Bundessozialgericht

Verhandlung B 3 KR 4/16 R

Verhandlungstermin 15.03.2018 09:30 Uhr

Terminvorschau

B. ./. DAK Gesundheit
Der 1960 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet als Folge eines Hirntumors an einer symptomatischen Epilepsie mit fokal-motorischen Anfällen, an Beeinträchtigungen der linken Körperhälfte bei reduzierter Motorik und Gleichgewichtsstörungen. Er steht unter Betreuung seiner Ehefrau wegen eines hirnorganischen Psychosyndroms. Seit Januar 2012 bezieht er Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II aF. Ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen H, B und G sind anerkannt.

Am 13.11.2013 beantragte die Ehefrau des Klägers bei der Beklagten die Kostenübernahme für ein ärztlich verordnetes Therapie-Dreirad ("Easy Rider 2"). Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und um ein Trainingsgerät handele, das nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) umfasst sei. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.1.2014 ab. Auch das Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren sind erfolglos geblieben. Das LSG hat ausgeführt, dass der Anspruch des Klägers scheitere, weil die wegen Fristablaufs nach § 13 Abs 3a SGB V eingetretene Genehmigungsfiktion nur einen Kostenerstattungsanspruch wegen selbstbeschaffter Leistungen auslöse. Der Kläger habe sich die Leistung aber nicht selbst beschafft. Selbst wenn die Genehmigungsfiktion von § 13 Abs 3a S 6 SGB V auch einen Sachleistungsanspruch auslöse, sei der Anspruch durch das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot begrenzt. Die Genehmigungsfiktion reiche nicht weiter als der zugrunde liegende Sachleistungsanspruch. Ein Sachleistungsanspruch nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V bestehe nicht, weil das Therapie-Dreirad weder zur Vermeidung bzw zum Ausgleich einer Behinderung noch zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung erforderlich sei.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion folge entsprechend dem Wortlaut von § 13 Abs 3a S 6 SGB V ein Sachleistungsanspruch. Die Versorgung mit dem Hilfsmittel sei auch zur Sicherung des Erfolgs der Heilbehandlung nach § 33 SGB V erforderlich.

Sozialgericht Darmstadt - S 10 KR 237/14
Hessisches Landessozialgericht - L 1 KR 413/14

Terminbericht

Die Revisionen waren in allen drei Fällen im Sinne der Aufhebung der LSG-Urteile und Zurückverweisung der Sachen an das jeweilige Berufungsgericht begründet. Die im Einzelnen geltend gemachten Ansprüche der Kläger auf Versorgung mit Hilfsmitteln können nicht mit Erfolg auf die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V wegen verspäteter Bescheidung der Leistungsanträge durch die beklagten Krankenkassen gestützt werden. Der sachliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird nach § 13 Abs 3a S 9 SGB V für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insgesamt nicht eröffnet. Dies gilt unabhängig davon, ob mit der Genehmigungsfiktion ein Sachleistungsanspruch oder ein Kostenfreistellungs- bzw -erstattungsanspruch für solche selbstbeschafften Leistungen begehrt wird. § 13 Abs 3a S 9 SGB V weist Leistungen zur medizinischen Rehabilitation dem eigenständigen Fristen- und Kostenerstattungsregime des Rehabilitations- und Teilhaberechts für Menschen mit Behinderungen zu (§§ 14, 15 SGB IX aF bzw §§ 14 bis 24 idF des Bundesteilhabegesetzes mWv 1.1.2018 - BTHG). Hilfsmittel der GKV zur Vorbeugung vor Behinderung (§ 33 Abs 1 S 1 Var 2 SGB V) und zum Behinderungsausgleich (§ 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V) gehören - anders als Leistungen, die der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung dienen (§ 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V) - zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Sie werden nicht in erster Linie mit dem Ziel eingesetzt, auf die Krankheit, dh den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand als solchen iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V therapeutisch einzuwirken, sondern hauptsächlich mit dem Ziel, die damit verbundene Teilhabebeeinträchtigung eines Menschen mit Behinderung auszugleichen oder zu mildern. Auf die Unterscheidung zwischen Hilfsmitteln zum unmittelbaren und solchen zum mittelbaren Behinderungsausgleich kommt es für die Frage des sachlichen Anwendungsbereichs der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a SGB V nicht an.

In allen drei Verfahren geht es um Ansprüche auf Versorgung mit Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich, nicht aber um solche "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" iS von § 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V. Auch bei dem im Fall 1 begehrten Therapie-Dreirad fehlt es an dem dazu erforderlichen engen Zusammenhang zwischen dem Einsatz des Hilfsmittels und einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung.

Der Senat kann allerdings jeweils nicht abschließend selbst in den genannten Sachen entscheiden. Die Vorinstanzen müssen nach deren Zurückverweisung in den wiedereröffneten Berufungsverfahren - unabhängig von § 13 Abs 3a SGB V - die Voraussetzungen der Hilfsmittelansprüche nach § 33 SGB V sowie Ansprüche nach den Vorschriften aus dem Bereich anderer Rehabilitationsträger vollumfänglich prüfen. Da die beklagten Krankenkassen die Anträge der Kläger jeweils nicht an andere Rehabilitationsträger weitergeleitet hatten, sind die Beklagten im Außenverhältnis gegenüber den Versicherten zur Überprüfung der Anträge im Hinblick auf alle in Frage kommenden Rechtsgrundlagen verpflichtet (§ 14 Abs 2 S 1 SGB IX). Hierbei wird die Versorgungssituation der Kläger unter Berücksichtigung ihres Wunsch- und Wahlrechts in einer dem Teilhaberecht des SGB IX (idF des BTHG) angemessenen Weise zu berücksichtigen sein. Bislang fehlen hierzu tragfähige Feststellungen der Berufungsgerichte.

Bescheide, mit denen die beklagten Krankenkassen in den Fällen 2 und 3 die vermeintlich nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V eingetretene fiktive Genehmigung zurückgenommen haben, gingen mangels Eintritts der Genehmigungsfiktion ins Leere.

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