Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen im Vorfeld einer geschlechtsangleichenden Behandlung?
Ausgabejahr 2024
Nummer 22
Datum 22.08.2024
Haben Versicherte vor einer geschlechtsangleichenden Behandlung von Mann zu Frau gegen ihre Krankenkasse einen Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen? Mit dieser Frage befasst sich der 1. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Sitzung am 28. August 2024 um 10:45 Uhr im Jacob-Grimm-Saal (Aktenzeichen B 1 KR 28/23 R).
Der Kläger beantragte bei der beklagten Krankenkasse erfolglos die Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung von ihm stammender Samenzellen wegen einer beabsichtigten Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau. Anders als das Sozialgericht hat das Landessozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Kryokonservierung nach § 27a Absatz 4 SGB V sowie der hierzu ergangenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses lägen nicht vor. Der Anspruch bestehe danach nur, wenn auch die Voraussetzungen eines Anspruchs auf künstliche Befruchtung erfüllt seien. Daran fehle es hier. Eine Geschlechtsangleichung stelle auch keine keimzellschädigende Therapie im Sinne der einschlägigen Regelungen dar.
Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, Anspruch auf Kryokonservierung bestehe auch (und erst recht) bei keimzellvernichtenden medizinischen Behandlungen. Er könne nach der Geschlechtsangleichung eine Ehe mit einer Frau eingehen und dann eine künstliche Befruchtung beanspruchen.
Hinweise zur Rechtslage:
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung
§ 27a SGB V - Künstliche Befruchtung
(1) Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn
1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,
2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, daß durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,
3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,
4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und
5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a erteilt worden ist.
(…)
(3) Anspruch auf Sachleistungen nach Absatz 1 besteht nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch besteht nicht für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. (…)
(4) Versicherte haben Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können. Absatz 3 Satz 1 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.
(5) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 4.
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie – Kryo-RL
§ 2 Leistungsvoraussetzungen
(1) Versicherte haben unter den im Folgenden genannten Voraussetzungen Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen.
(2) Voraussetzung für den Anspruch nach Absatz 1 ist, dass
1. die Kryokonservierung bei der versicherten Person wegen einer Erkrankung (Grunderkrankung) und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie im Sinne des § 3 medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach der Richtlinie über künstliche Befruchtung vornehmen zu können, (...)
§ 3 Medizinische Indikationen
(1) Für die medizinische Indikation zur Kryokonservierung und für die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen nach dieser Richtlinie müssen neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung einer Kryokonservierung bezüglich einer Erkrankung Behandlungen geplant sein, die nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse keimzellschädigend sein können; dazu zählen insbesondere:
− operative Entfernung der Keimdrüsen,
− Strahlentherapie mit zu erwartender Schädigung der Keimdrüsen oder
− potentiell fertilitätsschädigende Medikation.
Die Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzung trifft die oder der die Grunderkrankung diagnostizierende oder behandelnde Fachärztin oder Facharzt.
(2) Die Indikationsstellung zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe wegen einer keimzellschädigenden Therapie und für die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen erfolgt durch Fachärztinnen oder Fachärzte, die für die Beratung gemäß § 4 Absatz 2 Nummer 2 qualifiziert sind.
§ 4 Beratung
Für die umfassende Beratung der Betroffenen und die Integration der Kryokonservierung sowie der dazugehörigen medizinischen Maßnahmen in die Behandlung der Grunderkrankung ist unter Berücksichtigung der individuellen Krankheitssituation eine enge Kooperation zwischen den beteiligten Fachdisziplinen zu gewährleisten. (…)