Dürfen Krankenkassen ihren Versicherten Extras wie besonderen Auslandskrankenschutz als Wahltarif anbieten?
Ausgabejahr 2019
Nummer 30
Datum 25.07.2019
Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz erlaubt den gesetzlichen Krankenkassen seit April 2007, kraft Satzung Wahltarife für dort genannte Leistungen einzuführen. Seitdem besteht über die Reichweite dieser Möglichkeit Streit. Die beklagte Krankenkasse führte 2007 Wahltarife ein. Das klagende private Krankenversicherungsunternehmen begehrt von ihr Unterlassung. Hierüber wird der 1. Senat am Dienstag, dem 30. Juli 2019 ab 11.30 Uhr mündlich verhandeln und voraussichtlich entscheiden (Aktenzeichen B 1 KR 34/18 R).
Die Beklagte erweiterte 2007 ihre Satzung um Wahltarife, die einen Anspruch der Versicherten auf Kostenerstattung für besondere Leistungen vorsahen. Dies betraf Leistungen im Ausland, Krankenhauszuzahlung, Ein- oder Zwei-Bett-Zimmer im Krankenhaus und Zahnersatz. Die Klägerin hat hiergegen nach erfolgloser Abmahnung Klage mit dem Ziel erhoben, der Beklagten zu untersagen, diese Wahltarife zu bewerben oder anzubieten oder durch Dritte bewerben oder anbieten zu lassen. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte 2012 weitere zur Kostenerstattung berechtigende Wahltarife für Zahngesundheit, häusliche Krankenpflege, Brillen und kieferorthopädische Behandlungen in ihre Satzung aufgenommen. Die Klägerin hat ihr Unterlassungsbegehren auch auf diese Leistungen erstreckt. Das Sozialgericht Dortmund hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte bis auf die Wahltarife für Zahngesundheit und häusliche Krankenpflege antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt: Die vom Unterlassungsanspruch erfassten Wahltarife verletzten die Klägerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit. Die Beklagte sei zu solchen Satzungsleistungen nicht ermächtigt. Wenn das Gesetz es Krankenkassen erlaube, über den gesetzlich bestimmten Leistungskatalog hinaus, zusätzliche Satzungsleistungen einzuführen, zähle es diese im Einzelnen auf. Das sei nur bei den Wahltarifen für Zahngesundheit und häusliche Krankenpflege der Fall.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung von § 53 Absatz 4 SGB V und Artikel 12 Absatz 1 GG. Die Klägerin rügt mit ihrer Anschlussrevision die Verletzung von § 11 Absatz 6 und § 37 Absatz 2 Satz 4 in Verbindung mit § 53
Absatz 4 SGB V.
Hinweis auf Rechtsvorschriften
§ 11 Absatz 6 SGB V - Leistungsarten
(…)
(6) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung zusätzliche vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgeschlossene Leistungen in der fachlich gebotenen Qualität im Bereich der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation (§§ 23, 40), der Leistungen von Hebammen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 24d), der künstlichen Befruchtung (§ 27a), der zahnärztlichen Behandlung ohne die Versorgung mit Zahnersatz (§ 28 Absatz 2), bei der Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen apothekenpflichtigen Arzneimitteln (§ 34 Absatz 1 Satz 1), mit Heilmitteln (§ 32) und Hilfsmitteln (§ 33), im Bereich der häuslichen Krankenpflege (§ 37) und der Haushaltshilfe (§ 38) sowie Leistungen von nicht zugelassenen Leistungserbringern vorsehen. Die Satzung muss insbesondere die Art, die Dauer und den Umfang der Leistung bestimmen; sie hat hinreichende Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung zu regeln. Die zusätzlichen Leistungen sind von den Krankenkassen in ihrer Rechnungslegung gesondert auszuweisen.
§ 53 Absatz 4 SGB V - Wahltarife
(…)
(4) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder für sich und ihre nach § 10 mitversicherten Angehörigen Tarife für Kostenerstattung wählen. Sie kann die Höhe der Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. § 13 Absatz 2 Satz 2 und 3 gilt nicht.
(…)
§ 194 SGB V - Satzung der Krankenkassen
(…)
(2) Die Satzung darf keine Bestimmungen enthalten, die den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung widersprechen. Sie darf Leistungen nur vorsehen, soweit dieses Buch sie zulässt.