Bundessozialgericht

Soziale Entschädigung bei Wohnsitz in unmittelbarer Nähe von Atomwaffentestgelände während politischen Gewahrsams?

Ausgabejahr 2019
Nummer 36
Datum 05.09.2019

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts wird sich am 12. September 2019 um 10.00 Uhr mit der Frage befassen, ob die von einem Atomwaffentestgelände in Kasachstan ausgehende Strahlung für die dort in politischem Gewahrsam wohnenden deutschen Volkszugehörigen Versorgungsansprüche wegen erlittener Gesundheitsschäden auslösen kann (Aktenzeichen B 9 V 2/18 R).

Die 1955 geborene Klägerin ist 1979 als Spätaussiedlerin aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die Zeit zwischen der Geburt und der Ausreise aus der Sowjetunion ist als Zeit des politischen Gewahrsams anerkannt.

Ihre Eltern siedelten 1944 als deutsche Volkszugehörige in das damalige Deutsche Reich über und erhielten die deutsche Staatsbürgerschaft. Ende 1945 wurden sie von dort nach Sibirien verschleppt und bis 1956 unter Kommandanturaufsicht gestellt. Nach deren Ende zog die Familie zu Verwandten in das Gebiet von Semipalatinsk/Kasachstan. Dort befand sich das Atomwaffentestgelände der Sowjetunion, wo von 1949 bis 1991 nukleare Bombentests durchgeführt wurden.

Die Klägerin beantragte Beschädigtenversorgung wegen zahlreicher Erkrankungen, die sie unter anderem auf die Atombombenversuche in Semipalatinsk zurückführte. Der Beklagte hat eine Schilddrüsenerkrankung infolge vermehrter Strahlenbelastung als Schädigungsfolge anerkannt. Die weitergehende Klage haben die Vorinstanzen abgewiesen. Das LSG hat unter anderem ausgeführt, die Einwirkung ionisierender Strahlung sei nicht gewahrsamseigentümlich, da die übrige Wohnbevölkerung in Semipalatinsk derselben Strahlung ausgesetzt gewesen sei.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin unter anderem, die Strahlenbelastung infolge der Atombombenversuche sei auf den politischen Gewahrsam zurückzuführen. Sie habe Semipalatinsk als Russlanddeutsche faktisch nicht verlassen können und die Sowjetunion erst 1979 verlassen dürfen.

Hinweis auf Rechtsvorschriften

Häftlingshilfegesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I 838)
§ 1 Personenkreis

(1) Leistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften erhalten deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, wenn sie
1. nach der Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurden …
und den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes genommen haben.

(5) 1Gewahrsam im Sinne des Absatzes 1 ist ein Festgehaltenwerden auf engbegrenztem Raum unter dauernder Bewachung. 2Wurde oder wird eine in Absatz 1 Nr. 1 genannte Person gegen ihren Willen in ein ausländisches Staatsgebiet verbracht, so gilt die Zeit, während der sie an ihrer Rückkehr gehindert war oder ist, als Gewahrsam, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 1989.

§ 4 Beschädigtenversorgung

(1) Ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz), soweit ihm nicht wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes zusteht.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Wir verwenden ausschließlich Sitzungs-Cookies, die für die einwandfreie Funktion unserer Webseite erforderlich sind. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir diese Cookies einsetzen. Unsere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den Link Datenschutz.

OK