Als Bildungs- und Teilhabebedarf sind auch Kosten zu übernehmen, die für eine von der Schule organisierte und verantwortete, auf dem Schulgelände durchgeführte Veranstaltung anfallen, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband dient und gleichermaßen außerhalb des Schulgeländes als Schulausflug stattfinden könnte.
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. April 2022 aufgehoben. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 28. November 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit steht die Erstattung von 10 Euro für die Teilnahme der Klägerin an einer von der Schule organisierten Zirkusprojektwoche auf dem Schulgelände.
Die Klägerin ist 2010 geboren und lebt zusammen mit ihrer allein sorgeberechtigten Mutter in einem Haushalt. Beide beziehen laufende Leistungen nach dem SGB II. Vom 9. bis 13.4.2018 veranstaltete die Schule, die die Klägerin seit Herbst 2017 besuchte, auf ihrem Sportplatz und einem auf dem Schulgelände aufgestellten Zirkuszelt eine Zirkusprojektwoche, die vom "Projekt Circus Aron" gestaltet wurde. Alle 186 Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 bis 6 sollten daran teilnehmen. Die Kosten je Kind beliefen sich auf 10 Euro. Den durch die Schulleiterin ua für die Klägerin gestellten Antrag vom März 2018, die Kosten für die Teilnahme zu übernehmen, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 15.3.2018; Widerspruchsbescheid vom 18.7.2018). Die Klägerin nahm an dem Projekt teil, ohne dass die Kosten durch Dritte getragen worden wären.
Während die Klägerin mit ihrer Klage auf Kostenerstattung vor dem SG erfolgreich war (Urteil vom 28.11.2019), hat das LSG auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 5.4.2022). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die Kosten seien nicht von § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 SGB II erfasst, wonach die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten zu übernehmen seien. Dem stehe bereits der Wortlaut der Regelungen entgegen. Auch wenn diese nach ihrem Sinn und Zweck eine Förderung des Zirkusprojekts einschlössen, sei einer wortlautgetreuen Auslegung der Regelungen der Vorzug zu geben. Nicht zuletzt unterfalle das Zirkusprojekt auch nicht § 28 Abs 7 SGB II, denn diese Regelung wolle nur außerschulische Aktivitäten in organisierten Freizeitveranstaltungen und insoweit eine Integration in die Gemeinschaft ermöglichen. Der Gesetzgeber sei auch nicht von Verfassungs wegen gezwungen, alle mit dem Schulbesuch einhergehenden Bedarfe durch eine Sonderregelung abzudecken. Die Kosten für die Teilnahme am Zirkusprojekt seien vielmehr aus dem Regelbedarf zu zahlen und dort strukturell zutreffend erfasst.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II. Zur Begründung führt sie ua aus, Sinn und Zweck der Regelung, die Ausgrenzung von Kindern aufgrund der wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern zu verhindern, gebiete die Übernahme von Kosten für alle schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen. Es sei, lege man das Verständnis des LSG zugrunde, letztlich vom Zufall abhängig, ob Kosten übernommen würden. Wäre nämlich die Projektwoche außerhalb des Schulgeländes durchgeführt worden, hätten die Voraussetzungen für die Annahme eines Schulausflugs vorgelegen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landesozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. April 2022 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 28. November 2019 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung von 10 Euro für ihre Teilnahme am schulischen Zirkusprojekt.
1. Gegenstand des Verfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 15.3.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.7.2018, mit dem der Beklagte die begehrte Kostenübernahme für die Teilnahme am Zirkusprojekt abgelehnt hat. Zutreffend verfolgt die Klägerin ihr Begehren als gerichtlich isoliert durchsetzbaren Anspruch (ausführlich BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 12/13 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 8 RdNr 14; BSG vom 5.7.2017 - B 14 AS 29/16 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 10 RdNr 10; zuletzt BSG vom 14.12.2021 - B 14 AS 21/20 R - BSGE 133, 187 = SozR 4-4200 § 28 Nr 12, RdNr 9).
