Bundessozialgericht

Verhandlung B 2 U 21/17 R

Verhandlungstermin 29.01.2019 10:00 Uhr

Terminvorschau

A-S-B Rettungsdienst gGmbH ./. GUV H.
In dem Rechtsstreit (siehe auch B 2 U 22/17 R, B 2 U 19/17 R, B 2 U 23/17 R) geht es um die Frage, ob Wohlfahrtsorganisationen, die Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen betreiben, für ihre hauptamtlich Beschäftigten Beiträge zur Gesetzlichen Unfallversicherung entrichten müssen. Nach § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII sind die Unfallversicherungsträger im Landesbereich zuständig für Personen, die in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind. § 185 Abs 2 S 1 SGB VII bestimmt, dass ua für Versicherte nach § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII Beiträge nicht erhoben werden. Der Revisionskläger in allen vier Revisionsverfahren ist der im Bundesland Niedersachsen zuständige Gemeindeunfallversicherungsverband. Er fordert Beiträge von den jeweiligen Revisionsbeklagten für deren in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen hauptamtlich Beschäftigte. Die Klage der Wohlfahrtsorganisation war in beiden Instanzen erfolgreich. Das Landessozialgericht hat entschieden, aus § 185 Abs 2 S 1 SGB VII folge, dass keine Beiträge zur Gesetzlichen Unfallversicherung erhoben werden dürfen. Hiergegen wendet sich der Gemeindeunfallversicherungsverband mit seiner Revision.

Zwischen den Beteiligten ist der Beitragsbescheid für das Umlagejahr 2011 streitig. Die Klägerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die in der Region H. Rettungsdienstleistungen erbringt. Mit Bescheid vom 21.3.2011 erhob der Beklagte auf der Grundlage einer Versichertenzahl von 67 zu einem Beitragssatz von je 103,69 Euro einen Gesamtbeitrag zur Gesetzlichen Unfallversicherung für 2011 in Höhe von 6 947,23 Euro. Der Widerspruch blieb erfolglos. Das SG hat den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, das LSG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin erbringe zwar Rettungsdienstleistungen und habe dem Beklagten die im Rettungsdienst und im qualifizierten Krankentransport hauptamtlich tätigen Personen gemeldet. Die Beitragsfreiheit für diese entgeltlich Beschäftigten der Klägerin folge jedoch aus § 185 Abs 2 S 1 SGB VII iVm § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII. Diese Normen differenzierten nicht zwischen hauptamtlich und ehrenamtlich Tätigen, also entgeltlich oder unentgeltlich beschäftigten Personen. Bereits der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII spreche dafür, dass er sich auf alle Personen beziehe, die in diesen Einrichtungen tätig seien, also auch auf die nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherten Beschäftigten. Die Begriffe "tätig sind" oder "tätige" umfassten Versicherte jeder Art. § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII nehme im Unterschied zu den übrigen Ziffern des § 128 Abs 1 SGB VII nicht auf den Versicherungstatbestand des § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII Bezug, wo ausdrücklich unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich Tätige genannt würden. Hätte der Gesetzgeber eine Beschränkung der Beitragsfreiheit auf diese Gruppe beabsichtigt, so hätte er in § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII auch § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII zitiert. Für eine umfassende Beitragsfreiheit spreche zudem, dass Unglückshilfe-Unternehmen im öffentlichen Interesse tätig seien und nicht gewinnorientiert arbeiteten. Sie sollten dadurch Unterstützung erhalten, dass die Beiträge aus Steuermitteln aufgebracht würden. Die Klägerin habe im Übrigen auch in einer Nebenabrede vom November 2006 eine Beitragspflicht nicht anerkannt. Aus der allgemein gehaltenen Formulierung dieser Nebenabrede könne nicht geschlossen werden, dass sich die Klägerin generell zu einer Beitragszahlung für Versicherte verpflichte. Ein Verstoß gegen Kartellrecht sei nicht ersichtlich. Das europarechtliche Beihilfeverbot des Art 107 AEUV werde nicht berührt. Auch aus der Rechtsprechung des EuGH ergäben sich dafür keine Anhaltspunkte.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision. Er rügt insbesondere eine Verletzung des § 185 Abs 2 SGB VII.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Hannover - S 22 U 126/11, 07.10.2015
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 16 U 18/16, 17.05.2017

