Verhandlung B 3 KR 2/18 R
Verhandlungstermin
28.03.2019 14:00 Uhr
Terminvorschau
A. GmbH ./. Schiedsstelle nach § 130b SGB V
beigeladen: 1. GKV-Spitzenverband, 2. Verband der Privaten Krankenversicherung e.V., 3. Gemeinsamer Bundesausschuss, 4. P. GmbH
Die Klägerin vertrieb als pharmazeutische Unternehmerin in Deutschland das Arzneimittel Constella® (Wirkstoff Linaclotid), welches zur symptomatischen Behandlung des mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndroms bei Obstipation (RDS-O) bei Erwachsenen zugelassen ist. Sie wendet sich gegen den insoweit durch die beklagte Schiedsstelle festgesetzten - von der Klägerin als zu niedrig erachteten - von den Krankenkassen zu zahlenden Erstattungsbetrag nach § 130b SGB V.
Der GBA (= Beigeladener zu 3.) stellte im Oktober 2013 durch einen Beschluss nach § 35a SGB V über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen fest, dass ein Zusatznutzen des oa Wirkstoffs gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt sei; im Rahmen dieser Vergleichstherapie seien lediglich die Jahrestherapiekosten für den Wirkstoff Mebeverin heranzuziehen. Die Klägerin stellte anschließend den Vertrieb von Constella® in Deutschland ein und versuchte erfolglos, sich mit dem GKV-Spitzenverband (= Beigeladener zu 1.) auf einen Erstattungsbetrag für Constella® zu einigen. Daraufhin setzte die angerufene Schiedsstelle (= Beklagte) den Erstattungsbetrag in einem Schiedsspruch gemäß dem Antrag des Beigeladenen zu 1. auf einen Betrag fest, der den Jahrestherapiekosten für Mebeverin entsprach. In der Folgezeit übernahm anstelle der Klägerin ein anderes pharmazeutisches Unternehmen (= Beigeladene zu 4.) die Vertriebsrechte für Constella®.
Das von der Klägerin angerufene - erstinstanzlich zuständige - LSG Berlin-Brandenburg hat den Schiedsspruch der Beklagten aufgehoben, weil der dem Schiedsspruch zugrunde liegende, nach § 35a SGB V ergangene Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 3. nicht hinreichend begründet worden sei. Insbesondere seien die Annahmen des Beigeladenen zu 3. nicht nachvollziehbar, dass (1.) Psychotherapie zur Behandlung der Symptome Obstipation, Blähungen, Krämpfe und Schmerzen irrelevant sei, dass (2.) eine ärztliche Beratung zur Ernährungsumstellung zwar Teil der Vergleichstherapie, aber nicht mit Kosten verbunden sei, und dass es (3.) unter einer Behandlung mit Linaclotid in Bezug auf die Inanspruchnahme von psychotherapeutischen Leistungen nicht zu Kosteneinsparungen komme.
Dagegen richtet sich die Revision (nur) des zu 3. beigeladenen GBA, der die Verletzung von Bundesrecht durch das LSG rügt. Sein (des Beigeladenen zu 3.) Beschluss zur frühen Nutzenbewertung von Linaclotid weise - entgegen der Ansicht des LSG - keinen rechtserheblichen Begründungsmangel auf. Psychotherapie sei bei der Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht berücksichtigt worden, weil sie nur bei psychisch verursachten Darmstörungen erbracht werden dürfe, die aber nicht als RDS-O zu diagnostizieren seien. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Anwendung von Linaclotid regelhaft mit einer Einsparung von Kosten für die Inanspruchnahme von Psychotherapie verbunden sei. Ein Nutzen von Linaclotid sei in den vorgelegten Studien weder im Vergleich zu den Kosten für Psychotherapie untersucht worden noch im Vergleich zu den Kosten für Arztbesuche, Notfallbehandlungen oder für die Inanspruchnahme von Ernährungsberatung. Unter Anwendung von Linaclotid müssten insoweit die gleichen Kosten eingestellt werden wie bei der Behandlung des RDS-O mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie.
Vorinstanz:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 1 KR 295/14 KL, 25.01.2018
Terminbericht
Die - noch zulässige - (alleinige) Revision des GBA (= Beigeladener zu 3.), der vom LSG zum Rechtsstreit notwendig (und nicht nur einfach) beizuladen war, hat zur Aufhebung des LSG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG geführt. Es liegt ein auch im Revisionsverfahren durch den Senat von Amts wegen zu beachtender Mangel im Hinblick auf die Sachurteilsvoraussetzungen der Klage vor, da das LSG den Streitgegenstand nicht vollends erfasst hat. Es hat bei seiner Sachentscheidung zudem einen unzutreffenden Prüfungsmaßstab angewandt.
