Krankengeldanspruch eines Versicherten auch bei irrtümlichem Nichterstellen einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung durch einen Vertragsarzt aus nichtmedizinischen Gründen
Ausgabejahr 2017
Nummer 21
Datum 11.05.2017
Eine Krankenkasse darf Versicherten, die in den Jahren 2012/2013 zur Feststellung ihrer fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit (AU) zeitgerecht persönlich einen Vertragsarzt aufsuchten, Krankengeldzahlungen nicht verweigern, wenn der Arzt die Ausstellung einer AU-Bescheinigung irrtümlich aus nichtmedizinischen Gründen unterlässt. Das hat der 3. Senat des Bundessozialgerichts am 11. Mai 2017 zugunsten der Klägerin in einem Revisionsverfahren entschieden: In dem Verfahren (Az. B 3 KR 22/15 R) meinte ein Hausarzt, der Klägerin brauche am letzten Tag der bisher bescheinigten AU-Dauer nicht erneut AU (wegen einer vorliegenden depressiven Episode) attestiert zu werden, weil dies bei einem am Folgetag vereinbarten Termin durch eine Fachärztin ohnehin erfolgen werde (was auch geschah).
In einem weiteren Verfahren (Az. B 3 KR 12/16 R) hatte der Arzt angegeben, es sei "leider ... verpasst" worden, eine AU-Bescheinigung (wegen Zustands nach Mamma-Carcinom und Chemotherapie) auszustellen und bejahte nachträglich durchgehende AU. In diesem Fall hat die beklagte Krankenkasse den Klageanspruch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anerkannt.
Die Weitergewährung von Krankengeld hängt nach den gesetzlichen Vorschriften (in der bis 22. Juli 2015 geltenden Fassung) davon ab, dass am letzten Tag der bestehenden AU für die Folgezeit erneut AU ärztlich festgestellt wird. Schon bisher war aber ausnahmsweise Krankengeld zu zahlen, wenn der Arzt die AU-Folgebescheinigung aufgrund einer medizinischen Fehlbeurteilung nicht erstellte, der Versicherte aber selbst insoweit alles in seiner Macht Stehende getan hatte. Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat nun entschieden, dass eine Krankenkasse ausnahmsweise Krankengeld auch gewähren muss, wenn die Fehleinschätzung des Arztes über die Notwendigkeit einer AU-Bescheinigung auf nichtmedizinischen Gründen beruht. Dies gilt aber nur unter engen Voraussetzungen. Der Versicherte darf auch insoweit nicht auf - ungewisse - Regressansprüche gegen den Arzt verwiesen werden. Aufgrund der AU-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), die - anders als das Gesetz - eine rückwirkende AU-Attestierung erlauben, kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass ein Vertragsarzt weiß, dass ein solches Attest aber zum Verlust langzeitiger Krankengeld-Ansprüche des Versicherten führt. Die Krankenkassen wirken durch Vertreter an den Beschlüssen im GBA mit. Deshalb erscheint es treuwidrig, wenn sich die Krankenkassen bei dieser Sachlage trotz ihrer Mitverantwortung für die Richtlinien von ihrer Leistungspflicht befreien könnten.
Hinweis auf Rechtsvorschriften
§ 46 S 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch (SGB V) (in der bis 22.7.2015 geltenden Fassung)
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht
1. ...
2. ... von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.
§ 46 S 1 Nr 2 und S 2 SGB V (idF ab 23.7.2015, Gesetz vom 16.7.2015, BGBl I 1211)
Der Anspruch auf Krankengeld entsteht
1. ...
2. ... von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an.
Der Anspruch auf Krankengeld bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage.
§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V
(1) Die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger bleibt erhalten, solange
1. ...
2. Anspruch auf Krankengeld oder Mutterschaftsgeld besteht oder eine dieser Leistungen oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Pflegeunterstützungsgeld bezogen wird
Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ... (Arbeitsunfähigkeits-RL) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 7 SGB V idF vom 1.12.2003 (BAnz Nr 61 S 6501 vom 27.3.2004; aktuell idF vom 14.11.2013, BAnz vom 27.1.2014)
§ 6 Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der Entgeltfortzahlung
(1) Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung bzw. der Fortzahlung von Entgeltersatzleistungen ist ein Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit vom Vertragsarzt auf der "Bescheinigung für die Krankengeldzahlung" (Muster Nr. 17) zu attestieren....
(2) Die Bescheinigung für die Krankengeldzahlung soll in der Regel nicht für einen mehr als sieben Tage zurückliegenden und nicht mehr als zwei Tage im Voraus liegenden Zeitraum erfolgen. Ist es auf Grund der Erkrankung oder eines besonderen Krankheitsverlaufs offensichtlich sachgerecht, können längere Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt werden.
Zur bislang ergangenen Rechtsprechung vergleiche nur:
BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nummer 1.
BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nummer 5.
BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nummer 7