Bundessozialgericht

Bundessozialgericht Urteil vom 28.08.2024, B 1 KR 18/23 R

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. März 2023 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen. 

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1048,04 Euro festgesetzt. 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Vergütungsanspruch für eine Krankenhausbehandlung im Wege der Aufrechnung erloschen ist. 

Die Klägerin betreibt ein Plankrankenhaus (§ 108 Nr 2 SGB V) und behandelte dort vom 26. bis zum 27.3.2021 einen bei der beklagten Krankenkasse (KK) krankenversicherten Patienten wegen Lumboischialgie und Claudicatio-spinalis-Symptomatik stationär zur Durchführung einer Facettengelenksthermodenervation. Hierfür berechnete sie der Beklagten 1048,04 Euro (Rechnung vom 6.4.2021), die den Betrag zunächst beglich. 

Am 1.12.2021 erklärte die Beklagte die Aufrechnung der Gesamtsumme gegen einen unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin, nachdem der Medizinische Dienst (MD) die stationäre Behandlungsnotwendigkeit anhand der vorhandenen Unterlagen medizinisch nicht ausreichend hatte nachvollziehen können. 

Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 1048,04 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der von der Beklagten erklärten Aufrechnung habe das Aufrechnungsverbot gemäß § 109 Abs 6 SGB V entgegengestanden. Die Ausnahme vom Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs 6 Satz 2 SGB V habe nicht vorgelegen, da die Forderung nicht unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sei. Zwar könnten gemäß § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V in der Vereinbarung nach § 17c Abs 2 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) abweichende Regelungen vorgesehen werden. Die nach der Übergangsprüfverfahrensvereinbarung (Übergangs-PrüfvV) vom 10.12.2019 vorgesehene generelle Zulässigkeit von Aufrechnungen über den 1.1.2020 hinaus sei aber nicht mit dem grundsätzlich geltenden gesetzlichen Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs 6 Satz 1 SGB V vereinbar, weil dieses vollständig ausgehebelt werde (Urteil vom 29.3.2023)

Mit ihrer vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung von § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V. Das Aufrechnungsverbot sei mit dem Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vom 14.12.2019 eingeführt worden. Gleichzeitig sei zulasten der Krankenhäuser die Möglichkeit einer Rechnungskorrektur durch die Einfügung des § 17c Abs 2a KHG ausgeschlossen worden. Im Hinblick auf das kurzfristige Inkrafttreten des MDK-Reformgesetzes hätten sich die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV Spitzenverband (GKV-SV) noch im Dezember 2019 darauf verständigt, zur Gewährleistung von Verfahrenssicherheit die bisherige Rechtslage sowohl hinsichtlich der Aufrechnungs- als auch der Rechnungskorrekturmöglichkeit übergangsweise weiter gelten zu lassen. Der Wortlaut von § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V enthalte keine Einschränkungen bezüglich der abweichenden Regelungen in der Vereinbarung nach § 17c Abs 2 Satz 1 KHG. Die vorübergehende Suspendierung des Aufrechnungsverbots bis zur Anpassung der PrüfvV an das MDK-Reformgesetz sei eine sachgerechte Ausnahme vom Aufrechnungsverbot in zeitlicher Hinsicht. Der Aufrechnungsbefugnis stehe nicht entgegen, dass bezüglich der unstreitigen Gegenforderung kein Prüfverfahren durchlaufen worden sei. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Vergütungsanspruch nicht zu. Die stationäre Behandlung des Versicherten sei medizinisch nicht notwendig gewesen. Die Facettenthermokoagulation sei regelmäßig ambulant durchführbar.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. März 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 29. März 2023 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die im Übrigen form- und fristgerechte Sprungrevision der Beklagten ist zulässig. Der Senat ist an die Zulassung der Revision durch das SG gebunden (§ 161 Abs 2 Satz 2 SGG)

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann nicht abschließend über den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch entscheiden. 

Streitgegenstand ist ein Vergütungsanspruch der Klägerin, den die Beklagte nach Grund und Höhe zwar nicht bestreitet, sie hält ihn aber aufgrund der von ihr erklärten Aufrechnung in Höhe von 1048,04 Euro für erloschen (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 389 BGB). Dieser Aufrechnung stand kein Aufrechnungsverbot entgegen (hierzu 1.). Der Senat kann aber auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend über das Bestehen des von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Erstattungsanspruchs entscheiden (hierzu 2.).

