Die Revision der klagenden Person gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der klagenden Person auf Kostenübernahme für eine beidseitige Mastektomie (operative Brustentfernung) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die klagende Person wurde 1997 als Frau geboren. Sie ist bei der beklagten Krankenkasse (KK) gesetzlich krankenversichert. Unter der Rubrik Geschlecht ist für sie im Personenstandsregister seit Oktober 2019 "ohne Angabe" eingetragen. Am 4.12.2019 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Mastektomie beider Brüste und stützte sich dafür auf einen Arztbrief, der eine transidentitäre Geschlechtsidentitätsstörung diagnostizierte. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, das Vorliegen eines manifestierten Transsexualismus sei nicht belegt (Bescheid vom 5.12.2019). Im Widerspruchsverfahren legte die klagende Person ein Indikationsschreiben ihrer Psychotherapeutin sowie ein Attest ihrer Hausärztin vor und teilte mit, sie leide an einer Geschlechtsidentitätsstörung; die Diagnose Transsexualismus treffe auf sie als non-binäre Person nicht zu. Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam zu dem Ergebnis, es bestünden eine Störung der Geschlechtsidentität, nicht näher bezeichnet (F64.9), sowie Anpassungsstörungen (Gutachten vom 2.3.2020). Außer bei Transsexualität gebe es keine Grundlage für eine geschlechtsangleichende Operation. Am 28.5.2020 ließ die klagende Person die Mastektomie stationär durchführen und zahlte dafür 5305,32 Euro. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.10.2020).
Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 14.4.2021): Der Anspruch transgeschlechtlicher Personen auf Operationen am gesunden Körper gelte unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes auch für non-binäre Personen. Das LSG hat das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Ansprüche auf Behandlungsmaßnahmen, die die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale erhöhten, seien ausgeschlossen. Die klagende Person wolle ihren Körper an ihre non-binäre Identität angleichen, für die aus der Sicht eines verständigen Betrachters kein Erscheinungsbild eines phänotypisch angestrebten Geschlechts existiere. Die Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2017 (1 BvR 2019/16) betreffe allein die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und nicht Leistungsansprüche in der GKV. Aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG und Art 3 Abs 3 Satz 1 GG ergebe sich kein Anspruch auf Änderung von Geschlechtsorganen bei transidentitärer Geschlechtsidentitätsstörung. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, Menschen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen (Urteil vom 29.6.2022).
Mit ihrer Revision rügt die klagende Person eine Verletzung von § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 und § 27 SGB V. Nach der S3-Leitlinie "Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung und Behandlung" solle der Begriff Trans sowohl Menschen berücksichtigen, die eindeutig als Frau oder Mann lebten (zB transsexuell, transident) als auch non-binäre Personen, die sich weder männlich noch weiblich identifizierten (zB genderqueer, agender). Die vom BSG entwickelten Grundsätze zum Bestehen und der Reichweite eines Krankenbehandlungsanspruchs transidenter Menschen seien auf den Fall der revisionsführenden Person mit non-binärer Geschlechtsidentität anzuwenden.
Die klagende Person beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juni 2022 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14. April 2021 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die klagende Person 5305,32 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der klagenden Person ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat das Urteil des SG im Ergebnis zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage der klagenden Person auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten für die Mastektomie ist unbegründet. Die Voraussetzungen des Kostenerstattungsanspruchs sind nicht erfüllt, weil die klagende Person eine Mastektomie nicht als Naturalleistung beanspruchen konnte (dazu 1.). Bei der ambulanten Diagnostik nebst Behandlungsplanung und der sich anschließenden stationären Behandlung eines durch Geschlechtsinkongruenz bedingten Leidensdrucks durch irreversible chirurgische Eingriffe (hier: durch Mastektomie) handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode iS des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Auf diese besteht ein Anspruch erst, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) eine entsprechende Empfehlung abgegeben hat (dazu 2.). Einer der insoweit anerkannten Ausnahmefälle liegt hier nicht vor (dazu 3.).
1. Die Voraussetzungen für die Erstattung der Kosten einer Krankenbehandlung gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 iVm § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V liegen nicht vor.
Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr; vgl BSG vom 24.1.2023 - B 1 KR 7/22 R - SozR 4-2500 § 2 Nr 21 RdNr 9; BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 2/21 R - juris RdNr 8; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 3/13 R - BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 15).
Zur Zeit der Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung bestand kein Anspruch der klagenden Person auf Durchführung einer beidseitigen Mastektomie zu Lasten der GKV.
a) Das SGB V sieht (bislang) keinen eigenständigen, vom Vorliegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit unabhängigen, Anspruch von Trans-Personen auf körpermodifizierende Behandlungen vor, wie ihn etwa § 27a SGB V für die künstliche Befruchtung regelt (vgl dazu, dass § 27a SGB V einen eigenständigen Versicherungsfall der ungewollten Kinderlosigkeit regelt, BSG vom 3.4.2001 - B 1 KR 22/00 R - BSGE 88, 51 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 = juris RdNr 17; zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG vom 28.2.2007 - 1 BvL 5/03 - BVerfGE 117, 316, 326 ff = SozR 4-2500 § 27a Nr 11 RdNr 33 ff). Der Begriff der Krankheit ist im Hinblick auf den ständig voranschreitenden medizinischen Forschungs- und Erkenntnisstand sowie den fortlaufenden Wandel der gesellschaftlich-kulturellen Anschauungen wertungsoffen (vgl zB BT-Drucks 11/2237 S 170 und unten b). Die Bestimmung des Leitbildes des gesunden Menschen bedarf daher - gerade in Grenz- und Zweifelsfällen - einer wertenden Einordnung und einer am Demokratieprinzip orientierten Entscheidung, ob ein Zustand regelwidrig ist, dh, vom Leitbild abweicht. Im Grenzbereich zwischen Krankheit im Sinne der GKV und der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG geschützten geschlechtlichen Identität (vgl BVerfG vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - BVerfGE 147, 1 RdNr 37 ff mwN) obliegt es daher zuvörderst dem parlamentarischen Gesetzgeber, die Leistungsansprüche der GKV unter Berücksichtigung der vorherrschenden gesellschaftlich-kulturellen Anschauungen für bestimmte körperliche oder psychische Zustände zu regeln. Eine solche Regelung existiert für geschlechtsangleichende Behandlungen bislang nicht (vgl zu entsprechenden Planungen den Koalitionsvertrag der Regierungsparteien "Mehr Fortschritt wagen" vom 7.12.2021 S 95).
b) Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Unter "Krankheit" im Rechtssinne versteht die Rechtsprechung einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr; vgl nur BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 10 mwN; BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289, 290 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 4 = juris RdNr 10 mwN). Auf eine Legaldefinition dieses Begriffs wurde seit jeher verzichtet (vgl bereits das Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15.6.1883, RGBl 73, die Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911, RGBl 509 und schließlich das SGB V, eingeführt mit dem Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988, BGBl I 2477). In Abwesenheit konkreter gesetzlicher Regelungen zu Leistungsansprüchen bei bestimmten körperlichen oder geistigen Zuständen ist es Aufgabe der Rechtsprechung, die oben (unter a) beschriebenen Wertungsspielräume bei der Auslegung des Begriffs der Krankheit iS des § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V zu füllen. Die Interpretation des Begriffsinhalts durch Auslegung erfolgt bei normativen Begriffen - wie hier dem der Krankheit - regelmäßig teleologisch, dh, mit Blick auf den mit der Norm verbundenen Zweck (vgl hierzu allgemein zB Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl 2001, § 5 S 39 f; zum Krankheitsbegriff: Steege in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2022, § 27 RdNr 28; Nolte in BeckOGK, Stand 1.3.2021, § 27 SGB V RdNr 9; Scholz, Der Begriff der Krankheit in der gesetzlichen Krankenversicherung, in Festschrift für Rainer Schlegel zum 66. Geburtstag, S 631 ff, im Erscheinen).
c) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt der Anspruch auf eine Versorgung, die mit einem Eingriff in ein gesundes Organ verbunden ist, eine besondere Rechtfertigung voraus. Dabei sind Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die GKV gegeneinander abzuwägen (vgl zB BSG vom 6.10.1999 - B 1 KR 13/97 R - BSGE 85, 56, 60 = SozR 3-2500 § 28 Nr 4 S 18 = juris RdNr 20; BSG vom 19.2.2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289, 291 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 6 = juris RdNr 12; zuletzt BSG vom 22.6.2022 - B 1 KR 19/21 R - BSGE 134, 172 = SozR 4-2500 § 275 Nr 39, RdNr 20). Allein der Wunsch, sein äußeres Erscheinungsbild zu verändern, genügt nicht. Das subjektive Empfinden eines Versicherten allein kann die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht begründen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der vom Gesetzgeber zum Maßstab erklärte allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 28 Abs 1 Satz 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN). Auch ein durch das äußere Erscheinungsbild verursachter Leidensdruck und das Bedürfnis nach Behebung oder Linderung einer hieraus resultierenden psychischen Störung rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Senats für sich genommen noch keinen Anspruch auf einen Eingriff in ein gesundes Organ. Maßgeblich ist insoweit die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe (vgl BSG vom 28.2.2008 - B 1 KR 19/07 R - BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 18; BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14). Erforderlich ist hier auch eine klare Grenzziehung zu Schönheitsoperationen, für deren Kosten die Versichertengemeinschaft gerade nicht aufkommen soll (vgl BSG vom 10.2.1993 - 1 RK 14/92 - BSGE 72, 96, 99 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 65 = juris RdNr 19; BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R - BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 9 = juris RdNr 17 f; BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 3/21 R - BSGE 134, 13 = SozR 4-2500 § 27 Nr 31, RdNr 22).
d) Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu geschlechtsangleichenden Operationen bei Transsexualismus eine behandlungsbedürftige psychische Krankheit angenommen (vgl zum Ganzen: BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15; BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 12 f; BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - juris RdNr 11 f; BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 11/12 R - juris RdNr 10 f). Voraussetzung dafür war, dass psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit einem anderen Geschlecht nicht zu lindern und zu beseitigen vermögen (BSG vom 10.2.1993 - 1 RK 14/92 - BSGE 72, 96, 100 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 66 = juris RdNr 21; BSG vom 20.6.2005 - B 1 KR 28/04 B - juris RdNr 5; vgl bereits unter Geltung der RVO: BSG vom 6.8.1987 - 3 RK 15/86 - BSGE 62, 83, 84 = SozR 2200 § 182 Nr 106 S 230 f). Der Senat hat sich dabei ua darauf gestützt, dass die Rechtsordnung den sog Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit anerkennt. Der Gesetzgeber hatte bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz <TSG> vom 10.9.1980, BGBl I 1654, geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (vgl zB BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15; BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 13 mwN). Weiter hat sich der Senat auf die ausdrückliche Nennung des "Transsexualismus" in § 116b Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst i SGB V zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung gestützt (BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 21). Anknüpfend an die Wertungen des TSG hat er bei einem behandlungsbedürftigen Transsexualismus ausnahmsweise einen Anspruch auf Operationen an für sich genommen gesunden Organen angenommen, wenn diese der Annäherung an einen "regelhaften Zustand" im Sinne eines männlichen oder weiblichen Phänotyps dienten (vgl BSG vom 28.9.2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 16; ausführlich zum Ganzen unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BVerfGE 128, 109 auch BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 18 ff).
