Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 13.12.2022, B 12 AL 1/21 R

Arbeitslosenversicherung - Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag - Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit - reduzierte Beitragsfestsetzung

Leitsätze

Ist ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag bestandskräftig festgestellt, kann der Ausschlussgrund der wiederholten Begründung und Unterbrechung eines derartigen Verhältnisses einer reduzierten Beitragsfestsetzung auf der Grundlage der Hälfte der monatlichen Bezugsgröße im ersten Jahr nicht entgegengehalten werden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. November 2020 aufgehoben. 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2017 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wird:

Die Bescheide der Beklagten vom 10. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Januar 2016 werden insoweit aufgehoben, als die Beklagte die Beiträge zur Arbeitsförderung nach beitragspflichtigen Einnahmen von mehr als 1417,50 Euro monatlich für die Zeit vom 25. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 und von mehr als 1452,50 Euro monatlich für die Zeit vom 1. Januar bis zum 23. Oktober 2016 festgesetzt hat. 

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für das vom Kläger als selbstständig Tätiger vom 25.10.2015 bis zum 23.10.2016 auf Antrag begründete Versicherungspflichtverhältnis. 

Der Kläger war in den Zeiträumen 1.2.2010 bis 31.1.2013 und 27.4.2014 bis 23.4.2015 als "Freiberufler" (ua Bildungsreferent/-trainer und Lehrbeauftragter) selbstständig tätig. Währenddessen begründete er jeweils ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag in der Arbeitslosenversicherung. Vom 2.2.2013 bis zum 26.4.2014 sowie vom 24.4. bis zum 24.10.2015 bezog der Kläger Arbeitslosengeld (Alg), ohne in einem Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag als selbstständig Tätiger zu stehen. Die beklagte Bundesagentur für Arbeit stellte für die Zeit ab 25.10.2015 wiederum ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag des Klägers und nach der Bezugsgröße West bemessene monatliche Beiträge (85,05 Euro, ab 1.1.2016: 87,15 Euro) fest (Bescheide vom 10.12.2015). Hiergegen erhob der Kläger ausschließlich mit dem Ziel der Berücksichtigung beitragspflichtiger Einnahmen iHv nur 50 Prozent der monatlichen Bezugsgröße Widerspruch. Zur Begründung führte er an, er habe seit dem 25.10.2015 neben der bisherigen Tätigkeit als Lehrbeauftragter "existenzgründend" auch eine Tätigkeit als Übersetzer und Autor aufgenommen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.1.2016). Das Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag endete mit Ablauf des 23.10.2016 (Bescheid vom 2.11.2016)

Das SG hat die Beklagte "unter Aufhebung der Bescheide" verurteilt, die Beiträge nach "50% der Bezugsgröße" zu bemessen (Urteil vom 17.3.2017). Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beitragsreduzierung komme nicht in Betracht, wenn ein auf Antrag Pflichtversicherter (zunächst) im Wesentlichen seine bisherige selbstständige Tätigkeit fortführe, auch wenn er sich gleichzeitig ein neues Tätigkeitsfeld erschließen wolle. Nach dem Sinn und Zweck der Beitragsprivilegierung, besonderen Schwierigkeiten während der unmittelbaren Startphase einer Existenzgründung Rechnung zu tragen, sei für eine Beitragsreduzierung Selbstständiger nur bei der Aufnahme einer existenzgründenden Tätigkeit Raum. Für dieses Ergebnis spreche auch die Erhöhung der Bemessungsgrundlage zum 1.1.2011 und die in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ebenfalls nur für Existenzgründer vorgesehene Beitragsprivilegierung (Urteil vom 5.11.2020)

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 28a Abs 1 und § 345b SGB III. Die Beitragsprivilegierung sei nicht auf eine einzige Selbstständigkeit oder Existenzgründung beschränkt. Weshalb mehrere Versicherungsverhältnisse aufgrund einer Beschäftigung, nicht aber bei einer selbstständigen Tätigkeit bestehen könnten, sei nicht ersichtlich. Unabhängig davon sei das bisherige Tätigkeitsfeld nicht erweitert, sondern eine weitere neue Tätigkeit aus einem anderen Berufsbereich aufgenommen worden, die sich als Existenzgründung darstelle. 