1. Nach § 109 Abs 6 SGB V (idF durch Art 1 Nr 6 des Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen <MDK-Reformgesetz> vom 14.12.2019, BGBl I 2789) können KKn gegen Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1.1.2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind, nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen aufrechnen. Die Aufrechnung ist abweichend von Satz 1 möglich, wenn die Forderung der KK vom Krankenhaus nicht bestritten wird oder rechtskräftig festgestellt wurde. In der Vereinbarung nach § 17c Abs 2 Satz 1 KHG können abweichende Regelungen vorgesehen werden. 

Der zeitliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist eröffnet. Die Beklagte erklärte am 1.12.2021 die Aufrechnung eines geltend gemachten Erstattungsanspruchs gegen eine Vergütungsforderung der Klägerin aus einer im Jahr 2021 erfolgten stationären Behandlung. Das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs 6 Satz 1 SGB V greift aber nicht durch, weil in der Vereinbarung nach § 17c Abs 2 Satz 1 KHG eine abweichende Regelung getroffen wurde (hierzu a). Diese ist von der Ermächtigungsvorschrift des § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V iVm § 17c Abs 2 Satz 1 KHG gedeckt (hierzu b). Sie steht im Einklang mit höherrangigem Recht (hierzu c).

a) Nach Art 1 Satz 2 und 3 Übergangs-PrüfvV (Übergangsvereinbarung zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V <Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV> gemäß § 17c Absatz 2 KHG vom 3.2.2016 zwischen dem GKV-Spitzenverband <GKV-SV> und der Deutschen Krankenhausgesellschaft <DKG> vom 10.12.2019) finden für die Überprüfung bei Patienten, die ab dem 1.1.2020 in ein Krankenhaus aufgenommen werden, ua die Aufrechnungsregeln nach § 10 PrüfvV weiterhin Anwendung. Nach § 10 Satz 1 PrüfvV kann die KK einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen. Art 2 Nr 2 Übergangs-PrüfvV bestimmt, dass die Vereinbarung bis zum Inkrafttreten einer überarbeiteten PrüfvV gilt. 

Die Übergangs-PrüfvV wurde ein erstes Mal mit der am 1.4.2020 in Kraft getretenen Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV (Ergänzungsvereinbarung zur Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V <Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV> gemäß § 17c Absatz 2 KHG vom 3.2.2016 zwischen dem GKV-SV und der DKG vom 2.4.2020) ergänzt. Vor dem Hintergrund zu erwartender Belastungen infolge der (damals) aktuellen Situation (COVID-19/SARS-CoV-2) sollten die Krankenhäuser durch eine Verlängerung der Unterlagenübermittlungsfrist entlastet werden (vgl Präambel Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV). Weitere Änderungen der Übergangs-PrüfvV, insbesondere solche bezüglich der Weitergeltung der Aufrechnungsregeln, waren damit nicht verbunden. Ein Jahr später, am 1.4.2021, trat eine 2. Fortschreibung-Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV (2. Fortschreibung der Ergänzungsvereinbarung vom 02.04.2020 zur Übergangsvereinbarung vom 10.12.2019 zur Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V <Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV gemäß § 17c Abs 2 KHG vom 3.2.2016 zwischen dem GKV-SV und der DKG vom 22.3.2021) mit gleicher Zielsetzung in Kraft. 

Obwohl sie zur Zeit der hier von der Beklagten durchgeführten Abrechnungsprüfung bereits in Kraft getreten war, galt für Aufrechnungen Art 1 Satz 2 und 3 Übergangs-PrüfvV weiter, denn diese Regelung hat auch durch die 2. Fortschreibung-Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV keine Änderung oder Ergänzung erfahren. Auch stellt Letztere keine überarbeitete PrüfvV iS des Art 2 Nr 2 Übergangs-PrüfvV dar. Dass es sich bei der Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV und der 2. Fortschreibung-Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV lediglich um Ergänzungen zur Übergangs-PrüfvV, nicht um deren Ablösung handelt, folgt aus der nur sehr partiellen neuen Regelung und ihrer Fortschreibung. Dies wird auch bereits an den Bezeichnungen der Vereinbarungen hinlänglich deutlich.

b) Die Weitergeltung der Aufrechnungsmöglichkeit über den 1.1.2020 hinaus ist auch von der Ermächtigungsvorschrift des § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V iVm 17c Abs 2 Satz 1 KHG umfasst.

aa) Unerheblich ist, dass die Übergangs-PrüfvV vom 10.12.2019 vor Ausfertigung (14.12.2019), Verkündung (20.12.2019) und Inkrafttreten (1.1.2020) des MDK-Reformgesetzes beschlossen wurde.

