Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 14.12.2023, B 10 KG 1/22 R

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. September 2022 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2020 zurückgewiesen sowie die Klage gegen den Bescheid vom 1. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2022 abgewiesen. 

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für den Zeitraum von September 2018 bis Juni 2019 Kindergeld für sich selbst zusteht. 

Der 2001 in Syrien geborene Kläger ist mittlerweile deutscher Staatsangehöriger. Sein Vater ist kurz nach seiner Geburt verstorben. Im Jahr 2015 ist der Kläger aus seinem Heimatort in Syrien geflohen und im September 2015 nach Deutschland eingereist. Auf seinen Asylantrag wurde ihm im September 2017 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Im streitigen Zeitraum bestand eine die Erwerbstätigkeit gestattende Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Er führte damals einen eigenen Haushalt und besuchte die Schule. 

Ende 2017 hat sich auch seine Familie auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Über ihren ungefähren Aufenthalt konnte der Kläger sich zunächst nur auf dem Umweg über einen Bruder informieren. Später konnte er auch selbst hin und wieder über das Internet mit seiner Mutter telefonieren. 

In seinem Antrag auf Kindergeld vom 14.3.2019 gab der Kläger an, ihm sei der Aufenthalt seiner Mutter bekannt. Er telefoniere zwei- bis dreimal im Monat mit ihr. Daher wisse er, dass sie keine konkrete Adresse habe. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Aufgrund des Kontakts zu seiner Mutter habe der Kläger deren Aufenthalt gekannt (Bescheid vom 7.5.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.6.2019). Seine hiergegen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Dem Kläger sei der Aufenthaltsort seiner Mutter bekannt gewesen, wie er im Verfahren mehrfach bekundet habe. Es liege nahe und entspreche seinen Angaben, dass er sich bei den Telefonaten mit seiner Mutter nach ihrem Aufenthaltsort erkundigt habe. Andernfalls wäre er so zu stellen, als ob er den Aufenthalt seiner Mutter erfragt hätte, weil ein missbräuchliches Sich-Verschließen der Kenntnis des Aufenthalts gleichstehe (Urteil vom 22.1.2020)

Im Laufe des vom Kläger angestrengten Berufungsverfahren lehnte die Beklagte Kindergeld für die Monate September bis November 2018 ab (Bescheid vom 1.2.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.2.2022)

Auf die Berufung des Klägers hat das LSG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Kindergeld für den streitgegenständlichen Zeitraum zu zahlen. Eine dem Anspruch entgegenstehende Kenntnis des Aufenthalts könne nur angenommen werden, wenn zumindest ein Elternteil für das Kind "greifbar" sei. Dies erfordere einen verstetigten und nicht nur vorübergehenden Aufenthaltsort sowie eine postalische Erreichbarkeit der Eltern oder des verbliebenen Elternteils. Das folge aus dem Sinn und Zweck des Kindergelds für sich selbst. Die Leistung sei eine reine Sozialleistung, auf die gerade solche Kinder angewiesen seien, denen ihre Eltern oder Verwandten nicht mehr helfen könnten. Dem Kind solle der Kindergeldanspruch erhalten bleiben, solange kein Leistungsberechtigter vorhanden sei, der die kindbedingten wirtschaftlichen Belastungen tragen könne (Urteil vom 22.9.2022)

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Dem Anspruch stehe entgegen, dass der Kläger den Aufenthalt seiner Mutter gekannt habe. Eine postalische Erreichbarkeit oder eine Verstetigung des Aufenthalts sei nach dem Wortlaut der Norm, der gerade nicht auf einen "gewöhnlichen Aufenthalt" abstelle, nicht erforderlich. Vielmehr sei es ausreichend, dass ein Kontakt zu den örtlichen Bedingungen im Aufenthaltsland des Elternteils hergestellt werden könne. Dies sei dem Kläger möglich gewesen. Ferner spreche die Systematik der Vorschrift und der ihr nach den Gesetzesmaterialien zugedachte Sinn und Zweck für das Erfordernis einer mit einer Vollwaise vergleichbaren Konstellation. Nach der Absicht des Gesetzgebers stehe nur solchen Kindern ein Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld zu, die - anders als der Kläger - nicht wüssten, ob ihre Eltern noch am Leben seien und jemals die Elternstelle wieder einnehmen könnten. Es handele sich um eine Ausnahmeregelung unter Härtefallgesichtspunkten. 

