Arbeitslosengeldanspruch - Neuberechnung des Bemessungsentgelts wegen nachträglich zugeflossenem Arbeitsentgelt - Verzinsung der Nachzahlung des Arbeitslosengeldes - Verzinsungsbeginn - tatsächlicher Zufluss der Lohnnachzahlung - Verfassungsmäßigkeit
Ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld, der auf einer Neuberechnung des Bemessungsentgelts wegen nachträglich zugeflossenen Arbeitsentgelts beruht, ist erst nach diesem Zufluss fällig und zuvor nicht zu verzinsen.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit ist der Beginn der Verzinsung eines Anspruchs auf Nachzahlung von Arbeitslosengeld (Alg).
Die beklagte Bundesagentur für Arbeit (BA) bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1.8.2009 bis 31.10.2010 Alg in Höhe eines täglichen Leistungssatzes von 28,40 Euro. Grundlage war das in der Arbeitsbescheinigung der ehemaligen Arbeitgeberin angegebene Bruttoarbeitsentgelt (Bescheide vom 3.9.2009 und 20.1.2010).
Einen Überprüfungsantrag des Klägers vom 26.8.2013, mit dem dieser geltend gemacht hatte, er beanspruche von seiner ehemaligen Arbeitgeberin arbeitsrechtlich eine höhere Vergütung nach dem "equal pay"-Gebot, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24.10.2013). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kam es vor dem Bundesarbeitsgericht zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Arbeitgeberin zu einem Vergleich (Beschluss vom 13.4.2016). In diesem verpflichtete sich die Arbeitgeberin zu einer Lohnnachzahlung in Höhe von 64 758,85 Euro (netto), die am 13.5.2016 dem Konto des Klägers gutgeschrieben wurde. Das Ergebnis des Vergleichs teilte der Kläger der Beklagten am 2.6.2016 mit. Auf der Grundlage einer entsprechend korrigierten Arbeitsbescheinigung änderte die Beklagte die Leistungsbewilligung auf einen täglichen Leistungssatz von 55,15 Euro und gewährte eine Nachzahlung in Höhe von 12 037,50 Euro (Bescheide vom 15.5.2018).
Den Antrag des Klägers auf Verzinsung dieses Nachzahlungsanspruchs lehnte die Beklagte zunächst ab, bewilligte aber im Widerspruchsverfahren Zinsen in Höhe von 641,92 Euro für die Zeit vom 1.1.2017 bis 30.4.2018; für die Zeit bis 31.12.2016 lehnte sie eine Verzinsung weiterhin ab, weil der vollständige Leistungsantrag erst im Juni 2016 vorgelegen habe (Bescheid vom 26.7.2018; "Abhilfebescheid" vom 25.9.2018; Widerspruchsbescheid - ergangen erst im Berufungsverfahren - vom 12.5.2021).
Die dagegen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 19.5.2020). Das LSG hat das Urteil des SG geändert sowie die Beklagte verurteilt, den Nachzahlungsbetrag auch für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2016 mit vier Prozent pro Jahr zu verzinsen; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 20.7.2021). Der Anspruch auf Nachzahlung von Alg nach dem erhöhten Leistungssatz sei erst mit dem Zufluss der Arbeitsentgeltnachzahlung am 13.5.2016 iS des § 44 Abs 1 SGB I fällig geworden. Dies folge aus § 131 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB III aF, der als materiell-rechtliche Voraussetzung bestimme, dass Arbeitsentgelt, auf das der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch gehabt habe, als erzielt gelte, wenn es tatsächlich zugeflossen sei.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 131 Abs 1 SGB III aF, des § 44 Abs 1 iVm § 41 SGB I, des § 77 SGG iVm § 39 SGB X, des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs 1 GG sowie eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des LSG nach § 103 SGG und seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG bzw § 62 SGG. Der Zufluss iS des § 131 Abs 1 SGB III aF stelle keine materielle Fälligkeitsvoraussetzung des Anspruchs auf Alg dar, sondern bewirke nur die Erkenntnis der wahren Rechtslage. Dies folge schon aus den bestandskräftigen Änderungsbescheiden der Beklagten vom 15.5.2018. Seinen entsprechenden Vortrag habe das LSG nicht zur Kenntnis genommen. Die Verschiebung des Fälligkeitszeitpunkts auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses unter Außerachtlassung der Bestandskraft der Bescheide vom 15.5.2018 stelle eine Verletzung von § 77 SGG iVm § 39 SGB X dar und führe