Bundessozialgericht

Verhandlung B 5 R 25/17 R

Verhandlungstermin 28.06.2018 12:00 Uhr

Terminvorschau

M. S. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte für die Zeit ab 1.7.2014. Der Kläger gehörte zuletzt dem Mutterkonzern eines bundesweit tätigen Bildungsdienstleisters an und war in dessen Außenbüro Hamburg eingesetzt. Zum 30.6.2012 wurde das Außenbüro Hamburg aufgrund betriebsorganisatorischer Veränderungen geschlossen. Die Arbeitgeberin kündigte dem Kläger mit Schreiben vom 20.3.2012 zum 31.12.2012. Für die Zeit vom 22.1.2013 bis 20.1.2015 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit dem Kläger für insgesamt 720 Tage Arbeitslosengeld (Alg), nachdem sie für die Zeit vom 1.1. bis 21.1. ein Ruhen des Anspruchs im Blick auf einen Ausgleich des Arbeitgebers für nicht genommenen Urlaub festgestellt hatte. Am 8.5.2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 1.7.2014 und teilte zugleich mit, er wünsche vorrangig die Gewährung der Altersrente für langjährig Versicherte, sofern er aufgrund einer Gesetzesänderung die abschlagsfreie Altersrente mit 45 Beitragsjahren ab dem 1.7.2014 in Anspruch nehmen könne. Mit Bescheid vom 11.6.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger ausgehend von 52,3833 Entgeltpunkten und unter Berücksichtigung eines Abschlags von 0,060 bei der Festsetzung des Zugangsfaktors Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Teilzeitarbeit beginnend mit dem 1.7.2014 iHv 1408,76 Euro. Gegen die Bewilligung der Altersrente mit Abschlägen erhob der Kläger am 10.7.2014 Widerspruch und beantragte zugleich, die Gewährung der abschlagsfreien Altersrente mit 45 Beitragsjahren gemäß seinem Rentenantrag vom 8.5.2014 zu bescheiden. Mit Bescheid vom 5.9.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab, weil der Kläger die Mindestversicherungszeit für diese Rente nicht erfülle. Bis zum 1.7.2014 enthalte das Versicherungskonto des Klägers statt der erforderlichen 540 Monate nur 536 Wartezeitmonate. Die Zeiten des Leistungsbezuges von Alg in den letzten zwei Jahren vor dem Rentenbeginn könnten nicht mitgezählt werden, weil der Arbeitgeber nicht seine gesamte Betriebstätigkeit eingestellt habe. Das SG hat die Klage nach Nachholung des Widerspruchsverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 6.1.2015) mit Urteil vom 8.3.2016 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Gewährung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte stehe zwar nicht entgegen, dass dem Kläger auf den gleichzeitigen Antrag bereits eine andere Altersrente bewilligt worden sei, doch scheitere der Anspruch daran, dass der Kläger mit nur 536 Monaten an rentenrechtlichen Zeiten zum 1.7.2014 die 45-jährigen Wartezeit nicht erfülle. Die 18 Monate des Alg-Bezuges mit Beitragszahlung könnten wegen § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB VI nicht angerechnet werden, weil sie in den letzten zwei Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn lägen. Eine Ausnahme hiervon komme nicht in Betracht, weil weder eine Insolvenz noch eine vollständige Geschäftsaufgabe des früheren Arbeitgebers, der lediglich einen von mehreren Standorten geschlossen habe, vorlägen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision (Beschluss vom 17.8.2017 - B 5 R 396/16 B) rügt der Kläger eine Verletzung von § 51 Abs 3a Nr 3a SGB VI sowie von Art 3 Abs 1 und 3 GG.

Sozialgericht Lüneburg - S 33 R 445/14
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 2 R 176/16

Terminbericht

Die Revision des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Ihm steht die begehrte Rente für besonders langjährig Versicherte mangels Erfüllung der Wartezeit nicht zu.

Der Kläger hat nach den Feststellungen des LSG bis Dezember 2012 536 Kalendermonate zurückgelegt, die auf die 45-jährige Wartezeit (= 540 Monate) anrechenbar sind. Die darüber hinaus von Januar 2013 bis Juni 2014 zurückgelegten Monate des Bezugs von Arbeitslosengeld (Alg), einer Entgeltersatzleistung der Arbeitsförderung (§ 3 Abs 4 Nr 1 SGB III), sind nach den Vorgaben des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teilsätze 2 und 3 SGB VI nicht anrechnungsfähig.

Zwar finden Zeiten des Bezuges einer Entgeltersatzleistung nach § 51 Abs 3 S 1 Nr 3 Teilsatz 1 Nr 3 Buchst a SGB VI grundsätzlich Anrechnung auf die 45-jährige Wartezeit, doch gilt dies ausnahmsweise nicht, wenn diese Zeiten - wie vorliegend - innerhalb der letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn liegen und der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (iS einer Rückausnahme) nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist.

Eine teleologische Reduktion des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 Buchst a Teilsatz 2 SGB VI in dem Sinn, dass in den Zeitraum der letzten zwei Jahre vor dem Rentenbeginn nur Zeiten des Bezuges einer Entgeltersatzleistung einbezogen werden, die nach dem 1.7.2014 oder einem anderen Zeitpunkt liegen, kommt entgegen der Revision nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke, die durch die Hinzufügung einer einschränkenden Norm ausgefüllt werden könnte, ist nicht erkennbar. Insbesondere ist dieser Gesichtspunkt im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erörtert worden.

Zum anderen fehlt es an einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers, die vorliegend aufgrund der abschließenden gesetzlichen Regelung allein als Rückausnahmefall in Betracht kommt. Der Bezug von Alg ist nur dann durch eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, wenn das gesamte Unternehmen des konkreten rechtlichen Arbeitgebers als Basis vorhandener Beschäftigungen wegfällt. Dieses Verständnis des im Gesetz nicht näher umschriebenen und auch durch den Sprachgebrauch nicht eindeutig bestimmten Begriffs der "vollständigen Geschäftsaufgabe" ergibt sich insbesondere aus Sinn und Zweck der Norm, eine missbräuchliche Frühverrentung von vornherein auszuschließen, sowie aus systematischen Bezügen zum rechtlich gleichgeordneten Rückausnahmetatbestand der Insolvenz (vgl hierzu Urteil des Senats vom 17.8.2017 - B 5 R 8/16 R - SozR 4-2600 § 51 Nr 1 RdNr 23ff, auch zu Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Dies begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

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