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 22. September 2022 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Berlin vom 22. Januar 2020 zurückzuweisen sowie die Klage gegen den Bescheid vom 1. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2022 abzuweisen. 

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen. 

Er verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG war aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen sowie die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1.2.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.2.2022 abzuweisen (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat für die Monate September 2018 bis Juni 2019 keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst.

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, mit dem es die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide und des SG-Urteils verurteilt hat, dem Kläger Kindergeld für die Zeit von September 2018 bis Juni 2019 zu zahlen.

B. Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf Kindergeld für sich selbst zu Recht verneint (dazu unter 1.). Daher war dessen Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 1.2.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.2.2022 (§ 95 SGG) abzuweisen (dazu unter 2.).

1. Der Kläger hat für die Zeit von September 2018 bis Juni 2019 keinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst. 

Vorbehaltlich der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (vgl § 1 Abs 3; § 2 Abs 2 und 3 BKGG) erhält gemäß § 1 Abs 2 Satz 1 BKGG in der bereits seit dem 1.1.1996 geltenden Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11.10.1995 (BGBl I 1250) Kindergeld für sich selbst, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Nr 1), Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt (Nr 2) und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist (Nr 3). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht, weil er den Aufenthalt seiner Mutter kannte (dazu unter a). Mangels einer planwidrigen Regelungslücke kann der geltend gemachte Anspruch auch nicht auf eine analoge Anwendung dieser Vorschrift gestützt werden (dazu unter b). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht (dazu unter c).

a) Der Kläger kannte entgegen § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG den Aufenthalt seiner Mutter, was seinen Anspruch auf Kindergeld für sich selbst ausschließt. 

Ein Kindergeld für sich selbst beanspruchendes Kind kennt den Aufenthalt seiner Eltern iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG nur dann nicht, wenn es nicht weiß, an welchem für ihn bestimmbaren Ort sich seine Eltern befinden (dazu unter aa), wenn im Rahmen einer ex-ante Betrachtung aus seiner Sicht keine zumutbare Möglichkeit besteht, innerhalb eines angemessenen Zeitraums in Kontakt mit den Eltern zu treten (dazu unter bb) und wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib seiner Eltern nach den Umständen des Einzelfalls objektiv den unwiederbringlichen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung befürchten lassen. Auf das Bestehen einer intakten Beziehung zu den Eltern oder eines gegenseitigen Willens zu deren Pflege oder Wiederherstellung kommt es hierbei nicht an (dazu unter cc). Steht die Kenntnis des Kindergeld eines für sich selbst beanspruchenden Kindes vom Aufenthalt seiner Eltern infrage, hat die Familienkasse die vom Kind behauptete Unkenntnis in Erfüllung ihrer Amtsermittlungspflicht festzustellen; im Streitfall ist dies auch Sache der Tatsachengerichte. Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten verbleibende Zweifel am Vorliegen der Unkenntnis des Kindes über den Aufenthalt der Eltern als anspruchsbegründende innere Tatsache gehen zu seinen Lasten (dazu unter dd). Nach diesen Vorgaben hatte der Kläger im streitigen Zeitraum Kenntnis vom Aufenthalt seiner Mutter iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG und kann deswegen für diese Zeit kein Kindergeld für sich selbst beanspruchen (dazu unter ee).

aa) Kenntnis vom Aufenthalt seiner Eltern iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG hat ein Kind bereits dann, wenn es weiß, an welchem für das Kind bestimmbaren Ort sich seine Eltern zumindest vorübergehend befinden (vgl zur subjektiven Ausgestaltung der Vorschrift bereits BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 17). Nicht erforderlich ist dagegen die Kenntnis von einem Wohnsitz iS des § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I, einem gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I, einem "verstetigten" oder "verfestigten" Aufenthalt, einer ladungsfähigen Anschrift oder einer sonstigen die postalische Erreichbarkeit ermöglichenden Adresse der Eltern. Dies folgt aus dem Wortlaut (dazu unter <1>), der Systematik (dazu unter <2>) sowie dem Sinn und Zweck der Norm, wie er sich aus der Entstehungsgeschichte entnehmen lässt (dazu unter <3>)

