Darf eine Schiedsstelle die Vergütungen und Entgelte von Pflegeeinrichtungen unter Zugrundelegung eines pauschalen Gewinnzuschlags in Höhe von 4 % festsetzen?
Ausgabejahr 2019
Nummer 42
Datum 23.09.2019
Die Vergütungen der Pflegeeinrichtungen für allgemeine Pflegeleistungen (Pflegevergütung) sowie die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung werden grundsätzlich zwischen Pflegekassen und gegebenenfalls Sozialhilfeträgern (Kostenträger) auf der einen Seite und den Trägern jeder einzelnen Pflegeeinrichtung (Leistungserbringer) auf der anderen Seite vereinbart. Kommt eine solche Einigung nicht zustande, setzt eine Schiedsstelle die Vergütung fest. Die Pflegekassen tragen nur einen Teil der Pflegevergütung; für den nicht gedeckten Teil der Kosten müssen die Heimbewohner selbst aufkommen beziehungsweise - bei deren Bedürftigkeit - die Sozialhilfeträger.
Der 3. Senat des Bundessozialgerichts entscheidet am 26. September 2019 ab 9.30 Uhr (B 3 P 1/18 R und weitere) nach mündlicher Verhandlung in fünf Revisionsverfahren darüber, ob die beklagte Schiedsstelle für die Soziale Pflegeversicherung im Land Nordrhein-Westfalen Pflegevergütungen und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung für die Jahre 2015/2016 unter Berücksichtigung eines pauschalen Gewinnzuschlags in Höhe von 4 % des Gesamtumsatzes der jeweiligen Einrichtung als angemessene Vergütung ihres unternehmerischen Risikos festsetzen durfte.
Die Schiedsstelle zog für die Festsetzung des pauschalen Gewinnzuschlags § 44 Absatz 1 SGB I heran, wonach Ansprüche auf Geldleistungen im Leistungsrecht des Sozialgesetzbuchs mit 4 % zu verzinsen sind. Eine Beteiligung der Heimbeiräte oder der Bewohner der Einrichtungen in Bezug auf die Erhöhung wurde im Schiedsverfahren für entbehrlich erachtet.
Auf die Klagen der Kostenträger hat das (erstinstanzlich zuständige) Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 6.4.2017 die Schiedssprüche in allen Verfahren aufgehoben. Es hat die Beklagte ferner jeweils zum Erlass eines neuen Schiedsspruchs unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt: Die Orientierung des Gewinnzuschlags an § 44 SGB I sei sachwidrig und überschreite den Beurteilungsspielraum einer Schiedsstelle. Zur Kalkulation einer angemessenen Gewinnmöglichkeit müssten vielmehr die allgemeinen unternehmerischen Risiken von Pflegeheimen und die Kostenstrukturen der jeweiligen Pflegeeinrichtungen ermittelt werden. Dazu sei regelmäßig die Einholung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigengutachtens erforderlich.
Mit ihren Revisionen wendet sich die beklagte Schiedsstelle gegen die Urteile des Landessozialgerichts. Während die klagenden Kostenträger dem Urteil folgen, halten es die als Beigeladene am Rechtsstreit beteiligten Träger der Pflegeeinrichtungen für unrichtig und den Schiedsspruch für rechtmäßig.
Hinweise zur Rechtslage (Vorschriften jeweils in der in den Jahren 2015/16 geltenden Fassung):
§ 82 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) Finanzierung der Pflegeeinrichtungen
(1) 1Zugelassene Pflegeheime und Pflegedienste erhalten nach Maßgabe dieses Kapitels
1. eine leistungsgerechte Vergütung für die allgemeinen Pflegeleistungen (Pflegevergütung) sowie
2. bei stationärer Pflege ein angemessenes Entgelt für Unterkunft und Verpflegung.
2Die Pflegevergütung ist von den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern zu tragen. …
§ 84 SGB XI Bemessungsgrundsätze
…
(2) 1Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein. … 4Die Pflegesätze müssen einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen**). … 6Überschüsse verbleiben dem Pflegeheim; Verluste sind von ihm zu tragen. 7Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität ist zu beachten. 8Bei der Bemessung der Pflegesätze einer Pflegeeinrichtung können die Pflegesätze derjenigen Pflegeeinrichtungen, die nach Art und Größe sowie hinsichtlich der in Absatz 5 genannten Leistungs- und Qualitätsmerkmale im Wesentlichen gleichartig sind, angemessen berücksichtigt werden.