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig, nachdem das SG sie in seinem Urteil zugelassen hatte (vgl § 144 SGG). Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 iVm Abs 4, § 56 SGG). Zwar ist statthafte Klageart im Streit über Teilhabeleistungen nach § 28 Abs 2 bzw Abs 7 SGB II regelmäßig die Verpflichtungsbescheidungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), weil die Art und Weise der Leistungserbringung im (Auswahl-)Ermessen der Behörde steht. Nach § 29 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des SGB II vom 13.5.2011, BGBl I 850; jetzt § 29 Abs 1 Satz 2 SGB II idF des Starke-Familien-Gesetzes vom 29.4.2019, BGBl I 530) bestimmen die kommunalen Träger, in welcher Form sie die Leistungen erbringen. Verschafft sich die leistungsberechtigte Person - wie hier die Klägerin - die im Streit stehende Leistung endgültig selbst, richtet sich das Begehren aber auf Kostenerstattung und damit auf eine Geldleistung, die im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen ist (vgl zuletzt BSG vom 14.12.2021 - B 14 AS 21/20 R - BSGE 133, 187 = SozR 4-4200 § 28 Nr 12, RdNr 10).
3. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Aufwendungen sind § 30 Satz 1 iVm § 28 SGB II sowie die §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II in der Fassung, die das SGB II zu Beginn des Projekts im April 2018 als dem maßgeblichen Zeitpunkt durch das Bundesteilhabegesetz vom 23.12.2016 (BGBl I 3234) erhalten hat (Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
4. Die Voraussetzungen für eine berechtigte Selbsthilfe liegen vor. Gemäß § 30 Abs 1 Satz 1 SGB II hat eine leistungsberechtigte Person einen Anspruch auf Übernahme der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie durch Zahlung an Anbieter in Vorleistung geht, soweit die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung zur Deckung der Bedarfe im Zeitpunkt der Selbsthilfe nach § 28 Abs 2 und 5 bis 7 SGB II vorlagen (§ 30 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II) und zu diesem Zeitpunkt der Zweck der Leistung durch Erbringung als Sach- oder Dienstleistung ohne eigenes Verschulden nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen war (§ 30 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II).
5. Die von § 30 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II verlangte Erfüllung der allgemeinen Leistungsvoraussetzungen ist gegeben. Die Klägerin erfüllte nach den bindenden Feststellungen des LSG die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II; ein Ausschlusstatbestand lag nicht vor. Auch standen ihr vorrangige Ansprüche nicht zu (vgl § 19 Abs 2 SGB II). Den nach damaliger Rechtslage noch erforderlichen gesonderten Antrag auf Leistungen ua nach § 28 Abs 2 SGB II (§ 37 Abs 1 Satz 2 SGB II in der bis 31.7.2019 maßgeblichen Normfassung) hat die stellvertretende Schulleiterin wirksam für die Klägerin gestellt. Ein - insoweit unterstellter - Mangel der Vollmacht wäre durch die konkludente Genehmigung der Antragstellung durch die allein sorgeberechtigte Mutter der Klägerin mit Einlegung des Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten geheilt (vgl nur BVerwG vom 27.2.2020 - 8 C 13.19 - Buchholz 428.2 § 1 VZOG Nr 9 RdNr 14 unter Verweis auf BVerwG vom 12.12.2018 - 10 C 10.17 - BVerwGE 164, 53 = Buchholz 428.2 § 1 VZOG Nr 8 RdNr 29; BVerwG vom 24.6.1999 - 7 C 20.98 - BVerwGE 109, 169 = Buchholz 428 § 30a VermG Nr 10). Der Beklagte hat zu Unrecht den rechtzeitig gestellten Antrag abgelehnt. Die Klägerin war daher im Zeitpunkt der Selbsthilfe durch Zahlung der Kosten ohne Verschulden nicht in der Lage, den Zweck der Leistung durch Erbringung als Sachleistung zu erreichen.
6. In einer nach Sinn und Zweck der Regelung vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte gebotenen Analogie zu § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II ist auch eine von der Schule organisierte und verantwortete, auf dem Schulgelände durchgeführte Veranstaltung, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband dient (schulische Gemeinschaftsveranstaltung), die aber gleichermaßen außerhalb des Schulgeländes als Schulausflug stattfinden könnte, von der Regelung erfasst.