 (1) Diese Auslegung der Norm ist von ihrem Wortlaut gedeckt. Im allgemeinen Sprachgebrauch umfasst der Begriff des Aufenthalts ein weites Spektrum von Bedeutungen; es reicht von der zeitlich begrenzten Anwesenheit an einem Ort bis zur Bezeichnung des (dauerhaften) Wohnortes (vgl https://www.duden.de/rechtschreibung/Aufenthalt, zuletzt aufgerufen am 13.12.2023). Eindeutige zeitliche und örtliche Grenzen lassen sich aus der allgemeinen Wortbedeutung daher nicht ableiten. In der Rechtssprache charakterisiert der "schlichte" bzw "einfache" Aufenthalt auch ein bloß vorübergehendes Verweilen an einem räumlich bestimmbaren Ort (vgl Ogorek in Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 56. Edition, Stand: 15.8.2023, Art 11 RdNr 11 mwN) im Gegensatz zum "gewöhnlichen Aufenthalt" und insbesondere zum "Wohnsitz", die eine gewisse Dauerhaftigkeit voraussetzen (vgl hierzu BSG Urteil vom 18.3.2021 - B 10 EG 6/19 R - SozR 4-7837 § 1 Nr 11 RdNr 20 ff und 37 ff; BSG Urteil vom 27.3.2020 - B 10 EG 7/18 R - BSGE 130, 103 = SozR 4-7837 § 1 Nr 9, RdNr 19 ff und 42 ff, jeweils mwN)

 (2) Für ein solches Verständnis des Aufenthaltsbegriffs spricht zunächst die systematische Betrachtung. Anders als in § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BKGG und den übrigen Vorschriften des BKGG (vgl § 1 Abs 1 Nr 4, § 2 Abs 5 Satz 1, § 13 Abs 1 Satz 2 und 3 BKGG) wird in § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG nicht auf den in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I legal definierten "gewöhnlichen Aufenthalt" abgestellt, sondern nur ganz allgemein auf den "Aufenthalt" der Eltern als Bezugsobjekt der Unkenntnis des Kindes. 

 (3) Für dieses Verständnis streitet zudem der Sinn und Zweck der Norm, wie er sich aus ihrer Entstehungsgeschichte entnehmen lässt. 

Grundsätzlich werden nach dem Kindergeldrecht Zahlungen nicht den Kindern selbst, sondern den Eltern und solchen Personen, die elternähnlich mit dem Unterhalt von Kindern belastet sind, geleistet. Insoweit bezweckt das Kindergeld einen typisierenden Ausgleich für die finanzielle Mehrbelastung durch die Kindererziehung und die besonderen Bedürfnisse von Kindern (BSG Urteil vom 5.5.2015 - B 10 KG 1/14 R - BSGE 119, 33 = SozR 4-5870 § 1 Nr 4, RdNr 27)

Mit der Einfügung des § 1 Abs 2 BKGG in seiner Ursprungsfassung durch das Elfte Gesetz zur Änderung des BKGG vom 27.6.1985 (BKGGÄndG11, BGBl I S 1251) zum 1.1.1986 sollte nach den Gesetzesmaterialien auf Anregung des Bundesrates eine Ausnahmeregelung zur "Vermeidung von Härtefällen" für den "sehr begrenzten Personenkreis" der "alleinstehenden Vollwaisen" geschaffen werden. Hintergrund war, dass nach damaligem Recht alleinstehende Vollwaisen, die nach dem Tod ihrer Eltern den Haushalt weiterführten, zwar für ihre jüngeren Geschwister Kindergeld beanspruchen konnten, nicht aber für sich selbst. Dies wurde allgemein "als sozial ungerecht empfunden". Dem Gesetzgeber erschien es deshalb geboten, "auch alleinstehende Vollwaisen für ihre eigene Person in die Kindergeldzahlung einzubeziehen, damit zu dem persönlichen Verlust bei Tod der Eltern nicht zusätzlich finanzielle Verschlechterungen durch den teilweisen Wegfall des Kindergeldes" eintraten (Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.2.1985 eines BKGGÄndG11, BT-Drucks 10/2886 S 9; zustimmende Gegenäußerung der Bundesregierung zur vorgenannten Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 10/2886 S 10; vgl auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vom 21.5.1985 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines BKGGÄndG11 <Ausschussbericht BKGGÄndG11>, BT-Drucks 10/3369 S 11; Rede der BT-Abgeordneten Gertrud Dempwolf <CDU> vom 1.3.1985 in der 124. Sitzung des Deutschen Bundestages zur ersten Beratung des Entwurfs der Bundesregierung eines BKGGÄndG11, Plenarprotokoll 10/124 S 9156 D; vgl überdies BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 14). Insoweit sollte das Kindergeld im Fall von alleinstehenden Vollwaisen diesen selbst als Ausgleich für die eigenen Belastungen dienen, die der Gesetzgeber damit gleichzeitig auch anerkennen und würdigen wollte (BSG Urteil vom 5.5.2015 - B 10 KG 1/14 R - BSGE 119, 33 = SozR 4-5870 § 1 Nr 4, RdNr 27)