e) Der Senat hält hieran nicht mehr fest. Der Rechtsprechung des Senats zu Operationen an gesunden Organen ausschließlich zur Angleichung an das weibliche oder das männliche Geschlecht (vgl RdNr 16) steht einerseits die neuere Rechtsprechung des BVerfG zum Personenstandsrecht entgegen. Danach ist auch die geschlechtliche Identität von Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG sowie dem Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 1 GG geschützt (BVerfG vom 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - BVerfGE 147, 1 RdNr 38 ff). Andererseits spricht viel dafür, dass die bislang angenommene Beschränkung auf zwei biologische Geschlechter im binären System nicht mehr dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht. Dies legt jedenfalls die aktuelle S3-Leitlinie "Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung und Behandlung" nahe (im Folgenden S3-Leitlinie; vgl zur Maßgeblichkeit der wissenschaftlich gesicherten Erkenntnis: BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BVerfGE 128, 109, 124 = juris RdNr 56 f; zur Bedeutung von Leitlinien der Fachgesellschaften als eine wichtige medizinische Erkenntnisquelle für die Bestimmung der Leistungsansprüche im Rahmen der GKV vgl BSG vom 13.12.2005 - B 1 KR 21/04 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 33; BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R - BSGE 133, 24 = SozR 4-2500 § 2 Nr 17, RdNr 25; jeweils mwN; vgl auch BGH vom 15.4.2014 - VI ZR 382/12 - juris RdNr 17). Die S3-Leitlinie richtet sich ausdrücklich gleichermaßen an die medizinische Versorgung von Personen mit einer weiblichen, männlichen oder non-binären Geschlechtsidentität und verweist auf die im Mai 2013 veröffentlichte 5. Fassung des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-5), die neben dem traditionellen Begriff des "Gegengeschlechts" weitere Geschlechtsformen ("alternative gender") in die Diagnostik einer Geschlechtsdysphorie einschließt (S3-Leitlinie S 6, 10). Die S3-Leitlinie geht davon aus, dass eine Transidentität bzw Geschlechtsinkongruenz, bei der das eigene Geschlechtsempfinden nachhaltig in Widerspruch zu dem nach den Geschlechtsmerkmalen zugeordneten Geschlecht steht, an sich keine "Krankheit" in Form eines behandlungsbedürftigen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes darstellt. Sie sieht für die Bestimmung des Umfangs der erforderlichen Behandlung aber den durch die Geschlechtsinkongruenz begründeten, klinisch-relevanten Leidensdruck als maßgeblich an (S3-Leitlinie S 6 ff, 23; vgl bereits zum Transsexualismus BSG vom 6.8.1987 - 3 RK 15/86 - BSGE 62, 83, 84 = SozR 2200 § 182 Nr 106 S 231; BSG vom 20.6.2005 - B 1 KR 28/04 B - juris RdNr 5; BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R - BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 20).
Ob bei der klagenden Person ein durch Geschlechtsinkongruenz bedingter Leidensdruck vorlag, zu dessen Heilung, Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung die streitgegenständliche Mastektomie unter Berücksichtigung des für Eingriffe in ein gesundes Organ geltenden - strengen - Maßstabes (siehe oben RdNr 16) notwendig war, kann der Senat auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden. Dies kann hier jedoch offenbleiben. Denn ein Anspruch scheidet derzeit jedenfalls mangels Empfehlung durch den GBA nach § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V aus (dazu sogleich).
2. Bei der Diagnose und Behandlung eines durch Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 135 SGB V unterfällt.
§ 135 Abs 1 Satz 1 SGB V bestimmt:
"Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen … Versor-
gung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA … in Richtlinien nach
§ 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über
- die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode
sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu
bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (Nr 1),
- die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie
Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte
Anwendung der neuen Methode zu sichern (Nr 2), und
- die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung (Nr 3)."
Einer solchen Richtlinie nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V bedarf es auch in Fällen wie dem vorliegenden. Denn die Mastektomie zur Behandlung eines durch eine Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks ist untrennbarer Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (dazu a), für deren Wirkprinzip der in der vertragsärztlichen Versorgung liegende Leistungsanteil wesentlich ist (dazu b). An einer solchen Richtlinie fehlt es. Eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst i SGB V hat vorliegend nicht stattgefunden.
a) Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (stRspr; vgl BSG vom 23.7.1998 - B 1 KR 19/96 R - BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 19 = juris RdNr 17; zuletzt BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 21/19 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 54 RdNr 14; BSG vom 18.12.2018 - B 1 KR 11/18 R - BSGE 127, 188 = SozR 4-2500 § 137e Nr 2, RdNr 26 mwN; ausführlich zum Begriff der Behandlungsmethode vgl BSG vom 8.7.2015 - B 3 KR 5/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 32).