Eine Analogie, die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist, nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert (BSG vom 16.11.1999 - B 1 KR 16/98 R - SozR 3-2500 § 38 Nr 2 S 10 = juris RdNr 15) und eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegt (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN; BSG vom 23.11.1995 - 1 RK 11/95 - BSGE 77, 102 = SozR 3-2500 § 38 Nr 1; BSG vom 16.4.2002 - B 9 VG 1/01 R - BSGE 89, 199, 202 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 f mwN). Ob eine Gesetzeslücke vorliegt, ist danach zu beurteilen, ob die vom Regelungsprogramm des Gesetzgebers erfassten Fälle in den gesetzlichen Vorschriften tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben. Sie ist zu bejahen, wenn festzustellen ist, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasst, die nach dem Sinn und Zweck der Regelung erfasst sein sollten (vgl nur BVerwG vom 12.9.2013 - 5 C 35.12 - BVerwGE 148, 13 = Buchholz 436.511 § 36a SGB VIII Nr 3 mwN). So liegt der Fall hier - eine Regelungslücke ist gegeben.
a) Der Wortlaut des § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II (in der vom 1.1.2017 bis 31.12.2019 gültigen Normfassung des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824) erfasst keine Veranstaltungen wie vorliegend in Bezug genommen. Danach werden bei Schülerinnen und Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge anerkannt, nach Nr 2 Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten. Beide Begriffe ("Schulausflüge", "Klassenfahrten") werden grundsicherungsrechtlich nicht definiert. Anders als bei der mehrtägigen Klassenfahrt nach § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB II (dazu BSG vom 22.11.2011 - B 4 AS 204/10 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 15) ist zur Ausfüllung des Begriffs eine ausdrückliche Bezugnahme auf landesschulrechtliche Bestimmungen nicht vorgesehen.
Zumindest nach allgemeinem Wortverständnis lassen aber beide Begriffe erwarten, dass es sich um eine schulische Veranstaltung handelt, die mit dem Verlassen der Schule/des Schulgeländes verbunden ist. Daher werden in der Literatur Schulausflüge und Klassenfahrten allgemein dahin umschrieben, dass es sich um eine in schulischer Verantwortung organisierte und durchgeführte Veranstaltung handelt - was hier unzweifelhaft gegeben ist -, die mit einem Verlassen des Schulgeländes verbunden ist (vgl nur Voelzke in Hauck/Noftz SGB II, K § 28 RdNr 37, Stand Juli 2022; Lenze in Münder/Geiger SGB II, 7. Aufl 2021, § 28 RdNr 8; Burkiczak in Estelmann SGB II, § 28 RdNr 54, Stand März 2021; Leopold/Buchwald in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 28 RdNr 73; eine "Veranstaltung außerhalb der Schule" verlangen Schwabe in BeckOGK SGB II, § 28 RdNr 10, Stand März 2019 und BSG vom 22.11.2011 - B 4 AS 204/10 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 15 RdNr 15 zur Klassenfahrt). Im schulischen Kontext wird dies mit "Lernen an einem anderen Ort" umschrieben. Daran fehlt es vorliegend ebenso wie an mindestens einer Übernachtung der Klägerin außerhalb der elterlichen Wohnung, was für die Annahme einer mehrtägigen Klassenfahrt iS des § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB II aber konstitutives Merkmal ist (BSG vom 23.3.2010 - B 14 AS 1/09 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 9 RdNr 15).
b) Andere Regelungen, die zur Finanzierung des hier geltend gemachten Bedarfs herangezogen werden könnten sind nicht vorhanden.
