Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 13.12.2023, B 7 AS 16/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung und -berechnung - selbstständige Tätigkeit - Rechtsanwalt - Betriebseinnahmen von monatlich unter 400 Euro - Betriebsausgaben - Absetzbeträge - Abzugsfähigkeit von Pflichtbeiträgen zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte - analoge Anwendung von § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB II - Begrenzung auf die Höhe des Mindestbeitrags für selbstständig Tätige in der gesetzlichen Rentenversicherung - Fahrkosten - öffentliche Verkehrsmittel - Grundfreibetrag

Leitsätze

Pflichtbeiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen sind seit dem Wegfall des Anspruchs auf Beitragszuschuss für Altersvorsorgebeiträge der Höhe nach begrenzt wie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung vom Einkommen abzusetzen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. September 2021 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2014 geändert sowie der Beklagte unter Änderung des Erstattungsbescheids und des Festsetzungsbescheids jeweils vom 9. Februar 2012, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2012 verpflichtet, Leistungen für den Regelbedarf der Klägerin von Juni bis November 2011 abschließend auf monatlich 295,39 Euro sowie den Erstattungsbetrag auf 18,94 Euro im Monat festzusetzen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen. 

Der Beklagte hat der Klägerin 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über höheres Alg II für Juni bis November 2011 unter Berücksichtigung weiterer Ausgaben der Klägerin bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens. 

Die 1969 geborene, alleinstehende Klägerin ist als Rechtsanwältin selbständig tätig. Sie entrichtete Beiträge zum Versorgungswerk iHv monatlich 109,45 Euro. Außerdem fielen Kosten für öffentliche Verkehrsmittel iHv monatlich höchstens 33,50 Euro an. Das beklagte Jobcenter setzte Alg II für Juni bis November 2011 nach vorläufiger Bewilligung (monatlich 692,33 Euro Alg II, davon 314,33 Euro Regelbedarf) abschließend iHv monatlich 448,11 Euro fest und forderte die Erstattung von insgesamt rund 1465 Euro (Bescheide vom 9.2.2012). Er ging von einem monatlichen Einkommen über 400 Euro aus. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens berücksichtigte er weitere Betriebsausgaben. Dadurch verringerte sich das Betriebsergebnis ("monatliches Bruttoeinkommen") auf unter 400 Euro im Monat, erhöhte sich der monatliche Anspruch der Klägerin auf Alg II und reduzierte sich die Erstattungsforderung auf rund 593 Euro (Widerspruchsbescheid vom 4.6.2012)

Das SG hat der auf höheres Alg II gerichteten Klage nur in geringem Umfang stattgegeben und die Berufung zugelassen (Urteil vom 2.9.2014). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 10.9.2021). Es hat für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum Betriebseinnahmen iHv 33 462,96 Euro und Betriebsausgaben iHv 31 751,39 Euro festgestellt. Beiträge zum Versorgungswerk und Fahrkosten seien nicht in voller Höhe zu berücksichtigen. Sie seien nicht als Betriebsausgaben absetzbar. Bei dem monatlichen Einkommen von weniger als 400 Euro seien über den Grundfreibetrag hinaus keine weiteren Absetzungen vorzunehmen. 

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 und Abs 2 Satz 1 SGB II

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. September 2021 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2014 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Festsetzungsbescheids und Aufhebung des Erstattungsbescheids jeweils vom 9. Februar 2012, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Juni 2012, zu verpflichten, der Klägerin von Juni bis November 2011 abschließend Leistungen für Regelbedarf in Höhe von 325,24 Euro zu bewilligen sowie unter Anrechnung der bisher erbrachten Leistungen zu zahlen. 

