von entscheidender Bedeutung für die Auslegung ist indes die Binnensystematik der Norm, die im Weiteren verlangt, dass "noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt" bestehen. Dazu gehören gemäß § 165 Abs 2 Satz 1 SGB III "alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis". Solche Forderungen können denknotwendig nur einem Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn zustehen (vgl heute § 611a BGB). Auch die zeitliche Zuordnung solcher Ansprüche zum Insolvenzgeldzeitraum richtet sich nach dem Bestand des Arbeitsverhältnisses; während das Ende des sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses insoweit unerheblich ist (so ausdrücklich Senatsurteil vom 26.2.2019 - B 11 AL 3/18 R - juris RdNr 14; vgl auch Senatsurteil vom 18.12.2003 - B 11 AL 27/03 R - SozR 4-4100 § 141b Nr 1 RdNr 15 f). Diese Einordnung entspricht auch dem Sinn und Zweck des Insolvenzgelds "bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers" als Entgeltersatzleistung (§ 3 Abs 4 Nr 5 SGB III). Diese wird geprägt durch die enge Konnexität zu den arbeitsrechtlichen Ansprüchen des Arbeitnehmers, die wegen der Insolvenz des Arbeitgebers gegen diesen nicht durchsetzbar sind (Voelzke in Hauck/Noftz, SGB III, K § 165 RdNr 11a, 12, Stand VII/21: "weitgehende Akzessorietät zum Arbeitsentgeltanspruch"). Dadurch wird das Risiko, das mit der Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers (vgl § 614 BGB) einhergeht, ausgeglichen (so schon die Gesetzesbegründung zur Einführung des Konkursausfallgelds, BT-Drucks 7/1750 S 11).

Die arbeitsrechtliche Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs stellt ferner die einzige überzeugende Begründung für die allgemein vertretene These dar, dass es für die Anspruchsberechtigung bezüglich des Insolvenzgelds nicht darauf ankommt, ob es sich bei der geleisteten Tätigkeit um eine versicherungspflichtige Beschäftigung (§§ 25 ff SGB III) handelt (so im Ergebnis etwa auch E. Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 165 RdNr 30 <Stand 15.2.2021>; Voelzke in Küttner, Personalbuch, 28. Aufl 2021, RdNr 44 Stichwort "Insolvenz des Arbeitgebers"). Auch die Tatbestände, in denen § 27 SGB III ausnahmsweise die Versicherungsfreiheit anordnet, sind folglich ohne Belang für die Abgrenzung des insolvenzgeldberechtigten Personenkreises. Das hat zur Folge, dass Anspruch auf Insolvenzgeld etwa auch geringfügig Beschäftigte (§ 27 Abs 2 SGB III) und Schüler (§ 27 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III) haben können (siehe zu den Beispielen Fachliche Weisungen der BA zum Insolvenzgeld RdNr 165.5).

Dieses Verständnis entspricht schließlich der dogmatischen Einordnung des Insolvenzgelds, das keine Versicherungsleistung im engeren Sinne der Arbeitslosenversicherung darstellt. Es handelt sich um eine umlagefinanzierte Ausgleichsleistung, deren Kosten allein von den Arbeitgebern getragen werden (§§ 358 ff SGB III). Will man das Insolvenzgeld trotz der fehlenden typischen Gegenseitigkeit von Beitragszahlung und Leistungsberechtigung im Sinne eigener Risikovorsorge überhaupt als Versicherungsleistung bezeichnen, kann es sich nur um eine eigenständige Sozialversicherung handeln (so zum damaligen Konkursausfallgeld BT-Drucks 7/1750 S 1 f; gebilligt durch BVerfG vom 5.10.1993 - 1 BvL 34/81 - BVerfGE 89, 132, 144). Vor diesem Hintergrund liegt es nicht nahe, zur Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf die (versicherungspflichtig) Beschäftigten abzustellen.