(1) Die Prüfung und Bewertung durch den GBA hat dabei nicht einzelne ärztliche Maßnahmen zum Gegenstand, die nur Bestandteil eines methodischen Konzepts sind, sondern bezieht sich auf leistungsübergreifende methodische Konzepte, die auf ein bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel ausgerichtet sind (BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 22 = juris RdNr 29; vgl zB Ihle in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, Stand 15.6.2020, § 135 RdNr 21). Das theoretisch-wissenschaftliche Konzept einer Methode beschreibt die systematische Anwendung bestimmter auf den Patienten einwirkender Prozessschritte (Wirkprinzip), die das Erreichen eines diagnostischen oder therapeutischen Ziels in einer spezifischen Indikation (Anwendungsgebiet) wissenschaftlich nachvollziehbar erklären kann (vgl etwa 2. Kapitel § 31 Abs 3 VerfO GBA oder § 3 Abs 3 der Verordnung über die Voraussetzungen für die Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden mit Medizinprodukten hoher Risikoklasse nach § 137h SGB V <Medizinproduktemethodenbewertungsverordnung - MeMBV> vom 15.12.2015, BGBl I 2340).
Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Behandlungsmethode "neu", wenn sie (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist oder wenn sie zwar im EBM-Ä aufgeführt ist, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat (BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/05 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 20 mwN). Sinn und Zweck der Methodenbewertung nach § 135 Abs 1 SGB V bestehen vor allem darin, Wirksamkeit und Qualität der vertragsärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen vor ihrer Anwendung sicherzustellen und dadurch die Gesundheit der Patienten und die Beiträge der Versicherten zu schützen (BSG vom 30.1.2002 - B 6 KA 73/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 21 S 110 f; Roters in BeckOGK, Stand 1.9.2020, § 135 SGB V RdNr 4). Nach diesem Schutzzweck ist es Aufgabe des GBA als fachkundig besetztem Gremium, Methoden auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu bewerten. Seine Aufgabe ist es auch, die sachgerechte Anwendung der neuen Methode durch die Aufstellung von Qualifikationsanforderungen zu sichern. Der GBA bürgt nach der Konzeption des Gesetzes für die erforderliche Verbindung von Sachkunde und interessenpluraler Zusammensetzung. Dies rechtfertigt es, diesem Gremium im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die für jede untergesetzliche Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zukommen zu lassen (ausführlich BSG vom 15.12.2015 - B 1 KR 30/15 R - BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 23 ff, 43 ff; vgl dazu auch BSG vom 14.6.2023 - B 3 KR 8/21 R - juris RdNr 24; BSG vom 11.5.2017 - B 3 KR 17/16 R - juris RdNr 29).
Das Gesetz überträgt dem GBA dabei nicht nur die Kompetenz zur Entscheidung über die Methodenanerkennung, sondern gibt ihm zugleich auf, die notwendigen Qualifikationsregelungen zu treffen. Die Notwendigkeit der mit § 135 SGB V verfolgten Qualitätssicherung kann sich aus einer neuartigen, bisher nicht erprobten Wirkungsweise einer Behandlung, aus der Komplexität des Ablaufs oder aus dem Vorliegen unbekannter, bisher nicht ausreichend erforschter Risiken ergeben (vgl BSG vom 11.5.2017 - B 3 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 RdNr 39 ff). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass vielfach die Eignung eines neuen Diagnose- bzw Behandlungsverfahrens nicht unabhängig davon beurteilt werden kann, welcher Arzt mit welcher Qualifikation diese Leistung erbringen soll. Die Entscheidung darüber, ob eine neue Methode auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der KKn erbrachten Methoden wirtschaftlich ist, kann davon abhängen, wie hoch nach den bisherigen Erfahrungen die Wahrscheinlichkeit von Fehldiagnosen ist. Dies wiederum wird auch davon beeinflusst, über welche Erfahrungen und Kenntnisse die Ärzte verfügen müssen, die das neue Verfahren anwenden (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 6 KA 73/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 21 S 111 - juris RdNr 23 ff, insbesondere RdNr 26). Die Notwendigkeit einer (Über-)Prüfung nach § 135 Abs 1 SGB V kann sich aber auch aus geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben, die ein von der Rechtsprechung - wie hier - ohne Einbeziehung des GBA im Grundsatz gebilligtes bisheriges Untersuchungs- und Behandlungskonzept in der bisherigen Form nicht mehr zulassen (vgl dazu bereits oben RdNr 18).
