Die persönliche Arbeitslosmeldung wirkt bei fehlender Dienstbereitschaft der zuständigen Arbeitsagentur auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit zurück, wenn der erste Tag der Beschäftigungslosigkeit wegen Arbeitsunfähigkeit weiter zurückliegt.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. Juli 2021 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. April 2020 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungs- und das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 29.12.2018 bis 2.1.2019.
Die Klägerin stand bis zum 31.7.2018 in einem Arbeitsverhältnis. Vom 25.7. bis zum 28.12.2018 bezog sie Krankengeld. Da die zuständige Dienststelle bereits geschlossen hatte, meldete sich die Klägerin am 28.12.2018 (Freitag) nach 14.00 Uhr telefonisch beim Servicecenter der Beklagten ab dem 29.12.2018 arbeitsfähig und arbeitsuchend. Bis einschließlich 2.1.2019 war keine zuständige Arbeitsagentur dienstbereit. Die Klägerin meldete sich daher erst am 3.1.2019 (Donnerstag) persönlich arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin - zunächst vorläufig - für die Zeit ab dem 3.1.2019 Alg (Bescheid vom 18.2.2019). Den Widerspruch, mit dem die Klägerin die Bewilligung von Alg auch für die Zeit vom 29.12.2018 bis 2.1.2019 begehrte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.3.2019).
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte der Klägerin abschließend Alg für den Zeitraum vom 3.1. bis zum 28.2.2019 bewilligt (Bescheid vom 6.5.2019). Das SG hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6.5.2019 verurteilt, der Klägerin auch "in der Zeit" vom 29.12.2018 bis zum 2.1.2019 Alg zu zahlen (Gerichtsbescheid vom 8.4.2020). Die am 3.1.2019 erfolgte persönliche Arbeitslosmeldung entfalte nach § 141 Abs 3 SGB III aF trotz des vorherigen Krankengeldbezugs Rückwirkung, da frühestens an diesem Tag Dienstbereitschaft vorgelegen habe. Zwar sei die Vorschrift aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen. Sie sei jedoch infolge einer historischen und teleologischen Auslegung auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.
Auf die vom SG zugelassene Berufung hat das LSG den Gerichtsbescheid aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8.7.2021). Der Wortlaut des § 141 Abs 3 SGB III aF stelle für die Rückwirkung einer Arbeitslosmeldung auf den ersten Tag "der Beschäftigungslosigkeit" ab. Die beiden gesetzlich definierten Begriffe "Beschäftigungslosigkeit" und "Arbeitslosigkeit" könnten vom reinen Wortlaut und von der Gesetzessystematik her nicht gleichgesetzt werden. Weder eine andere Auslegung noch - mangels planwidriger Regelungslücke - eine analoge Anwendung seien möglich.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 141 Abs 3 SGB III aF. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung dieser Norm lägen vor. Verfassungsrechtliche Grundsätze geböten eine Gleichbehandlung gleich gelagerter Sachverhalte.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 8. Juli 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 8. April 2020 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Unrecht den der Klage stattgebenden Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat auch für den Zeitraum vom 29.12.2018 bis 2.1.2019 einen Anspruch auf Alg.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen nur noch der Bescheid vom 6.5.2019. Dieser hat den Bescheid vom 18.2.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.3.2019 (§ 95 SGG), der ursprünglich Gegenstand des Rechtsstreits war, gemäß § 96 Abs 1 SGG ersetzt. Zwar enthält der Bescheid vom 6.5.2019 ausdrücklich lediglich die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 3.1. bis zum 28.2.2019 und keine Ablehnung für den hier streitigen Zeitraum; er stellt aber inhaltlich die Ablehnung des Begehrens der Klägerin dar, ihr Alg bereits ab dem 29.12.2018 zu gewähren (vgl BSG vom 19.3.1986 - 7 RAr 48/84 - BSGE 60, 43 <44> = SozR 4100 § 105 Nr 2 S 2 = juris RdNr 13). Gegen diesen Bescheid wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG).
2. Die Klägerin hat auch für die Zeit vom 29.12.2018 bis 2.1.2019 einen Anspruch auf Alg. Infolge der fehlenden Dienstbereitschaft der zuständigen Dienststelle der Beklagten wirkte die Arbeitslosmeldung der Klägerin am 3.1.2019 auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit, nämlich den 29.12.2018 zurück.
Einen Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit (§ 136 Abs 1 Nr 1 SGB III) hat gemäß § 137 Abs 1, wer arbeitslos ist (Nr 1), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (Nr 3). Arbeitslos iS von § 137 Abs 1 Nr 1 SGB III ist gemäß § 138 Abs 1 SGB III, wer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit, Nr 1), sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen, Nr 2) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit, Nr 3). Die Klägerin war nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG arbeitslos in diesem Sinne und erfüllte die Anwartschaftszeit.
