Bundessozialgericht

Verhandlung B 11 AL 15/18 R

Verhandlungstermin 26.02.2019 13:00 Uhr

Terminvorschau

S. B. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin - deutsche Staatsangehörige - begehrt Alg ab dem 1.4.2013. Im Streit ist insbesondere, ob sie unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und österreichischen Versicherungszeiten die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Sie lebte seit 2006 in Österreich und war vom 20.11.2006 bis 23.12.2009 dort beschäftigt. Vom 24.12.2009 bis 23.4.2010 erhielt die Klägerin österreichisches Wochengeld/Mutterschaftsgeld wegen der Geburt ihres Sohnes am 26.2.2010. Im Anschluss daran befand sie sich in Elternzeit/Erziehungszeit und zog im Januar 2011 mit ihrer Familie zurück nach Deutschland, wo sie vom 1.10.2012 bis 31.3.2013 befristet versicherungspflichtig beschäftigt war. Zum 1.4.2013 meldetet sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Alg. Sie legte eine "Bescheinigung von Zeiten, die für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind" des österreichischen Trägers der Arbeitsförderung vor, in der Versicherungszeiten vom 20.11.2006 bis 23.12.2009 und vom 27.2.2012 bis 7.3.2012 sowie gleichgestellte Zeiten vom 24.12.2009 bis 23.4.2010 vermerkt sind. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, weil die Anwartschaftszeit nicht erfüllt sei.

Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, Alg zu gewähren. Die Klägerin sei unmittelbar vor der Geltendmachung ihres Anspruchs auf Alg in Deutschland 182 Tage versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die davorliegende Zeit der Kindererziehung gelte nach § 26 Abs 2a SGB III als versicherungspflichtig, weil sie sich direkt an eine Versicherungspflicht in Österreich angeschlossen habe, so dass die Anwartschaftszeit von einem Jahr erfüllt sei. Das LSG hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Eine Versicherungspflicht durch Zeiten der Kindererziehung bestehe nicht, weil dafür unmittelbar vorher ein Versicherungspflichtverhältnis gerade in der deutschen Arbeitslosenversicherung erforderlich gewesen wäre. Die Gleichstellung oder Berücksichtigung der Zeiten der Versicherungspflicht in Österreich vor Eintritt der Kindererziehung sei europarechtlich nicht geboten. Ausländische Versicherungszeiten hätten im Rahmen der Leistungen bei Arbeitslosigkeit einen geringeren Stellenwert. Die unterschiedliche Behandlung der österreichischen und deutschen versicherten Beschäftigung sei gerechtfertigt, da es hier um ein "Benefizium der deutschen Arbeitslosenversicherung" gehe.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung von § 26 Abs 2a SGB III in Verbindung mit europarechtlichen Vorschriften geltend. Ihre österreichische Versicherungszeit sei unter den gleichen Voraussetzungen anspruchsbegründend heranzuziehen, unter denen auch eine inländische Versicherungszeit gleicher Dauer und zeitlicher Lage zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitrage.

Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 5 AL 679/13, 13.02.2015
Bayerisches Landessozialgericht - L 9 AL 80/15, 15.05.2018

Terminbericht

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Das Urteil des LSG war aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, Alg ab dem 1.4.2013 dem Grunde nach zu gewähren, denn die Klägerin erfüllt entgegen der Auffassung des LSG die Anwartschaftszeit von 12 Monaten. Innerhalb der Rahmenfrist von 2 Jahren stand sie aufgrund ihrer zuletzt in Deutschland ausgeübten Beschäftigung 182 Kalendertage in einem nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Als weitere Zeit eines Versicherungspflichtverhältnisses ist die Zeit vom 27.2.2012 bis 7.3.2012 (zehn Tage) zu berücksichtigen. Diese Zeit ist gemäß Art 61 Abs 1 Satz 1 der VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit als eine nach österreichischen Rechtsvorschriften zurückgelegte, vom Träger der österreichischen Arbeitslosenversicherung verbindlich bescheinigte Versicherungszeit anzuerkennen. Zudem ist wegen der Berücksichtigung dieser Versicherungszeit auch die Zeit der Kindererziehung in Deutschland vom 8.3.2012 bis 30.9.2012 (weitere 206 Tage) als Versicherungszeit nach § 26 Abs 2a Satz 1 SGB III zu berücksichtigen. Anders, als es das LSG meint, erfordert die Anwendung dieser Vorschrift keine der Kindererziehung unmittelbar vorhergehende Versicherungszeit, die unabhängig von europäischem Sozialrecht besteht. § 26 Abs 2a Satz 1 Nr 1 SGB III knüpft an die Definition in § 24 SGB III an, der regelt, in welchen Zeiten Personen in einem Versicherungspflichtverhältnis stehen. Deshalb hat auch bei der Anwendung von § 26 Abs 2a Satz 1 Nr 1 SGB III die Berücksichtigung von österreichischen Zeiten der Versicherungspflicht in Anwendung von Art 61 Abs 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 zu erfolgen, also der Vorschrift zur Zusammenrechnung von Zeiten in unterschiedlichen Mitgliedstaaten. Art 5 Buchst b VO (EG) 883/2004, der die sogenannte "Tatbestandsgleichstellung" in länderübergreifenden Sachverhalten regelt, ist entgegen der Auffassung des LSG insoweit ohne Belang.

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