Merkzeichen Bl (für Blindheit) bei Stoffwechselstörung?
Ausgabejahr 2019
Nummer 50
Datum 17.10.2019
Unter welchen Voraussetzungen erfüllen schwerst hirngeschädigte Menschen, die zu keiner differenzierten Sinneswahrnehmung im Stande sind, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl (Blindheit)? Darüber wird der 9. Senat des Bundessozialgerichts am Donnerstag, dem 24. Oktober 2019 um 10.30 Uhr mündlich verhandeln (Aktenzeichen B 9 SB 1/18 R).
Die 2007 geborene Klägerin leidet seit ihrer Geburt an einer ausgeprägten Stoffwechselstörung (nichtketotische Hyperglycinämie). Bei ihr besteht Pflegebedürftigkeit nach der Stufe III (jetzt Pflegegrad 5). Der Grad der Behinderung (GdB) ist mit 100 festgestellt. Die Merkzeichen H, B, G, aG und RF sind anerkannt, nicht hingegen Merkzeichen Bl (für Blindheit).
Die Vorinstanzen haben das beklagte Land verurteilt, die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen Bl festzustellen. Zwar fehle der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig, auch habe sich keine gleichzusetzende geringgradige Sehschärfe nachweisen lassen. Jedoch läge eine andere der Blindheit gleichzustellende Störung des Sehvermögens vor. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Stoffwechselerkrankung nicht zu einer differenzierten Sinneswahrnehmung im Stande. Aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11. August 2015 - B 9 BL 1/14 R) komme es für den Begriff der Blindheit nicht mehr darauf an, ob eine spezifische Störung gerade des Sehvermögens bestehe. Cerebral bedingte Sehstörungen reichten aus.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte einen Verstoß gegen die Versorgungsmedizin-Verordnung. Das Landessozialgericht habe zur Feststellung von Blindheit eine gnostische Störung (außerhalb des Sehapparats) ausreichen lassen. In Teil A Nr 6 Buchst c der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung sei aber eindeutig geregelt, dass eine Unfähigkeit zur Sinneswahrnehmung, welche aus einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen resultiere, nicht als Blindheit aufgefasst werden dürfe.
Hinweis auf Rechtsvorschriften
Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (AnlVersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl I 2008, 2412, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.7.2017 BGBl I 2541)
Teil A Nr 6
Blindheit und hochgradige Sehbehinderung
a) Blind ist ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist auch ein behinderter Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind.
b) Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleich zusetzende Sehbehinderung liegt nach den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft bei folgenden Fallgruppen vor:
aa)
bei einer Einengung des Gesichtsfeldes...
bb)
bei einer Einengung des Gesichtsfeldes…
cc)
bei einer Einengung des Gesichtsfeldes…
dd)
bei einer Einengung des Gesichtsfeldes…
ee)
bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich…
ff)
bei homonymen Hemianopsien…
gg)
bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien…
c)Blind ist auch ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen.
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