Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Klägerin wegen ihres Diabetes mellitus ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festzustellen ist.
Die 2010 geborene Klägerin beantragte am 23.4.2020 wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I die Feststellung einer Behinderung sowie der Merkzeichen H (Hilflosigkeit) und B (Notwendigkeit ständiger Begleitung). Daraufhin stellte der Beklagte bei ihr wegen dieses Leidens einen GdB von 40 und das Merkzeichen H ab Antragstellung fest (Bescheid vom 9.6.2020, Widerspruchsbescheid vom 10.9.2020).
Das SG hat den Beklagten verurteilt, den GdB der Klägerin ab Antragstellung mit 50 festzustellen. Bei der Klägerin bestünden über den Therapieaufwand hinaus erhebliche Einschnitte, die ihre Lebensführung gravierend beeinträchtigten. Sie müsse zur sachgerechten Durchführung der Therapie und zur Abwendung von Gefahren deutlich mehr begleitet, beobachtet und betreut werden, als es ihrem Alter entspreche. Die Klägerin könne sich wesentliche Lebensbereiche nur mit engmaschiger Hilfe erschließen, was eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung darstelle (Urteil vom 27.4.2023).
Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht durch erhebliche Einschnitte gravierend in ihrer Lebensführung beeinträchtigt. Schwere hypoglykämische Entgleisungen mit erforderlicher Fremdhilfe hätten sich ebenso wenig ergeben wie Folgeschäden an anderen Organen und nennenswerte Zeiten von Arbeitsunfähigkeit oder stationärer Behandlungsbedürftigkeit. Auch eine stärker erforderliche elterliche Überwachung und Begleitung aufgrund einer Behinderung beeinträchtige die Lebensführung von Kindern nicht gravierend, sofern dies keine schwerwiegenden weiteren psychischen Konsequenzen für den betroffenen jungen Menschen habe. Eine zusätzliche gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung liege vielmehr erst dann vor, wenn anders als bei der Klägerin individuelle soziale Probleme erkennbar würden, etwa gravierende Verhaltensauffälligkeiten oder eine deutlich verringerte soziale Akzeptanz. Beim elterlichen Hilfebedarf handele es sich letztlich um ein Element des durch das Lebensalter modifizierten allgemeinen Therapieaufwands (Urteil vom 14.2.2024).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der Bestimmungen über die Bewertung des GdB bei Diabetes mellitus in Teil B Nr 15.1 der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG). Das Berufungsgericht habe die individuellen Umstände ihres gesteigerten Fremdhilfebedarfs sowie ihrer psychischen und sozialen Entwicklung unzutreffend festgestellt. Zudem habe es bei der Prüfung, ob sie durch erhebliche Einschnitte gravierend in ihrer Lebensführung beeinträchtigt sei, einen unzutreffenden Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt. Darüber hinaus habe das LSG zu Unrecht negative Auswirkungen im Rahmen besonderer, aber für das Lebensalter typischer Fähigkeiten außer Acht gelassen, bei ihr etwa bezogen auf das Betreiben des Vielseitigkeitsreitens als Leistungssport. Es sei auch rechtlich fehlerhaft, bei einer stärker erforderlichen elterlichen Überwachung und Begleitung aufgrund der Behinderung eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensführung pauschal auszuschließen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14.2.2024 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Osnabrück vom 27.4.2023 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er beruft sich auf das angefochtene Urteil, das er für zutreffend hält.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 wegen ihres Diabetes mellitus.
A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, mit dem es einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines höheren GdB als 40 verneint, das entgegenstehende Urteil des SG aufgehoben und die Klage der Klägerin abgewiesen hat.
B. Da die Klägerin eine statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB erhoben hat, ist der Rechtsstreit nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu entscheiden (vgl stRspr; BSG Urteil vom 27.10.2022 - B 9 SB 4/21 R - SozR 4-3250 § 152 Nr 4 RdNr 18 mwN). Maßgeblich ist somit das SGB IX in der ab dem 1.1.2024 geltenden Fassung des Gesetzes vom 22.12.2023 (BGBl I Nr 412).
C. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf (erstmalige) Feststellung eines GdB von 50 ab 23.4.2020 ist § 152 Abs 1 Satz 1 SGB IX, § 241 Abs 5 SGB IX iVm Teil B Nr 15.1 VMG.