hinsichtlich des Beginns der akzessorischen Nebenforderung auf Verzinsung nach § 44 Abs 1 iVm § 41 SGB I zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung. Nach alledem habe das LSG das Datum des Zuflusses der Gehaltsnachzahlung nicht von Amts wegen ermitteln dürfen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Juli 2021 und des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. Mai 2020 sowie unter teilweiser Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 26. Juli 2018 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25. September 2018 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Mai 2021 zu verurteilen, den Nachzahlungsbetrag von 12 037,50 Euro auch für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis 30. Juni 2016 mit 4 Prozent pro Jahr zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf weitere Verzinsung des Alg-Nachzahlungsanspruchs.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Ablehnungsbescheid vom 26.7.2018 in der Fassung des Bescheids vom 25.9.2018 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.5.2021 (zur Nachholung des Vorverfahrens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 78 RdNr 3, unter Hinweis auf BSG vom 30.11.1961 - 4 RJ 183/59 - BSGE 16, 21 <23> = SozR Nr 5 zu § 78 SGG, juris RdNr 11). Der Bescheid vom 25.9.2018 ist trotz seiner Bezeichnung als "Abhilfebescheid" dahin auszulegen, dass die Beklagte dem Widerspruch des Klägers gegen den Ablehnungsbescheid und seinem Begehren auf Verzinsung nur teilweise für Zeit vom 1.1.2017 bis 30.4.2018 abgeholfen und eine Verzinsung für die noch streitige Zeit vom 1.10.2010 bis 30.6.2016 weiterhin abgelehnt hat. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 iVm Abs 4 SGG), die zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils gerichtet ist (§ 130 Abs 1 SGG). Der geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung durfte auch unabhängig von der Hauptforderung zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden (BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 8 mwN).
In der Sache hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verzinsung der Alg-Nachzahlung für die Zeit vor dem 1.7.2016, denn dieser Alg-Anspruch war erst am 31.5.2016 fällig.
Nach § 44 Abs 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier Prozent pro Jahr zu verzinsen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte mit den Änderungsbescheiden vom 15.5.2018 keine Regelung über die Fälligkeit des Nachzahlungsanspruchs auf Alg getroffen. Diese Bescheide verhalten sich lediglich zu der Frage, für welchen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren und in welcher Höhe die Nachzahlung beansprucht werden kann. Dafür spricht die Formulierung unter "6." der Bescheide, dass das bewilligte Alg "- von etwaigen Nachzahlungen abgesehen -" jeweils monatlich nachträglich ausgezahlt werde. Eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Fälligkeitsregelung ist damit gerade für die vorliegende Nachzahlungskonstellation nicht getroffen worden. Auch greifen die Bescheide den Begriff der Fälligkeit nicht auf.
Es gelten vielmehr die gesetzlichen Fälligkeitsregelungen, hier § 41 iVm § 40 Abs 1 SGB I und § 337 Abs 2 SGB III. Ansprüche auf Sozialleistungen werden nach § 41 iVm § 40 Abs 1 SGB I grundsätzlich mit ihrem Entstehen fällig, dh sobald die im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage vorliegen. Entscheidend ist der Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger die Leistung verlangen kann und der Schuldner sie leisten muss, in dem also alle gesetzlichen Zahlungsvoraussetzungen gegeben sind (vgl BSG vom 20.12.2012 - B 10 LW 1/12 R - SozR 4-5860 § 15 Nr 1 RdNr 37). Davon abweichend wird der Anspruch auf Alg nach der Auszahlungsregelung des § 337 Abs 2 SGB III erst zum Ende desjenigen Monats, für den Alg "nachträglich ausgezahlt" wird, also am Ende des Monats, in dem der Anspruch entsteht, fällig (zur Auslegung des § 337 Abs 2 SGB III BSG vom 29.11.2022 - B 11 AL 12/21 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen, juris RdNr 23; vgl zu § 122 AFG BSG vom 29.5.1990 - 11 RAr 147/88 - SozR 3-1200 § 44 Nr 2, juris RdNr 20).