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist teilweise begründet, weil ihr Anspruch auf Alg II von Juni bis November 2011 höher ist als zuletzt durch das LSG entschieden. Daher verringert sich auch die Erstattungsforderung des Beklagten. Allerdings ist der Ansicht der Klägerin zur vollen Absetzung der Beiträge zum Versorgungswerk als Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung sowie zur Berücksichtigung der Fahrkosten als Betriebsausgaben nicht zu folgen. Insoweit kann sie mit ihrem auf die abschließende Festsetzung von Leistungen für den Regelbedarf iHv 325,24 Euro gerichteten Verpflichtungsantrag nicht voll sowie mit ihrem auf die Zahlung weiterer Leistungen gerichteten Begehren nicht durchdringen und ist ihre Revision unbegründet.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den im Wesentlichen klageabweisenden vorinstanzlichen Urteilen die Bescheide vom 9.2.2012 über die abschließende Festsetzung und Erstattung von Alg II von Juni bis November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.6.2012. Diese Entscheidungen hat die Klägerin angegriffen und begehrt die abschließende Festsetzung höherer Leistungen als vorläufig bewilligt. Ihr Begehren verfolgt sie zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 iVm § 56 SGG; anders noch BSG vom 6.6.2023 - B 11 AL 38/21 R - vorgesehen für BSGE und SozR; demgegenüber schon BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 14 RdNr 11). Insoweit verschafft ihr die Verpflichtung des Beklagten zur höheren Festsetzung der Leistungen einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen weiterer Teile des infolge der vorläufigen Bewilligung bereits erbrachten Alg II (vgl BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - BSGE 126, 294 = SozR 4-4200 § 41a Nr 1, RdNr 10). Nur für den über die vorläufige Bewilligung hinaus geltend gemachten Anspruch kommt die Zahlung weiterer Leistungen in Betracht. Auch die Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Leistungen für Regelbedarfe und Mehrbedarfe ist zulässig (vgl BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - BSGE 125, 22 = SozR 4-4200 § 21 Nr 28, RdNr 10). Sie ist von der Klägerin ausdrücklich erklärt worden.

2. Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide sind § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 328 Abs 2 und 3 Satz 1 und 2 Halbsatz 1 SGB III (idF des Ersten SGB III-Änderungsgesetzes vom 16.12.1997, BGBl I 2970). Nach diesen Vorschriften sind - wenn eine vorläufige Entscheidung aufzuheben oder zu ändern ist - auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten. 

Hier hatte der Beklagte zutreffend Alg II vorläufig bewilligt. Sodann hat er mit einem der Bescheide vom 9.2.2012 Leistungen abschließend festgesetzt. Zwar ist dieser Bescheid mit "Änderungsbescheid" überschrieben. Auf diese Überschrift kommt es aber nicht entscheidend an. Vielmehr kann ein als "Änderungsbescheid" bezeichneter Bescheid nach den allgemeinen Regeln der Auslegung als abschließende Entscheidung anzusehen sein (BSG vom 28.11.2018 - B 14 AS 34/17 R - SozR 4-4200 § 38 Nr 5 RdNr 14 mwN). Nach diesen Auslegungsregeln wird vorliegend infolge der vorangegangenen, ausdrücklich wegen der Erzielung von Einkommen in noch zu klärender Höhe erfolgten vorläufigen Bewilligung, der Verwendung der Formulierung, es werde "endgültig bewilligt", der Bezugnahme der endgültigen Bewilligung auf die eingereichten Unterlagen sowie des Erlasses des Festsetzungsbescheids nach Ablauf des Bewilligungszeitraums hinreichend deutlich, dass der Beklagte eine abschließende Entscheidung getroffen hat. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Erstattungsforderung in einem gesonderten Verwaltungsakt geltend gemacht hat. Der Erstattungsverwaltungsakt ist im engen zeitlichen Zusammenhang mit der abschließenden Bewilligung erlassen worden (vgl BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 14 RdNr 14).

3. Der Beklagte hat formell rechtmäßig die abschließende Festsetzung und Erstattung von vorläufig erbrachtem Alg II verfügt (dazu 4.). Die Alg II-Leistungsansprüche hat er zu niedrig festgesetzt. Zwar sind die Beiträge zum Versorgungswerk keine Betriebsausgaben, auch wenn die Absetzung als Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in direkter Anwendung des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II nicht in Betracht kommt (dazu 5.). Ein Teil der Beiträge ist aber wie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung als Absetzbeträge zu berücksichtigen (dazu 6.). Die Höhe des Einkommens hat Einfluss auf die Berücksichtigung von durch den Grundfreibetrag abgedeckten Absetzpositionen. Insoweit betragen die geltend gemachten Aufwendungen nicht mehr als 100 Euro (dazu 7.).

4. Der formellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte stünde nicht entgegen, wenn die Klägerin vor Erlass der Entscheidungen über die abschließende Festsetzung und Erstattung von Alg II vom 9.2.2012 nicht gemäß § 24 Abs 1 SGB X angehört worden wäre. Die Anhörung wäre jedenfalls im Widerspruchsverfahren nachgeholt und damit ein etwaiger Anhörungsfehler geheilt worden (§ 41 Abs 1 Nr 3 SGB X; zuletzt ua BSG vom 21.6.2023 - B 7 AS 3/22 R - RdNr 13).

