Bundessozialgericht

Blindengeld auch für Rentner im EU-Ausland?

Ausgabejahr 2021
Nummer 14
Datum 07.06.2021

Erhält eine früher in Deutschland lebende Rentnerin auch dann deutsches Blindengeld, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnt? Mit dieser Frage befasst sich der 9. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Sitzung am 10. Juni 2021 um 10.45 Uhr im Elisabeth-Selbert-Saal (Aktenzeichen B 9 BL 1/20 R).

Die erblindete Klägerin wohnte früher in Sachsen, bis sie vor mehreren Jahren nach Österreich verzog. Sie bezieht ihre Altersrente aus Deutschland, wo sie auch weiterhin krankenversichert ist. Ihren Antrag auf Leistungen nach dem Sächsischen Landesblindengeldgesetz (LBlindG) lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin habe weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in Sachsen. Nachdem sich die Klägerin erfolglos bemüht hatte, in Österreich nach dortigem Recht Pflegegeld für Blinde zu erhalten, bat sie den Beklagten um Überprüfung seiner ablehnenden Entscheidung. Nach Ansicht des zuständigen Gerichts in Österreich sei in ihrem Fall Deutschland für die Gewährung von Blindengeld zuständig. Das ergebe sich aus den europäischen Vorgaben zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung <EG> Nr 883/2004). Die gegen die erneute Ablehnung erhobene Klage war in den Vorinstanzen ohne Erfolg.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1 Abs 1 Landesblindengeldgesetz in Verbindung mit Verordnung (EG) Nr 883/2004. Wie sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebe, sei das Landesblindengeld eine Geldleistung bei Krankheit. Für solche Leistungen sehe die Verordnung Sonderregelungen vor. Danach dürfe der Anspruch auf Blindengeld nicht vom Wohnort des Berechtigten abhängen. Vielmehr müsse der Beklagte ihr Blindengeld gewähren, weil sie in Deutschland krankenversichert sei (Artikel 7, 29 Verordnung <EG> Nr 883/2004).

Hinweise zur Rechtslage:

Sächsisches Gesetz über die Gewährung eines Landesblindengeldes und andere Nachteilsausgleiche (Landesblindengeldgesetz - LBlindG) idF des Gesetzes vom 15.12.2010, SächsGVBl S 387

§ 1 Berechtigte

(1) Blinde, hochgradig Sehschwache, Gehörlose und schwerstbehinderte Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben und im Freistaat Sachsen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt haben oder nach der Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004 (ABl L 166 vom 30.4.2004, S. 1, L 200 S 1, L 204 vom 4.8.2007, S 30), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 (ABl L 284 vom 30.10.2009, S 43), in der jeweils geltenden Fassung, anspruchsberechtigt sind, erhalten zum Ausgleich ihrer behinderungsbedingten Mehraufwendungen Leistungen nach diesem Gesetz…

Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl L 166 vom 30.4.2004)

Titel I - Allgemeine Bestimmungen

Art 7 Art und Dauer des Bezugs

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Titel II – Bestimmungen des anwendbaren Rechts

Art 11 – Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel…

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt <Erwerbstätige, Beamte, Arbeitslose, Wehr- und Zivildienstleistende>, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

Titel III - Besondere Bestimmungen über die verschiedenen Arten von Leistungen

Kapitel 1 - Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft

Art 29 Geldleistungen für Rentner

(1) Geldleistungen werden einer Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, vom zuständigen Träger des Mitgliedstaats gewährt, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat, der die Kosten für die dem Rentner in dessen Wohnmitgliedstaat gewährten Sachleistungen zu tragen hat…

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