In den Jahren zuvor hatten sich bereits der Petitionsausschuss und in der Folge auch verschiedene andere Ausschüsse des Deutschen Bundestages (s hierzu die Berichte des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 4.6.1981, BT-Drucks 9/549 S 16 und vom 15.5.1986, BT-Drucks 10/5504 S 36 f; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit vom 5.12.1984 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des BKGG, BT-Drucks 10/2563 S 3 f) sowie die Bundesregierung (vgl die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Irmgard Karwatzki <CDU> vom 12.10.1983 auf die Frage des BT-Abgeordneten Bernhard Jagoda <CDU>, BT-Drucks 10/494 S 16 f) für eine Kindergeldregelung zugunsten alleinstehender (haushaltsführender) Vollwaisen ausgesprochen. Nachdem von einer Umsetzung dieses Vorhabens aus verschiedenen Gründen wiederholt Abstand genommen worden war (vgl dazu im Überblick den Bericht des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 15.5.1986, BT-Drucks 10/5504 S 36 f), wurde schließlich mit dem BKGGÄndG11 zum 1.1.1986 nicht nur eine Regelung zugunsten von Kindern, die nach dem Tod der Eltern bei ihren Geschwistern quasi-elterliche Funktionen wahrnahmen, eingeführt, sondern allgemein ein "Kindergeld für alleinstehende Kinder" (so der Wortlaut des § 14 Abs 1 Satz 1 BKGG idF des BKGGÄndG11 <aF>, der ausdrücklich auf § 1 Abs 2 BKGG Bezug nahm; vgl dazu auch BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 14).  

Seitdem sind nach § 1 Abs 2 BKGG neben Vollwaisen - also Kindern, deren leibliche Eltern oder Adoptiveltern verstorben sind (BSG vom 21.12.1961 - 12/3 RJ 96/60 - BSGE 16, 110 = SozR Nr 3 zu § 1269 RVO - juris RdNr 16) - anspruchsberechtigt auch solche alleinstehenden Kinder, die ohne Waisen zu sein, den Aufenthalt ihrer Eltern nicht kennen. Die Beschränkung des Anspruchs auf diesen sehr engen Kreis nur aus diesen Gründen alleinstehender Kinder unterstreichen neben der Bezugnahme des § 14 Abs 1 Satz 1 BKGG aF auf § 1 Abs 2 BKGG auch die Gesetzesmaterialien. Danach meint "alleinstehende Kinder" nur solche Kinder, "bei denen nach dem Tod oder der Verschollenheit ihrer Eltern niemand die Elternstelle iS des Kindergeldrechts eingenommen hat" (Ausschussbericht BKGGÄndG11, BT-Drucks 10/3369 S 11). Dass trotz dieser Passage im Ausschussbericht der Verschollenheitsbegriff nach § 1 Abs 1 Verschollenheitsgesetz schon aufgrund des deutlich abweichenden Gesetzeswortlauts für die Nichtkenntnis vom Aufenthalt der Eltern iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG nicht maßgeblich ist, hat das BSG bereits im Urteil vom 8.4.1992 (10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 15) entschieden. Hieran hält der Senat fest. 

Gleichwohl ist für das Grundverständnis der Norm entscheidend, dass es trotz der in den Gesetzesmaterialien nicht näher begründeten Erweiterung der Anspruchsberechtigung auf Kinder, die den Aufenthalt ihrer Eltern nicht kennen, erkennbar bei dem gesetzgeberischen Leitbild der alleinstehenden (haushaltsführenden) Vollwaise iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG verblieb. Denn dieser sollte - wie oben ausgeführt - nach den in den vorgenannten Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers zur Vermeidung sozialer Härten nicht zugemutet werden, dass zu dem mit dem Tod ihrer Eltern verbundenen unwiederbringlichen "persönlichen Verlust" der finanzielle Verlust des Kindergeldanspruchs hinzutrat. 

