Einkommenseinbußen für stationäre Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik wegen fehlender Fachkräfte?
Ausgabejahr 2024
Nummer 35
Datum 12.12.2024
Ist die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossene Richtlinie über die Ausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal rechtmäßig?
Mit dieser Frage befasst sich der 1. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Sitzung am 19. Dezember 2024 ab 11:00 Uhr im Elisabeth-Selbert-Saal (Aktenzeichen B 1 KR 14/23 R, B 1 KR 15/23 R, B 1 KR 16/23 R, B 1 KR 17/23 R, B 1 KR 19/23 R, B 1 KR 26/23 R).
Der Gesetzgeber hat den beklagten Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragt, ab 1. Januar 2020 zur Sicherung der Qualität in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung verbindliche, sanktionsbewehrte Personaluntergrenzen für stationäre Einrichtungen festzulegen. Die Mindestpersonalvorgaben sollen möglichst evidenzbasiert sein und zu einer leitliniengerechten Behandlung beitragen.
In seiner Richtlinie hat der Gemeinsame Bundesausschuss für verschiedene Behandlungsbereiche und Berufsgruppen Minutenwerte pro Patient/Patientin und Woche festgelegt, aus denen sich die Mindestpersonalausstattung für jede Einrichtung anhand der Anzahl der im jeweiligen Quartal des Vorjahres behandelten Patientinnen und Patienten berechnen lässt. Bei der Festsetzung dieser Personaluntergrenzen hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss wesentlich an der Psychiatrie-Personalverordnung orientiert. Diese regelte von 1991 bis zu ihrem Außerkrafttreten mit Ablauf des Jahres 2019 Anhaltszahlen für die personelle Ausstattung der psychiatrischen Krankenhäuser zum Zwecke der Budgetfindung. Hiervon ausgehend hat er insbesondere auf der Grundlage von Fachexpertengesprächen und der Auswertung von Leitlinien die Minutenwerte für bestimmte Behandlungsbereiche und Berufsgruppen in der stationären psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung erhöht.
Die Einrichtungen haben den Umsetzungsgrad der Mindestpersonalausstattung nach bestimmten Vorgaben nachzuweisen. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses entfällt ab 2026 bei Nichterfüllung einzelner Personaluntergrenzen in einer vom Umfang des fehlenden Personals abhängigen Höhe nach in der Richtlinie näher geregelten Berechnungsmodalitäten. Die Mindestvorgaben sind bis einschließlich 2026 zunächst zu 90 Prozent, ab 2027 zu 95 Prozent und ab 2029 zu 100 Prozent zu erfüllen.
Seit 2020 sammelt der Gemeinsame Bundesausschuss Daten zum Umsetzungsgrad der Mindestpersonalvorgaben mit Hilfe sanktionsbewehrter Nachweispflichten der Einrichtungen.
Die klagenden Krankenhäuser verfügen über Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik, die die Mindestvorgaben nicht in allen Berufsgruppen der verschiedenen Behandlungsbereiche erfüllen. Sie führen dies auf den Fachkräftemangel zurück. Sie rügen die Verletzung von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht, insbesondere eine nicht ermächtigungskonforme Umsetzung des Regelungsauftrags bei fehlender Evidenz der festgelegten Personaluntergrenzen. Wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Richtlinie könnten sie die Versorgung kaum noch entsprechend ihrem Versorgungsauftrag aufrechterhalten. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat ihre Klagen abgewiesen. Es hält die Richtlinie für rechtmäßig.
Hinweise zur Rechtslage:
§ 136a SGB V Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung in ausgewählten Bereichen (in der Fassung Krankenhauszukunftsgesetzes vom 23. Oktober 2020)
(1) ….
