Wird die gesetzliche Regelung einer Anspruchsvoraussetzung für eine Rente durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für mit dem Grundgesetz unvereinbar und unanwendbar erklärt und vom Gesetzgeber rückwirkend zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der BVerfG-Entscheidung aufgehoben, beginnt die Verzinsung der dadurch begründeten Rentennachzahlung nicht vor Aufhebung der Regelung.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt für die Zeit vom 1.9.2010 bis zum 30.9.2018 eine Verzinsung seiner für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 von der Beklagten im Jahr 2019 nachgezahlten Regelaltersrente.
Der im Jahr 1943 geborene Kläger beantragte im März 2010 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Landwirtschaftlichen Alterskasse Nordrhein-Westfalen, zunächst erfolglos eine Regelaltersrente. Das sich anschließende Klageverfahren wurde im Hinblick auf zwei zum BVerfG erhobene Verfassungsbeschwerden gegen Regelungen im Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ruhend gestellt. Nach der sog "Hofabgabeklausel" konnten Landwirte eine Regelaltersrente nur beanspruchen, wenn das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben worden war. Dementsprechend bewilligte die Beklagte dem Kläger auf einen erneuten Antrag eine Regelaltersrente ab Januar 2016, nachdem er seine landwirtschaftlichen Flächen verpachtet hatte.
Mit Beschluss vom 23.5.2018 (1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14), veröffentlicht mit Pressemitteilung Nr 68/2018 vom 9.8.2018, erklärte das BVerfG die Hofabgabeklausel mit dem Grundgesetz für unvereinbar. In der Folge hob der Gesetzgeber rückwirkend zum 9.8.2018 die entsprechende Regelung durch das Gesetz zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifizierungschancengesetz) vom 18.12.2018 (BGBl I 2651) auf.
Aufgrund einer vergleichsweisen Beendigung des ruhend gestellten Rechtsstreits gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 29.5.2019 eine Regelaltersrente ab dem 1.3.2010. Die Rentennachzahlung für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 in Höhe von insgesamt 24 989,86 Euro verzinste die Beklagte beginnend am 1.10.2018 und endend am 31.5.2019 (Bescheid vom 31.5.2019). Mit seinem Widerspruch forderte der Kläger eine frühere Verzinsung seiner Rentenansprüche ab dem 1.9.2010. Die Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, Ansprüche auf Gewährung einer Regelaltersrente nach Wegfall der Hofabgabeklausel könnten nicht vor dem Inkrafttreten der entsprechenden Gesetzesänderung zum 9.8.2018 fällig werden. Da Rentenansprüche erst am Ende des jeweiligen Monats fällig würden und die Rentennachzahlung gemäß § 44 SGB I frühestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit zu verzinsen sei, beginne die Verzinsung erst mit dem 1.10.2018 (Widerspruchsbescheid vom 11.7.2019).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.11.2019). Das LSG hat einen Anspruch auf eine frühere Verzinsung ebenfalls abgelehnt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Rentennachzahlungsanspruch sei erst am 31.8.2018 fällig geworden, weil die Anspruchsvoraussetzungen erst mit dem rückwirkenden Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 9.8.2018 vorgelegen hätten. Ein früherer Zinsbeginn ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des BVerfG vom 23.5.2018 (1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14). Das BVerfG habe den mit der Hofabgabe verbundenen Eingriff in das Sacheigentum lediglich in bestimmten, näher bezeichneten Härtefällen für verfassungswidrig erachtet, die Hofabgabeklausel nur für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt und von einer Nichtigerklärung abgesehen. Verwaltungsbehörden und Gerichte hätten bis zu einer Gesetzesänderung bereits laufende Verfahren nur aussetzen müssen. Es bestehe keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Rente schon für Zeiträume vor Inkrafttreten der Ge-setzesänderung zu verzinsen (Urteil vom 26.5.2021).