Terminbericht

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass der Beklagte nicht befugt war, für die hauptamtlich in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Beschäftigten der Klägerin Beiträge zur Gesetzlichen Unfallversicherung zu erheben. Der Beitragsbescheid für das Jahr 2011 war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte ist für alle im Rettungsdienst tätigen Mitarbeiter der Klägerin der zuständige Unfallversicherungsträger. Die Zuständigkeit des Beklagten folgt aus § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII. Danach sind die Unfallversicherungsträger im Landesbereich ua zuständig für Personen, die in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind. Das Land Niedersachsen hat von der Verordnungsermächtigung in § 128 Abs 2 SGB VII Gebrauch gemacht und in der Verordnung über die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und Besoldungshöchstgrenzen vom 14.12.2005 (Nds GVBl 2005, 405) bestimmt, dass die Hilfeleistungsunternehmen in die Zuständigkeit der Niedersächsischen Gemeindeunfallversicherungsverbände (vgl § 2 Abs 1 UnfVersTrBesHGrV-ND) fallen. Es konnte dahinstehen, ob die Klägerin bereits aus formellen Gründen einen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids hat, weil es an der erforderlichen Anhörung gemäß § 24 SGB X fehlte. Die vor Erlass des Bescheids vom 21.3.2011 erforderliche Anhörung wurde bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl § 41 Abs 1 Nr 3 iVm Abs 2 SGB X) nicht wirksam nachgeholt.