Nach § 17c Abs 2 Satz 1 KHG (idF durch Art 3 Nr 2 Buchst b DBuchst aa des MDK-Reformgesetzes) regeln der GKV-SV und die DKG das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Abs 1 SGB V. Die Vertragsparteien waren aber auch schon vor dem MDK-Reformgesetz nach § 17c Abs 2 Satz 1 KHG (idF durch Art 5c Nr 2 Buchst c des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) gesetzlich ermächtigt, das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V zu vereinbaren und abweichende Regelungen zu § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V zu treffen. Durch den Verweis in § 17c Abs 2 Satz 1 KHG auf § 275c Abs 1 SGB V ab dem 1.1.2020 ist die allgemeine, die PrüfvV als solche betreffende Ermächtigungsgrundlage unverändert geblieben. 

Hingegen haben die Vertragsparteien im Hinblick auf die mit Wirkung zum 1.1.2020 durch das MDK-Reformgesetz erfolgte Einfügung eines Abs 6 in § 109 SGB V im Vorgriff hierauf mit Art 1 Übergangs-PrüfvV eine ebenfalls zum 1.1.2020 in Kraft getretene, von § 109 Abs 6 Satz 1 SGB V abweichende Vereinbarung getroffen. Einer neuen Vereinbarung der Übergangs-PrüfvV zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere ab Inkrafttreten der Ermächtigungsgrundlage nach § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V, bedurfte es jedoch nicht. Der Senat hat in einem ähnlich gelagerten Fall bereits entschieden, dass eine durch die Ermächtigungsgrundlage noch nicht gedeckte Regelung in der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV) gemäß § 17c Absatz 2 KHG durch die nachträgliche Schaffung der Ermächtigungsgrundlage in § 275 Abs 1c Satz 4 SGB V mit Inkrafttreten der Ermächtigungsgrundlage legitimiert wird. Von den Vertragsparteien danach nochmals eine förmliche Bestätigung ihres übereinstimmenden Willens zu verlangen, auch unter Geltung der ergänzten und die Vereinbarung nunmehr in vollem Umfang legitimierenden Ermächtigungsgrundlage an der Vereinbarung festhalten zu wollen, wäre letztlich eine bloße Förmelei (BSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 36/20 R - BSGE 133, 126 = SozR 4-2500 § 275 Nr 36, RdNr 15 f; BSG vom 22.6.2022 - B 1 KR 27/21 R - juris RdNr 11). Erst recht nichts anderes gilt dann, wenn die Vertragsparteien bewusst und gewollt eine Regelung im Hinblick auf eine ihnen bekannte Gesetzesnovellierung im zeitlichen Gleichklang mit dieser für die Zukunft vereinbaren. Damit maßen sie sich noch nicht einmal an, eine solche Regelung mit Geltungswirkung schon vor Inkrafttreten der Ermächtigungsgrundlage vereinbaren zu wollen.