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. November 2020 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2017 zurückzuweisen. 

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen. 

Sie schließt sich den Ausführungen des LSG an. Nebeneinander bestehende Versicherungspflichtverhältnisse seien nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beitragsfestsetzung der Beklagten in den Bescheiden vom 10.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.1.2016 ist in dem angefochtenen Umfang (dazu A.) rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten (dazu B.). Der Senat hat lediglich den Tenor des wiederherzustellenden Urteils des SG klarstellend neu gefasst.

A. Streitgegenstand ist nur die Beitragsfestsetzung. Der Senat hat indes nicht darüber zu befinden, ob die von der Beklagten mit den angegriffenen Ausgangsbescheiden vom 10.12.2015 getroffene grundlegende Feststellung des Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag als selbstständig Tätiger nach § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III (idF des Beschäftigungschancengesetzes vom 24.10.2010, BGBl I 1417) ab dem 25.10.2015 rechtmäßig ist. Diese Regelung ist in Bestandskraft (§ 77 SGG) erwachsen und entfaltet bis zu ihrer Aufhebung mit Wirkung ab 24.10.2016 durch den Bescheid vom 2.11.2016 Bindungswirkung. Der Kläger hat sich von Anfang an zulässigerweise im Wege einer (Teil-)Anfechtungsklage (vgl dazu BSG Urteil vom 28.6.2022 - B 12 KR 11/20 R - juris RdNr 9, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 240 Nr 38 vorgesehen; BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 12 R 8/18 R - juris RdNr 14) allein gegen die Beitragsfestsetzung gewandt. Aufgrund der eingetretenen Bindungswirkung ist nicht zu entscheiden, ob das Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag zum 25.10.2015 zu Recht begründet worden ist oder nach § 28a Abs 2 Satz 2 SGB III (idF des Gesetzes zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung <Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetz - AWStG> vom 18.7.2016, BGBl I 1710) ausgeschlossen war.

B. Nach den für die Beitragsbemessung maßgebenden Vorschriften (dazu 1.) hat die Beklagte die Beiträge rechtswidrig nach einem Arbeitsentgelt in Höhe der monatlichen Bezugsgröße (West) bemessen. Vielmehr greift die Beitragsprivilegierung des § 345b Satz 2 und 3 SGB III (idF des Beschäftigungschancengesetzes vom 24.10.2010, BGBl I 1417; dazu 2.).

1. Rechtsgrundlage für die Bemessung der Beiträge zur Arbeitsförderung ist § 341 SGB III (idF des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland vom 2.3.2009, BGBl I 416). Danach werden die Beiträge nach einem Prozentsatz (Beitragssatz) von der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben (Abs 1 und 2). Beitragsbemessungsgrundlage sind die beitragspflichtigen Einnahmen, die bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden (Abs 3 Satz 1 und Abs 4). Gemäß § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III (in der vom 1.1.2011 bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung des Beschäftigungschancengesetzes vom 24.10.2010, BGBl I 1417, sowie der ab 1.8.2016 geltenden Fassung des AWStG vom 18.7.2016, BGBl I 1710) gilt für Personen, die ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, als beitragspflichtige Einnahme in Fällen des § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III ein Arbeitsentgelt in Höhe der monatlichen Bezugsgröße. Abweichend davon gilt bis zum Ablauf von einem Kalenderjahr nach dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit als beitragspflichtige Einnahme ein Arbeitsentgelt iHv 50 Prozent der monatlichen Bezugsgröße; dabei ist die Bezugsgröße für das Beitrittsgebiet maßgebend, wenn der Tätigkeitsort im Beitrittsgebiet liegt (§ 345b Satz 2 und 3 SGB III idF des Beschäftigungschancengesetzes aaO). Ist - wie hier nach den unangegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden und wird die selbstständige Tätigkeit an verschiedenen Orten ausgeübt, gilt der Ort des Wohnsitzes (hier: West-Berlin) als Tätigkeitsort (vgl § 11 Abs 2 SGB IV idF der Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710).