1. Nach § 152 Abs 1 Satz 1 SGB IX stellen die (nach Landesrecht) für die Durchführung des SGB XIV zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen (vgl § 2 Abs 1 SGB IX) das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Dabei werden gemäß § 152 Abs 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft bewertet. Im Gerichtsverfahren ist die Bemessung des GdB grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei müssen die Tatsachengerichte bei der Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) in der Regel ärztliches Fachwissen heranziehen. Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach § 152 Abs 1 Satz 4 und Abs 3 Satz 1 SGB IX maßgeblich auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten und dritten Prüfungsschritt haben die Tatsachengerichte über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere in den VMG einbezogene Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (stRspr; zB BSG Urteil vom 27.10.2022 - B 9 SB 4/21 R - SozR 4-3250 § 152 Nr 4 RdNr 21 mwN).
Nach der hier wegen der Gesundheitsstörung der Klägerin allein maßgeblichen Rechtsgrundlage des Teil B Nr 15.1 VMG beträgt der von ihr beanspruchte GdB 50 für solche an Diabetes mellitus erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen und die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variieren müssen, wenn sie durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind.
a) Das LSG hat die beiden erstgenannten, auf den Therapieaufwand bezogenen Beurteilungskriterien als erfüllt angesehen. Dieses Ergebnis wird von den Beteiligten zu Recht nicht infrage gestellt und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
b) Ebenfalls im Ergebnis ohne durchgreifenden Rechtsfehler hat das LSG verneint, dass die Klägerin durch erhebliche Einschnitte iS des Teil B Nr 15.1 VMG gravierend in ihrer Lebensführung beeinträchtigt ist. Wie das Berufungsgericht dabei zutreffend angenommen hat, lässt sich eine solche Beeinträchtigung nur unter strengen Voraussetzungen annehmen. Allein die Einschnitte, die mit der von der Vorschrift daneben vorausgesetzten Insulintherapie zwangsläufig verbunden sind, genügen nicht. Ein GdB von 50 erfordert vielmehr einen dieses hohe Maß noch übersteigenden, besonderen Therapieaufwand, einen unzureichenden Therapieerfolg oder sonstige, durch die Krankheitsfolgen herbeigeführte erhebliche Einschnitte in der Lebensführung (vgl BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 18 RdNr 21).
Solche Einschnitte zeigen sich nach der Vorstellung des Verordnungsgebers, der insoweit ausdrücklich an die vorangegangene Senatsrechtsprechung angeknüpft hat (BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 18 RdNr 18 mwN), bei der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten, der Berufsausübung und der Mobilität (BR-Drucks 285/10, S 3). Ihre Feststellung erfordert eine am Einzelfall orientierte Beurteilung, die alle die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinflussenden Umstände berücksichtigt (BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 18 RdNr 19). Dazu zählen auch die Besonderheiten der Lebenssituationen von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus, die sie von ihren gesunden Altersgenossen unterscheiden (vgl § 2 Abs 1 Satz 2 SGB IX und Teil A Nr 2 Buchst c; Dau, jurisPR SozR 9/2015 Anm 3; vgl aber auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 17.6.2004 - L 7 SB 101/03 - juris RdNr 21). Wie sich aus § 241 Abs 5 SGB IX iVm § 30 Abs 1 Satz 4 BVG ergibt, dürfen Kinder und Jugendliche bei der Bemessung des GdB gegenüber Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung nicht schlechter gestellt werden.
aa) Bei der danach erforderlichen, am Einzelfall orientierten Beurteilung der diabetesbedingten Einschnitte in der Lebensführung ist die Klägerin als Diabetikerin mit gleichaltrigen, gesunden Kindern in ihrer alterstypischen Lebenssituation zu vergleichen. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, ist dabei eine alterstypische sportliche Betätigung oder sonstige Befähigung einzubeziehen, jedoch keine besondere, den Altersdurchschnitt weit übertreffende geistige Fähigkeit oder körperliche Aktivität wie etwa das von der Klägerin ausgeübte Vielseitigkeitsreiten, soweit es über eine alterstypische sportliche Betätigung hinaus das Niveau von Leistungssport erreicht.