Dass der Kläger nach arbeitsrechtlichen Maßstäben als Arbeitnehmer anzusehen ist, ergibt sich allerdings nicht bereits mit Tatbestandswirkung für die Beteiligten aus dem Umstand, dass er sich mit der AG am 29.2.2012 vor dem Arbeitsgericht München (Az 24 Ca 1405/11) über Ansprüche "aus dem Arbeitsverhältnis" verglichen hat und zuvor weder die dortigen Prozessparteien noch das Gericht Anlass gesehen haben, die Zulässigkeit des Rechtswegs in Frage zu stellen. Ob dies bei einem rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen Urteil anders wäre, hat der Senat im vorliegenden Revisionsverfahren nicht zu entscheiden (ablehnend bezüglich des Arbeitsentgeltanspruchs Senatsurteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 35/99 R - BSGE 87, 1 = SozR 3-4100 § 141a Nr 2 - juris RdNr 14).

Nach arbeitsrechtlichem Verständnis zeichnet sich ein Arbeitnehmer dadurch aus, dass er auf schuldvertraglicher Grundlage im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (seit 1.4.2017 in § 611a Abs 1 BGB kodifiziert, der dem auch zuvor in Rechtsprechung und Lehre einhellig vertretenen Meinungsstand entspricht, vgl BT-Drucks 18/9232, S 31). Das schon im streitgegenständlichen Zeitraum in § 106 Gewerbeordnung normierte Weisungsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber grundsätzlich, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung sowie Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb nach billigem Ermessen näher zu bestimmen.

Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), ist der Kläger als Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinn einzustufen. Danach haben der Kläger und die AG am 20.5.2011 einen Vertrag geschlossen, der den heute in § 611a BGB normierten Merkmalen entspricht. Auf dieser Grundlage ist ein Arbeitsverhältnis begründet und bis zum 30.9.2011 unverändert fortgeführt worden. Nach den Feststellungen des LSG ist zwischen dem Kläger und der AG weder im zeitlichen Zusammenhang mit seiner Bestellung zum Vorstand zum 27.6.2011 noch in der Folgezeit ein separater Anstellungsvertrag oder eine anderweitige schuldrechtliche Vereinbarung abgeschlossen worden.

Die formale Rechtsposition als Vorstand, die der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum überwiegend inne hatte, steht dem entgegen der Revision nicht von vornherein entgegen. Soweit der 10. Senat des BSG dies in seiner Entscheidung vom 22.4.1987 (Az 10 RAr 6/86 - BSGE 61, 282 ff = SozR 4100 § 141a Nr 8) abweichend beurteilt hatte, hält der inzwischen für das Arbeitsförderungsrecht allein zuständige erkennende Senat an dieser Rechtsansicht nicht fest. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass nach allgemeiner Ansicht zwischen der Organstellung und dem Innenverhältnis zu differenzieren ist, wie das LSG zutreffend erkannt hat (statt aller BGH vom 23.1.2003 - IX ZR 39/02 - NZA 2003, 439 ff; BAG vom 17.6.2020 - 7 AZR 398/18 - NZA 2020, 1470 ff; Giesen, ZfA 2016, 47, 48, 59; Henssler, RdA 1992, 289, 291). Dagegen vermochte der 10. Senat dem Anstellungsvertrag noch "keine eigenständige Bedeutung" beizumessen. Dementsprechend hat sich das Gericht seinerzeit maßgebend auf die mit der Organstellung verbundene "Arbeitgeberfunktion" gestützt. Diese bezieht sich indes auf das Verhältnis zwischen dem Vorstand (als Organ) und der Belegschaft und nicht auf das Verhältnis zwischen dem Vorstand (als Privatperson) und der Gesellschaft.

Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des § 84 Abs 1 Satz 5, Abs 4 Satz 5 und § 87 Aktiengesetz (AktG) lassen eindeutig erkennen, dass neben den Akt der Bestellung zum Vorstand einer Aktiengesellschaft ein Anstellungsvertrag tritt, den die Gesellschaft, vertreten durch den Aufsichtsrat (§ 112 Satz 1 AktG), mit dem jeweiligen Vorstand abschließt. Für diese privatautonome Vereinbarung enthält das Gesetz bestimmte zwingende Vorgaben (etwa die Höchstdauer nach § 84 Abs 1 Satz 5 AktG; dazu BAG vom 26.8.2009 - 5 AZR 522/08 - BAGE 132, 27 ff); im Übrigen wird sie inhaltlich maßgebend von der Rolle des Vorstands als Organ der Gesellschaft geprägt. Gleichwohl sind der Anstellungsvertrag und die Bestellung zum Vorstand rechtlich voneinander unabhängig (Trennungsprinzip). Während das Amtsverhältnis ein korporationsrechtliches Verhältnis ist, das durch den Akt der Bestellung zustande kommt, handelt es sich beim Anstellungsverhältnis um ein schuldrechtliches Austauschverhältnis zwischen dem Vorstandsmitglied und der Gesellschaft (eingehend zum Ganzen Kort in Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl 2015, § 84 RdNr 271 ff). Die Organstellung wird nicht davon beeinflusst, ob (bereits zuvor) ein wirksamer Anstellungsvertrag geschlossen worden ist. Inhalt und Fortbestand des schuldrechtlichen Vertrags hängen nicht von Beginn und Ende der Organstellung ab (BGH vom 23.1.2003 - IX ZR 39/02 - NZA 2003, 439 ff; BGH vom 10.1.2000 - II ZR 251/98 - NJW 2000, 1864 f; BGH vom 8.1.2007 - II ZR 267/05 - NZA 2007, 1174 f; BAG vom 28.9.1995 - 5 AZB 4/95 - NJW 1996, 614 f). Wegen der herausgehobenen Stellung des Vorstands als eigenverantwortlichem Geschäftsleiter ist der Anstellungsvertrag in aller Regel als freier Dienstvertrag iS von §§ 611, 675 BGB zu qualifizieren. Soll die geschuldete Geschäftsbesorgung ausnahmsweise unentgeltlich erfolgen, handelt es sich um einen Auftrag iS von § 662 BGB. Dagegen lässt sich der Anstellungsvertrag grundsätzlich nicht als Arbeitsvertrag iS von § 611a BGB ansehen, weil der Vorstand einer Aktiengesellschaft im Regelfall nicht zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (ebenso schon BGH vom 11.7.1953 - II ZR 126/52 - BGHZ 10, 187 ff; BGH vom 16.12.1953 - II ZR 41/53 - BGHZ 12, 1 ff; BGH vom 7.12.1961 - II ZR 117/60 - BGHZ 36, 142 ff; BGH vom 23.1.2003 - IX ZR 39/02 - NZA 2003, 439 ff; BGH vom 24.9.2019 - II ZR 192/18 - NJW 2020, 679 ff; Giesen, ZfA 2016, 47, 48; Thüsing in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl 2020, § 611a BGB RdNr 106; im Hinblick auf die Beschäftigung nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII auch BSG vom 15.12.2020 - B 2 U 4/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 2 Nr 55; ebenso für den Fremdgeschäftsführer einer GmbH BAG vom 21.1.2019 - 9 AZB 23/18 - BAGE 165, 61 ff). Dem steht insbesondere § 76 Abs 1 AktG entgegen, wonach ein AG-Vorstand seine Tätigkeit persönlich unabhängig verrichtet und die Kapitalgesellschaft unter eigener Verantwortung leitet (BGH vom 24.9.2019 - II ZR 192/18 - NJW 2020, 679 ff). Dies schließt ein inhaltliches Weisungsrecht des "Arbeitgebers" aus (eingehend zur Unabhängigkeit von Weisungen jeglicher anderer Beteiligter BSG vom 15.12.2020 - B 2 U 4/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 2 Nr 55). Anders als ein Arbeitnehmer unterliegt der Vorstand ferner hinsichtlich seiner nach § 87 AktG festzusetzenden Vergütung besonderen Treuebindungen und hat deshalb unter Umständen nachträgliche Veränderungen bis hin zu Gehaltskürzungen hinzunehmen (BGH vom 27.10.2015 - II ZR 296/14 - BGHZ 207, 190, 209 RdNr 52). Diese aktienrechtlichen Vorgaben unterscheiden das Anstellungsverhältnis eines AG-Vorstands maßgeblich von demjenigen eines GmbH-Geschäftsführers (so auch BGH vom 23.1.2003 - IX ZR 39/02 - NZA 2003, 439 ff; BSG vom 15.12.2020 - B 2 U 4/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 2 Nr 55). Erst recht erlauben sie in der Regel keine Einordnung als Arbeitsverhältnis (vgl auch BSG vom 14.3.2007 - B 11a AL 143/06 B - RdNr 9).