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 44 Abs 1 SGB I iVm § 45 Abs 1 ALG iVm § 118 Abs 1 SGB VI. Sein Rentenanspruch bestehe bereits ab dem 1.3.2010. Ab diesem Zeitpunkt habe die Beklagte die Regelaltersrente mit bestandskräftigem Bescheid bewilligt. Auf die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs komme es nicht an. Die frühere Verzinsung sei bei festgestellter Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Verzinsung geboten, um Nachteile der verspäteten Auszahlung auszugleichen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 2021 und des Sozialgerichts Münster vom 18. November 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 31. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juli 2019 zu verurteilen, die Nachzahlung der Regelaltersrente für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 bis einschließlich zum 30. September 2018 mit vier vom Hundert zu verzinsen, die Ansprüche für März bis Juli 2010 beginnend ab dem 1. September 2010 und die Ansprüche für die weiteren Monate jeweils beginnend am ersten Tag des übernächsten Monats.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
1. Mit seiner kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) begehrt der Kläger einen früheren Beginn der Verzinsung seiner Rentennachzahlung für die Monate März 2010 bis Dezember 2015, und zwar für die Ansprüche für März bis Juli 2010 einen Verzinsungsbeginn am 1.9.2010 und für die Ansprüche für die weiteren Monate jeweils einen Beginn der Verzinsung am ersten Tag des übernächsten Monats. Den noch im Berufungsverfahren zuletzt gestellten Antrag auf Verzinsung der Rentennachzahlung "bis zum 31.5.2019" hat der Kläger im Revisionsverfahren im Hinblick auf die von der Beklagten mit Bescheid vom 31.5.2019 bereits ab dem 1.10.2018 festgestellte Verzinsung auf den Zeitraum bis zum 30.9.2018 zulässig beschränkt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 99 Abs 3 Nr 2 SGG). Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist daher die Verwaltungsentscheidung der Beklagten im Bescheid vom 31.5.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.7.2019 nur noch insoweit, als auf die Rentennachzahlungen Zinsen nicht schon für einen Zeitraum vor dem 1.10.2018 gezahlt wurden.
2. Der Kläger kann von der Beklagten keine frühere Verzinsung seiner Rentenansprüche für die Monate März 2010 bis Dezember 2015 verlangen. Sein Anspruch auf Leistung einer Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte ist nicht zu einem früheren Zeitpunkt als dem von der Beklagten angenommenen fällig geworden. Der Kläger konnte von der Beklagten vor dem 9.8.2018 keine Rentennachzahlung verlangen.
a) Anspruchsgrundlage seines Zinsanspruchs ist § 44 Abs 1 SGB I. Danach sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Verzinst werden alle Sozialleistungen iS des § 11 Satz 1 SGB I und damit auch die Leistungen der Alterssicherung der Landwirte (§ 23 Abs 1, § 68 Nr 4 SGB I). Die Verzinsung beginnt gemäß § 44 Abs 2 SGB I grundsätzlich frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung.
aa) Die Fälligkeit von Ansprüchen auf Sozialleistungen tritt grundsätzlich mit ihrem Entstehen ein (§ 41 SGB I), dh sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 40 Abs 1 SGB I). Davon abweichend gilt die besondere Fälligkeitsregelung in § 45 Abs 1 ALG iVm § 118 Abs 1 Satz 1 SGB VI. Danach werden laufende Geldleistungen mit Ausnahme des Übergangsgeldes am Ende des Monats fällig, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. "Laufende Geldleistungen" sind Leistungen, die regelmäßig wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte gezahlt werden. Sie verlieren ihren Charakter nicht dadurch, dass sie verspätet oder als zusammenfassende Zahlung für mehrere Zeitabschnitte geleistet werden (vgl auch die Gesetzesmaterialien zur wortgleichen Formulierung in § 48 Abs 1 Satz 1 SGB I, BT-Drucks 7/868 S 31; BSG Urteil vom 3.7.2012 - B 1 KR 6/11 R - BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 11).
Für die Fälligkeit ist nicht entscheidend, wann die Verwaltung tätig wird, sondern nur, wann die im Gesetz bestimmten materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (vgl BSG Urteil vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 10 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 12 RdNr 16 und BT-Drucks 7/868 S 29). Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach Fälligkeit zu dem Zeitpunkt vorliegt, von dem ab der Gläubiger die konkrete Leistung frühestens fordern kann und der Schuldner sie bewirken muss, in dem also alle gesetzlichen Zahlungsvoraussetzungen gegeben sind (vgl BSG Urteil vom 23.6.1994 - 4 RA 70/93 - SozR 3-2600 § 300 Nr 3 S 5; BSG Urteil vom 3.4.2003 - B 13 RJ 39/02 R - BSGE 91, 68 = SozR 4-1300 § 31 Nr 1, juris RdNr 30 insoweit in BSGE und SozR nicht abgedruckt; BSG Urteil vom 20.12.2012 - B 10 LW 1/12 R - SozR 4-5860 § 15 Nr 1 RdNr 37; kritisch zur dogmatischen Einordnung Spellbrink in Kass Komm, SGB I, Stand März 2019, § 41 RdNr 14).