Vor diesem Hintergrund genügt es zur Begründung eines Kindergeldanspruchs für sich selbst entgegen der Ansicht des LSG nicht, wenn das Kind die durch das Kindergeld abzumildernden finanziellen Belastungen selbst tragen muss, weil es Unterhaltsansprüche gegen die ortsabwesenden Eltern nicht geltend machen kann, sei es aufgrund mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Eltern oder wegen fehlender Durchsetzbarkeit von Ansprüchen. Weder Gesetzestext noch die Gesetzesmaterialien bieten belastbare Anhaltspunkte dafür, dass mit § 1 Abs 2 BKGG ein Kindergeldanspruch für alle in Deutschland lebenden Kinder geschaffen werden sollte, für die weder die Eltern noch elternähnliche Personen kindergeldberechtigt sind. Sofern der Unterhalt dieser Kinder nicht auf andere Weise sichergestellt ist, greifen in diesen Fällen die subsidiären Grundsicherungssysteme.

bb) Selbst wenn ein Kind vorübergehend nicht weiß, an welchem Ort sich seine Eltern zumindest zeitweise befinden, fehlt ihm deshalb noch nicht die Kenntnis ihres Aufenthalts iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG. Das ist vielmehr erst dann der Fall, wenn aus Sicht des Kindes ex-ante betrachtet über das fehlende Wissen vom Aufenthaltsort hinaus auch keine zumutbare Möglichkeit bestand, innerhalb eines angemessenen Zeitraums in Kontakt mit den Eltern zu treten und dabei den Aufenthaltsort zu erfahren. 

Bei Einführung des Kindergelds für sich selbst im Jahr 1986 erforderte die Aufrechterhaltung der Eltern-Kind-Beziehung zwischen allein lebenden Kindern und ihren Eltern regelmäßig deren postalische Erreichbarkeit. Seither hat die technische Entwicklung der Telefonie und des Internets weltweit vielfältige neue und erheblich erleichterte Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen, insbesondere durch E-Mail, SMS und Messenger-Dienste wie zB WhatsApp. Diese neuen Möglichkeiten sind heute annähernd überall auf der Welt zugänglich. Ihre bekanntermaßen weite Verbreitung und große Nutzung hat sich insbesondere im Zusammenhang mit Auslandskontakten mittlerweile auch in Gesetzgebung und Verwaltungspraxis niedergeschlagen, wie etwa die Vorschrift über die Zulässigkeit der Auswertung von Datenträgern in § 15a Asylgesetz zeigt (vgl zum Auslesen von Mobiltelefonen BVerwG Urteil vom 16.2.2023 - 1 C 19.21 - juris RdNr 22 ff). Von ihren Eltern im Ausland getrennt in Deutschland lebenden Kindern ist es daher in aller Regel ohne Weiteres möglich und zuzumuten, mithilfe dieser Kommunikationsmittel die Beziehung zu ihren Eltern aufrechtzuerhalten oder - ggf mit Unterstützung Dritter (zB Familienangehörige, Freunde) - kurzfristig Kontakt zu ihnen herzustellen und sich dabei auch über deren aktuellen Aufenthaltsort zu informieren. 

Abzustellen für die so verstandene Aufenthaltskenntnis iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG ist auf die subjektive Kenntnis des Kindes bei Antragstellung und während des Leistungszeitraums. (vgl BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 17). Aus § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG lässt sich dagegen kein Verschuldensgrad entnehmen, bei dessen Vorliegen eine positive Kenntnis unterstellt werden könnte (BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 18). Der positiven Kenntnis vom Aufenthalt dennoch gleichzustellen ist aber nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 162 BGB ein rechtsmissbräuchliches Sich-Verschließen vor der Kenntnis (vgl BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 18; vgl BGH Urteil vom 16.5.1989 - VI ZR 251/88 - juris RdNr 15; BGH Urteil vom 5.2.1985 - VI ZR 61/83 - juris RdNr 16 f; vgl aus jüngerer Zeit auch BGH Urteil vom 18.10.2016 - XI ZR 145/14 - BGHZ 212, 286 - juris RdNr 34). Das Verbot eines solchen Sich-Verschließens stellt eine spezielle Ausprägung des auch im Sozialrecht anwendbaren allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben dar (vgl dazu allgemein BSG Urteil vom 23.6.2015 - B 1 KR 13/14 R - SozR 4-5560 § 17b Nr 6 RdNr 21; BSG Urteil vom 10.5.2007 - B 10 KR 1/05 R - BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, RdNr 20; BSG Urteil vom 11.9.1980 - 5 RJ 8/80 - BSGE 50, 213 = SozR 2200 § 1419 Nr 7 - juris RdNr 18; BSG Urteil vom 27.1.1970 - 9 RV 44/68 - juris RdNr 15)

