Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 10/18 R

Verhandlungstermin 30.01.2019 11:00 Uhr

Terminvorschau

1. A. G., 2. S. G. ./. Jobcenter Landkreis Harz
Umstritten ist die Höhe der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in den Jahren 2011 bis 2013 nach einem Umzug.

Die Klägerin zu 1 wohnte mit ihrer Tochter, der Klägerin zu 2, in einer Wohnung in Halberstadt (Landkreis Harz), für die 325 Euro Bruttowarmmiete monatlich zu zahlen waren. Den Antrag der Mutter auf Zusicherung der Berücksichtigung der Aufwendungen für eine neue Unterkunft in Blankenburg (Landkreis Harz) lehnte das beklagte Jobcenter ab. Am 1.5.2011 zogen die Klägerinnen nach Blankenburg, für die Wohnung waren monatlich 370,04 Euro Bruttowarmmiete zu zahlen. Im Rahmen der Leistungsbewilligungen erkannte der Beklagte als Bedarfe für die Unterkunft und Heizung nur 325 Euro an.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, den Klägern weitere Leistungen zu gewähren, weil die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen seien. Das LSG hat die von ihm zugelassene Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Der Umzug der Klägerinnen sei zwar nicht erforderlich gewesen, sie seien aber nicht innerhalb eines Vergleichsraums umgezogen, was Voraussetzung für die Anwendung der Kostendeckelung des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II sei. Entgegen der Ansicht des Beklagten bilde der Landkreis Harz nicht einen, sondern sei in 14 Vergleichsräume, ua Halberstadt und Blankenburg, zu unterteilen.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 22 Abs 1 SGB II. Das LSG habe zu Unrecht selbst Vergleichsräume festgelegt, diesbezüglich stehe dem Leistungsträger aber eine aus der Methodenfreiheit folgende, nicht justiziable Einschätzungsprärogative zu. Zudem sei die vom LSG vorgenommene Vergleichsraumbildung fehlerhaft. Überdies sei die Vorschrift des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II auch anwendbar, wenn ein Umzug zwar vergleichsraumübergreifend, aber innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Trägers stattfinde. Dann sei auch keine Kostensenkungsaufforderung erforderlich, um eine Übernahme nur der angemessenen Kosten zu bewirken.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Magdeburg - S 15 AS 1369/12, 08.08.2014
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 5 AS 547/16, 11.05.2017

Terminbericht

Umstritten in dem Verfahren war insbesondere die Höhe des von dem beklagten Jobcenter anzuerkennenden Bedarfs für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Senat hat die bisherige Rechtsprechung des BSG zu diesem Bedarf unter Einbeziehung der Rechtsentwicklung wie folgt zusammengefasst und konkretisiert:

Die Ermittlung der Grenze für die abstrakt angemessenen Kosten der Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten, für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung hat in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept zu erfolgen.

Der Vergleichsraum ist der Raum, innerhalb dessen einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar ist und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II zu einer Deckelung der Kosten auf die bisherigen führt. Der Vergleichsraum ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet. Im Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters kann es mehr als einen Vergleichsraum geben (vgl § 22b Abs 1 Satz 4 SGB II).

Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarktes im Vergleichsraum der Angemessenheitsgrenze zugrunde liegen. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen auch bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert bei Methodenvielfalt insbesondere
• eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard,
• Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung,
• Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht,
• Repräsentativität und Validität der Datenerhebung,
• Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung,
• Vermeidung von "Brennpunkten" durch soziale Segregation,
• eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird
(vgl auch § 22a Abs 3, § 22b Abs 1, 2, § 22c Abs 1 SGB II).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann es verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf mehrere Vergleichsräume zu bilden.

Nicht zulässig ist es jedoch, wenn ein Jobcenter, das den gesamten Landkreis als einen Vergleichsraum ansieht, innerhalb dieses Vergleichsraums die Städte und Gemeinden in mehrere Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Angemessenheitsgrenzen aufteilt. Denn für diese Aufteilung gibt es keine rechtliche Begründung, insbesondere können durch die Bildung von Wohnungsmarkttypen die Voraussetzungen für die Bildung und die Rechtsfolgen eines Vergleichsraums nicht geändert werden. Zudem mangelt es in dem vorliegenden Verfahren für die einzelnen Wohnungsmarkttypen an einer sie rechtfertigenden sachlichen Herleitung.

Da das entscheidende Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, sind die Bildung des Vergleichsraums und die Erstellung des schlüssigen Konzepts des Jobcenters gerichtlich voll überprüfbar.

Auf eine entsprechende Klage hin ist es Aufgabe des Gerichts, die Rechtmäßigkeit der vom Jobcenter ermittelten Angemessenheitsgrenze zu überprüfen. Ist diese rechtlich zu beanstanden, so ist dem jeweiligen Jobcenter zunächst Gelegenheit zu geben, die Beanstandungen durch Stellungnahmen, ggf nach weiteren Ermittlungen, auszuräumen.

Ist dies nicht möglich, ist das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, seinerseits - ggf mit Hilfe von Sachverständigen - eine eigene Vergleichsraumbildung vorzunehmen oder ein schlüssiges Konzept zu erstellen. Die Bildung des Vergleichsraums kann nicht von der Erstellung des Konzepts getrennt werden, einschließlich der anzuwendenden Methode. Das Gericht hat zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen. Andernfalls sind mangels in rechtlich zulässiger Weise bestimmter Angemessenheitsgrenze die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft diesem Bedarf zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG plus einen Zuschlag von 10%.

Verfahrensrechtlich ist darauf hinzuweisen, dass auch hinsichtlich der anzuerkennenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung ein Grundurteil im Höhenstreit zulässig ist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist wie folgt entschieden worden:

Das Urteil des LSG ist aufgehoben und die Sache aus den in den Parallelverfahren (B 14 AS 41/18, B 14 AS 12/18, B 14 AS 11/18, B 14 AS 24/18) genannten Gründen zurückverwiesen worden.

Im Übrigen wird das LSG Feststellungen zu Angemessenheitsgrenzen im Umzugszeitpunkt zu treffen haben (vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 6/14 R - BSGE 119, 1 = SozR 4-4200 § 22 Nr 84).

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