Bundessozialgericht

Verhandlung B 13 R 27/17 R

Verhandlungstermin 12.03.2019 13:30 Uhr

Terminvorschau

C. K. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Zwischen den Beteiligten sind Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben streitig.

Nach einer Tätigkeit als Kontoristin durchlief die Klägerin eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Diesen Beruf übte sie von April 1993 bis Mai 1997, von Mai 1998 bis August 1999 und von Juni 2001 bis Mai 2003 aus. Anschließend ist sie arbeitslos bzw arbeitsunfähig und seit 2007 als geringfügig beschäftigte Kellnerin tätig gewesen. Bei ihr bestehen - jedenfalls seit März 2013 - ausgeprägte Gesundheitsstörungen an den Händen und dem linken Kniegelenk.

Unter Hinweis auf diese Erkrankungen beantragte die Klägerin im Mai 2013 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der beklagte RV-Träger lehnte deren Bewilligung mit der Begründung ab, die Klägerin erfülle die persönlichen Voraussetzungen hierfür nicht. Ihre Erwerbsfähigkeit sei nicht in anspruchsbegründendem Umfang gemindert oder gefährdet. Es lasse sich insoweit bereits kein spezifischer Bezugsberuf ausmachen, der ihrem Erwerbsleben das Gepräge gegeben habe. Auf die Tätigkeit als Physiotherapeutin könne nicht abgestellt werden, denn diese sei von der Klägerin zuletzt vor 10 Jahren ausgeübt worden. Auf dem daher in Bezug zu nehmenden allgemeinen Arbeitsmarkt sei sie jedoch vollumfänglich einsatzfähig.

Das SG hat den beklagten RV-Träger verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Berufung der Beklagten hiergegen hat das LSG mit der Begründung zurückgewiesen, es liege eine Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Beruf der Physiotherapeutin vor. Dieser und nicht der allgemeine Arbeitsmarkt stelle, obwohl von der Klägerin längere Zeit nicht ausgeübt, den Bezugsmaßstab für die Minderung oder Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar. Eine zeitliche Grenze insoweit sei weder dem Gesetz noch der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen. Zudem könne für den Beruf der Physiotherapeutin nicht pauschal vom Verlust der Kernkompetenzen und Qualifikationen durch eine längere Zeit der Nichtausübung ausgegangen werden.

Mit ihrer Revision rügt der beklagte RV-Träger eine Verletzung des § 10 Abs 1 SGB VI. Durch die Rechtsprechung des BSG sei bereits geklärt, dass für die Bestimmung des Bezugsberufs die beruflichen Tätigkeiten in den letzten Jahren, wenn auch nicht aus allzu lang zurückliegender Zeit, einzubeziehen seien. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung wie auch Teile der Literatur schließe daher - je nach den Umständen des Einzelfalles - eine zuletzt etwa zehn Jahre vor Antragstellung ausgeübte Tätigkeit als Bezugsberuf aus.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 188 R 6774/13, 31.07.2015
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 2 R 712/15, 10.03.2016

Terminbericht

Die Revision des beklagten RV-Träger hat nicht zu einem Erfolg geführt. Die Klägerin hat Anspruch auf erneute Bescheidung ihres Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben liegen vor. Insbesondere ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen der bei ihr vorliegenden Erkrankungen erheblich gemindert iS des § 10 Abs 1 Nr 1 SGB VI.

Erwerbsfähigkeit iS dieser Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Fähigkeit eines Versicherten, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können. Prüfungsmaßstab ist mithin, ob der Versicherte unabhängig von den Besonderheiten des bisher bzw gerade innegehaltenen Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufs noch nachkommen kann. Sowohl bei der Beurteilung der Anspruchsvoraussetzung, nämlich ob die Erwerbsfähigkeit gefährdet oder gemindert ist, als auch bei der Auswahl einer konkreten Leistung ist grundsätzlich von dem zuletzt innegehabten Arbeitsplatz auszugehen. In die Betrachtung können jedoch, soweit erforderlich, auch alle weiteren beruflichen Tätigkeiten in den letzten Jahren einbezogen werden. Nicht maßgeblich sind aber Tätigkeiten, die nur verhältnismäßig kurze Zeit verrichtet wurden oder nicht versicherungspflichtig ausgeübt worden sind.

"Bisheriger Beruf" der Klägerin ist im konkreten Fall der der Physiotherapeutin, auch wenn sie in diesem zuletzt 2003, also fast zehn Jahre vor Antragstellung tätig war. Weder der Wortlaut des § 10 Abs 1 Nr 1 SGB VI noch die Regelungsgeschichte der rehabilitationsrechtlichen Vorschriften bieten Anhaltspunkte für eine Einschränkung des in § 9 SGB VI formulierten Teilhabeanspruchs wegen Zeitablaufs. Die Erwerbsfähigkeitsprüfung anhand des Berufs "Physiotherapeutin" widerspricht auch nicht den Grundsätzen aus den Urteilen des 11. Senats vom 31. Januar 1980 (11 RA 8/79 - BSGE 49, 263 = SozR 2200 § 1237a Nr 10) und des erkennenden Senats vom 6. September 2017 (B 13 R 20/14 R - SozR 4 3250 § 48 Nr 1).

Weitere berufliche Tätigkeiten in den letzten Jahren, die als Bezugsberuf in Frage kommen könnten, liegen hier nicht vor. An die von der Klägerin seit 2007 geringfügig ausgeübte Tätigkeit ist schon deshalb nicht anzuknüpfen, weil diese nicht versicherungspflichtig ausgeübt worden ist.

Schließlich ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin auch "wegen" ihrer Krankheiten bzw Behinderungen gemindert. Erst dieses Kausalitätserfordernis des § 10 Abs 1 Nr 1 SGB VI lässt Raum für die Berücksichtigung des von der Beklagten herausgestellten Umstands, dass bei Antragstellung lange Zeit nach der letzten Berufstätigkeit der Verlust verwertbarer Fähigkeiten im "bisherigen Beruf" die gesundheitlichen Ursachen als wesentliche Ursache verdrängen kann. Jedoch hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass vorliegend keine Anhaltpunkte für eine solche arbeitsmarktbedingte Berufsentfremdung infolge eines grundlegenden Wandels der fachlichen Anforderungen oder eine individuelle Berufs- bzw Tätigkeitsentfremdung aufgrund des Verlustes der notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten durch langfristige Nichtausübung vorliegen.

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