Bundessozialgericht

Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer durch Erkrankung eines Richters?

Ausgabejahr 2022
Nummer 7
Datum 18.03.2022

Muss der Staat Entschädigung zahlen, wenn sich ein Gerichtsverfahren wegen der Erkrankung eines Richters erheblich verzögert hat?
Mit dieser Frage befasst sich der 10. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Sitzung am Donnerstag, 24. März 2022, um 14.15 Uhr im Elisabeth-Selbert-Saal (B 10 ÜG 2/20 R).

Der Kläger begehrt eine höhere Geldentschädigung wegen der über viereinhalbjährigen Dauer eines beim Sozialgericht Berlin geführten Klageverfahrens gegen die Bundesagentur für Arbeit über den Erlass einer Darlehensschuld. Die lange Verfahrensdauer beruhte unter anderem auf erheblichen Krankheitszeiten des zunächst zuständigen Kammervorsitzenden.

Das beklagte Land hat dem Kläger für die Überlänge vorprozessual 1200 Euro Entschädigung zugestanden und gezahlt. Das Landessozialgericht hat das beklagte Land zur Zahlung weiterer 1300 Euro Entschädigung verurteilt. Dabei hat es unter anderem drei Monate der gerichtlichen Untätigkeit pauschal als nicht entschädigungspflichtig angesehen; die Erkrankung des zuständigen Kammervorsitzenden stelle insoweit einen Fall höherer Gewalt dar.

Mit seiner Revision begehrt der Kläger eine höhere Entschädigung. Das Entschädigungsgericht habe dem Sozialgericht zu Unrecht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten zugestanden. Das Klageverfahren sei bereits nach acht Monaten entscheidungsreif gewesen. Erkrankungen von Richtern dürften sich nicht zulasten der Beteiligten auswirken. Für die dadurch verursachten Verzögerungen müsse vielmehr vollständig der Staat haften.

Hinweise zur Rechtslage:

§ 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)

(1) 1Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. 2Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) 1Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. 2Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. 3Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. 4Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) 1Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). 2Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. 3Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. 4Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. 5Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) …

(5) 1Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. 2Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. 3Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als
Gerichtsverfahren;
2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

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