aa) Die Kosten hat die Klägerin nicht aus dem Regelbedarf zu zahlen. Bildungsbedarfe im schulischen Kontext, die von § 28 Abs 2 SGB II erfasst werden, sind vielmehr zur Sicherung des Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringen, sie ergänzen diesen (BT-Drucks 17/3404 S 104). Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) wurden zur Umsetzung des vom BVerfG formulierten Gestaltungsauftrags hinsichtlich der Bedarfe insbesondere schulpflichtiger Kinder (BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 192) in § 28 Abs 2 bis 7 SGB II im Sinne eines abschließenden Katalogs (§ 28 Abs 1 Satz 1 SGB II) weitere, neben dem Regelbedarf zu erbringende Leistungen zur Deckung von Bildungs- und Teilhabebedarfen normiert. Der Gesetzgeber erkannte, dass in Bildung und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft für Kinder und Jugendliche eine Schlüsselfunktion für die Herstellung von Chancengerechtigkeit liegt und eine ungünstige materielle häusliche Ausgangsbasis für Kinder und Jugendliche kein Hinderungsgrund sein darf, am Leben Gleichaltriger teilzuhaben. Die materielle Ausstattung von Schülerinnen und Schülern, die Teilnahme an schulischen Aktivitäten sowie die außerschulische Bildung seien daher gesondert und zielgerichtet zu erbringen, um gesellschaftliche Exklusionsprozesse zu beenden (BT-Drucks 17/3404 S 42, 104).
bb) Auch ist der geltend gemachte Bedarf nicht von § 28 Abs 7 Satz 1 SGB II erfasst. Danach werden für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft pauschal 10 Euro (nach der bis 31.7.2019 maßgeblichen Normfassung) monatlich berücksichtigt, sofern bei Leistungsberechtigten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, tatsächliche Aufwendungen im Zusammenhang mit Aktivitäten in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, Unterricht in künstlerischen Fächern (zum Beispiel Musikunterricht) und vergleichbare angeleitete Tätigkeiten der kulturellen Bildung und Freizeit entstehen. Diese Regelung dient nach ihrer Entstehungsgeschichte sowie nach Sinn und Zweck aber nur dazu, außerschulische Bedarfe zu decken (vgl dazu ausführlich BSG vom 10.9.2013 - B 4 AS 12/13 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 8 RdNr 20, 22). Dazu zählt eine schulisch organisierte und sich - nur - an die Kinder der Klassenstufen 1 bis 6 der Schule richtende Veranstaltung wie das Zirkusprojekt nicht.
cc) Ein (höherer) Anspruch unter Berücksichtigung des sog Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II scheidet ebenfalls aus. In der bis 31.12.2020 maßgeblichen Normfassung (des am 3.6.2010 in Kraft getretenen Gesetzes vom 27.5.2010, BGBl I 671; zu den Motiven vgl BT-Drucks 17/1465 S 8 f) war ein Mehrbedarf nur anzuerkennen, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf bestand. Unabhängig von den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen scheitert die Anwendung der Regelung hier bereits daran, dass es sich um einen einmaligen, nicht einen laufenden Bedarf handelt; eine analoge Anwendung des § 21 Abs 6 SGB II auf einen einmaligen Bedarf kam insoweit nicht in Betracht (vgl BSG vom 12.5.2021 - B 4 AS 88/20 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 35 RdNr 28).
7. Die Aufnahme einer von der Schule organisierten und verantworteten, auf dem Schulgelände durchgeführten Veranstaltung, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder im Klassen- oder Schulverband dient, aber gleichermaßen außerhalb des Schulgeländes als Schulausflug stattfinden könnte, ist planwidrig nicht in den Normtatbestand des § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II aufgenommen worden. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte der Regelung sowie nach ihrem Sinn und Zweck.
a) Nach § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II, der Vorgängerregelung des § 28 SGB II, waren bis 31.12.2010 Leistungen nur für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht vom Regelbedarf erfasst und gesondert zu erbringen. Eintägige Unternehmungen fielen darunter grundsätzlich nicht, sofern nicht nach Maßgabe schulrechtlicher Bestimmungen die Teilnahme an einer mehrtägigen Klassenfahrt von der vorherigen Teilnahme an einer eintägigen Veranstaltung abhing (BSG vom 23.3.2010 - B 14 AS 6/09 R - BSGE 106, 78 = SozR 4-4200 § 37 Nr 2, RdNr 11; BSG vom 23.3.2010 - B 14 AS 1/09 R = SozR 4-4200 § 23 Nr 9 RdNr 16). Aufwendungen für eintägige Veranstaltungen waren daher im Grundsatz aus dem Regelbedarf zu bezahlen.
Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) wurden als § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II auf Anregung der schulischen Praxis Schulausflüge aufgenommen (vgl BT-Drucks 17/3404 S 104). Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler aus bedürftigen Haushalten an Schulausflügen wegen der damit verbundenen hohen Kosten seltener teilnähmen. In Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern im Bezug existenzsichernder Leistungen fänden deshalb bisweilen gar keine Klassenausflüge mehr statt. Dieser für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen negativen Entwicklung sollte mit Leistungen für Schulausflüge entgegengewirkt werden.
Doch kann nach der Begründung des Gesetzentwurfs vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung eines eigenständigen Anspruchs auf Bildungs- und Teilhabeleistungen und dem angestrebten Ziel der Integration aller Kinder in schulische Gemeinschaftsveranstaltungen nicht davon ausgegangen werden, dass der Ausschluss der Kostenübernahme für eine auf dem Schulgelände stattfindende Gemeinschaftsveranstaltung, die ohne Veränderung ihres Inhalts als "Schulausflug" bzw "Lernen an einem anderen Ort" auch außerhalb des Schulgeländes stattfinden könnte, gewollt war. Es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten für eine solche bewusste Entscheidung. Vielmehr wollte der Gesetzgeber umfassend die materielle Basis für Chancengerechtigkeit sicherstellen und gesellschaftliche Exklusionsprozesse im schulischen Kontext verhindern (Voelzke in Hauck/Noftz SGB II, K § 28 RdNr 14, Stand Juli 2022).
b) Der vorliegende und der vom Gesetz geregelte Sachverhalt ("Schulausflug") sind vergleichbar. Das Verlassen oder Nicht-Verlassen des Schulgeländes macht unter den genannten Voraussetzungen für die Frage der sozialen Teilhabe von Kindern an schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen bzw die mit ihrem Fernbleiben verbundene Ausgrenzung und Stigmatisierung keinen relevanten Unterschied. Bleiben Kinder aus finanziellen Gründen einer Veranstaltung fern, die sich an die gesamte Klasse, Klassenstufe oder - wie hier - die Klassen 1 bis 6 richtet und auf dem Schulgelände stattfindet, ist eine Ausgrenzung der betroffenen Kinder im Gegenteil erst recht nicht zu vermeiden. Sie wird schon wegen des Sich-Aufhalten-müssens auf dem Schulgelände außerhalb des Zirkusprojekts, aber zusammen mit den übrigen, an der Veranstaltung teilnehmenden Kindern offensichtlich. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob es sich bei dem Zirkusprojekt um eine schulische Pflichtveranstaltung handelt, solange sich die Veranstaltung ihrer Struktur nach an alle Kinder einer Klasse, wie hier bestimmte Klassenstufen oder an die gesamte Schule richtet und an die Stelle des ansonsten üblichen Unterrichts tritt.
Dass das Zirkusprojekt sich über mehrere Tage (ohne Übernachtung) erstreckt, steht einer Vergleichbarkeit ebenfalls nicht entgegen: auch Schulausflüge mit Zielen außerhalb des Schulgeländes müssen sich nicht auf einen Tag pro Woche/Monat beschränken, sondern können, zB in Projektwochen, an mehreren Tagen nacheinander stattfinden.
c) Auch wandelt sich § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II durch ein solches Verständnis nicht in einen allgemeinen Auffangtatbestand für alle denkbaren schulischen (Pflicht-)Veranstaltungen, die mit Kosten verbunden sind. Weder Kosten für Veranstaltungen auf dem Schulgelände, die ihrer Natur nach privat sind, wie zB Sommerfeste, oder die durch die Beauftragung Dritter für die Gestaltung von Unterricht im üblichen Fächerkanon ohne Lernortwechsel entstehen, können nach diesem Normverständnis als von § 28 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II umfasst angesehen werden. Diese Kosten sind im Grundsatz aus dem Regelbedarf zu zahlen, soweit nicht landesrechtliche Regelungen dem Schulträger Finanzierungsverpflichtungen auferlegen (vgl dazu aber auch BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 197) oder ggf ein Anspruch auf den Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
S. Knickrehm Neumann Siefert