Für die Frage, wann ein Anspruch auf die Sozialleistung Alg entsteht, ist nicht das Stammrecht auf Alg maßgeblich. Ein Stammrecht kann entsprechend seiner Natur (nur verfestigte Rechtsposition) selbst nicht fällig und damit auch nicht verzinst werden. Dies ist nur bezogen auf die aus dem Stammrecht hervorgehenden periodischen Einzelansprüche auf Alg der Fall (vgl BSG vom 23.6.1994 - 4 RA 70/93 - SozR 3-2600 § 300 Nr 3, juris RdNr 15, 17; Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl 2018, § 40 RdNr 17, § 44 RdNr 15; Lilge in Lilge/Gutzler, SGB I, 5. Aufl 2019, § 44 RdNr 32).
Der vorliegende Anspruch auf Alg entstand aber erst mit dem Zufluss der Nachzahlung aus dem Arbeitsverhältnis. Zwar entstehen Einzelansprüche bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich mit dem Beginn der Zeiträume, für die sie bestimmt sind (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 11/09 R - SozR 4-4300 § 57 Nr 6 RdNr 15; ferner BSG vom 24.3.1987 - 4b RV 33/86 - SozR 1200 § 44 Nr 18, juris RdNr 10 mwN). Der Anspruch auf Zahlung von Einzelansprüchen auf höheres Alg, bei denen die Erhöhung auf einer nachträglichen Erfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche beruht, folgt jedoch der Sonderregelung des § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF (ab 1.4.2012: § 151 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III). Abzustellen ist danach auf das Ende desjenigen Monats, in dem die verspätet ausgezahlten Arbeitsentgelte tatsächlich zugeflossen sind. Denn erst mit diesem tatsächlichen Zufluss sind die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für den Anspruch auf - wegen der erforderlichen nachträglichen Neubemessung - höheres Alg erfüllt. Erst dann kann der Arbeitslose höheres Alg beanspruchen. Schon der Wortlaut des § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF spricht vom tatsächlichen Zufluss. Dieses Verständnis folgt aber auch aus der Vor- und Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Regelung.
Für die Bemessung des Alg war nach § 112 Abs 1 Satz 1 AFG (einer Vorgängerregelung) das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat, heranzuziehen. Nach der vom BSG zunächst vertretenen sog "Zuflusstheorie" war nur das bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses abgerechnete und dem Arbeitslosen tatsächlich zugeflossene Arbeitsentgelt, als "erzielt" anzusehen (vgl etwa BSG vom 23.7.1992 - 7 RAr 2/92 - juris RdNr 19 ff mwN; instruktiv hierzu Arens/Boz Ali, NZS 1996, 158; Wissing, SGb 1995, 181).
Diese reine "Zuflusstheorie" hat der 7. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 28.6.1995 modifiziert (BSG vom 28.6.1995 - 7 RAr 102/94 - BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22, juris RdNr 29 ff). Er folgte nicht der sog "Anspruchstheorie", nach der dasjenige Arbeitsentgelt als erzielt anzusehen ist, das der Arbeitslose rechtlich für den Bemessungszeitraum zu beanspruchen hat, ohne dass das Arbeitsentgelt (nachträglich) zugeflossen sein muss (hierzu Pitschas, SGb 1990, 208; Wissing, SGb 1995, 181, 183 mwN; vgl ferner Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 46 f, Stand Juni 2021). Vielmehr müsse die Regelung des § 112 Abs 1 Satz 1 AFG im Lichte des Art 3 Abs 1 GG so ausgelegt werden, dass als "erzielt" auch diejenigen Teile des Arbeitsentgelts zu berücksichtigen seien, die dem Arbeitslosen nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis infolge nachträglicher Vertragserfüllung für den Bemessungszeitraum tatsächlich zugeflossen seien. Denn Arbeitslose, denen Teile des Arbeitsentgelts zunächst vorenthalten, aber später nachgezahlt worden seien, dürften bei der Leistungsbemessung nicht schlechter dastehen als diejenigen, deren Arbeitsentgelt rechtzeitig und vollständig bis zum Ausscheiden ausgezahlt worden sei (sog "kombinierte Anspruchs- und Zuflusstheorie"; BSG vom 28.6.1995 - 7 RAr 102/94 - BSGE 76, 162 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22, juris RdNr 29 ff unter Verweis auf BVerfG vom 11.1.1995 - 1 BvR 892/88 - BVerfGE 92, 53 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6; BSG vom 20.6.2002 - B 7 AL 56/01 R - SozR 3-4100 § 112 Nr 35, juris RdNr 22).