bb) Die Zahlungsvoraussetzungen für die Regelaltersrente des Klägers aus der Alterssicherung der Landwirte ab März 2010 lagen erst nach Aufhebung des § 11 Abs 1 Nr 3 ALG in der Fassung des Art 17 Nr 6 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.4.2007 (BGBl I 554 <569>; im Folgenden § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF) Erst mit Aufhebung dieser Vorschrift ist die Voraussetzung der Hofabgabe für einen Anspruch auf Regelaltersrente vollständig entfallen. Bis dahin hatten Landwirte nur dann einen Anspruch auf Regelaltersrente, wenn das Unternehmen der Landwirtschaft abgegeben wurde. Dafür musste grundsätzlich das Eigentum an den landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Ausnahme stillgelegter Flächen an einen Dritten übergegangen oder die landwirtschaftlich genutzten Flächen zumindest verpachtet, mit einem Nießbrauch zugunsten Dritter belastet oder in ähnlicher Weise die landwirtschaftliche Nutzung auf eigenes Risiko auf längere Dauer unmöglich gemacht worden sein. Auch galten bei Abgabe der landwirtschaftlich genutzten Flächen an den Ehegatten besondere Voraussetzungen (vgl § 21 ALG aF).
Die Aufhebung des § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF erfolgte durch Art 4a Nr 4 Buchst a Doppelbuchst cc iVm Art 6 Abs 3 Qualifizierungschancengesetz vom 18.12.2018 (BGBl I 2651) mit Wirkung vom 9.8.2018, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beschlusses des BVerfG vom 23.5.2018 (1 BvR 97/14, 1 BvR 2392/14 - BVerfGE 149, 86 = SozR 4-5868 § 21 Nr 4). Mit diesem Beschluss war die Vorschrift für mit Art 14 Abs 1 GG unvereinbar und damit insgesamt für unanwendbar erklärt worden. Das BVerfG sah durch die Hofabgabeklausel das Eigentumsgrundrecht des Landwirts aus Art 14 Abs 1 GG beeinträchtigt. Durch sie werde auf den Landwirt ein mittelbarer faktischer Druck zur Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens erzeugt. Zwar könne er sich frei entscheiden, ob er das landwirtschaftliche Unternehmen abgebe oder weiterführe; aber nur bei Abgabe erhalte er eine Rente. Nur wenn eine Rente bewilligt werde, sei es jedoch für den Landwirt letztendlich wirtschaftlich sinnvoll, jahrzehntelang Beiträge zur Alterssicherung der Landwirte zu leisten. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Hofabgabeklausel mehrere legitime agrarstrukturelle Ziele verfolgt. Die Verpflichtung zur Hofabgabe genüge jedoch nicht in allen Fällen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das BVerfG hat dazu Konstellationen angeführt, in denen die Grenze der Zumutbarkeit nicht mehr gewahrt sei, weil das Gesetz keine Härtefallregelung für die Hofabgabe vorsah. Solche Härtefälle nahm das BVerfG in Fällen an, in denen der abgabewillige Landwirt keinen zur Hofübernahme bereiten Nachfolger findet oder dies nur unter Bedingungen geschieht, die nicht zu Einkünften des Landwirts führen, mit deren Hilfe er seinen Lebensunterhalt in Ergänzung der Rente sicherstellen kann (vgl dazu im Einzelnen BVerfG aaO RdNr 98 ff). Sofern der Rentenanspruch eines Ehegatten von der Hofabgabe des anderen Ehegatten abhängig war, verletze dies Art 6 Abs 1 iVm Art 3 Abs 2 GG.
