Sozialwahlen in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ungültig?
Ausgabejahr 2022
Nummer 32
Datum 06.10.2022
Sind die Sozialwahlen zur Vertreterversammlung in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung im Jahr 2017 fehlerhaft ausschließlich in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchgeführt worden, deshalb ungültig und zu wiederholen? Mit dieser Frage befasst sich der 2. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Sitzung am 13. Oktober 2022 um 12 Uhr im Elisabeth-Selbert-Saal (B 2 U 6/22 R).
Der Kläger war Eigentümer land- und forstwirtschaftlicher Flächen und als Selbstständiger ohne fremde Arbeitskräfte bei der beklagten Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau versichert. Er reichte als Listenvertreter eine „Freie Liste“ zur Sozialwahl 2017 in der Gruppe der Selbstständigen ohne fremde Arbeitskräfte ein. Der Bundeswahlausschuss ließ die Vorschlagsliste zur Wahl der Vertreterversammlung zu. Bei der Wahl erhielt die Liste ein Mandat.
Anders als das Sozialgericht hat das Landessozialgericht festgestellt, dass die im Jahr 2017 durchgeführte Wahl zur Vertreterversammlung der beklagten Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau ungültig ist und wiederholt werden muss. Die Wahl sei fehlerhaft nur in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung durchgeführt worden. Dadurch seien die in den anderen Zweigen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (Alter, Krankheit und Pflege) versicherten Alters- und Erwerbsminderungsrentner entgegen § 47 Abs 5 SGB IV von ihrem aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen worden. Dieser Fehler sei mandatsrelevant.
Mit ihrer Revision rügt die beklagte Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau eine Verletzung des § 47 Abs 3 Nr 2 SGB IV. Die Wahl sei zutreffend allein im Zweig der gesetzlichen Unfallversicherung durchgeführt worden. Dies sei die Rechtslage vor der Neuorganisation der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zum 1. Januar 2013 gewesen. Mit der Neuorganisation der bis dahin selbstständigen Zweige der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in einem bundeseinheitlichen Träger habe sich das Wahlrecht nicht geändert.
Hinweise zur Rechtslage:
Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
§ 44 Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane (idF des Gesetzes vom 12.4.2012, BGBl. I S. 579 mWv 1.1.2013)
(1) Die Selbstverwaltungsorgane setzen sich zusammen
1. …
2. bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau je zu einem Drittel aus Vertretern der versicherten Arbeitnehmer (Versicherten), der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und der Arbeitgeber,
3. …
§ 46 Wahl der Vertreterversammlung (idF des Gesetzes vom 12.4.2012, BGBl. I S. 579 mWv 1.1.2013)
(1) Die Versicherten und die Arbeitgeber wählen die Vertreter ihrer Gruppen in die Vertreterversammlung getrennt auf Grund von Vorschlagslisten; das Gleiche gilt bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau für die Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte.
…
§ 47 Gruppenzugehörigkeit (idF Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2010)
(1) Zur Gruppe der Versicherten gehören
1. …
2. bei den Trägern der Unfallversicherung die versicherten Personen, die regelmäßig mindestens zwanzig Stunden im Monat eine die Versicherung begründende Tätigkeit ausüben, und die Rentenbezieher, die der Gruppe der Versicherten unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben,
…
(2) Zur Gruppe der Arbeitgeber gehören
1. die Personen, die regelmäßig mindestens einen beim Versicherungsträger versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen…
2. bei den Trägern der Unfallversicherung auch die versicherten Selbständigen und ihre versicherten Ehegatten oder Lebenspartner, soweit Absatz 3 nichts Abweichendes bestimmt, und die Rentenbezieher, die der Gruppe der Arbeitgeber unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben,
…
(3) Zur Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte gehören bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau
1. die versicherten Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte und ihre versicherten Ehegatten oder Lebenspartner; dies gilt nicht für Personen, die in den letzten zwölf Monaten sechsundzwanzig Wochen als Arbeitnehmer in der Land- oder Forstwirtschaft unfallversichert waren,
2. die Rentenbezieher, die der Gruppe der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der versicherten Tätigkeit angehört haben.
(4) …
(5) Rentenbezieher im Sinne der Vorschriften über die Selbstverwaltung ist, wer eine Rente aus eigener Versicherung von dem jeweiligen Versicherungsträger bezieht.