bb) Inhaltlich wird mit Art 1 Übergangs-PrüfvV Näheres zum Prüfverfahren nach § 275c Abs 1 SGB V geregelt. § 10 Satz 1 PrüfvV räumt den KKn eine umfassende Aufrechnungsmöglichkeit ein, die das Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs 6 Satz 1 SGB V aufhebt, soweit die PrüfvV Anwendung findet (hierzu 1). Dies umfasst auch die Aufrechnung gegenüber unstreitigen Vergütungsansprüchen (hierzu 2). Dies befindet sich im Einklang mit § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V. Diese Regelung ermächtigte die Vertragspartner zur Vereinbarung eines solchen Ausschlusses. Die Ermächtigungsgrundlage beschränkte die Vereinbarungspartner nicht darauf, nur für Ausnahmefälle eine vom gesetzlich festgelegten Aufrechnungsverbot nach Satz 1 abweichende Regelung zu vereinbaren. Für eine auf Ausnahmeregelungen beschränkte Ermächtigung bieten weder der Wortlaut (hierzu 3), noch die Entstehungsgeschichte (hierzu 4) oder der Regelungszweck (hierzu 5) hinreichende Anhaltspunkte. Schließlich wären die Grenzen der den Vereinbarungspartnern nach § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V eingeräumten Dispositionsbefugnis aufgrund der lediglich übergangsweise geltenden Suspendierung des gesetzlichen Aufrechnungsverbots selbst dann gewahrt, wenn die Ermächtigungsgrundlage eine unbefristete Abweichung vom Aufrechnungsverbot ausschlösse (hierzu 6)

 (1) § 10 Satz 1 Alt 2 PrüfvV erlaubt den KKn uneingeschränkt Erstattungsforderungen, die auf einem Prüfverfahren beruhen, als Gegenforderungen gegen Leistungsansprüche des Krankenhauses aufzurechnen, auch wenn diese die Erstattungsforderung bestreiten. Voraussetzung ist insoweit lediglich, dass der Erstattungsanspruch dem Krankenhaus nach § 8 PrüfvV mitgeteilt wurde, dh dass die KK dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch unter Darlegung der wesentlichen Gründe innerhalb von 11 Monaten nach Übermittlung der Prüfanzeige nach § 6 Abs 3 PrüfvV mitgeteilt hat. Einvernehmen über das Bestehen eines Erstattungsanspruchs oder wenigstens ein Bemühen darum bedarf es danach zur Aufrechnung nicht. 

 (2) Der gesetzliche Regelungsauftrag für das Prüfverfahren nach § 275c Abs 1 SGB V wird nicht dadurch überschritten, dass der nach Art 1 Satz 3 Übergangs-PrüfvV in Bezug genommene § 10 Satz 1 PrüfvV der KK die Aufrechnung von Erstattungsansprüchen mit unstreitigen Vergütungsansprüchen des Krankenhauses ermöglicht. Diese sind rechtlich kein zwingender Gegenstand eines Prüfverfahrens; sie sind es in der Regel auch tatsächlich nicht. Soweit § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V ausdrückliche Regelungen zur Aufrechnungsmöglichkeit in der PrüfvV mit Erstattungsansprüchen (Gegenforderungen) zulässt, bezieht sich diese Ermächtigung auch und gerade auf Aufrechnungen gegen alle unstreitigen (Haupt-)Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1.1.2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstehen (§ 109 Abs 6 Satz 1 SGB V)

Eine Beschränkung der Aufrechnungslage auf Hauptforderungen, die ihrerseits Gegenstand eines Prüfverfahrens sind oder waren, lässt sich weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien entnehmen. Eine ausdrückliche Regelung wäre aber umso mehr zu erwarten gewesen, als diese Fallgestaltung das Gros der Aufrechnungssachverhalte darstellte, als das MDK-Reformgesetz die Aufrechnungsbefugnis der KKn beschränkte. Es gibt auch keinen sachlichen Grund für die Annahme, dass nicht nur die Gegenforderung, sondern auch die unstreitige Hauptforderung zwingend Gegenstand eines Prüfverfahrens nach der PrüfvV sein oder gewesen sein muss, um den Vertragsparteien der PrüfvV einen Gestaltungsspielraum für Ausnahmeregelungen zu eröffnen. Warum aus dem Blickwinkel des besonderen Schutzes der Zahlungsfähigkeit der Krankenhäuser, der mit der Beschränkung der Aufrechnungsbefugnis der KKn herbeigeführt werden soll, gerade geprüfte Vergütungsforderungen anders, also weniger schutzwürdig, zu behandeln sein sollen, als ungeprüfte, aber von den KKn nicht bestrittene Vergütungsforderungen, erschließt sich nicht. 