Wird indes ein Arbeitnehmer im Rahmen seines bestehenden Arbeitsverhältnisses mit einer Kapitalgesellschaft zu deren Organ bestellt, geht das BAG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass in dem Abschluss des diesbezüglichen Anstellungsvertrags im Regelfall zugleich die konkludente Aufhebung des zuvor bestehenden Arbeitsvertrags erblickt werden kann (BAG vom 14.6.2006 - 5 AZR 592/05 - BAGE 118, 278, 282 f mwN; BAG vom 19.7.2007 - 6 AZR 774/06 - BAGE 123, 294 ff; BAG vom 3.2.2009 - 5 AZB 100/08 - NJW 2009, 2078 f; BAG vom 15.3.2011 - 10 AZB 32/10 - NJW 2011, 2684 ff). Bestehen Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Parteiwillen oder ist etwa die in § 623 BGB vorgeschriebene Schriftform nicht gewahrt, ist davon auszugehen, dass der neue Dienstvertrag nur zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt, sodass die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nach dem Ende der Organstellung wieder aufleben können (Oetker in Staudinger <2019>, BGB, § 623 RdNr 62).

Nach diesen Maßstäben ist der Kläger im Insolvenzgeldzeitraum ausnahmsweise neben seiner Stellung als Vorstand auch Arbeitnehmer der AG gewesen (siehe zu dieser Möglichkeit auch Henssler, RdA 1992, 289, 292 ff, 299; Schlegel in Küttner, Personalbuch, 28. Auflage 2021, beck-online Stand 1.10.2021, RdNr 114 zu "Arbeitnehmer <Begriff>"; vgl ferner BAG vom 15.3.2011 - 10 AZB 32/10 - NJW 2011, 2684 ff; BAG vom 23.8.2011 - 10 AZB 51/10 - BAGE 139, 63 ff, beide zum GmbH-Geschäftsführer). Das LSG hat festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der AG am 20.5.2011 ein Arbeitsvertrag geschlossen worden ist. Bei dessen Zustandekommen sind sich die Vertragspartner darüber einig gewesen, dass der Kläger als "Stellvertretung Geschäftsleitung" tätig werden sollte. Dabei handelt es sich um die Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Bezeichnen die Parteien ihre Vereinbarung selbst als Arbeitsvertrag, besteht nach ständiger Rechtsprechung des BAG kein Anlass zur Prüfung, ob tatsächlich kein Arbeitsverhältnis, sondern ein anderer Austauschvertrag gewollt war (BAG vom 8.9.2015 - 9 AZB 21/15 - NJW 2015, 3469 ff RdNr 13 mwN; BAG vom 17.6.2020 - 7 AZR 398/18 - NZA 2020, 1470 ff). Im vorliegenden Fall stellt sich diese Frage auch nicht, weil die tatsächlichen Verhältnisse nach den Feststellungen des LSG nicht von der Bezeichnung abgewichen sind. Vielmehr hat der Kläger danach durchgehend weisungsunterworfen im Vertrieb der AG gearbeitet. Sein Arbeitsverhältnis ist bis zum 30.9.2011 unverändert fortgeführt worden. Nach den Feststellungen des LSG hat die Bestellung des Klägers zum Vorstand der AG am 27.6.2011 nicht zu einer Änderung der schuldvertraglichen Grundlage seiner Arbeitsleistung geführt; insbesondere ist kein Anstellungsvertrag über die Vorstandstätigkeit abgeschlossen worden. In einer solchen Ausnahmesituation liegt nach den dargelegten arbeitsrechtlichen Maßstäben weder eine Aufhebung noch eine Änderung des zuvor geschlossenen Arbeitsvertrags vor. Dieser hat nach den Feststellungen des LSG in Ermangelung einer anderweitigen Abrede auch nicht geruht, sondern ist durchgehend vollzogen worden. Durch die bloße gesellschaftsrechtliche Einräumung der Organstellung konnte das Innenverhältnis zwischen dem Kläger und der AG dagegen nach dem oben Gesagten nicht modifiziert werden.