Die Klägerin hatte sich für den streitigen Zeitraum zudem arbeitslos gemeldet. Die Arbeitslosmeldung iS von § 137 Abs 1 Nr 2 SGB III ist in § 141 SGB III geregelt. Im vorliegenden Fall ist § 141 SGB III in der vom 1.4.2012 bis 31.12.2021 geltenden Fassung anzuwenden. Danach hat sich die oder der Arbeitslose persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden (Abs 1 Satz 1).
Die Arbeitslosmeldung ist materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Alg (BSG vom 19.3.1986 - 7 RAr 48/84 - BSGE 60, 43 <44> = SozR 4100 § 105 Nr 2 S 2 = juris RdNr 14; BSG vom 3.3.1993 - 11 RAr 101/91 - SozR 3-4100 § 105 Nr 1 S 2 = juris RdNr 14 - jeweils auch zum Folgenden). Sie hat die Erklärung einer Tatsache zum Inhalt, nämlich der Arbeitslosigkeit. Sie soll der Agentur für Arbeit die Kenntnis vermitteln, dass ein Leistungsfall eingetreten ist, damit diese Vermittlungsbemühungen entfalten kann, um die Arbeitslosigkeit und damit auch die Leistungspflicht möglichst rasch zu beenden.
a) Die telefonische Meldung der Klägerin am 28.12.2018 reichte zwar nicht aus, um das Erfordernis der persönlichen Arbeitslosmeldung iS des § 141 Abs 1 Satz 1 SGB III zu erfüllen (vgl Brand in ders, SGB III, 9. Aufl 2021, § 141 RdNr 2; Cormann in Böttiger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl 2019, § 141 RdNr 4; Lauer in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 141 RdNr 10; Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl 2023, § 141 RdNr 40; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 141 RdNr 30, Stand Juni 2022). Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm und der Gegenüberstellung mit der Parallelvorschrift des § 38 Abs 1 Satz 3 SGB III aF, der zwischen der persönlichen Arbeitsuchendmeldung und einer (formlosen) Anzeige differenziert.
b) Die persönliche Arbeitslosmeldung der Klägerin vom 3.1.2019 wirkt aber aufgrund einer analogen Anwendung des § 141 Abs 3 SGB III aF (seit dem 1.1.2022 § 141 Abs 2 SGB III) auf den 29.12.2018 zurück. Danach wirkt die persönliche Meldung an dem nächsten Tag, an dem die Agentur für Arbeit dienstbereit ist, auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit des oder der Arbeitslosen zurück, wenn die zuständige Agentur für Arbeit an diesem Tag nicht dienstbereit war. Eine örtlich zuständige Agentur für Arbeit war nach den Feststellungen des LSG vom 29.12.2018 bis 2.1.2019 nicht dienstbereit.
aa) Allerdings ist § 141 Abs 3 SGB III aF nicht unmittelbar anwendbar, da es sich beim 29.12.2018 nicht um den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit der Klägerin handelte. Beschäftigungslosigkeit iS von § 138 Abs 1 Nr 1 SGB III besteht nach der Rechtsprechung des BSG (zuletzt BSG vom 12.9.2019 - B 11 AL 20/18 R - juris RdNr 17 mwN), wenn die Beschäftigung faktisch ein Ende gefunden hat, wenn also die das Beschäftigungsverhältnis prägende persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten, die sich in der faktischen Verfügungsgewalt (Direktionsrecht) des Arbeitgebers und der Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers ausdrückt, entfällt (leistungsrechtlicher Beschäftigungsbegriff). Dies ist nach einer Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall zu beurteilen. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG war die Klägerin jedenfalls bereits seit dem 1.8.2018 - nach dem Ende ihres bis 31.7.2018 bestehenden Arbeitsverhältnisses - durchgehend beschäftigungslos.
Es handelt sich bei der Beschäftigungslosigkeit - wie sich aus § 138 Abs 1 SGB III ergibt - um eine Voraussetzung der Arbeitslosigkeit, sie ist aber mit dieser nicht identisch. Die Unterscheidung, die der Gesetzgeber zwischen Beschäftigungslosigkeit und Arbeitslosigkeit getroffen hat, steht einer Auslegung des § 141 Abs 3 SGB III aF dahingehend entgegen, hier - punktuell - diese begriffliche Differenzierung aufzugeben und von einer synonymischen Terminologie auszugehen (vgl Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 141 RdNr 81a, Stand Juni 2022; aA Bienert, info also 2020, 176 <177>).
