Bundessozialgericht

Muss der Veranstalter des jährlichen Berliner Christopher Street Day (CSD) für auftretende Künstler Künstlersozialabgabe entrichten?

Ausgabejahr 2017
Nummer 45
Datum 20.09.2017

Mit der jährlich am vierten Samstag im Juni in Berlin stattfindenden CSD-Veranstaltung soll unter anderem an das erste bekannt gewordene Aufbegehren von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten gegen Polizeiwillkür am 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street erinnert werden, in dessen Folge es zu tagelangen Straßenschlachten mit der Polizei kam. Der Aufstand wird allgemein als die Geburtsstunde der internationalen Schwulen-, Lesben- und Transgender-Bewegung verstanden. Veranstalter des CSD ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein, der im Sinne seiner Vereinszwecke eine Parade durch die Innenstadt Berlins mit anschließender Abschlusskundgebung durchführt, in deren Rahmen ein Bühnenprogramm mit Rede- und künstlerischen Beiträgen stattfindet. Da einige der auftretenden Künstler Honorare erhalten, stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund (= Beklagte) im Rahmen einer Betriebsprüfung die Abgabepflicht des Trägervereins nach dem Recht der Künstlersozialversicherung fest. Für die Jahre 2002 bis 2006 erhob sie insgesamt 763,34 Euro Künstlersozialabgabe (KSA).

Die Künstlersozialversicherung bietet selbstständigen Künstlern (und Publizisten) einen ähnlichen sozialen Schutz wie Arbeitnehmern. Die Künstler und Publizisten tragen dafür die Hälfte der Beiträge selbst, während die andere Hälfte von den zur KSA herangezogenen Unternehmern sowie durch einen Bundeszuschuss finanziert wird. Grundsätzlich sind Unternehmer abgabepflichtig, die regelmäßig selbstständige Künstler beauftragen.

Der CSD-Trägerverein ist gegen die ergangenen Bescheide in erster und zweiter Instanz erfolgreich gewesen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat die Abgabepflicht unter anderem verneint, weil der Kläger kein Unternehmen im Sinne der Künstlersozialversicherung betreibe. Der Vereinszweck sei weder auf die Organisation von Veranstaltungen mit Künstlern ausgerichtet noch werde Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit für Dritte betrieben. Das künstlerische Programm habe eher untergeordnete Bedeutung und flankiere nur das Abschlussprogramm einer politischen Demonstration. Eine gleichwohl erfolgende Auferlegung von KSA verstieße gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit.

Mit ihrer Revision macht nun die Beklagte geltend, der Trägerverein betreibe beim CSD als Unternehmen unter Einsatz von Künstlern regelmäßig Öffentlichkeitsarbeit für "Dritte", nämlich für die Personenkreise der Schwulen, Lesben, Trans-, Inter-, Bisexuellen und Transvestiten. Die daraus resultierende Abgabepflicht zur Künstlersozialversicherung stehe in Einklang mit dem Grundgesetz.

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) wird am 28. September 2017 ab 11.30 Uhr über die Revision (Aktenzeichen B 3 KS 2/16 R) mündlich verhandeln und entscheiden.


Hinweise auf Rechtsvorschriften

§ 24 Absatz 1 Satz 1 Nr 3 und Nr 7, Satz 2, Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 sowie Absatz 3 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG)

(1) 1Zur Künstlersozialabgabe ist ein Unternehmer verpflichtet, der eines der folgenden Unternehmen betreibt:
1. ...,

3. Theater-, Konzert- und Gastspieldirektionen sowie sonstige Unternehmen, deren wesentlicher Zweck darauf gerichtet ist, für die Aufführung oder Darbietung künstlerischer oder publizistischer Werke oder Leistungen zu sorgen; Absatz 2 bleibt unberührt, …

7. Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit für Dritte, …

2Zur Künstlersozialabgabe sind auch Unternehmer verpflichtet, die für Zwecke ihres eigenen Unternehmens Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit betreiben und dabei nicht nur gelegentlich Aufträge an selbständige Künstler oder Publizisten erteilen.

(2) 1Zur Künstlersozialabgabe sind ferner Unternehmer verpflichtet, die nicht nur gelegentlich Aufträge an selbständige Künstler oder Publizisten erteilen, um deren Werke oder Leistungen für Zwecke ihres Unternehmens zu nutzen, wenn im Zusammenhang mit dieser Nutzung Einnahmen erzielt werden sollen. 2Werden in einem Kalenderjahr nicht mehr als drei Veranstaltungen durchgeführt, in denen künstlerische oder publizistische Werke oder Leistungen aufgeführt oder dargeboten werden, liegt eine nur gelegentliche Erteilung von Aufträgen im Sinne des Satzes 1 vor. …

(3) 1Aufträge werden nur gelegentlich an selbstständige Künstler oder Publizisten im Sinne von Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 Satz 1 erteilt, wenn die Summe der Entgelte nach § 25 aus den in einem Kalenderjahr nach Absatz 1 Satz 2 oder Absatz 2 Satz 1 erteilten Aufträgen 450 Euro nicht übersteigt. 2Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

§ 25 Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 KSVG

(1) 1Bemessungsgrundlage der Künstlersozialabgabe sind die Entgelte für künstlerische oder publizistische Werke oder Leistungen, die ein nach § 24 Absatz 1 oder 2 zur Abgabe Verpflichteter im Rahmen der dort aufgeführten Tätigkeiten im Laufe eines Kalenderjahres an selbständige Künstler oder Publizisten zahlt, auch wenn diese selbst nach diesem Gesetz nicht versicherungspflichtig sind. …

(2) 1Entgelt im Sinne des Absatzes 1 ist alles, was der zur Abgabe Verpflichtete aufwendet, um das Werk oder die Leistung zu erhalten oder zu nutzen, abzüglich der in einer Rechnung oder Gutschrift gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer. …

Artikel 8 Absatz 1 und 2 Grundgesetz

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

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