(2) 1Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in seinen Richtlinien nach § 136 Absatz 1 geeignete Maßnahmen zur Sicherung der Qualität in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung fest. 2Dazu bestimmt er insbesondere verbindliche Mindestvorgaben für die Ausstattung der stationären Einrichtungen mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal sowie Indikatoren zur Beurteilung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität für die einrichtungs- und sektorenübergreifende Qualitätssicherung in der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung. 3Die Mindestvorgaben zur Personalausstattung nach Satz 2 sollen möglichst evidenzbasiert sein und zu einer leitliniengerechten Behandlung beitragen. 4Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt zu den Mindestvorgaben zur Personalausstattung nach Satz 2 notwendige Ausnahmetatbestände und Übergangsregelungen. 5Den betroffenen medizinischen Fachgesellschaften ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 6Die Stellungnahmen sind durch den Gemeinsamen Bundesauschuss in die Entscheidung einzubeziehen. 7Bei Festlegungen nach den Sätzen 1 und 2 für die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung hat er die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich insbesondere aus den altersabhängigen Anforderungen an die Versorgung von Kindern und Jugendlichen ergeben. 8Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die verbindlichen Mindestvorgaben und Indikatoren nach Satz 2 erstmals bis spätestens zum 30. September 2019 mit Wirkung zum 1. Januar 2020 zu beschließen. 9Der Gemeinsame Bundesausschuss hat als notwendige Anpassung der Mindestvorgaben erstmals bis zum
30. September 2021 mit Wirkung zum 1. Januar 2022 sicherzustellen, dass die Psychotherapie entsprechend ihrer Bedeutung in der Versorgung psychisch und psychosomatisch Erkrankter durch Mindestvorgaben für die Zahl der vorzuhaltenden Psychotherapeuten abgebildet wird. 10Informationen über die Umsetzung der verbindlichen Mindestvorgaben zur Ausstattung mit therapeutischem Personal und die nach der Einführung mit den Indikatoren nach Satz 2 gemessenen und für eine Veröffentlichung geeigneten Ergebnisse sind in den Qualitätsberichten nach § 136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 darzustellen.
(3)….
§ 137 Abs 1 SGB V Durchsetzung und Kontrolle der Qualitätsanforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (in der Fassung des Krankenhausstrukturgesetzes vom 10. Dezember 2015)
(1) 1Der Gemeinsame Bundesausschuss hat zur Förderung der Qualität ein gestuftes System von Folgen der Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen nach den §§ 136 bis 136c festzulegen. 2Er ist ermächtigt, neben Maßnahmen zur Beratung und Unterstützung bei der Qualitätsverbesserung je nach Art und Schwere von Verstößen gegen wesentliche Qualitätsanforderungen angemessene Durchsetzungsmaßnahmen vorzusehen. 3Solche Maßnahmen können insbesondere sein
1. Vergütungsabschläge,
2. der Wegfall des Vergütungsanspruchs für Leistungen, bei denen Mindestanforderungen nach § 136 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 nicht erfüllt sind,
3. die Information Dritter über die Verstöße,
4. die einrichtungsbezogene Veröffentlichung von Informationen zur Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen.
4Die Maßnahmen sind verhältnismäßig zu gestalten und anzuwenden. 5Der Gemeinsame Bundesausschuss trifft die Festlegungen nach den Sätzen 1 bis 4 und zu den Stellen, denen die Durchsetzung der Maßnahmen obliegt, in grundsätzlicher Weise in einer Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 13. 6Die Festlegungen nach Satz 5 sind vom Gemeinsamen Bundesausschuss in einzelnen Richtlinien und Beschlüssen jeweils für die in ihnen geregelten Qualitätsanforderungen zu konkretisieren. 7Bei wiederholten oder besonders schwerwiegenden Verstößen kann er von dem nach Satz 1 vorgegebenen gestuften Verfahren abweichen.
(2)…
Richtlinie
Die aktuelle Fassung der Richtlinie über die Ausstattung der stationären Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik mit dem für die Behandlung erforderlichen therapeutischen Personal gemäß § 136a Absatz 2 Satz 1 SGB V (Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie – PPP-RL) sowie die älteren Fassungen und die zum 1.1.2025 in Kraft tretende Fassung einschließlich der Anlagen und der jeweiligen tragenden Gründe finden sich zB unter:
https://www.g-ba.de/richtlinien/113/