2. Gemessen daran war als beitragspflichtige Einnahme nicht die volle monatliche Bezugsgröße West (2015: 2835 Euro; 2016: 2905 Euro), sondern die auf 50 Prozent reduzierte monatliche Bezugsgröße (2015: 1417,50 Euro; 2016: 1452,50 Euro) zugrunde zu legen. Die Beitragsprivilegierung des § 345b Satz 2 SGB III bis zum Ablauf von einem Kalenderjahr nach dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit knüpft allein an die Aufnahme der das Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründenden selbstständigen Tätigkeit (dazu a) an, ohne dass es einer "Existenzgründung" oder eines vergleichbaren beruflichen Neustarts bedarf (dazu b).

a) Aufgrund der (insoweit) bestandskräftigen Verwaltungsakte der Beklagten vom 10.12.2015 und 2.11.2016 hat der Kläger in der hier streitigen Zeit vom 25.10.2015 bis zum 23.10.2016 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag als selbstständig Tätiger nach § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III begründet. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG hat der Kläger die zu diesem Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag führende selbstständige Tätigkeit als "Freiberufler" (Lehrbeauftragter, Autor und Übersetzer) am 25.10.2015 tatsächlich aufgenommen, sodass der streitige Zeitraum vollständig in dem von § 345b Satz 2 SGB III vorgegebenen zeitlichen Rahmen bis zum Ablauf von einem Kalenderjahr nach dem Jahr der Aufnahme der Tätigkeit lag.

b) Die Beitragsprivilegierung ist nicht von einer weiteren (ungeschriebenen) Voraussetzung in Form einer "Existenzgründung" oder eines vergleichbaren beruflichen Neustarts abhängig. Dieses Verständnis folgt aus dem Wortlaut des § 345b Satz 2 SGB III (dazu aa), der Gesetzessystematik (dazu bb) und der Intention des Gesetzgebers (dazu cc). Die in der GRV ggf anders ausgestaltete Beitragsprivilegierung selbstständig Tätiger steht dem nicht entgegen (dazu dd).

aa) Gegen eine einschränkende Auslegung von § 345b Satz 2 SGB III spricht der Wortlaut der Vorschrift. Danach wird allein an die "Aufnahme der selbständigen Tätigkeit" angeknüpft, ohne dies näher zu spezifizieren. Er enthält keine ausdrückliche Beschränkung der Beitragsreduzierung insbesondere für Fälle einer erstmaligen oder ggf nach Unterbrechung wiederholten Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Einen mit § 28a Abs 2 Satz 2 SGB III (dazu bb) vergleichbaren Ausschlusstatbestand normiert § 345b SGB III nicht. Ungeachtet dessen stellen andere Vorschriften des SGB III ausdrücklich auf den "Existenzgründer" und die "Existenzgründung" ab (§ 93 Abs 1 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854; zuvor § 57 Abs 1 SGB III idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706, und § 421l Abs 1 SGB III idF des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621).

bb) Die Gesetzessystematik belegt die alleinige Anknüpfung an die Aufnahme derjenigen selbstständigen Tätigkeit, die zur Begründung des Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag geführt hat. Sowohl § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III (Bemessung nach der monatlichen Bezugsgröße) als auch § 345b Satz 2 SGB III (Bemessung nach 50 vH der monatlichen Bezugsgröße) setzen jeweils ausdrücklich voraus, dass ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III als selbstständig Tätiger begründet worden ist ("[…] in Fällen des § 28a Absatz 1 Nummer 2 […]"). Für den Beginn der Beitragsreduzierung stellt § 345b Satz 2 SGB III darüber hinaus ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Aufnahme "der", nicht "einer" selbstständigen Tätigkeit ab. Damit wird ein unmittelbarer Bezug zu derjenigen selbstständigen Tätigkeit hergestellt, aufgrund derer das konkrete, der Beitragspflicht zugrunde liegende Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III (neu) begründet worden ist.