 (3) Die Ermächtigung zur Vereinbarung abweichender Regelungen nach § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V iVm § 17c Abs 2 Satz 1 KHG ist nach ihrem Wortlaut nicht auf Vereinbarungen von Ausnahmen zum Aufrechnungsverbot beschränkt. Vielmehr umfasst der Begriff der Abweichung im allgemeinen Sprachgebrauch auch Gegenteiliges von einer Regel. Eine Beschränkung auf Ausnahmen hätte einfach und deutlich zum Ausdruck gebracht werden können, zB mit der Formulierung "In der Vereinbarung nach § 17c Abs 2 Satz 1 KHG können weitere Ausnahmen vorgesehen werden". Der Gesetzgeber hat aber dementgegen das Aufrechnungsverbot unter den umfassenden Vorbehalt "abweichender" Vereinbarungen gestellt und damit die Realisierung des Aufrechnungsverbots in die Hände der Vereinbarungspartner gelegt. 

 (4) Unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung wird § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V in der Kommentarliteratur häufig lediglich als Öffnungsklausel für die Bestimmung von Ausnahmen zum grundsätzlichen Aufrechnungsverbot verstanden (vgl Becker in Becker/Kingreen, SGB V, 8. Aufl 2022, § 109 RdNr 8; zumindest für die Ermächtigung zu einer übergangsweisen Aufhebung des Aufrechnungsverbots: Bockholdt in Hauck/Noftz SGB V, 5. Erg-Lieferung 2024, § 109 RdNr 221g; Wahl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 109, RdNr 256, 261, Stand 13.7.2023; offenlassend Grühn in v. Koppenfels-Spies/Wenner, 4. Aufl 2022, § 109 RdNr 25; vgl auch Hess in BeckOGK, Kasseler Komm, § 109 SGB V RdNr 16, Stand Mai 2020, der den möglichen Regelungsinhalt der abweichenden Vereinbarung nach Satz 3 dem Satz 2 des § 109 Abs 6 SGB V entnimmt; wiederum anders Stollmann in BeckOK KHR, Dettling/Gerlach, RdNr 28, Stand 1.6.2024, der neben Ausnahmen auch Verschärfungen des Aufrechnungsverbots von der Vorschrift gedeckt sieht). Denn die Gesetzesbegründung nimmt ausschließlich auf die Bestimmung von sachgerechten Ausnahmen Bezug. Allerdings hat der Gesetzgeber die dort beispielhaft aufgeführten sachgerechten Ausnahmen vom Verbot der Aufrechnung bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Vergütungsforderungen der Krankenhäuser (vgl BT-Drucks 19/13397 S 54) im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bereits in § 109 Abs 6 Satz 2 SGB V aufgenommen. An der Möglichkeit, nach § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V abweichende Regelungen zu vereinbaren, hat er zusätzlich festgehalten. Anhaltspunkte dafür, dass sich diese zusätzliche Möglichkeit allein auf die Vereinbarung von Ausnahmeregelungen beziehen sollte, finden sich nun nicht mehr. Der Gesetzgeber hat die Einfügung nicht begründet. Eine Beschränkung dieser Ermächtigung auf die Vereinbarung von Ausnahmeregelungen ließe jetzt aber die Vorschrift in der Praxis weitgehend leerlaufen. Weitere sinnvolle und praktikable, aber nur in einzelnen Fallgestaltungen geltende, sachgerechte Ausnahmen vom Aufrechnungsverbot sind kaum erkennbar. 

Auch der Gesetzesbegründung zu § 17c Abs 2a KHG lässt sich eine Beschränkung der Abweichungsbefugnis nicht entnehmen (BT-Drucks 19/13397 S 87)

 (5) Der Zweck des gesetzlichen Aufrechnungsverbots nach § 109 Abs 6 Satz 1 SGB V wird auch dann nicht verfehlt, wenn die Vereinbarungspartner - wie hier - eine vollständige Aufhebung des Verbots vereinbaren. 