Ein Kind verschließt sich in diesem Sinne missbräuchlich der Kenntnis vom Aufenthalt seiner Eltern, wenn es versäumt, eine sich ihm ohne Weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit wahrzunehmen, deren Erlangung weder besondere Kosten noch Mühen verlangt (vgl BGH Urteil vom 16.5.1989 - VI ZR 251/88 - juris RdNr 15; BGH Urteil vom 5.2.1985 - VI ZR 61/83 - juris RdNr 16) und deren Nutzung deshalb insbesondere von einem Kind auf der Suche nach seinen Eltern erwartet werden kann. Dazu gehört - wie oben ausgeführt - die Nutzung moderner und beinahe überall verfügbarer Kommunikationsmöglichkeiten insbesondere durch Mobiltelefonie und Internet auch unter Inanspruchnahme der Hilfe Dritter wie Familienangehöriger oder Freunde.

cc) Schließlich begründet eine zeitweise fehlende Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern und die Unmöglichkeit der Kontaktaufnahme mit zumutbaren Mitteln erst dann eine fehlende Aufenthaltskenntnis nach § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG, wenn Dauer und Ausmaß der Unkenntnis über den Verbleib der Eltern nach den Umständen des Einzelfalls objektiv den endgültigen Verlust der Eltern-Kind-Beziehung befürchten lassen. Dieses Erfordernis folgt daraus, dass das Kindergeld für alleinstehende Kinder - wie oben ausgeführt - zusätzliche finanzielle Härten für diejenigen vermeiden sollte, die einen "persönlichen Verlust" erlitten hatten, der demjenigen einer Vollwaise vergleichbar ist. Von einem solchen, dem Tod der Eltern gleichstehenden Verlust kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch aus der Sicht des Kindes objektiv der Verlust der Eltern-Kind-Beziehung unwiederbringlich zu sein scheint. Ein den Umständen des Einzelfalls geschuldeter vorübergehender Abriss der Kommunikation genügt dafür aber ebenso wenig wie das Fehlen eines gegenseitigen Willens zur Pflege oder Wiederherstellung einer intakten Eltern-Kind-Beziehung.

dd) Steht die Kenntnis des Kindergeld für sich selbst beanspruchenden Kindes vom Aufenthalt seiner Eltern objektiv infrage, hat die Familienkasse die vom Kind behauptete Unkenntnis in Erfüllung ihrer Amtsermittlungspflicht (§ 20 SGB X) Im Streitfall ist diese Feststellung nach § 103 SGG auch Sache der Tatsachengerichte (BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91 - SozR 3-5870 § 1 Nr 1 - juris RdNr 18). Dem Kind obliegt es nach allgemeinen sozialrechtlichen Grundsätzen, an den Ermittlungen der Familienkasse zur fehlenden Kenntnis vom Aufenthalt der Eltern mitzuwirken, sofern die Mitwirkung angemessen und zumutbar iS des § 65 SGB I ist. Es muss insbesondere nach § 21 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X iVm § 60 Abs 1 Satz 1 SGB I auf Verlangen der Familienkasse alle ihm bekannten Tatsachen mitteilen, die zu einer behördlichen Ermittlung des Aufenthalts seiner Eltern beitragen können. Dazu hat das Kind auch anzugeben, ob und welche zumutbaren Versuche einer Kontaktaufnahme mit den Eltern es unternommen hat und woran diese ggf gescheitert sind. Eine über die Familienkasse vermittelte Kenntnis vom Aufenthalt der Eltern muss sich das Kind anspruchsschädlich entgegenhalten lassen. Ebenso muss es sich die Kenntnis seines Prozessbevollmächtigten oder eines sonstigen Wissensvertreters als eigene Kenntnis zurechnen lassen. Kommt das antragstellende Kind seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, kann die Familienkasse ihm nach § 66 Abs 1 SGB I das Kindergeld bis zur Nachholung der Mitwirkung versagen.

Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten verbleibende Zweifel an der Unkenntnis des Kindes vom Aufenthalt der Eltern als anspruchsbegründender innerer Tatsache gehen nach den Regeln der objektiven Beweislast zulasten des Kindes (vgl BSG Urteil vom 15.6.2016 - B 4 AS 41/15 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 14 RdNr 31; BSG Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 29/13 R - BSGE 116, 165  = SozR 4-2500 § 301 Nr 4, RdNr 14; BSG Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 6/09 R - juris RdNr 34; Mushoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 103 RdNr 160, Stand: Oktober 2023).

ee) Nach diesen Vorgaben hatte der Kläger im Leistungszeitraum Kenntnis vom Aufenthalt seiner Mutter iS des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG und kann deswegen für diese Zeit kein Kindergeld für sich selbst beanspruchen. 

Das LSG hat hinreichende tatsächliche Feststellungen zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals "Nichtkenntnis vom Aufenthalt der Eltern" getroffen. Danach hat der Kläger bei Antragstellung mitgeteilt, er wisse, dass seine Mutter über keine feste Adresse verfüge. Diese hatte sich zwar Ende 2017 auf die Flucht begeben und zunächst jeweils nur für kurze Dauer an verschiedenen Orten in Syrien gelebt, zuletzt in der Nähe von Damaskus. Allerdings hat der Kläger auch angegeben, zwei- bis dreimal monatlich mit seiner Mutter zu telefonieren. Wie das SG nachvollziehbar und vom LSG insoweit unwidersprochen angenommen hat, hatte er dadurch zumindest die zumutbare Möglichkeit, sich im Leistungszeitraum nach dem aktuellen Aufenthaltsort seiner Mutter zu erkundigen. Auf die Kenntnis einer ladungsfähigen Anschrift oder sonstigen postalischen Adresse oder eines "verstetigten" oder "verfestigten" Aufenthalts kam es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ebenso wenig an wie auf eine regelmäßige und zuverlässige Erreichbarkeit. Einen Abriss der Kommunikationsmöglichkeiten, der nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere wegen der Gefahren und ungeordneten Verhältnisse in einem vom Bürgerkrieg geprägten Land wie Syrien, einen dauerhaften Verlust der Beziehung zu seiner Mutter befürchten ließ, hat der Kläger weder behauptet noch ergibt er sich aus den Feststellungen des LSG. Vielmehr geht daraus hervor, dass der Kläger über das Schicksal seiner Mutter stets zumindest in groben Zügen informiert war.

b) Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld für sich selbst lässt sich mangels der dafür erforderlichen Voraussetzungen auch nicht aus einer analogen Anwendung der Vorschrift des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG herleiten. In Ansehung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers stellt das Fehlen eines Kindergeldanspruchs für finanziell auf sich allein gestellte Kinder keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes iS einer Regelungslücke als einer grundlegenden Voraussetzung einer Analogie dar (vgl hierzu BSG Urteil vom 24.3.2022 - B 10 EG 1/20 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 34 RdNr 28 mwN). Aus den Gesetzesmaterialien geht - wie oben ausgeführt - vielmehr hervor, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 1 Abs 2 BKGG eine Ausnahmeregelung unter Härtefallgesichtspunkten schaffen und Kindergeld für sich selbst ausnahmsweise nur dem ausdrücklich normierten Personenkreis gewähren wollte, der sich in einer zumindest vergleichbaren persönlichen Lage wie alleinstehende Vollwaisen befand. In einer solchen Lage befand sich der Kläger aber nicht, weil er den Aufenthalt seiner Mutter kannte und die Beziehung zu ihr nicht unwiderruflich verloren erschien.