Der angefochtene Beitragsbescheid ist jedenfalls materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen für die Erhebung von Beiträgen für die hauptamtlich Beschäftigten der Klägerin im Bereich des Rettungsdienstes nach § 168 Abs 1 SGB VII liegen nicht vor. Nach § 185 Abs 2 S 1 SGB VII werden ua für Versicherte nach § 128 Abs 1 Nr 2 bis 9 und 11 SGB VII Beiträge nicht erhoben. Die Aufwendungen für diese Versicherten werden entsprechend der in diesen Vorschriften festgelegten Zuständigkeit auf das Land, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände umgelegt. Eine Auslegung der Vorschrift nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck ergibt, dass die Beitragsfreiheit sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch auf die bei der Klägerin Beschäftigten iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erstreckt. § 185 Abs 2 S 1 SGB VII verweist für den von der Beitragsfreiheit erfassten Versichertenkreis auf die Zuständigkeitsnorm des § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII. Dessen Wortlaut knüpft an den Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII an, ohne jedoch - anders als andere in § 128 Abs 1 SGB VII enumerierte Tatbestände - diese Vorschrift zu zitieren. Die Formulierung des § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII spricht daher dagegen, dass nur die nach § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII kraft Gesetzes versicherten, unentgeltlich Tätigen von der Regelung erfasst sein sollen. Denn während der Gesetzgeber in der Aufzählung des § 128 Abs 1 SGB VII zu Nr 5 und den folgenden Nrn 7, 8, 10 und 11 auf den jeweiligen Versicherungstatbestand nach § 2 Abs 1 SGB VII ausdrücklich Bezug nimmt, macht er die Zuständigkeit nach § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII lediglich daran fest, dass die Personen in einer Einrichtung zur Hilfe bei Unglücksfällen "tätig sind". Hätte der Gesetzgeber eine Beschränkung nur auf die in § 2 Abs 1 Nr 12 SGB VII genannten ehrenamtlichen Tätigen gewollt, so hätte er hier ebenfalls diesen Versicherungstatbestand ausdrücklich zitieren müssen. Dass ein "tätig Sein" im Sinne des SGB VII eine Beschäftigung generell ausschließt, lässt sich anhand des Gesetzestextes nicht belegen. Zu diesem Ergebnis führt auch ein Vergleich mit § 125 Abs 1 Nr 5 SGB VII, der die Zuständigkeit für die in den Gemeinschaften des Deutschen Roten Kreuzes Tätigen regelt. § 125 Abs 1 Nr 5 SGB VII nennt in seinen beiden Alternativen ausdrücklich beide Gruppen ("ehrenamtlich Tätige" sowie "sonstige … Tätige") und lässt damit keinen Zweifel, dass auch die Hauptamtlichen von der Zuständigkeit umfasst sind. Die Beitragsfreiheit folgt aus § 186 Abs 3 S 3 SGB VII, wonach das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Aufwendungen für die Versicherung nach § 125 Abs 1 Nr 5 SGB VII erstattet. Eine Beitragspflicht für die hauptamtlich Beschäftigten in den Einrichtungen zur Unglückshilfe der Klägerin würde diese gegenüber dem Deutschen Roten Kreuz ohne erkennbaren sachlichen Grund schlechter stellen. Aus der Finanzierung der Gesetzlichen Unfallversicherung durch Beiträge ausschließlich durch die Unternehmer folgt schließlich nicht, dass der Gesetzgeber Sonderfälle nicht abweichend regeln kann. Dies gilt vor allem im Bereich der sog "unechten Unfallversicherung". Dabei ist insbesondere die Beitragsfreiheit für die "sonstigen beim Deutschen Roten Kreuz … Tätigen" (§ 125 Abs 1 Nr 5 SGB VII iVm § 186 Abs 3 S 3 SGB VII) der Situation der in § 128 Abs 1 Nr 6 SGB VII genannten Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen vergleichbar. Die Beitragsfreiheit für Unglückshilfe-Unternehmen rechtfertigt sich daraus, dass diese im öffentlichen Interesse tätig sind und nicht gewinnorientiert arbeiten. Sie sollen unterstützt werden, indem die Beiträge aus den öffentlichen Haushalten aufgebracht werden (vgl § 185 Abs 2 S 2 ff SGB VII). Dieser Gesichtspunkt trifft nicht nur für unentgeltlich Tätige, sondern in gleichem Umfang für die Beschäftigten zu. Schließlich ergeben sich aus der Gesetzesbegründung keine Hinweise, dass der Gesetzgeber einen anderen Regelungswillen hatte, als den, den er mit dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut zum Ausdruck gebracht hat. Nach der Begründung zum Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG; BT-Drs 13/2204, S 115) wurde die Beitragsfreiheit "entsprechend dem geltenden Recht" (§ 770 S 5 und § 771 Abs 1 S 2 RVO) geregelt. Nach der Vorgängervorschrift des § 771 Abs 1 RVO waren die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass und wie der Versicherungsträger für Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen seine Aufwendungen auf die beteiligten Gemeinden oder Gemeindeverbände umlegte. Dabei durften die Versicherten oder die aus Versicherten bestehenden Unternehmen zur Hilfe bei Feuersnot oder anderen Unglücksfällen nicht zu Beiträgen herangezogen werden. Mit der Vorschrift wurde sichergestellt, dass diese Versicherten nicht zusätzlich zu ihrer aus ideellen Beweggründen für die Allgemeinheit geleisteten Tätigkeit, auch noch mit Beiträgen belastet werden. Zu dieser Vorschrift war jedenfalls die Beitragsfreiheit auch für Beschäftigte unstreitig. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass in den genannten Unternehmen damals überwiegend ehrenamtliche Helfer tätig waren. Sollte jedoch aufgrund der Entwicklung hin zu einer Professionalisierung des Unglückshilfe-Systems eine Änderung hinsichtlich der Beitragsfreiheit erfolgen, ist diese Klarstellung Aufgabe des Gesetzgebers.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 185 Abs 2 S 1 SGB VII auch nicht europarechtskonform dahin auszulegen, dass für Beschäftigte in Unfallhilfe-Unternehmen zwingend Beiträge zu erheben sind. Nach Art 107 Abs 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen. Der Senat hat bereits Zweifel, ob es sich bei der hier einschlägigen Beitragsfreiheit überhaupt um eine "Beihilfe" handelte. Allein eine mögliche Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt zwingt jedoch nicht, § 185 Abs 2 S 1 SGB VII im Sinne des Beklagten auszulegen, da unklar bleibt, wie die für eine Beitragserhebung notwendige Eingriffsnorm (§ 31 SGB I) aus Art 107 AEUV abgeleitet werden könnte. Zudem ist die Überprüfung von Beihilfen nach Art 108 AEUV der Kommission übertragen. Solange die Kommission nicht die Unvereinbarkeit einer bestehenden Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt hat, kann sie durchgeführt werden. Erst recht ist sie dann nicht für die Auslegung einer Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut bzw als rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Beiträgen heran zuziehen. Eine Pflicht der Klägerin zur Zahlung von Beiträgen folgte schließlich auch nicht aus der Nebenabrede vom 17.11.2006, weil das LSG in nicht zu beanstandender Weise den Inhalt dieser Nebenabrede so ausgelegt hat, dass die Klägerin eine Willenserklärung zur unbedingten Beitragsleistung für die Zukunft nicht abgegeben hat. Die Klägerin hat in dieser Nebenabrede die Zahlung von Beiträgen somit nicht versprochen bzw ihre Beitragspflicht anerkannt.

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