Anders als das LSG angenommen hat, erschöpfte sich der Gegenstand des Rechtsstreits hier nicht nur in einer reinen Anfechtungsklage gegen den vom LSG allein aufgehobenen Schiedsspruch der beklagten Schiedsstelle (= zweite Stufe nach § 130b Abs 4 SGB V betreffend die Erstattungsbetrag-Festlegung nach einer Nutzenbewertung). Klagegegenstand war nach dem Klagebegehren und den Entscheidungsgründen des LSG zufolge in erster Linie der dem Schiedsspruch zugrunde liegende GBA-Beschluss als Normsetzungsakt (= erste Stufe der Nutzenbewertung, vgl § 35a Abs 3 S 6 iVm § 91 Abs 6 SGB V, § 7 Abs 4 AMNutzenV). Insofern hätte das LSG aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes auf eine zusätzliche Feststellungsklage hinwirken müssen, da der Beschluss des GBA mit der bloßen Anfechtungsklage gegen den Schiedsspruch keiner Korrektur unterzogen werden konnte (vgl zum Rechtsschutz gegen GBA-Beschlüsse nur BSG <6. Senat> BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5 - Clopidogrel). Hier aber blieb nach dem - quasi "en passant", nur in seinen Entscheidungsgründen die Rechtswidrigkeit des GBA-Beschlusses bejahenden - Urteil des LSG unklar, welche Rechtswirkungen von dem Beschluss des GBA noch ausgehen können, sowohl für den GBA als Verfasser und beschwertem Revisionskläger als auch für die Klägerin und den GKV-Spitzenverband als Verhandlungspartner über den Erstattungsbetrag. Dass nach § 35a Abs 8 S 1 SGB V eine "gesonderte" Klage gegen den GBA-Beschluss unzulässig ist, bedeutet nicht etwa, dass sich Klagen "ausschließlich" gegen den Schiedsspruch zu richten haben, sondern den Gesetzesmaterialien entsprechend nur, dass aus Beschleunigungsgründen eine gemeinsame gerichtliche Überprüfung mit derjenigen des Schiedsspruchs stattzufinden hat.
Die Stattgabe der Klage durch das LSG stellt sich auch nicht iS von § 170 Abs 1 S 2 SGG im Ergebnis "aus anderen Gründen als richtig" dar. Das LSG hat überdies schon im Ausgangspunkt der Überprüfung des Nutzenbewertungsbeschlusses einen unzutreffenden Maßstab gewählt und diesen seiner Einschätzung, dass dem GBA - auf den Schiedsspruch durchschlagende - Begründungsdefizite anzulasten seien, zugrunde gelegt. Hinsichtlich des GBA-Beschlusses waren insbesondere die Regelungen in § 5 Abs 1 S 1 AM-NutzenV iVm § 35a Abs 1 S 3 SGB V in den Blick zu nehmen, wonach es allein dem pharmazeutischen Unternehmer obliegt, in seinem Dossier nach § 4 AM-NutzenV den Zusatznutzen und die Kosten für die GKV nachzuweisen; diese Nachweispflicht schließt auch Angaben zum Punkt "medizinischer Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie" ein. Den GBA trifft insoweit keine Amtsermittlungspflicht (vgl § 35a Abs 1 S 3 Nr 3 und Nr 5 iVm Abs 1 S 2 SGB V, § 5 Abs 1 S 2, § 4 Abs 8 AM-NutzenV). In solchen Fällen einer Beibringungspflicht des Antragstellers bestehen gleichermaßen keine Amtsermittlungspflichten des Gerichts nach § 103 SGG. Daraus folgt, dass das LSG keine eigenen Erwägungen und Bewertungen zu vermeintlich vom GBA verletzten "Begründungspflichten" anstellen durfte, die über dasjenige an Beweismitteln hinausgehen, was die Klägerin als pharmazeutischer Unternehmer selbst in den Dossiers nach § 4 AM-NutzenV vorgebracht hatte. Darüber hinaus ist die frühe Bewertung des Zusatznutzens nach § 35a SGB V iVm § 4 Abs 8 S 3 AM-NutzenV, der bezüglich der jeweiligen Behandlung nur auf die "direkten Kosten für die GKV über einen bestimmten Zeitraum" abstellt, von der vergleichenden Kosten-Nutzen-Bewertung nach § 35b SGB V zu trennen.
Dies zu Grunde legend erwies sich das vom Beigeladenen zu 3. angefochtene Urteil als fehlerhaft und war aufzuheben. Der Senat sah sich indessen derzeit gehindert in der Sache selbst abschließend zu entscheiden. Er ist als Revisionsgericht nicht dazu berufen, das im Bewertungs- und Schiedsverfahren angefallene Tatsachenmaterial bezüglich der von der Klägerin eingereichten Dossiers erstmals selbst zu würdigen (vgl § 163 SGG). Auch der Klägerin muss die Chance eingeräumt werden, sich in ihrem Vorbringen auf den vom Senat aufgezeigten Prüfmaßstab einzustellen, gerade wenn das LSG nach § 29 Abs 4 Nr 3 SGG als einzige Tatsacheninstanz entscheidet.