Der erste Tag der Arbeitslosigkeit war hier der 29.12.2018, weil die Klägerin erst seit diesem Tag wegen des Eintritts der Arbeitsfähigkeit (auch) verfügbar iS des § 138 Abs 1 Nr 3 SGB III war.
bb) 141 Abs 3 SGB III aF ist aber auf die vorliegende Konstellation analog anzuwenden (zu den Voraussetzungen einer analogen Anwendung BSG vom 25.5.2022 - B 11 AL 29/21 R - SozR 4-4300 § 131a Nr 3 RdNr 19 unter Verweis auf BSG vom 3.11.2021 - B 11 AL 2/21 R - SozR 4-4300 § 131a Nr 1 RdNr 23 f mwN), weil sich insofern aus der Entstehungsgeschichte der Norm eine planwidrige Regelungslücke ergibt (aA Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 141 RdNr 81a, Stand Juni 2022).
Die Vorgängervorschrift in § 105 Satz 2 AFG bezog die Rückwirkung der Arbeitslosmeldung bei nicht dienstbereitem Arbeitsamt auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit, also nicht auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit. Die Nachfolgeregelung - § 122 Abs 3 SGB III in der vom 1.1.1998 bis 31.7.1999 geltenden Fassung - bestimmte sodann, dass, wenn das zuständige Arbeitsamt an einem Tag, an dem der Arbeitslose sich persönlich arbeitslos melden will, nicht dienstbereit ist, die persönliche Meldung an dem nächsten Tag, an dem das Arbeitsamt dienstbereit ist, auf den Tag zurückwirkt, an dem das Arbeitsamt nicht dienstbereit war. Nach dieser Regelung kam es also weder auf den ersten Tag der Arbeitslosigkeit noch den der Beschäftigungslosigkeit an, sondern auf den (subjektiven) Willen des Arbeitslosen, sich arbeitslos zu melden (so heute noch § 325 Abs 2 Satz 2 SGB III, der die Rückwirkung der Antragstellung aber "in gleicher Weise wie eine Arbeitslosmeldung" anordnet). Dies änderte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.8.1999 und formulierte mit § 122 Abs 3 SGB III aF die auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit abstellende Regelung, die dann ab 1.4.2012 mit lediglich redaktionellen Änderungen in § 141 Abs 3 SGB III aF überführt worden ist. Die Änderung des § 122 Abs 3 SGB III aF mit Wirkung zum 1.8.1999 beruht auf dem Motiv des Gesetzgebers, den erheblichen Prüfaufwand der Arbeitsämter hinsichtlich des subjektiven Elements zu vermeiden (vgl Begründung des Gesetzentwurfs vom 30.4.1999, BT-Drucks 14/873 S 12 f; siehe bereits BSG vom 17.3.2015 - B 11 AL 12/14 R - SozR 4-4300 § 131 Nr 6 RdNr 15). Indessen gibt es in den Gesetzesmaterialien keine Hinweise darauf, aus welchen Gründen, statt wie noch ausdrücklich in § 105 Satz 2 AFG und daran anknüpfend in § 122 Abs 3 SGB III in der vom 1.1.1998 bis 31.7.1999 geltenden Fassung, nicht mehr auf eine bestehende Arbeitslosigkeit, sondern auf den ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit abgestellt wird. Allein die Tatsache, dass der Begriff der Beschäftigungslosigkeit auch in der Begründung des Gesetzentwurfs verwandt wird, sagt über die Motivlage des Gesetzgebers nichts aus, sondern deutet nur auf eine Perpetuierung der Ungenauigkeit der Begriffswahl auch an dieser Stelle hin.
Ein Prüfaufwand der Arbeitsverwaltung hinsichtlich eines subjektiven Elements ist jedenfalls dann nicht erheblich und die Fallgruppe planwidrig in den Anwendungsbereich des § 141 Abs 3 SGB III nicht einbezogen, wenn das Auseinanderfallen des ersten Tags der Arbeitslosigkeit und des ersten Tags der Beschäftigungslosigkeit nicht auf dem freien Entschluss des Versicherten beruht, sondern auf dessen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Es bestehen auch keine sachlichen Gründe dafür, dass in dieser Konstellation der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt werden sollte oder müsste.
Eine Arbeitslosmeldung bereits bei Eintritt der Beschäftigungslosigkeit war im vorliegenden Fall nicht erforderlich, weil die Klägerin aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht verfügbar war. Die Arbeitslosmeldung der Klägerin am ersten dienstbereiten Tag der Agentur für Arbeit nach Ende der Arbeitsunfähigkeit wirkt deshalb auf den ersten Tag zurück, an dem die Klägerin wieder arbeitsfähig und damit verfügbar sowie arbeitslos iS des § 138 Abs 1 SGB III war.
Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 17.3.2015 (B 11 AL 12/14 R - SozR 4-4300 § 131 Nr 6 RdNr 15) die Rechtsfrage zur Rückwirkung der Arbeitslosmeldung anders beurteilt hat, hält er hieran nicht fest.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.
Meßling Burkiczak Söhngen