c) Verfassungsrecht steht dem vom Senat gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Es verstößt insbesondere nicht gegen den in Art 3 Abs 1 GG normierten allgemeinen Gleichheitssatz, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sind, ohne dass dem Gesetzgeber damit jede Differenzierung verwehrt wäre (vgl zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 2.5.2018 - 1 BvR 3042/14 - SozR 4-2500 § 135 Nr 29 RdNr 18). Bei der Ausgestaltung des sozialrechtlichen Kindergelds nach dem BKGG - einer steuerfinanzierten über die bloße Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums hinausgehenden Sozialleistung iS des § 11 Satz 1 iVm § 68 Nr 9 SGB I - hat der Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum, insbesondere auch was die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises betrifft (BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 10 KG 2/07 R - SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 25). Es ist ihm lediglich verwehrt, diese nach unsachlichen Gesichtspunkten - also "willkürlich" - zu gewähren (vgl zum Elterngeld BVerfG <Kammer> Beschluss vom 9.11.2011 - 1 BvR 1853/11 - BVerfGK 19, 186 - juris RdNr 10; BSG Urteil vom 9.3.2023 - B 10 EG 1/22 R - SozR 4-7837 § 2b Nr 6 RdNr 32 mwN). Diese Grenzen sind hier gewahrt. 

Einen hinreichend gewichtigen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber dem nach § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 BKGG anspruchsberechtigten Personenkreis in Bezug auf die Gewährung sozialrechtlichen Kindergelds rechtfertigt, stellt der mit dem Tod der Eltern oder einem (zu befürchtenden) unwiederbringlichen Entfallen der Eltern-Kind-Beziehung aus Unkenntnis über deren Aufenthalt verbundene "persönliche Verlust" dar. Bei dessen Eintritt sollten zusätzliche finanzielle Härten für die dadurch alleinstehenden Kinder mittels einer ausnahmsweisen Gewährung von Kindergeld für das Kind selbst vermieden werden. Einen solchen Verlust hat der Kläger anders als die Vergleichsgruppe nicht erlitten. 

Eine mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbare Ungleichbehandlung von Kindern, die - wie der Kläger - von ihren im Ausland lebenden Eltern keine finanzielle Unterstützung erhalten, gegenüber Kindern unterhaltssäumiger Eltern mit inländischem Wohnsitz resultiert auch nicht aus dem Umstand, dass Letztere nach Maßgabe des § 48 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB I eine Auszahlung des Kindergelds an sich selbst erwirken können (sog Abzweigung). Es fehlt insoweit an einer hinreichenden Vergleichbarkeit der Konstellationen und daher bereits an einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung. Denn im Fall der Abzweigung wird kein eigenständiger Sozialleistungsanspruch des Abzweigungsberechtigten geschaffen, wie ihn der Kläger begehrt, sondern nur über dessen Empfangsberechtigung disponiert (vgl BSG Urteil vom 18.3.1999 - B 14 KG 6/97 R - BSGE 84, 16 = SozR 3-1300 § 50 Nr 21 - juris RdNr 18; Hänlein in Knickrehm/Roßbach/ Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl 2023, § 48 SGB I RdNr 2; Karl in Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB I, § 48 RdNr 34, Stand: Dezember 2022).

2. Nach alledem war auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Die Klage gegen den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 1.2.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.2.2022 (§ 95 SGG) war abzuweisen. 

Über diesen Bescheid hätte das LSG allerdings nach § 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 SGG entscheiden müssen, weil er den ursprünglich im Klageverfahren angefochtenen Bescheid vom 7.5.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.6.2019 (§ 95 SGG) teilweise - für die Monate September bis November 2018 - iS von § 96 Abs 1 SGG ersetzt und dieser sich insoweit erledigt hatte. Denn mit dem Widerspruchsbescheid vom 18.6.2019 hatte die Beklagte bereits über diesen Zeitabschnitt mitentschieden. Nur so konnte der Kläger diesen Bescheid aus Sicht eines objektiven Empfängers (vgl hierzu BSG Urteil vom 25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 19 RdNr 21 ff) verstehen. Er hatte zuvor in seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 7.5.2019 ausdrücklich klargestellt, dass er Kindergeld für sich selbst schon ab September 2018 begehre. In diesem Umfang ist der im Berufungsverfahren ergangene, ausdrücklich eine (erneute) Sachentscheidung "für den Zeitraum von September 2018 bis einschließlich November 2018" treffende Bescheid vom 1.2.2022 kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Das LSG hätte darüber allerdings nicht zweitinstanzlich auf Berufung, sondern erstinstanzlich "auf Klage" entscheiden müssen (vgl zB BSG Beschluss vom 6.6.2023 - B 12 KR 45/22 B - juris RdNr 7; BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 10 EG 6/18 R - SozR 4-7837 § 2b Nr 5 RdNr 44). Dies hat der Senat im Tenor klargestellt.

C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Kaltenstein                                      Othmer                                   Röhl

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