In Orientierung an dieser "kombinierten Anspruchs- und Zuflusstheorie" wurde die Regelung des § 134 Abs 1 Satz 2 SGB III mit Wirkung zum 1.1.1998 durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24.3.1997 (BGBl I 594) eingeführt und durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) mit Wirkung zum 1.1.2005 wortgleich in § 131 Abs 1 Satz 2 SGB III aF übernommen (zur Vor- und Entstehungsgeschichte BSG vom 5.12.2006 - B 11a AL 43/05 R - SozR 4-4300 § 134 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 8.2.2007 - B 7a AL 28/06 R - RdNr 16; Brackelmann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl 2023, § 151 RdNr 21; Brand in Brand, SGB III, 9. Aufl 2021, § 151 RdNr 10 f; Michalla-Munsche in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK SozR, § 151 RdNr 11, Stand 1.12.2022; aA Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 46 f, Stand Juni 2021, wonach der Gesetzgeber die "Anspruchstheorie" als gesetzliche Regelung übernommen habe). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung sollen Entgelte, die der Arbeitslose vor seinem Ausscheiden aus dem letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tatsächlich nicht erhalten hat, gleichwohl rückwirkend bei der Bemessung des Alg berücksichtigt werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Arbeitslose diese Entgelte beanspruchen konnte und sie, zur Vermeidung von Manipulationen durch nachträgliche rückwirkende Erhöhung der Arbeitsentgelte, auch tatsächlich zugeflossen sind (vgl BT-Drucks 13/4941 S 178 f zu § 134 Abs 1 SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung; BR-Drucks 557/03 S 250 zu § 131 Abs 1 SGB III aF). Damit wurde der tatsächliche Zufluss der Arbeitsentgelte zur materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzung erhoben.
Dem steht nicht entgegen, dass § 131 Abs 1 Satz 1 SGB III aF für das Bemessungsentgelt auf den Bemessungszeitraum abstellt, daher aufgrund nachträglicher Vertragserfüllung zugeflossene Arbeitsentgelte als im Bemessungszeitraum erzielt gelten (BSG vom 30.8.2018 - B 11 AL 15/17 R - BSGE 126, 217 = SozR 4-4300 § 150 Nr 5, RdNr 27) und dass die Nachzahlung der Arbeitsentgelte materiell-rechtlich wegen der durch sie erforderlich gewordenen Neuberechnung des im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelts auf die Zeit ab Anspruchsbeginn zurückwirkt (zur nachträglichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X BSG vom 21.3.1996 - 11 RAr 101/94 - BSGE 78,109 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48, juris RdNr 18 ff; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 151 RdNr 79, Stand 1.4.2014). Die Frage der Fälligkeit des durch das nachträglich iS des § 131 Abs 1 Satz 2 SGB III aF erzielte (beitragspflichtige) Arbeitsentgelt höheren Alg ist zu unterscheiden von der Frage, für welche Zeit - rückwirkend - dem Kläger ein erhöhtes Alg zu bemessen und zu zahlen ist (vgl BSG vom 9.9.1982 - 5b RJ 68/81 - SozR 1200 § 44 Nr 5, juris RdNr 11). Die nachträgliche Erfüllung einzelner Anspruchsvoraussetzungen - hier des § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF - lässt den Anspruch auf höheres Alg als solchen nicht rückwirkend entstehen. Denn nur wegen der nachträglichen Vertragserfüllung, dh nach dem tatsächlichen Zufluss der Arbeitsentgelte, kann der Arbeitslose höheres Alg verlangen und muss die BA höheres Alg leisten.
Ausgehend von dem tatsächlichen Zufluss der nachgezahlten Arbeitsentgelte am 13.5.2016 wurde der Nachzahlungsanspruch auf Alg in Höhe von 12 037,50 Euro nach § 337 Abs 2 SGB III zum 31.5.2016 fällig und war der Anspruch nach Ablauf eines vollständigen Kalendermonats (hierzu BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 15-16 mwN) erst ab dem 1.7.2016 zu verzinsen.