5. Der Beklagte hat die Ansprüche der Klägerin auf Alg II für Juni bis November 2011 zu niedrig festgesetzt. Damit verringert sich auch die Erstattungsforderung. 

Die Klägerin war im gesamten verfahrensgegenständlichen Bewilligungszeitraum von Juni bis November 2011 mit selbständiger Arbeit erwerbstätig. Einkommen aus der Erwerbstätigkeit verringerte ihre Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, § 9 Abs 1 SGB II). Bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens sind ua die zur Berechnung des Einkommens im Einzelnen erlassenen Vorschriften der Alg II-V heranzuziehen (§ 13 Abs 1 Nr 1 SGB II). Gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 Alg II-V (idF vom 17.12.2007, BGBl I 2942) ist beim Einkommen aus selbständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen auszugehen. Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Von dem Einkommen sind die Beträge nach § 11b SGB II abzusetzen (§ 3 Abs 2 und 4 Satz 1 und 3 Alg II-V idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch <RBEG> vom 24.3.2011, BGBl I 453)

Ausgehend von den Feststellungen des LSG beliefen sich die Betriebseinnahmen auf 33 462,96 Euro. Diesen Einnahmen standen Betriebsausgaben iHv 31 751,39 Euro gegenüber, was zu einem Gesamtbetriebsergebnis von 1711,57 Euro führt. Bei einem sechsmonatigen Bewilligungszeitraum beläuft sich das monatliche Betriebsergebnis auf 285,26 Euro. Im Sinne der Einkommensbereinigung nach § 11b SGB II ist es vergleichbar mit dem Bruttoeinkommen Beschäftigter. 

Die Beiträge zum Versorgungswerk sind keine Betriebsausgaben. Sie unterfallen als Absetzbeträge § 11b Abs 1 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011). Nach der Systematik des § 3 Alg II-V ist damit ihre Berücksichtigung bereits als Betriebsausgabe ausgeschlossen. Im gleichberechtigten Zusammenwirken der beiden Regelungen sind solche Ausgaben keine "Betriebsausgaben" iS des § 3 Alg II-V, die (gleichzeitig) Absetzbeträge iS des § 11b SGB II sind (zu § 11 Abs 2 SGB II idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 vgl BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 31/13 R - SozR 4-4225 § 3 Nr 5 RdNr 17). In § 3 Alg II-V ist in zwei miteinander verzahnten Regelungen vorgegeben, wie sich Betriebsausgaben auf der einen Seite und Absetzungen nach § 11b SGB II auf der anderen Seite zueinander verhalten. Zunächst besagt § 3 Abs 2 Alg II-V, dass von den Betriebseinnahmen nur Ausgaben abzusetzen sein können, die nicht § 11b SGB II unterfallen. Das erfordert schon im Rahmen der Feststellung des Betriebsergebnisses (als grundsätzlichem Ausgangspunkt der Einkommensbereinigung) eine insoweit vorgezogene Prüfung, ob die Ausgaben als Absetzbeträge zu qualifizieren sind. Die Vorgabe des Nichtabzugs der Absetzbeträge nach § 11b SGB II bei den Betriebsausgaben spiegeln § 3 Abs 4 Satz 1 und 3 Alg II-V. Diese Vorschriften regeln ausdrücklich, dass Beträge nach § 11b SGB II erst nach Aufteilung des - auf das Betriebsergebnis bezogenen - Gesamteinkommens auf die Monate des Bewilligungszeitraums abzusetzen sind. 

Gemäß § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II sind vom Einkommen abzusetzen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung. 

Ebenfalls abzusetzen sind gemäß § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a) zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b) zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind,
soweit die Beiträge nicht nach § 26 SGB II bezuschusst werden. 