Bei diesem Ergebnis ist der Senat nicht gehalten, das Verfahren nach Art 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union auszusetzen und den EuGH um Vorabentscheidung hinsichtlich der Auslegung des § 165 Abs 1 Satz 1 SGB III zugrundeliegenden Arbeitnehmerbegriffs und dessen Eignung zur Verwirklichung der Ziele der Insolvenzgeldrichtlinie (Richtlinie - RL - 2008/94/EG vom 22.10.2008, ABl L 283 vom 28.10.2008, S 36 ff) im Sinne eines effet utile (dazu nur BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 22/08 R - BSGE 104, 1 ff = SozR 4-2500 § 13 Nr 23), zu ersuchen. Sinn und Zweck der Richtlinie ist der Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers (Erwägungsgrund 3). Allen Arbeitnehmern ist ein Mindestschutz durch die Befriedigung nicht erfüllter Ansprüche aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen, die sich auf Arbeitsentgelt für einen bestimmten Zeitraum beziehen, durch eine Garantieeinrichtung zu gewährleisten (siehe nur EuGH vom 25.11.2020 - C-799/19 - juris RdNr 64 ff). Die Eigenschaft einer Person als Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft schließt es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH nicht aus, dass sich diese Person in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber der betreffenden Gesellschaft befindet (vgl EuGH vom 11.11.2010 - C-232/09 - ZIP 2010, 2414 RdNr 47 - Danosa; EuGH vom 9.7.2015 - C-229/14 - ZIP 2015, 1555 RdNr 38 mwN - Balkaya). Zwar überlässt Art 2 Abs 2 RL 2008/94/EG die Festlegung ua des Arbeitnehmerbegriffs an sich den Mitgliedstaaten, solange sie dort näher bestimmte Personen vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht ausschließen. Daher ist für das Insolvenzgeld nicht der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff des EuGH heranzuziehen (Giesen ZfA 2016, 47, 61; vgl zu dessen Anwendungsvoraussetzungen allgemein BSG vom 15.12.2020 - B 2 U 4/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, SozR 4-2700 § 2 Nr 55 - RdNr 20). Diese Gestaltungsfreiheit für den nationalen Gesetzgeber darf indes nicht im Sinne einer Beliebigkeit missverstanden werden, weil andernfalls die Insolvenzgeldrichtlinie leerlaufen könnte (vgl Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, Vor §§ 183-189 RdNr 18, Stand September 1999). Vielmehr sind die Grenzen des Mindestschutzes, den die in Rede stehende Richtlinie sicherstellt, zu beachten (EuGH aaO mwN). So hat der EuGH zur parallelen Problematik des Arbeitnehmerbegriffs der Leiharbeitsrichtlinie (Art 3 Abs 1 lit a Abs 2 RL 2008/104/EG) "die rechtliche Einordnung ihres Beschäftigungsverhältnisses nach nationalem Recht, die Art der zwischen den beiden Personen bestehenden Rechtsbeziehung und die Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses" für unerheblich gehalten, um die praktische Wirksamkeit der Richtlinie sicherzustellen (EuGH vom 17.11.2016 - C-216/15 - NZA 2017, 41, 43 - Ruhrlandklinik).

Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG hat der Kläger die übrigen anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen des streitigen Insolvenzgelds erfüllt. Er war im Inland beschäftigt. Das Insolvenzereignis lag in der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der AG mit Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 19.3.2013 - 2 IN 665/12. Zu diesem Zeitpunkt standen dem Kläger für die vorausgegangenen drei Monate des zum 30.9.2011 beendeten Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt in Höhe von 1681,50 Euro (netto) für August 2011 und 3640,75 Euro (netto) für September 2011 zu. Unschädlich ist dabei, dass das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses nicht mehr bestand; in einem solchen Fall endet der Insolvenzgeldzeitraum mit dem letzten Tag des Arbeitsverhältnisses (so schon Senatsurteil vom 25.6.2002 - B 11 AL 90/01 R - BSGE 89, 289 ff = SozR 3-4100 § 141b Nr 24 RdNr 15 zum Konkursausfallgeld). Der Kläger hat das Insolvenzgeld schließlich auch rechtzeitig beantragt (§ 324 Abs 3 Satz 1 SGB III).

Gemäß § 168 Satz 3 SGB III ist der (dem Kläger in Höhe von 3800 Euro geleistete) Vorschuss auf das Insolvenzgeld anzurechnen. Er wäre nur zu erstatten, wenn dem Kläger ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht oder nur in geringerer Höhe zuzuerkennen wäre (§ 168 Satz 4 SGB III). Beides ist hier nach dem oben Gesagten nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Voelzke                    Söhngen                    B. Schmidt

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