Das BVerfG erklärte § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF insgesamt für unanwendbar. Aufgrund der verschiedenen Möglichkeiten des Gesetzgebers, die festgestellte Verfassungswidrigkeit zu beheben und die Fälle einer Unzumutbarkeit der Hofabgabe näher zu bestimmen, sah das BVerfG ausdrücklich von einer Nichtigerklärung iS von § 95 Abs 3 Satz 2 BVerfGG ab (vgl BVerfG aaO RdNr 109). Die Nichtigerklärung einer Vorschrift wirkt auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens zurück und führt dazu, dass die vorherige Rechtslage wieder eintritt (vgl zuletzt BVerfG Beschluss vom 1.2.2023 - 1 BvL 7/18 - juris RdNr 190). Zwar stellt das BVerfG auch mit der Unvereinbarkeitserklärung die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes mit ex tunc-Wirkung fest. Die Entscheidungsformel ist bindend und ebenso wie die Erklärung der Nichtigkeit im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen (§ 31 BVerfGG). Im Unterschied zur Nichtigerklärung sind die beanstandeten Vorschriften aber weiterhin existent und bleiben Teil der Rechtsordnung (vgl Müller in Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl 2022, § 95 RdNr 114; Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 95 RdNr 50, Stand Januar 2017). Eine Unvereinbarkeitserklärung hat lediglich zur Folge, dass Gerichte und Verwaltungsbehörden die betroffene Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden dürfen, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung trifft. Verfahren, in denen die Norm streitentscheidend ist, sind bis zu einer Neuregelung auszusetzen (vgl ua BVerfG Urteil vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96 ua - BVerfGE 100, 104, 136 = SozR 3-2600 § 307b Nr 6 S 45; BVerfG Urteil vom 29.1.2003 - 1 BvL 20/99 ua - BVerfGE 107, 150, 186 f - RdNr 96; BVerfG Beschluss vom 7.5.2013 - 2 BvR 909/06 ua - BVerfGE 133, 377 RdNr 113; BVerfG Beschluss vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - BVerfGE 147, 1 RdNr 66).
Bei dieser Rechtslage durfte die Beklagte nicht vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung mit Wirkung zum 9.8.2018 Leistungen unter Außerachtlassung der Hofabgabeklausel gewähren. Erst aufgrund der Aufhebung von § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF entfiel die Hofabgabe vollständig als Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte. Bis zu diesem Zeitpunkt war nicht absehbar, in welcher Form der Gesetzgeber den vom BVerfG festgestellten Verfassungsverstoß beheben würde. Es stand ihm insbesondere offen, die Regelung beizubehalten und lediglich einzelne Fälle der Unzumutbarkeit der Hofabgabe näher zu bestimmen. Dazu wären Härtefallregelungen in den vom BVerfG beschriebenen Konstellationen denkbar gewesen, sodass die Grenze der Zumutbarkeit des Eingriffs in das Sacheigentum des Landwirts in allen Fällen der Hofabgabe gewahrt gewesen wäre. Anders als bei zu Unrecht abgelehnten Sozialleistungen, die aufgrund eines bestandskräftigen ablehnenden Bescheids zwar nicht durchgesetzt werden können, aber gleichwohl entstanden und ab ihrem Entstehen auch zu verzinsen sind (vgl BSG Urteil vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 11), stand bis zu der Gesetzesänderung in § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF nicht fest, ob der Kläger ab März 2010 die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Regelaltersrente erfüllen würde.
b) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Rechtsauffassung des Klägers auch nicht daraus, dass das BVerfG eine vorübergehende Weitergeltung von § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF nicht angeordnet hat. Die Hofabgabeklausel ist deshalb nicht schon früher und insbesondere nicht - wie der Kläger meint - "ex tunc" vollständig entfallen. Eine Fortgeltungsanordnung, die mit einer Unvereinbarkeitserklärung verbunden werden kann, hat lediglich zur Folge, dass Behörden und Gerichte anhängige Verfahren nicht aussetzen müssen und auf der Grundlage der verfassungswidrigen Norm (zeitlich befristet) zunächst weiter Entscheidungen treffen dürfen (vgl BVerfG Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234, 262 f = SozR 3-4100 § 137 Nr 3 S 35; BVerfG Urteil vom 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242, 269 f = SozR 3-3300 § 54 Nr 2). Dass die Hofabgabeklausel nicht weiter zur Anwendung kommen sollte, ändert die Rechtswirkungen der Unvereinbarerklärung nicht (vgl zur Fortgeltungsanordnung Müller aaO RdNr 115 ff).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist es im Hinblick auf den mit bestandskräftigem Bescheid vom 29.5.2019 bewilligten Rentenbeginn am 1.3.2010 auch nicht "unlogisch", dass der Beginn der Verzinsung und der Beginn des Leistungszeitraums nicht übereinstimmen. Wird ein Anspruch durch ein Gesetz erst rückwirkend begründet, so ist als Bezugspunkt für die Bestimmung des Zinsbeginns erst auf den Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes abzustellen (zu einem rückwirkend begründeten Erstattungsanspruch vgl BSG Urteil vom 13.10.1983 - 11 RA 49/82 - BSGE 56, 1 = SozR 1200 § 44 Nr 9, juris RdNr 14; zur Verzinsung von Rentenansprüchen bei Nachentrichtung von Beiträgen vgl auch BSG Urteil vom 1.3.1984 - 4 RJ 104/82 - juris RdNr 15). Die Beklagte hat die Rentennachzahlung an den Kläger bereits ab dem 1.10.2018 verzinst.
Auch aus § 94 Abs 1 Satz 1 ALG folgt nicht, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte schon früher erfüllt waren. Danach sind die Vorschriften dieses Gesetzes von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Eine weitergehende rückwirkende Geltung von Art 4a Qualifizierungschancengesetz vom 18.12.2018 (BGBl I 2651) kann daraus nicht folgen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 94 Abs 1 Satz 1 ALG, der für die Anwendung der Vorschriften des Gesetzes auf ihr Inkrafttreten abstellt. Indem die Anwendung der Vorschriften auf vor diesem Zeitpunkt bereits existente Sachverhalte angeordnet wird, wird eine tatbestandliche Rückanknüpfung zugelassen, allerdings nur "vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an" (zur wortlautgleichen Regelung in § 300 Abs 1 SGB VI vgl BSG Urteil vom 2.8.2000 - B 4 RA 54/99 R - SozR 3-2600 § 99 Nr 5 S 18). Zeitpunkt des Inkrafttretens der Gesetzesänderung in § 11 Abs 1 ALG aF war hier der 9.8.2018. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte das noch offene Verfahren des Klägers nach neuem Recht, dh ohne das Hofabgabeerfordernis, entschieden und ein Rentenanspruch auch für die Vergangenheit begründet werden (unter Bezugnahme auf § 94 Abs 1 ALG vgl auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drucks 19/6146 S 27).
Der Kläger kann sich für einen früheren Zinsbeginn auch nicht auf das von ihm herangezogene Urteil des BSG vom 9.5.1995 (10 RKg 7/94 - SozR 3-5870 § 10 Nr 6) beziehen. Die zur Verzinsung von rückwirkend gewährtem Kindergeld ergangene Entscheidung lässt sich nicht auf die Nachzahlung seiner Regelaltersrente aus der Alterssicherung der Landwirte übertragen. Nach einer verfassungsrechtlich gebotenen Kindergelderhöhung war nach diesem Urteil § 44e BKGG aF verfassungskonform auszulegen und es waren zusätzliche Nachteile der verspäteten Zahlung über eine Verzinsung auszugleichen. Während in jenem Fall gerade die Höhe der Sozialleistung für verfassungswidrig erklärt worden war und die Verfassungswidrigkeit nur durch Gewährung einer höheren Leistung beseitigt werden konnte, wurde die Höhe der Regelaltersrente für Landwirte hier nicht beanstandet und eine Korrektur dem Gesetzgeber überlassen. Bis zur Aufhebung des § 11 Abs 1 Nr 3 ALG aF war völlig offen, ob der Kläger für Zeiträume vor der Abgabe seines Hofes überhaupt eine Rentenleistung beanspruchen können würde.
c) Ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB war schon deshalb nicht zu prüfen, weil ein solcher weder im SGB selbst oder in einer spezialgesetzlichen Regelung ausdrücklich vorgesehen ist noch ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall vorliegt (vgl BSG Urteil vom 25.10.2018 - B 7 AY 2/18 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 8 RdNr 24 mwN).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Düring Hannes Körner