Die Beiträge zum Versorgungswerk sind keine Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung iS von § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II. Aus der Zusammenschau mit § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II und der historischen Entwicklung des textlich seit dem 1.1.2005 unveränderten Normkomplexes zur Absetzung von Versicherungsbeiträgen ergibt sich, dass der Gesetzgeber in § 11b Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nur das bundesrechtlich geregelte Sozialversicherungsrecht (vgl § 4 Abs 2 SGB I) einschließlich des gesetzlichen Rentenversicherungsrechts erfassen wollte. Demgegenüber beruht die Rechtsanwaltsversorgung auf landesrechtlichen Vorgaben, die in Satzungen weiter ausgestaltet werden. Daher ist es für § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II ohne Belang, ob sie kompetenzrechtlich Sozialversicherung iS von Art 74 Nr 12 GG ist oder eine öffentlich-rechtliche Versicherung "eigener Art" darstellt (vgl BVerwG vom 21.2.1994 - 1 B 19.93 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr 25, juris RdNr 5; BVerwG vom 29.1.1991 - 1 C 11.89 - BVerwGE 87, 324, 325 f, juris RdNr 16)

Schon in den Ursprungsregelungen zur Absetzung von Versicherungsbeiträgen zum 1.1.2005 hat der Gesetzgeber Beiträge zur Altersvorsorge außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954; jetzt § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II) bzw § 11 Abs 2 Nr 4 SGB II zugeordnet. Dies ergab sich für § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II gesetzessystematisch aus der Vorgabe zur Vorwegberücksichtigung des Zuschusses zu Beiträgen gemäß § 26 SGB II in § 11 Abs 2 Nr 3 letzter Teilsatz SGB II (jetzt § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 letzter Teilsatz SGB II). Diese Vorgabe bezieht sich nach dem Aufbau der Regelung auf Beiträge zur Vorsorge für den Fall von Krankheit und Pflegebedürftigkeit (Nr 3 Buchst a) und auf Beiträge zur Altersvorsorge (Nr 3 Buchst b)

Insoweit abgestimmt erhielten ab dem 1.1.2005 gemäß § 26 Abs 1 SGB II Bezieher von Alg II, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit waren (§ 6 Abs 1b, § 231 Abs 1 und 2 SGB VI), einen Zuschuss zu den Beiträgen, die für die Dauer des Leistungsbezugs freiwillig an die gesetzliche Rentenversicherung, eine berufsständische Versorgungseinrichtung oder für eine private Alterssicherung gezahlt wurden. Der Zuschuss war auf die Höhe des Betrags begrenzt, der ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wäre. Soweit die Beiträge nicht nach § 26 SGB II bezuschusst wurden, waren sie vom Einkommen abzusetzen (BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 44/07 R - RdNr 14). Auf diese Weise vervollständigte § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3b SGB II aF den konzeptionell umfassenden gesetzlichen Schutz, soweit Einnahmen erzielt wurden. 

Mit Wirkung zum 1.10.2005 wurden die Absetzungen in § 11 Abs 2 SGB II (idF des Gesetzes zur Neufassung der Freibetragsregelungen für erwerbsfähige Hilfebedürftige <Freibetragsneuregelungsgesetz> vom 14.8.2005, BGBl I 2407) umgestaltet. Danach waren vom Einkommen im Wege der Spitzabrechnung neben den hierauf entrichteten Steuern weiterhin die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung im Sinne des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB II aF (jetzt § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II) abzuziehen. Für die Versicherungsbeiträge iS von § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3, die Beiträge zur geförderten Altersvorsorge iS von § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 4 (jetzt § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II) und die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben iS von § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 (jetzt § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II) konnten erwerbsfähige und erwerbstätige Hilfebedürftige einen pauschalen Betrag von 100 Euro monatlich absetzen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 bis 5 iVm Satz 2 SGB II aF). Die Einführung des Grundfreibetrags von 100 Euro, bis zu dem Einkommen unberücksichtigt bleibt, sollte ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien eine deutliche Erhöhung der Hinzuverdienstmöglichkeiten bringen. Die Ersetzung der Absetzbeträge des § 11 Abs 2 Nr 3 bis 5 SGB II durch den eingeführten Grundfreibetrag führe zu Vereinfachung und Transparenz im Bruttolohnbereich bis 400 Euro (sogenannter Mini-Job). Nicht beabsichtigt war - bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung oberhalb von 400 Euro - die Begrenzung höherer Absetzbeträge. Dort verblieb es bei der Möglichkeit, die tatsächlichen Ausgaben abzusetzen (vgl Entwurf des Freibetragsneuregelungsgesetzes, BT-Drucks 15/5446 S 4)