Dass bereits zuvor bis zum 23.4.2015 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag bestanden und der Kläger vom 24.4. bis zum 24.10.2015 Alg bezogen hat, ist insoweit unerheblich und betrifft lediglich den Ausschlusstatbestand des § 28a Abs 2 Satz 2 SGB III nach zweimaliger Unterbrechung der selbstständigen Tätigkeit mit Anspruch auf Alg, auf den § 345b Satz 2 SGB III aber nicht verweist. Die Ausschlussregelung betrifft die Begründung einer Antragspflichtversicherung und nicht die Bemessung der aufgrund eines zustandegekommenen Versicherungspflichtverhältnisses zu zahlenden Beiträge. Sie soll verhindern, dass Selbstständige Zeiten der freiwilligen Versicherung wiederkehrend mit Zeiten des Bezugs von Alg verbinden und damit die Versicherungsmöglichkeit der Antragspflichtversicherung zweckwidrig nutzen (BT-Drucks 17/1945 S 14 zu Nr 4 <§ 28a> zu Abs 2). Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, da - wie unter A. dargelegt - die Begründung des Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag in Bestandskraft erwachsen ist.

cc) Auch der Begründung des Gesetzentwurfs kann eine einschränkende Auslegung von § 345b Satz 2 SGB III nicht entnommen werden. Zwar ist es Sinn und Zweck dieser Vorschrift, den besonderen Schwierigkeiten während der unmittelbaren Startphase einer Existenzgründung durch den hälftigen Beitrag Rechnung zu tragen (vgl BT-Drucks 17/1945 S 17 zu Nr 14 <§ 345b> zu Buchst c). Eine Definition des Begriffs der Existenzgründung im Sinn eines beruflichen Neustarts ist jedoch nicht dokumentiert. Vielmehr legen die weiteren Gesetzesmaterialien zu den beitragspflichtigen Einnahmen bei der Antragspflichtversicherung ein weites Verständnis des Begriffs der Existenzgründung nahe. Danach sollten die Beiträge von "Auslandsbeschäftigten und Existenzgründern" an die Beitragslast der durchschnittlichen Beitragszahler angepasst werden. Daher sei als beitragspflichtige Einnahme der "Selbständigen und Auslandsbeschäftigten" grundsätzlich ein der monatlichen Bezugsgröße entsprechendes Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (BT-Drucks aaO zu Buchst b zu Doppelbuchst bb). Damit werden Existenzgründer mit Selbstständigen gleichgesetzt, ohne besondere Anforderungen an die selbstständige Tätigkeit zu stellen. Mithin ist danach jeder "Existenzgründer", der eine selbstständige Tätigkeit aufnimmt und ausübt. Gestützt wird dies durch § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III in der seit Einführung der Vorschrift durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) inhaltlich unveränderten Fassung. Danach können Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Auch die Gesetzesbegründung zur Schaffung einer freiwilligen Weiterversicherung von selbstständig Tätigen spricht von der Versicherungsberechtigung von Existenzgründern (BT-Drucks 15/1515 S 78 zu Nr 20)