Hiervon ausgehend lässt sich auf der Grundlage der Feststellungen des LSG bei der Klägerin im Vergleich zum nach § 2 Abs 1 Satz 2 SGB IX und Teil A Nr 2 Buchst c VMG maßgeblichen, für ihr Lebensalter typischen Zustand nach Gesamtbetrachtung aller Lebensbereiche und einer an ihrem Einzelfall orientierten Beurteilung keine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung durch erhebliche Einschnitte in der Lebensführung konstatieren. Wie das Berufungsgericht vielmehr festgestellt hat, sind bei der Klägerin hypoglykämische Entgleisungen mit erforderlicher Fremdhilfe im Krankheitsverlauf ebenso wenig aufgetreten wie stationäre Behandlungsbedürftigkeit oder Folgeschäden an anderen Organen. Dasselbe gilt für nennenswerte Zeiten von “Arbeitsunfähigkeit“ (gemeint: Schulunfähigkeit). Darüber hinaus erscheint die psychische und soziale Entwicklung der Klägerin nach den Feststellungen des LSG trotz der Auswirkungen ihres Diabetes als ungefährdet; sie ist ausgesprochen kontaktfreudig, hat viele Freunde und praktiziert Vielseitigkeitsreiten als Leistungssport.
bb) Soweit die Klägerin einwendet, das Berufungsgericht habe die individuellen Umstände ihrer psychischen und sozialen Entwicklung nicht zutreffend festgestellt, vermag dies die Bindungswirkung der berufungsgerichtlichen Feststellungen nach § 163 SGG nicht infrage zu stellen. Denn die Klägerin hat dagegen keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben; insbesondere hat sie keinen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 103 SGG gerügt (vgl BSG Urteil vom 24.9.2020 - B 9 V 3/18 R - BSGE 131, 61 = SozR 4-3800 § 1 Nr 24, RdNr 40).
cc) Das LSG hat es im Gegensatz zum SG auch zutreffend abgelehnt, allein deshalb gravierende Einschnitte in der Lebensführung der Klägerin anzunehmen, weil sie bei der Therapie ihres Diabetes mellitus im gesteigerten Ausmaß dauerhaft auf Hilfe und Begleitung ihrer Eltern angewiesen ist.
Teilhabebeeinträchtigungen durch Diabetes mellitus können sich außer aus den Krankheitsfolgen als solchen insbesondere auch aus therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung und der Gestaltung des Tagesablaufs ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.12.2010 - B 9 SB 3/09 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 12 RdNr 35 und 38; BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 29). Das gilt besonders auch für Kinder wie die Klägerin. Die lebenslange Erkrankung Diabetes mellitus stellt Kinder, Jugendliche und ihre Familien vor eine zusätzliche besondere Lebensaufgabe, die im Kontext allgemeiner Entwicklungsaufgaben zu hoher psychosozialer Belastung und Überforderung aller Familienmitglieder führen kann (vgl Deutsche Diabetes Gesellschaft, S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Kindes- und Jugendalter, Version 4 2023, S 82 mwN). Nach den Feststellungen des LSG wirken sich die therapeutisch erforderliche Begleitung und Überwachung der Klägerin durch ihre Eltern für sich genommen zumindest nicht in einem Ausmaß nachteilig auf ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aus, das als erhebliche Teilhabebeeinträchtigung anzusehen wäre, weil sie keine individuellen Auswirkungen wie insbesondere schwerwiegende psychische Folgen für die Klägerin hervorgerufen haben.
Diese Bewertung deckt sich im Grundsatz auch mit Sinn und Zweck der Regelungen über Assistenzleistungen zur Sicherstellung der Wirksamkeit ärztlicher Leistungen als Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 90 Abs 1 Satz 1, § 78 Abs 1 Satz 2 SGB IX (vgl etwa SG Freiburg Beschluss vom 5.12.2022 - S 9 SO 3201/22 ER - juris RdNr 18). Solche Assistenzleistungen erhöhen nicht den GdB, sondern dienen umgekehrt gemäß § 90 Abs 1 Satz 1 SGB IX gerade dazu, die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern und damit die Auswirkungen einer Behinderung möglichst abzumildern oder zu beseitigen. Durchaus Vergleichbares gilt für die Unterstützung aus familiärer Solidarität (vgl § 1618a BGB) bei der Diabetestherapie wie im Fall der Klägerin, die grundsätzlich Vorrang gegenüber Assistenzleistungen hat und sie entbehrlich machen kann (vgl BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 8 SO 18/12 R - juris RdNr 18; Sächsisches LSG Beschluss vom 12.7.2021 - L 8 SO 29/21 B ER - juris RdNr 43; zu den menschenrechtlichen Grenzen vgl EGMR Urteil vom 20.2.2024 - 53162/21 - BeckRS 2024, 2209 RdNr 61 ff; Welti, AuR 2024 Nr 12 S 479 f.)