Zum 1.8.2006 wurden in § 26 Abs 1 SGB II (idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006) die in Klammern gesetzten Normen § 231 Abs 1 und 2 SGB VI gestrichen, weil die Befreiung nach diesen Vorschriften nicht zur Zuschussberechtigung führen sollte. Hierdurch sollte vermieden werden, dass eine Person als Alg-II-Bezieher pflichtversichert ist und zusätzlich aufgrund einer Befreiung nach § 231 SGB VI einen Zuschuss zu einer privaten Alterssicherung erhält (Entwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drucks 16/1410 S 24). Die zum 1.5.2007 (idF des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung <RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz> vom 20.4.2007, BGBl I 554) aufgenommene Zuschussregelung für Beiträge, die wegen einer Pflichtversicherung an die Alterssicherung der Landwirte gezahlt wurden, flankierte die Erweiterung der Befreiungsrechte von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung in § 6 Abs 1b SGB VI zu diesem Zeitpunkt (Gesetzentwurf zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz, BR-Drucks 2/07 S 113)

Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 (HBeglG) vom 9.12.2010 (BGBl I 1885) fiel ab dem 1.1.2011 die bis dahin bestehende gesetzliche Rentenversicherungspflicht für Bezieher von Alg II (§ 3 Satz 1 Nr 3a SGB VI unter gleichzeitiger Streichung der Befreiungsmöglichkeit nach § 6 Abs 1b SGB VI) weg. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien sollten systemgerecht die Leistungen des Fürsorgesystems des SGB II darauf fokussiert werden, akute Hilfebedürftigkeit zu beseitigen. Ihnen komme nicht die Funktion zu, bereits im Voraus pauschal Leistungen zu erbringen, um eine vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt eintretende Hilfebedürftigkeit durch Begründung versicherungsrechtlicher Rentenanwartschaften zu beseitigen (BR-Drucks 532/10 S 66). Gleichzeitig entfiel - in den Materialien als Folgeänderung zu § 3 Satz 1 Nr 3a SGB VI bezeichnet - der Zuschuss nach § 26 Abs 1 SGB II (Entwurf aaO S 65 unter irrtümlicher Bezugnahme auf Art 19 anstelle von Art 18). Insofern gab der Gesetzgeber für alle Bezieher von Alg II die gesonderte Zahlung von Leistungen für Pflichtbeiträge zur Altersvorsorge auf, unabhängig von ihrer Erbringung als Beitrag oder als Zuschuss. 

Erweiterungen bei den Absetzungsmöglichkeiten für Beiträge zur Altersvorsorge im Rahmen des § 11b SGB II wurden in diesem Zusammenhang nicht vorgenommen. Eine Berücksichtigung der Pflichtbeiträge zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist damit nicht mehr über § 26 SGB II möglich. Zugleich kommt wegen der ausnahmslosen Begrenzung der vom Grundfreibetrag erfassten Ausgaben nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II bei - wie hier - einem Einkommen bis einschließlich 400 Euro auf 100 Euro gemäß § 11b Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II eine (volle) Berücksichtigung von Beiträgen zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung über 100 Euro über andere Vorschriften des SGB II - hier § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3b SGB II - nicht in Betracht, sodass insoweit eine Lücke zu schließen ist.

6. Beiträge der Klägerin zum Versorgungswerk sind wie Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung zu berücksichtigen. § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II ist analog anzuwenden auf Fälle, in denen Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung - wie die Klägerin - als Selbständige grundsätzlich in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei oder als solche zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer und deshalb von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind (vgl § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI), aber zur Zahlung von Pflichtbeiträgen an das Versorgungswerk herangezogen werden (dazu a). Die Höhe der Absetzung ist zu begrenzen. Dabei ist der Mindestbetrag beitragspflichtiger Einnahmen selbständig Tätiger in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde zu legen (dazu b).

a) Eine Analogie ist die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestands auf einen ihm ähnlichen, allerdings ungeregelten Sachverhalt. Sie ist geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist, nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert (BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 19/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 23 RdNr 17) und eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegt. Zur Beurteilung, ob eine über eine bloße Unvollständigkeit hinausgehende Lücke innerhalb des Regelungszusammenhangs, also eine "planwidrige Unvollständigkeit" des Gesetzes vorliegt, ist der dem Gesetz zugrunde liegende Regelungsplan aus sich selbst heraus im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu ermitteln (BSG vom 7.10.2009 - B 11 AL 31/08 R - BSGE 104, 285 = SozR 4-4300 § 335 Nr 2, RdNr 22). Die Lücke kann darauf beruhen, dass ein regelungsbedürftiger Sachverhalt übersehen wurde (mit weiteren Beispielen zur Lücke BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 19/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 23 RdNr 17). Außerdem kann die tatsächliche oder rechtliche Entwicklung eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 12, juris RdNr 21). So liegt es nach der dargestellten Rechtsentwicklung und den in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommenden Motiven des Gesetzgebers. 