(2) Die Diagnostik und Behandlung von durch Geschlechtsinkongruenzen verursachtem Leidensdruck stellen danach eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar.
Der Senat geht dabei davon aus, dass die ärztliche Praxis sich an dem in der aktuellen S3-Leitlinie zusammengetragenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand orientiert, der einem theoretisch-wissenschaftlichen Konzept folgt, das die systematische Anwendung bestimmter auf den Patienten einwirkender Prozessschritte (Wirkprinzip) zur Erreichung eines diagnostischen oder therapeutischen Ziels in einer spezifischen Indikation (Anwendungsgebiet) wissenschaftlich nachvollziehbar erklärt. Aufgrund der aufgezeigten geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen und der neueren medizinischen Bewertungen, wie sie insbesondere in der S3-Leitlinie beschrieben sind, kann die Behandlung nicht mehr ausschließlich an normativ vorgegebenen Phänotypen (männlich/weiblich) ausgerichtet werden. Die bisherige BSG-Rechtsprechung zu sog Transsexuellen basierte aber auf den klar abgrenzbaren Phänotypen des weiblichen und männlichen Geschlechts - anknüpfend an die darauf basierenden gesetzlichen Regelungen im TSG und in § 116b SGB V zur ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung. Die jeweilige Behandlung (Frau-zu-Mann-Transformation und Mann-zu-Frau-Transformation) war damit der Bewertung anhand eines objektiven Maßstabs zugänglich.
Die Diagnostik und Behandlung von durch Geschlechtsinkongruenzen jedweder Art verursachtem Leidensdruck stellen deshalb zwangsläufig auch eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar. Die aktuelle wissenschaftliche Bewertung, wie sie insbesondere in der S3-Leitlinie referiert wird, bezieht die Vielfalt aller - auch non-binärer - Geschlechtsidentitäten ein, ohne dass auf einen normativ vorgegebenen Phänotyp, der mit der Behandlung angestrebt werden soll, zurückgegriffen werden könnte. Stattdessen müssen sowohl die Geschlechtsinkongruenz individuell festgestellt, als auch das darauf aufbauende Behandlungskonzept und das jeweilige Behandlungsziel unter Berücksichtigung des bestehenden Leidensdrucks (siehe oben RdNr 18) individuell festgelegt werden. Die aktuelle S3-Leitlinie greift insoweit auf das Konzept der "partizipativen Entscheidungsfindung" zurück (vgl hierzu allgemein etwa Christiane Bieber, et al, Partizipative Entscheidungsfindung (PEF) - Patient und Arzt als Team, PsychotherPsychMed 2016, 66: 195 ff; Andreas Loh, et al, Patientenbeteiligung bei medizinischen Entscheidungen, DÄ 2007, A 1483 ff). Die Trans-Personen sollen gemeinsam mit den Behandelnden alle Vor- und Nachteile abwägen und ihre Entscheidungen für oder gegen einzelne Behandlungen oder Behandlungsschritte im Austausch mit den Behandelnden treffen. Falls eine gemeinsame Entscheidung nicht möglich ist, sollen die zugrundeliegenden Gründe offen besprochen werden (S3-Leitlinie S 10). Darüber hinaus geht die S3-Leitlinie davon aus, dass den Behandelnden in Bezug auf die Diskrepanz zwischen Gender (Geschlechtsidentität, Geschlechterrolle) und Zuweisungsgeschlecht keine objektiven Beurteilungskriterien zur Verfügung stehen und die Feststellung daher zunächst von der behandlungsbedürftigen Person selbst getroffen wird (S3-Leitlinie S 23). Dies beschreibt ein Konzept, das Patient und Arzt nicht nur gleichberechtigt in die Diagnosestellung und Behandlung einbindet, sondern darüber hinaus der behandlungsbedürftigen Person eine Schlüsselrolle dahingehend zuweist, dass diese in Ermangelung objektiver Kriterien zwingend zunächst selbst die Feststellung der Inkongruenz vorzunehmen hat. Schon deswegen weicht das Konzept methodisch von anderen Behandlungsverfahren ab. Die Kriterien für die medizinische Notwendigkeit einer geschlechtsangleichenden Operation sind danach nicht nach objektiven - einem Sachverständigengutachten zugänglichen - Maßstab vorgegeben. Vielmehr wird Behandler und Patient ein gemeinsamer Entscheidungsspielraum zugestanden.
Das Fehlen objektiver Kriterien führt dazu, dass dem methodischen Vorgehen bei dem beschriebenen Zusammenwirken zwischen Arzt und Patient entscheidende Bedeutung zukommt. Die Bestimmung des Behandlungsziels wirft dabei insbesondere bei non-binären Geschlechtsinkongruenzen grundsätzliche Fragen auf. Denn es geht hier nicht zwingend um die Annäherung an das äußere Erscheinungsbild eines normativ vorgegebenen Geschlechts. Die negative Abgrenzung von einem bestehenden Zustand, wie hier die Abwendung vom weiblichen Geschlecht, beantwortet nicht die Frage, welcher Zustand erreicht werden soll und muss, um den bestehenden Leidensdruck zumindest zu mindern. In Anbetracht der (in der Regel) irreversiblen Folgen von geschlechtsangleichenden Eingriffen und der Komplexität des Diagnose- und Behandlungsverfahrens kommt der institutionellen Qualitätssicherung durch den GBA eine besondere Bedeutung zu. Nach dem oben beschriebenen Schutzzweck des § 135 SGB V ist es hier Aufgabe des GBA als fachkundig besetztem Gremium, die Behandlung von durch Geschlechtsinkongruenzen verursachtem Leidensdruck mittels dauerhaft den Körper verändernder Eingriffe und das methodische Vorgehen im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung im vorliegenden Kontext auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu bewerten. Dieser Erkenntnisstand ist nicht zwingend vollständig und umfassend in der S3-Leitlinie abgebildet ist. Der GBA hat ihn zu bewerten und die sachgerechte Anwendung der neuen Methode durch die Aufstellung von Qualifikationsanforderungen zu sichern.
b) Der Anwendbarkeit des § 135 Abs 1 SGB V steht nicht entgegen, dass hier um Kostenerstattung für eine Mastektomie und damit einen stationär durchgeführten Eingriff, gestritten wird. Denn der Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V gilt auch für Methoden, die auf einer Kombination mehrerer Komponenten beruhen, die nur in ihrer Zusammenschau das Wirkprinzip der Krankenbehandlung beschreiben und für den Erfolg der Therapie verantwortlich sind. Der Schutzzweck des § 135 Abs 1 SGB V gebietet die Einbeziehung in den Methodenbewertungsvorbehalt auch in Fällen, in denen die ambulant erbrachte Komponente einen für das Wirkprinzip der Krankenbehandlung wesentlichen Leistungsanteil hat. So hat das BSG etwa Hilfsmittel in den Methodenbewertungsvorbehalt einbezogen, deren Anwendung zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung ein Behandlungskonzept zugrunde liegt, bei dem Anlass zur Beurteilung durch den GBA besteht (vgl BSG vom 14.6.2023 - B 3 KR 8/21 R - juris RdNr 15 mwN; vgl zu "Arzneimittel-Methoden" bereits BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 13 = juris RdNr 20 ff mwN <Visudyne>; vgl hierzu auch Roters, Arzneimittel und Methoden im SGB V - Visudyne 2.0, in Festschrift für Rainer Schlegel zum 66. Geburtstag, S 609 ff, im Erscheinen). So liegt der Fall hier.