Der Senat übersieht nicht, dass der Aufrechnung von Erstattungsforderungen der KKn gegen unstreitige Vergütungsansprüche von Krankenhäusern in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zukommt. Denn in Landesverträgen nach § 112 SGB V sind regelmäßig kurze Zahlungsfristen vereinbart. Zudem sehen gesetzliche Vorschriften Abschlagszahlungen, angemessene monatliche Teilzahlungen und Verzugszinsen bei verspäteter Zahlung vor (§ 8 Abs 7 Satz 2, 3, § 11 Abs 1 Satz 3 KHEntgG, § 8 Abs 4, § 11 Abs 1 Satz 3 BPflV; siehe ferner § 415 SGB V bis 11.12.2024 in Kraft, nunmehr § 109 Abs 5 Satz 5 SGB V). Diese Regelungen sind dem kompensatorischen Beschleunigungsgebot zum Ausgleich der Vorleistung der Krankenhäuser geschuldet und bewirken eine unbedingte und vom Abschluss der Rechnungsprüfung unabhängige Zahlungsverpflichtung der KKn. In der Folge muss die KK, wenn sie nach Durchführung eines Prüfverfahrens zu der abschließenden Entscheidung einer Überzahlung gekommen ist, diese gegenüber dem Krankenhaus geltend machen (§ 8 PrüfvV) und nutzt zu ihrer Durchsetzung in der Regel die Möglichkeit der Aufrechnung. Diese schränkt ihrerseits die durch das kompensatorische Beschleunigungsgebot gesicherte Liquidität der Krankenhäuser ein (vgl BSG vom 11.5.2023 -B 1 KR 14/22 R - SozR 4-2500 § 112 Nr 9 RdNr 29)

Die gesetzliche Normierung des Aufrechnungsverbots stärkt jedoch die Verhandlungsposition der DKG beim Abschluss einer PrüfvV. Ohne deren Zustimmung bleibt es bei der gesetzlichen Regelung. Sie hat also die Möglichkeit, ihre Zustimmung von der Vereinbarung vorteilhafter Regelungen für die Krankenhäuser abhängig zu machen, also die die Liquidität der Krankenhäuser belastenden, abweichenden Aufrechnungsregelungen von sonstigen, ihre Liquidität schützenden Regelungen abhängig zu machen. Vor der Normierung des ökonomisch besonders relevanten Aufrechnungsverbots waren die Verhandlungspositionen demgegenüber von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Aufrechnung nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 387 BGB geprägt, sodass der GKV-SV seine Zustimmung zur Einschränkung dieser Möglichkeit von der Vereinbarung eines Ausgleichs zugunsten der KKn abhängig machen konnte. Mit dem MDK-Reformgesetz wurden diese Rollen vertauscht. Hierauf haben die Vertragspartner wie folgt verhandelt: Im Gegenzug zur Suspendierung des Aufrechnungsverbots haben sie in der Übergangs-PrüfvV auch das Verbot der Rechnungskorrektur durch das Krankenhaus suspendiert. Dieses Verbot ist zeitgleich mit dem Aufrechnungsverbot durch das MDK-Reformgesetz eingeführt worden, ebenfalls mit der Möglichkeit, abweichende Regelungen in der PrüfvV zu vereinbaren (§ 17c Abs 2a KHG)

Das Argument, der Zweck des Aufrechnungsverbots, Liquiditätsengpässe der Krankenhäuser und eine Verlagerung des Prozessrisikos auf diese zu vermeiden (vgl hierzu BT-Drucks 19/13397 S 45, 54; BR-Drucks 359/19 S 45, 56), könne bei einer vollständigen Aufhebung des Aufrechnungsverbots nicht realisiert werden, greift aufgrund der Umkehrung der Verhandlungspositionen zu kurz. Im Nachhinein über die Ausgewogenheit solcher Vereinbarungen zu entscheiden, kann grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte sein, soweit die Grenzen normvertraglicher Vereinbarungsspielräume eingehalten werden. 

Die Bedeutung des Aufrechnungsverbots für die Liquidität der Krankenhäuser und für ihr Prozessrisiko zu bemessen und gegebenenfalls in Relation zu anderen vorteilhaften Regelungen für die Krankenhäuser zu setzen, ist nach § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V Aufgabe der DKG, nicht der Gerichte. 