Am Willen des Gesetzgebers des HBeglG 2011, den Erwerb von Rentenanwartschaften allein über den Bezug von Alg II einzustellen und den Wegfall der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht im Existenzsicherungssystem des SGB II nachzubilden, kann zwar für die bis zum 31.12.2010 über § 3 Satz 1 Nr 3a SGB VI versicherungspflichtigen und nicht von der Versicherungspflicht befreiten Personen kein Zweifel bestehen. Hierzu bieten die Materialien genügend Anhaltspunkte. Zugleich hat der Gesetzgeber mit der Zuordnung der Zeiten des Bezugs von Alg II ab dem 1.1.2011 zu den Anrechnungszeiten (§ 58 Abs 1 Satz 1 Nr 6 SGB VI idF des HBeglG 2011) ein mit dem Wegfall von Pflichtbeitragszeiten abgestimmtes Konzept zur rentenrechtlichen Absicherung der Bezieher von Alg II weitergeführt. 

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich hingegen nicht, dass er die Verkürzung der Leistungen für Berufstätige in verkammerten Berufen, die einer damit verbundenen landesrechtlich ausgeformten und fortbestehenden Beitragslast durch die Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungssystem weiterhin nicht ausweichen konnten, mit gleicher Konsequenz verfolgte. Dort gilt der fortbestehende Wille des Gesetzgebers zur Bereitstellung von Leistungen des Fürsorgesystems zur Beseitigung akuter Hilfebedürftigkeit (Entwurf des HBeglG 2011, BR-Drucks 532/10 S 66). Diese Hilfebedürftigkeit kann bezogen auf die Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen weiterhin gegeben sein. Zwar haben unter Umständen auch die Versorgungswerke bei der Zuordnung von Beitragslasten die Einkommenslosigkeit eines Mitglieds zu berücksichtigen (zur Heranziehung zur Zahlung eines Mindestbeitrags während Kindererziehungszeiten BVerfG vom 5.4.2005 - 1 BvR 774/02 - BGBl I 2005, 2022 = BVerfGE 113, 1 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 30; zur beschränkten Revisibilität von Satzungsrecht ua BSG vom 30.9.2020 - B 6 KA 5/19 R - SozR 4-2500 § 95d Nr 3). Ihrer Verpflichtung zur Beitragszahlung an das Versorgungswerk konnte sich die Klägerin nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen das LSG jedoch nicht entziehen (vgl § 163 SGG)

Die Begründung des Gesetzentwurfs spricht dafür, dass der Gesetzgeber eine durch den Wegfall der Zuschüsse nach § 26 Abs 1 SGB II für die Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung entstehende Regelungslücke übersehen hat. Insoweit stellen die Materialien zum HBeglG 2011 wegen des Wegfalls der Pflichtbeitragszeiten durch den Bezug von Alg II im Wesentlichen darauf ab, dass unter der nunmehrigen Berücksichtigung dieses Bezugs als Anrechnungszeit Lücken in der Versicherungsbiografie vermieden und insbesondere bestehende Anwartschaften auf Erwerbsminderungsrenten und Leistungen zur Teilhabe weiterhin aufrechterhalten werden könnten (BR-Drucks 532/10 S 66). Hieraus ist aber nicht erkennbar, wie Lücken vermieden und Anwartschaften erhalten werden sollen, wenn im Rahmen der Erwerbsbiografie nach den Maßstäben des SGB VI keine ausreichenden Vorversicherungszeiten zurückgelegt und Anwartschaften erworben worden sind. Das ist der Fall, wenn Bezieher von Alg II ihr Erwerbsleben ganz oder wesentlich als Mitglied einer verkammerten Berufsgruppe mit einem entsprechenden - eigenen - Versorgungsregime zurückgelegt haben. 

Zugleich ist unberücksichtigt geblieben, dass - abhängig von den jeweiligen landesrechtlichen Ausgestaltungen und Konkretisierungen durch die Satzungen der Versorgungswerke - die in berufsständischen Versorgungswerken pflichtversicherten Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer einer Beitragslast nicht ausweichen können. Insoweit ist ihre Lage vergleichbar derjenigen erwerbstätiger Leistungsberechtigter, auf deren Einkommen Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung iS des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II entrichtet werden. 