Die vertragsärztliche Diagnostik und ihre über den ambulanten Bereich hinausweisende Behandlungsplanung ist bei Transitionsbehandlungen (sowohl bei non-binären als auch binären Personen) untrennbar mit den angedachten - auch stationären - Behandlungsmaßnahmen verbunden. Die vorgreiflichen Entscheidungen im ambulanten Bereich steuern maßgeblich die gesamte Behandlung. Die Gesundheitsversorgung für Trans-Menschen im Zuge einer Transition findet entweder zentral an einem Klinikum oder im vertragsärztlichen Bereich in Schwerpunktpraxen niedergelassener Ärzte und psychologischer Psychotherapeuten statt (S3-Leitlinie S 5). Der therapeutische Prozess zur Entwicklung des gewünschten Behandlungsziels ist den Einzelmaßnahmen (zB Hormonbehandlung, Epilation, Logopädie, Phonochirurgie, Adamsapfelkorrektur, Perücken und andere Hilfsmittel, Genitaloperationen oder eben Brustoperationen) konzeptionell vorgeschaltet. Zentraler Ausgangspunkt ist das Behandlungskonzept als Ganzes, aus dem sich die Indikation für einzelne Maßnahmen ableitet. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die chirurgische Umsetzung der im Hinblick auf das Behandlungsziel geplanten Eingriffe für sich betrachtet (hier: die isoliert betrachtete Mastektomie) bereits dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.
c) Eine danach erforderliche Richtlinie des GBA nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V liegt (bislang) nicht vor, so dass die Beklagte die hier streitige Leistung für die klagende Person nicht erbringen durfte.
3. Ein Kostenerstattungsanspruch der klagenden Person ergibt sich auch weder unter dem Gesichtspunkt des sog Systemversagens (dazu a), noch liegt ein Seltenheitsfall (dazu b) vor.
a) Ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann eine Leistungspflicht der KKn ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (vgl zuletzt BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 21/19 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 54 RdNr 17 mwN).
Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem GBA antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag dort bisher nicht gestellt worden ist. Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung bisher verhindert oder in einer den KKn oder dem GBA sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert worden sein könnte (vgl hierzu BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 17 ff).
b) Auch von einem sog Seltenheitsfall ist nicht auszugehen. Ein solcher liegt nach der Rechtsprechung des BSG vor, wenn das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist (stRspr; vgl zB BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, RdNr 24 = juris RdNr 31; BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R - BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20, RdNr 14; BSG vom 3.7.2012 - B 1 KR 25/11 R - BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 19). Allein geringe Patientenzahlen stehen einer wissenschaftlichen Erforschung nicht entgegen, wenn etwa die Ähnlichkeit zu weit verbreiteten Erkrankungen eine wissenschaftliche Erforschung ermöglicht. Das gilt erst recht, wenn - trotz der Seltenheit der Erkrankung - die Krankheitsursache oder Wirkmechanismen der bei ihr auftretenden Symptomatik wissenschaftlich klärungsfähig sind, deren Kenntnis der Verwirklichung eines der in § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele der Krankenbehandlung dienen kann (vgl BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 28 mwN).
Zwar bewertet das Gesetz "Transsexualismus" nach § 116b Abs 1 Satz 2 Nr 2 Buchst i SGB V als eine "seltene" Erkrankung mit entsprechend geringen Fallzahlen; an medizinischer Forschung fehlt es hingegen nicht, wie bereits die in der S3-Leitlinie referierte umfangreiche Forschung zeigt.
4. Der Senat verkennt nicht, dass nach den Grundsätzen dieser Entscheidung auch die auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats mögliche Behandlung von Transsexuellen zur Annäherung an das andere Geschlecht dem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 SGB V unterfällt. Obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, kann es der aus Art 20 Abs 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes allerdings gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (BVerfG vom 15.1.2009 - 2 BvR 2044/07 - BVerfGE 122, 248, 277 f = juris RdNr 85; vgl dazu auch BAG vom 19.6.2012 - 9 AZR 652/10 - BAGE 142, 64 = AP Nr 95 zu § 7 BUrlG Abgeltung, RdNr 27 mwN; BSG vom 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R - BSGE 120, 209 = SozR 4-2400 § 28p Nr 6, RdNr 31). Insoweit liegt es nahe, dass die KKn für bereits begonnene Behandlungen von Transsexuellen aus Gründen des Vertrauensschutzes die Kosten wie bisher weiterhin zu übernehmen haben.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Schlegel Estelmann Scholz