Diesem Verständnis stehen nicht die Motive des Gesetzgebers für die Erhöhung der von selbstständigen Antragspflichtversicherten zu zahlenden Regelbeiträge zum 1.1.2011 entgegen. Nach § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III in der zuvor vom 1.2.2006 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) galt für Personen, die nach § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III als Selbstständige ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründeten, ein Arbeitsentgelt iHv 25 Prozent der monatlichen Bezugsgröße als beitragspflichtige Einnahme. Die Erhöhung durch § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III in der ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung des Beschäftigungschancengesetzes vom 24.10.2010 (BGBl I 1417) auf die uneingeschränkte monatliche Bezugsgröße als maßgebliche beitragspflichtige Einnahme verfolgt den Zweck, die dauerhafte Akzeptanz der freiwilligen Weiterversicherung bei der Versichertengemeinschaft zu gewährleisten und ein ausgewogeneres, die Leistungsfähigkeit der freiwilligen Weiterversicherung sicherstellendes Verhältnis zwischen Beitrag und Leistung herzustellen (vgl BT-Drucks 17/1945 S 17 zu Nr 14 <§ 345b> zu Buchst b zu Doppelbuchst bb). Diese Zielsetzung wird durch die aufgezeigte Auslegung des § 345b Satz 2 SGB III nicht in Frage gestellt. Die Vorschrift ist von vornherein nur bis zum Ablauf des ersten Kalenderjahrs seit dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit, die nach § 28a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründet, anzuwenden. Bei einer Aufnahme der entsprechenden selbstständigen Tätigkeit zum 1.1. könnte daher maximal für zwei Jahre die Beitragsreduzierung in Anspruch genommen werden (so auch J. Schneider in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 345b RdNr 17, Stand 15.1.2019). Im Falle einer Fortführung der selbstständigen Tätigkeit über diesen Zeitraum hinaus würden jedoch ggf auf unabsehbare Zeit volle Beiträge anfallen, sodass § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III potentiell weiterhin einen erheblichen Anwendungsbereich besitzt. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass selbst der hälftige Beitrag für selbstständig Tätige nach der hier geltenden Fassung des § 345b Satz 2 SGB III immer noch das Zweifache des zuvor vom 1.2.2006 bis zum 31.12.2010 nach § 345b Satz 1 Nr 2 SGB III zu entrichtenden vollen Beitrags beträgt. Eine Beitragsreduzierung für die Startphase der selbstständigen Tätigkeit sah die damalige Fassung nicht vor. Insoweit steht der hälftige Beitrag nach § 345b Satz 2 SGB III, gerade auch wegen der zeitlichen Begrenzung seiner Gewährung, einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Beitragszahlung und Leistung zumindest nicht entgegen. Damit bieten die Gesetzesmaterialien aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift nicht zur Anwendung kommen soll, wenn nicht zum ersten Mal eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen wird.

dd) Schließlich bedingt die Ausgestaltung der beitragspflichtigen Einnahmen selbstständig Tätiger nach dem Recht der GRV kein anderes Ergebnis. Dabei kann offenbleiben ob der sog halbe Regelbeitrag (so BSG Urteil vom 23.9.2020 - B 5 RE 3/19 R - BSGE 131, 32 = SozR 4-2600 § 231 Nr 8, RdNr 23) iHv 50 Prozent der Bezugsgröße nach § 165 Abs 1 Satz 2 SGB VI (idF des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621) bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach dem Jahr der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nur dann gewährt werden kann, wenn diese mit dem Charakter einer Existenzgründung, ggf auch erneut nach einer deutlichen Zäsur, aufgenommen wird und sich inhaltlich eindeutig von evtl bislang ausgeübten selbstständigen Tätigkeiten abgrenzen lässt (vgl dazu Wißing in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl 2021, § 165 RdNr 67, Stand 1.4.2021; Niemann in Hauck/Noftz, SGB VI, § 165 RdNr 18, Stand Mai 2019; Wehrhahn in BeckOGK-SGB VI, § 165 RdNr 34, Stand 1.8.2022; Segebrecht in Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, 6. Aufl 2021, § 165 RdNr 9). Der Begriff der "Aufnahme der selbständigen Tätigkeit" ist im Zusammenhang mit §§ 28a, 345b SGB III bereichsspezifisch auszulegen. Während die GRV in erster Linie der Altersvorsorge von Beschäftigten dient, hat das Recht der Arbeitsförderung zum Ziel, Arbeitslosigkeit zu vermeiden und deren Dauer zu verkürzen (§ 1 Abs 1 Satz 1 SGB III idF des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21.12.2008, BGBl I 2917). Eine die Arbeitslosigkeit und den Bezug von Alg beendende Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch eine Beitragsreduzierung vorübergehend zu fördern, trägt diesem Ziel Rechnung.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Heinz                        Waßer                                              Beck

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