Ein früherer Beginn der Verzinsung des Nachzahlungsanspruchs auf Alg folgt nicht aus § 44 Abs 2 Alt 1 SGB I. Maßgebend für den Beginn der Verzinsung ist, ausgehend von dem Wortlaut des § 44 Abs 2 SGB I ("frühestens"), stets der spätere Zeitpunkt, abhängig davon, ob die Frist des § 44 Abs 1 SGB I oder diejenige des § 44 Abs 2 SGB I zuerst geendet hat (vgl BSG vom 9.9.1982 - 5b RJ 68/81 - SozR 1200 § 44 Nr 5, juris RdNr 12; BSG vom 3.7.2020 - B 8 SO 15/19 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 9 RdNr 15-16; im Ergebnis ebenso BSG vom 27.6.2017 - B 2 U 14/15 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 6 RdNr 14 f).
Die von dem Kläger gerügte Verletzung des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG vom 7.4.2022 - 1 BvL 3/18 - juris RdNr 239 mwN). Gemessen daran besteht in den von § 131 Abs 1 Satz 2 Alt 1 SGB III aF geregelten Fällen der nachträglichen Vertragserfüllung keine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Beginns der Verzinsung des Nachzahlungsanspruchs auf Alg im Vergleich zu Arbeitslosen, denen das (höhere) Arbeitsentgelt bereits im Bemessungszeitraum zugeflossen ist. Der Beginn der Verzinsung des (Nachzahlungs-) Anspruchs auf Alg beurteilt sich gleichermaßen anhand dessen Fälligkeit, die im Fall der nachträglichen Vertragserfüllung erst nach dem tatsächlichen Zufluss der Arbeitsentgelte eintritt. Letzteres ist sachlich gerechtfertigt, weil zuvor nicht absehbar ist, ob der Arbeitslose tatsächlich ein höheres beitragspflichtiges Arbeitseinkommen erzielt hat. Die kombinierte Anspruchs- und Zuflusstheorie dient zugleich der Verwaltungsvereinfachung, weil sie die BA von der Ermittlung entlastet, welche offenen Vergütungsansprüche einem Arbeitslosen möglicherweise gegen seinen früheren Arbeitgeber noch zustehen.
Ein früherer Beginn der Verzinsung lässt sich auch nicht auf den von der Rechtsprechung entwickelten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieser zielt ausdrücklich nicht ab auf Schadensersatz in Form eines finanziellen Ausgleichs, sondern ist gerichtet auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung eines Zustands, der bestünde, wenn der Versicherungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte. Wenn aber die Beklagte die Bescheide über höheres Alg - hier die Änderungsbescheide vom 15.5.2018 - zu einem früheren Zeitpunkt erlassen hätte, wäre der geltend gemachte Zinsanspruch ohnehin nicht entstanden (vgl BSG vom 9.9.1982 - 5b RJ 68/81 - SozR 1200 § 44 Nr 5, juris RdNr 13).
Die vom Kläger im Revisionsverfahren als Verfahrensfehler geltend gemachte Verletzung von § 103 SGG sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) durch das LSG liegen nicht vor. Der Sache nach macht der Kläger keinen Verfahrensmangel der unzureichenden Sachaufklärung geltend (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sondern wendet sich gegen die Ermittlung - seiner Rechtsauffassung nach - nicht entscheidungserheblicher Tatsachen. Dies vermag für sich genommen keinen Verfahrensmangel zu begründen. Das Gebot der Wahrung des rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht regelmäßig nur, die Ausführungen von Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es ist erst verletzt, wenn sich klar ergibt, dass das Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (zu alledem BSG vom 16.1.2007 - B 1 KR 133/06 B - RdNr 4 mwN; BSG vom 27.12.2011 - B 13 R 253/11 B - RdNr 15 mwN). Das LSG ist jedoch ersichtlich auf den Vortrag des Klägers, die Bescheide vom 15.5.2018 enthielten eine vorgreifliche Fälligkeitsregelung, eingegangen und hat sich in der angegriffenen Entscheidung hiermit auseinandergesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.
Meßling B. Schmidt Söhngen