**) ab 1.1.2017 ergänzt: "unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung ihres Unternehmerrisikos"
§ 85 SGB XI Pflegesatzverfahren
(1) Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze werden zwischen dem Träger des Pflegeheimes und den Leistungsträgern nach Absatz 2 vereinbart.
(2) 1Parteien der Pflegesatzvereinbarung (Vertragsparteien) sind der Träger des einzelnen zugelassenen Pflegeheimes sowie
1. die Pflegekassen oder sonstige Sozialversicherungsträger,
2. die für die Bewohner des Pflegeheimes zuständigen Träger der Sozialhilfe sowie
3. die Arbeitsgemeinschaften der unter Nummer 1 und 2 genannten Träger,
soweit auf den jeweiligen Kostenträger oder die Arbeitsgemeinschaft im Jahr vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen jeweils mehr als fünf vom Hundert der Berechnungstage des Pflegeheimes entfallen. 2Die Pflegesatzvereinbarung ist für jedes zugelassene Pflegeheim gesondert abzuschließen; …
(3) 1Die Pflegesatzvereinbarung ist im Voraus, vor Beginn der jeweiligen Wirtschaftsperiode des Pflegeheimes, für einen zukünftigen Zeitraum (Pflegesatzzeitraum) zu treffen. 2Das Pflegeheim hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen; es hat außerdem die schriftliche Stellungnahme der nach heimrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Interessenvertretung der Bewohnerinnen und Bewohner beizufügen. 3Soweit dies zur Beurteilung seiner Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit im Einzelfall erforderlich ist, hat das Pflegeheim auf Verlangen einer Vertragspartei zusätzliche Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. 4Hierzu gehören auch pflegesatzerhebliche Angaben zum Jahresabschluss entsprechend den Grundsätzen ordnungsgemäßer Pflegebuchführung, zur personellen und sachlichen Ausstattung des Pflegeheims einschließlich der Kosten sowie zur tatsächlichen Stellenbesetzung und Eingruppierung. …
(5) 1Kommt eine Pflegesatzvereinbarung innerhalb von sechs Wochen nicht zustande, nachdem eine Vertragspartei schriftlich zu Pflegesatzverhandlungen aufgefordert hat, setzt die Schiedsstelle nach § 76 auf Antrag einer Vertragspartei die Pflegesätze unverzüglich fest. 2Satz 1 gilt auch, soweit der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 zuständige Träger der Sozialhilfe der Pflegesatzvereinbarung innerhalb von zwei Wochen nach Vertragsschluss widerspricht; … 3Gegen die Festsetzung ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben…
(6) 1Pflegesatzvereinbarungen sowie Schiedsstellenentscheidungen nach Absatz 5 Satz 1 oder 2 treten zu dem darin unter angemessener Berücksichtigung der Interessen der Pflegeheimbewohner bestimmten Zeitpunkt in Kraft; sie sind für das Pflegeheim sowie für die in dem Heim versorgten Pflegebedürftigen und deren Kostenträger unmittelbar verbindlich. 2Ein rückwirkendes Inkrafttreten von Pflegesätzen ist nicht zulässig. 3Nach Ablauf des Pflegesatzzeitraums gelten die vereinbarten oder festgesetzten Pflegesätze bis zum Inkrafttreten neuer Pflegesätze weiter. …
§ 87 SGB XI Unterkunft und Verpflegung
1Die als Pflegesatzparteien betroffenen Leistungsträger (§ 85 Absatz 2) vereinbaren mit dem Träger des Pflegeheimes die von den Pflegebedürftigen zu tragenden Entgelte für die Unterkunft und für die Verpflegung jeweils getrennt. 2Die Entgelte müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den Leistungen stehen. 3§ 84 Abs. 3 und 4 und die §§ 85 und 86 gelten entsprechend; …
§ 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) Verzinsung
(1) Ansprüche auf Geldleistungen sind nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen.