Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen vor geschlechtsangleichender Behandlung von Mann zu Frau möglich
Ausgabejahr 2024
Nummer 23
Datum 28.08.2024
Personen, die auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung eine geschlechtsangleichende Behandlung von Mann zu Frau durchführen, können einen Anspruch auf Kryokonservierung ihrer Samenzellen haben. Das hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts heute entschieden (Aktenzeichen B 1 KR 28/23 R).
Der Kläger befindet sich in einer geschlechtsangleichenden Behandlung von Mann zu Frau, die von der beklagten Krankenkasse bezahlt wird. Diese Behandlung führt zur Unfruchtbarkeit. Um die spätere Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung mit seinen eigenen Samenzellen zu erhalten, beantragte der Kläger zuvor erfolglos die Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung seiner Samenzellen. Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Kostenübernahme verurteilt, das Landessozialgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Bundessozialgericht hat nun entschieden, dass auch die geschlechtsangleichende Behandlung einen Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen begründen kann. Das Gesetz räumt die Möglichkeit der Kryokonservierung vor keimzellschädigenden Behandlungen ein. Dies trägt dem Bedürfnis Rechnung, die eigene Fortpflanzungsfähigkeit zu erhalten und gilt unabhängig von der geschlechtlichen Identität. Den Anspruch haben daher auch Personen, die auf Kosten der Krankenkasse eine geschlechtsangleichende Behandlung von Mann zu Frau durchführen.
Hinweise zur Rechtslage:
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung
§ 27a Künstliche Befruchtung
(4) 1Versicherte haben Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen, wenn die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach Absatz 1 vornehmen zu können.
Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie – Kryo-RL
§ 2 Leistungsvoraussetzungen
(1) Versicherte haben unter den im Folgenden genannten Voraussetzungen Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen.
(2) Voraussetzung für den Anspruch nach Absatz 1 ist, dass
1. die Kryokonservierung bei der versicherten Person wegen einer Erkrankung (Grunderkrankung) und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie im Sinne des § 3 medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach der Richtlinie über künstliche Befruchtung vornehmen zu können,
(...)
§ 3 Medizinische Indikationen
(1) Für die medizinische Indikation zur Kryokonservierung und für die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen nach dieser Richtlinie müssen neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Durchführung einer Kryokonservierung bezüglich einer Erkrankung Behandlungen geplant sein, die nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse keimzellschädigend sein können; dazu zählen insbesondere:
− operative Entfernung der Keimdrüsen,
− Strahlentherapie mit zu erwartender Schädigung der Keimdrüsen oder
− potentiell fertilitätsschädigende Medikation.
Die Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzung trifft die oder der die Grunderkrankung diagnostizierende oder behandelnde Fachärztin oder Facharzt.
(2) Die Indikationsstellung zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe wegen einer keimzellschädigenden Therapie und für die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen erfolgt durch Fachärztinnen oder Fachärzte, die für die Beratung gemäß § 4 Absatz 2 Nummer 2 qualifiziert sind.
§ 4 Beratung
Für die umfassende Beratung der Betroffenen und die Integration der Kryokonservierung sowie der dazugehörigen medizinischen Maßnahmen in die Behandlung der Grunderkrankung ist unter Berücksichtigung der individuellen Krankheitssituation eine enge Kooperation zwischen den beteiligten Fachdisziplinen zu gewährleisten. (…)