Die im Grundsatz mit dem Wegfall von § 26 Abs 1 SGB II erforderliche analoge Anwendung des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II passt sich auch in die Gesetzessystematik ein. Wird die Altersvorsorge von Personen, die dieser nicht ausweichen können, § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II zugeordnet, trifft sie die Begrenzung der Absetzbeträge des § 11b Abs 2 Satz 1 SGB II nicht.

b) Allerdings bedarf es nach dem Sinn und Zweck der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einer Einschränkung. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist wesentlich auf die Sicherung des Existenzminimums ausgerichtet, die sich für alle Leistungsberechtigten nach denselben Maßstäben bestimmt. Der im Rahmen der analogen Anwendung erforderliche Gleichklang zwischen den in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Personen und den verpflichtend Beiträge zu einem Versorgungswerk Zahlenden wird durch eine Begrenzung der Absetzbeträge hergestellt. 

Schon in § 26 Abs 1 SGB II war keine uneingeschränkte Bezuschussung der Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgungseinrichtung vorgesehen. Vielmehr war nach Satz 2 der Regelung der Zuschuss auf die Höhe des Betrags begrenzt, der ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wäre. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass der Gesetzgeber auch nach der ursprünglichen gesetzlichen Konzeption nicht uneingeschränkt Pflichtbeiträge zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als Zuschuss übernehmen wollte. 

Dem Gedanken der nur beschränkten Übernahme von Beiträgen zur berufsständischen Altersversorgung ist unvermindert Rechnung zu tragen. Aus der Streichung des § 26 Abs 1 SGB II lässt sich nicht ableiten, dass diese Beiträge ohne jegliche Begrenzung als Absetzpositionen zu berücksichtigen sind. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass wegen der Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und zugleich einer berufsständischen Kammer von der Versicherungspflicht befreite erwerbstätige Leistungsberechtigte (vgl § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) bezogen auf die Altersvorsorgebeiträge grundsätzlich nicht besser zu stellen sind als anderweitig erwerbstätige Leistungsberechtigte. Ähnliches zeigt ein Vergleich mit der Gruppe privat krankenversicherter Personen, für die eine gedeckelte Zuschussregelung in § 26 Abs 1 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011) weiterhin greift. 

Als beitragspflichtige Einnahmen selbständig Tätiger bestimmt § 165 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI (idF des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621) ein Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße, bei Nachweis eines niedrigeren oder höheren Arbeitseinkommens jedoch dieses Arbeitseinkommen, mindestens jedoch monatlich 400 Euro. Diese Regelung zur Mindestbeitragsbemessungsgrundlage gilt für versicherungspflichtige Selbständige, auch bei Antragspflichtversicherung (§ 4 Abs 2 SGB VI idF der Neubekanntmachung vom 19.2.2002; vgl Wißing in jurisPK-SGB VI, § 165 RdNr 38, Stand 3.5.2023). Sie dient der Verwaltungsvereinfachung, da die Prüfung von Nachweisen bei Einkommen unterhalb dieses Betrags entbehrlich wird und der Vermeidung von Missbrauch, indem sie für die Aufrechterhaltung von Anwartschaften für den Fall der Erwerbsminderung Mindestvoraussetzungen vorschreibt (vgl Entwurf eines Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte, BT-Drucks 14/45, S 21)

Diese Überlegungen sind auf die Lage der in berufsständischen Versorgungseinrichtungen pflichtversicherten Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer zu übertragen. Regelmäßig profitieren sie wegen ihrer Erwerbsbiografie nicht von der Berücksichtigung des Bezugs von Alg II als Anrechnungszeit. Sie sind vielmehr darauf angewiesen, das Fehlen rentenrechtlicher Zeiten durch Beiträge im Versorgungswerk auszugleichen. Eine finanzielle Doppelbelastung durch die Begründung einer Versicherungspflicht auf Antrag (§ 4 Abs 2 SGB VI) oder einer freiwilligen Versicherung (§ 7 SGB VI) können sie bei niedrigem Einkommen und einer nicht abwendbaren Beitragspflicht im Versorgungswerk nicht ohne Weiteres bewältigen. Zugleich bietet die Begrenzung auf die Höhe aus der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage abgeleiteter Beiträge eine handhabbare Lösung für die Leistungsverwaltung, weil für den Absetztatbestand des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II eine pauschale Berechnung möglich wird. Eine weitere Lücke im gesetzgeberischen Konzept, die zu einer Berücksichtigung der vollen Beiträge der Klägerin zum Rechtsanwaltsversorgungswerk über § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II führen könnte, ist nicht ersichtlich. 