 (6) Selbst wenn § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V einer unbefristeten gänzlichen Aufhebung des Aufrechnungsverbots entgegenstünde, wäre die Übergangs-PrüfvV durch die Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Denn das gesetzliche Aufrechnungsverbot nach § 109 Abs 6 Satz 1 SGB V wurde mit der Übergangs-PrüfvV aufgrund besonderer Umstände lediglich vorübergehend suspendiert (vgl Art 2 Nr 2 Übergangs-PrüfvV). Es handelt sich um Übergangsvorschriften, welche die Vereinbarungspartner zur Anpassung der PrüfvV an die mit dem MDK-Reformgesetz eingeführten Neuregelungen für notwendig befanden, um kurzfristig und frühzeitig Verfahrenssicherheit herzustellen (vgl Präambel der Übergangs-PrüfvV; ebenso Bockholdt in Hauck/Noftz SGB V, 5. Erg-Lieferung 2024, § 109 RdNr 221g; Wahl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 109 RdNr 261, Stand 13.7.2023). Zwar würde eine gegen das Recht verstoßende Vereinbarung nicht deshalb wirksam, weil sie nur für kurze Zeit gilt. Allerdings kommt den Vereinbarungspartnern - wie jedem Normgeber - eine inhaltliche Gestaltungsfreiheit zu, deren Umfang bei einer lediglich übergangsweisen Geltung grundsätzlich großzügiger zu bemessen ist (vgl Waßer, KrV 2019, 89, 94 mwN zu Anfangs- und Erprobungsrichtlinien). Hier bestanden jedenfalls sachliche Gründe, die bisherigen Regelungen zur Aufrechnung erst durch eine überarbeitete Gesamtregelung der PrüfvV abzulösen, die aufgrund des zeitlichen Rahmens des MDK-Reformgesetzes nicht ausreichend vor dessen Inkrafttreten vorbereitet werden konnte. Deshalb haben die Vereinbarungspartner mit der Übergangs-PrüfvV im Hinblick auf die Weitergeltung der Aufrechnungsmöglichkeit jedenfalls die Grenzen ihrer Dispositionsbefugnis nach § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V iVm § 17c Abs 2 KHG eingehalten. Dass die angestrebte schnelle Überarbeitung der PrüfvV unter den nicht vorhersehbar aufgetretenen Pandemiebedingungen länger dauerte, als von der Übergangs-PrüfvV intendiert, führt ebenfalls nicht zu einem Verstoß gegen § 109 Abs 6 Satz 3 SGB V.

c) Ein Verstoß der geregelten Aufrechnungsmöglichkeit gegen sonstiges höherrangiges Recht ist weder geltend gemacht noch ersichtlich. Im Zuge der zahlreichen Sonderregelungen für die Krankenhäuser während der Corona-Pandemie ließ der Gesetzgeber § 109 Abs 6 SGB V auch in Kenntnis der bereits vereinbarten Übergangs-PrüfvV unverändert. Selbst als der Sicherung der Liquidität der Krankenhäuser aufgrund der Corona-Pandemie eine besondere Dringlichkeit zugemessen wurde (vgl BT-Drucks 19/18112 S 37), führte der Gesetzgeber zwar weitere Vorschriften zum Ausgleich der finanziellen Belastungen der Krankenhäuser ein (vgl Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen <COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz> vom 27.3.2020, BGBl I 580), ließ § 109 Abs 6 SGB V aber - trotz der bereits vereinbarten Übergangs-PrüfvV - unberührt. Eine Entlastung der Krankenhäuser und zugleich eine deutliche Reduzierung der Aufrechnungsfälle bewirkte er stattdessen vor allem durch die Reduzierung der Prüfquote von 12,5 % auf 5 % (§ 275c Abs 2 Satz 1 SGB V). Dadurch fielen von vornherein deutlich weniger Erstattungsforderungen an. Auch die Vereinbarungspartner waren sich bei Erlass der Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV vom 2.4.2020 einig, dass für eine Entlastung der Krankenhäuser neben einer Verlängerung der Unterlagenübermittlungsfrist vor allem die Berücksichtigung dieser nachträglich auf 5 % reduzierten Prüfquote bereits im ersten Quartal 2020 wesentlich war (Präambel Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV) und vereinbarten deshalb deren Realisierung spätestens bis zum 31.5.2020 (Art 4 Ergänzungs-Übergangs-PrüfvV).

2. Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht entscheiden, ob der Beklagten der aufgerechnete Erstattungsanspruch zustand. Das SG hat - ausgehend von seiner Rechtsauffassung folgerichtig - hierzu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es im zurückverwiesenen Verfahren nachzuholen haben.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

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