dd) Gegen eine Erhöhung des GdB allein wegen des gesteigerten Hilfebedarfs von minderjährigen Diabetespatienten spricht systematisch auch die Regelung des Teil B Nr 5 Buchst d Doppelbuchst jj VMG. Danach ist bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes bis zum 16. Lebensjahr Hilflosigkeit anzunehmen und das Merkzeichen H zu gewähren. Die VMG tragen damit der besonderen Situation kindlicher und jugendlicher Diabetiker mit der daraus resultierenden dauernden, erheblichen Hilfsbedürftigkeit insbesondere in Form von Überwachung und Anleitung durch ihre Eltern (vgl Teil A Nr 4 Buchst b VMG) an anderer Stelle Rechnung (vgl Lorenz in Nieder/Rieck/Losch/Thomann, Behinderungen zutreffend einschätzen und beurteilen, Kommentar zur VersMedV, 2. Aufl 2024, S 247), ohne deshalb in Teil B Nr 15.1 den GdB allein wegen dieser allgemein unterstellten erheblichen Hilfsbedürftigkeit regelhaft zu erhöhen (vgl auch Beschlüsse der 25. Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr vom 7. bis 8.11.2022 in Potsdam, veröffentlicht in Arbeitskompendium der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr, Band II, Stand: Dezember 2023, S 321).
Die VMG erwähnen Kinder auch nicht mehr gesondert im Zusammenhang mit den Kriterien für die GdB-Bemessung, anders als noch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2008 in Nr 26.15 (vgl BSG Urteil vom 24.4.2008 - B 9/9a SB 10/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 9 RdNr 35). Vor diesem systematischen Hintergrund lässt sich die Begleitung und Überwachung durch Eltern mit dem LSG als Einschnitt in der Lebensführung verstehen, der nach dem Regelungskonzept der VMG zwangsläufig mit der von der Vorschrift vorausgesetzten Insulintherapie verbunden ist, aber ohne zusätzliche Teilhabebeschränkungen für sich genommen keine weitere GdB-Erhöhung, sondern “nur“ das Merkzeichen H rechtfertigt.
ee) Eine dauernde elterliche Begleitung und Überwachung minderjähriger Diabetespatienten kann im Einzelfall trotzdem einen höheren GdB bedingen, wenn sie nachweisbar die Integrationsfähigkeit des Kindes erheblich beeinträchtigt, etwa weil sie es in eine Sonderstellung bringt, die sich negativ auf seine psycho-emotionale Entwicklung auswirkt (vgl SG Hamburg Gerichtsbescheid vom 13.6.2023 - S 54 SB 35/23 - juris RdNr 25; SG Aachen Urteil vom 18.11.2020 - S 26 SB 965/17 - juris RdNr 10) oder notwendige nächtliche Blutzuckerkontrollen der Eltern seinen Schlaf in teilhaberelevanter Weise stören (vgl Lorenz in Nieder/Rieck/Losch/Thomann, Behinderungen zutreffend einschätzen und beurteilen, Kommentar zur VersMedV, 2. Aufl 2024, S 247). Dadurch verursachte zusätzliche Einschnitte in der Lebensführung müssen allerdings ausreichend gewichtig sein, um bei der Bewertung des GdB für Diabetes das Überschreiten der Schwelle zur Schwerbehinderung rechtfertigen zu können. Insoweit wäre zur Kontrolle für die Maßstabsbildung der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen heranzuziehen, für die im Tabellenteil der VMG ein Wert von 50 fest vorgegeben ist (vgl BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 18 RdNr 24). Solchermaßen erhebliche Teilhabebeeinträchtigungen durch die notwendige Begleitung und Überwachung der Klägerin durch ihre Eltern wegen ihres Diabetes mellitus lassen sich jedoch weder den Feststellungen des LSG noch dem Sachvortrag der Klägerin entnehmen. Die bloße Möglichkeit, dass sie ohne deren Aufsicht und Begleitung weitgehend von für ihre gesellschaftliche Teilhabe relevanten Aktivitäten ausgeschlossen sein könnte, reicht hingegen nicht.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.