Ausweislich der Bekanntmachung der Beitragssätze in der allgemeinen Rentenversicherung und der knappschaftlichen Rentenversicherung für das Jahr 2011 vom 16.11.2010 (BGBl I 2010, 1550; vgl § 158 Abs 1 und 4 SGB VI) betrug der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung im Jahr 2011 19,9 Prozent. Die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage von 400 Euro zugrunde gelegt ergibt sich ein über § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI zu berücksichtigender Beitrag iHv 79,60 Euro.

7. Soweit die Beiträge zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte vom Einkommen nicht in entsprechender Anwendung des § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II wie ein Pflichtbeitrag zur Sozialversicherung abzusetzen sind, sind sie wie die Fahrkosten vom Grundfreibetrag (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) abgedeckte Absetzpositionen. 

Für die der Höhe nach nicht von § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II erfassten Beiträge gilt § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3b SGB II (vgl zur Vorgängerregelung in § 11 Abs 2 Nr 3b schon BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 44/07 R). Das betrifft einen Betrag iHv 29,85 Euro (109,45 Euro - 79,60 Euro). 

Die Fahrkosten der Klägerin unterfallen § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II, weil sie mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben sind. Die Fahrten sind unter Zugrundelegung der Feststellungen des LSG Strecken von der Wohnung zur Arbeit (und zurück) und damit § 11b SGB II zuzuordnen, weshalb ihre Berücksichtigung als Betriebsausgabe ausscheidet. Insoweit ist kein Pauschbetrag gemäß § 13 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm § 6 Abs 1 Nr 3b Alg II-V (idF vom 21.6.2011, BGBl I 1175) im Zusammenhang mit der Benutzung eines Kraftfahrzeugs für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit abzusetzen, weil die Klägerin kein Kraftfahrzeug genutzt hat. Die Berücksichtigung des Betrags iHv 15,33 Euro monatlich als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe (§ 6 Abs 1 Nr 3a Alg II-V) scheidet aus, weil dieser pauschalierte Absetzbetrag nicht für Einkommen nach § 3 Alg II-V gilt, also auch nicht für Einkommen aus selbständiger Arbeit. Insoweit bleibt selbständig Tätigen die Möglichkeit, höhere notwendige Ausgaben nachzuweisen (§ 6 Abs 1 Nr 3 letzter Teilsatz Alg II-V). Wie die Verknüpfung der Teilregelungen des § 6 Abs 1 Nr 3, Abs 2 Alg II-V zeigt, betrifft diese Möglichkeit auch die durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandenen Fahrkosten bei selbständiger Tätigkeit für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (vgl BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 31/13 R - SozR 4-4225 § 3 Nr 5 RdNr 23: Zuordnung zum "privaten Bereich"). Nachgewiesen sind insoweit 2,30 Euro für Juni und August 2011, sonst monatlich 33,50 Euro. 

Außerdem sind als Pauschbetrag abzusetzen 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II, die nach Grund und Höhe angemessen sind (§ 6 Abs 1 Nr 1 AlgII-V)

Zusammengerechnet ergeben die Beträge nach 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II monatlich maximal 93,35 Euro (29,85 Euro + 33,50 Euro + 30 Euro). Damit kommt es auf die von der Klägerin gerügte Begrenzung der Absetzbeträge durch den Grundfreibetrag bei einem Einkommen bis 400 Euro (§ 11b Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II) nicht an. 

Von den Einnahmen iHv 285,26 Euro (monatliches Betriebsergebnis) sind 79,60 Euro (§ 11b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II), 100 Euro (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) und 37,05 Euro (§ 11b Abs 3 Satz 1 und 2 Nr 1 SGB II) abzusetzen. Das anzurechnende Einkommen beträgt monatlich 68,61 Euro. Ausgehend von Bedarfen aus Regelbedarf und Mehrbedarf iHv monatlich 364 Euro verbleibt nach Anrechnung des Einkommens insoweit ein Anspruch iHv monatlich 295,39 Euro, den der Beklagte festzusetzen hat. Daraus ergeben sich Erstattungsbeträge iHv monatlich 18,94 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

S. Knickrehm                                 Siefert                                 Neumann

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