Bundessozialgericht

Verhandlung B 4 AS 19/17 R

Verhandlungstermin 25.04.2018 12:30 Uhr

Terminvorschau

L. Z. ./. Jobcenter Kreis Segeberg
Umstritten ist eine Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II bei einer Lese-Rechtschreib-Schwäche.

Der 2002 geborene Kläger und seine Mutter bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom beklagten Jobcenter. Zu Beginn des 3. Grundschuljahrs im Herbst 2011 wurde bei ihm eine Lese-Rechtschreib-Schwäche diagnostiziert. Von der Schule wurde die Notwendigkeit einer Lernförderung bestätigt, seine Versetzung war jedoch aufgrund Notenschutzes wegen des sog Legasthenie-Erlasses des Ministeriums nicht gefährdet.

Am 3.4.2012 beantragte der Kläger die Übernahme der laufenden monatlichen Kosten für die Teilnahme an einem schon seit einiger Zeit besuchten Unterricht zur Lese- und Rechtschreibförderung der Volkshochschule von 90 Minuten pro Woche, die sich auf 56 bis 89 Euro/Monat in der strittigen Zeit bis zum 31.7.2014 beliefen. In dieser Zeit besuchte der Kläger nach der 3. die 4. Klasse der Grundschule und anschließend die 5. Klasse einer Gemeinschaftsschule. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Lernförderung nur vorübergehende kurzzeitige und versetzungsrelevante Lernschwächen beheben solle, nicht aber eine länger andauernde Förderung, wie vorliegend, umfassen solle, zudem sei die Versetzung nicht gefährdet.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, die Kosten der Lernförderung zu übernehmen. Das LSG hat seine Berufung zurückgewiesen: Lernförderung könne auch für längere Zeit zu gewähren sein, wenn dies, wie bei Legasthenie, erforderlich sei. Der Begriff "Lernförderung" ziele auf eine komplexere Leistung als der Begriff "Nachhilfe" ab. Das entscheidende Lernziel sei nicht die Versetzung, sondern der Erwerb der Kulturtechniken Lesen und Schreiben.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 28 Abs 5 SGB II und weist neben der Dauer der Förderung und dem Notenschutz auf die vorrangigen Leistungen nach § 35a SGB VIII und §§ 53 ff SGB XII sowie den pädagogischen Auftrag der Schule, der nicht vom SGB II-Träger zu übernehmen sei, hin.

Sozialgericht Lübeck - S 40 AS 785/12
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 3 AS 195/13

Terminbericht

Auf die Revision des beklagten Jobcenters ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen gewesen. Auch wenn der Auffassung des LSG, dass für eine über eine längere Zeit andauernde Maßnahme bei einer Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II zu gewähren sein können, grundsätzlich zuzustimmen ist, reichen die von ihm getroffenen Feststellungen zu einer abschließenden Entscheidung nicht aus.

Dass Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II ohne Rücksicht auf Kompetenzfragen mehr als nur Nachhilfe und nicht nur kurzzeitige Maßnahmen umfasst, folgt aus der Auslegung dieser Vorschrift im Lichte des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (- 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – BVerfGE 125, 175), in dessen Umsetzung sie geschaffen wurde.

Hinsichtlich der Bewertung des LSG, dass das nach schulrechtlichen Bestimmungen zu erreichende wesentliche Lernziel nicht die Versetzung ist, sondern die Kulturtechniken Lesen und Schreiben sind, ist ihm zuzustimmen. Zur näheren Beurteilung der LRS des Klägers, seiner Ansprüche und der Geeignetheit des besuchten Unterrichts ist vom aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auszugehen (vgl AWMF-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und / oder Rechtschreibstörung"). Dies aufzuklären wird das LSG nachzuholen haben. Zur Konkretisierung möglicher Leistungen der Lernförderung nach § 28 Abs 5 SGB II bei LRS sind auch die ggf in Betracht kommenden Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII und nach §§ 53 ff SGB XII in den Blick zu nehmen.

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