Bundessozialgericht

Verhandlung B 12 R 11/18 R

Verhandlungstermin 04.06.2019 09:00 Uhr

Terminvorschau

Das Verfahren ist Teil eines Komplexes von insgesamt siebzehn Verfahren, in denen der Senat im Rahmen von Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV und Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV über die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung und in der Folge Versicherungspflicht bei verschiedenen Gesundheitsberufen zu entscheiden hat. Der Senat hat die Verfahren auf zwei Verhandlungstage aufgeteilt. Am 4. Juni 2019 geht es um Tätigkeiten sogenannter Honorarärzte in Krankenhäusern. Am 7. Juni 2019 sind Tätigkeiten von Honorarpflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen Gegenstand. Umstritten sind Tätigkeitszeiträume ab Juli 2008. Ein infolge eines Verlegungsantrags gesondert zu terminierendes Verfahren betrifft die Honorartätigkeit einer medizinisch-technischen Röntgenassistentin in einer niedergelassenen Praxis (B 12 R 3/18 R).

Der Begriff des Honorararztes ist nicht legaldefiniert. Er wird im Sprachgebrauch der Verfahrensbeteiligten verwendet, um Tätigkeiten zu bezeichnen, die die Vertragsparteien als freiberuflich bzw selbstständig verstehen. Honorarärzte werden häufig nebenberuflich oder für eine Vielzahl von Auftraggebern, zeitlich auf Tage oder wenige Wochen befristet auf Basis individuell vereinbarter Einsätze und Dienste tätig. Oft werden sie über Agenturen vermittelt und arbeiten für einen vorher festgelegten Stundensatz, der üblicherweise deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten angestellten Arztes liegt. Die beim Senat anhängigen Revisionen betreffen Tätigkeiten im Operationsdienst (mit einem Schwerpunkt bei der Fachgruppe der Anästhesisten), im Stationsdienst (am Tag) und/oder im Bereitschaftsdienst (nachts und am Wochenende).

Die Landessozialgerichte haben in den zu entscheidenden Verfahren ganz überwiegend das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung und das Bestehen von Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung und teilweise auch in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) bejaht. In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) besteht in der Regel Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze.

Die Landessozialgerichte haben - mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung - auf die nach ständiger Rechtsprechung des Senats maßgeblichen Abgrenzungskriterien abgestellt und im Ergebnis ein Überwiegen der Indizien für abhängige Beschäftigung (Weisungsgebundenheit und Eingliederung) angenommen. Die Tätigkeit prägende unternehmerische Risiken lägen nicht vor. Eine Ausnahme bildet das Revisionsverfahren B 12 R 2/18 R: Dort ist das Landessozialgericht bei einem als Bereitschaftsarzt in einer geriatrischen Rehabilitationsklinik tätigen Facharzt für Allgemeinmedizin zu dem Ergebnis gelangt, dass der Arzt selbstständig tätig und damit nicht versicherungspflichtig beschäftigt sei.

In ihren Revisionen argumentieren die Ärzte und Krankenhäuser unter anderem, dass Honorarärzte im Krankenhaus nach der Verkehrsanschauung sowie krankenhausvergütungsrechtlichen Regelungen als Selbstständige mit freiem Dienstvertrag anerkannt seien. Die Höhe der Vergütung spreche deutlich für eine selbstständige Tätigkeit. Die Nichtbehandlung eigener Patienten liege im Krankenhaus in der Natur der Sache und sei kein verwertbares Indiz. Da Krankenhausärzte in ihrer ärztlichen Tätigkeit eigenverantwortlich handelten, bestehe eine Weisungsbefugnis nicht; der Eingliederung komme insoweit keine eigenständige, jedenfalls aber keine entscheidende Bedeutung zu.

Da in den Verfahren auch vorgetragen wurde, der vermehrte Einsatz von Honorarkräften sei unter anderem Folge eines Fachkräftemangels im Gesundheitswesen, hat der Senat zum besseren Verständnis der Hintergründe der umstrittenen Rechtsfragen und der Motive der Akteure eine Befragung und Anhörung von Verbänden und Kostenträgern durchgeführt. Insbesondere hat er darum gebeten, ihm Daten zur Arbeitsmarktsituation von Honorarärzten, medizinisch-technischen Röntgenassistenten und Pflegefachkräften, dem Umfang des Fachkräftemangels und etwaigen Belegen für Zusammenhänge zwischen freiberuflicher Tätigkeit und Fachkräftemangel zur Verfügung zu stellen. Befragt wurden unter anderem der Bundesverband der Honorarärzte eV, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Marburger Bund, der Deutsche Pflegerat eV und der GKV-Spitzenverband sowie weitere Berufsverbände und Kostenträger.

- B 12 R 11/18 R - Landkreis A. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund und Beigeladene
Der klagende Landkreis betreibt zwei Krankenhäuser als Eigenbetrieb. Die Beigeladene zu 1) ist Fachärztin für Anästhesie und wurde ab Januar 2013 auf Grundlage eines so bezeichneten "Konsiliararztvertrags" auf Honorarbasis wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst der Krankenhäuser mit einem Stundenlohn von 80 Euro im Tagdienst und 64 Euro im Bereitschaftsdienst tätig. Sie war überwiegend im OP eingesetzt.

Im Oktober 2013 stellten der Kläger und die Beigeladene zu 1) bei der beklagten DRV Bund den Antrag, für die Tätigkeit in beiden Krankenhäusern jeweils festzustellen, dass eine Beschäftigung nicht vorliege. Nach Anhörung stellte die Beklagte fest, dass die Ärztin in beiden Kliniken im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig sei. Es bestehe Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die dagegen gerichteten Klagen hatten vor dem SG Erfolg. Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Im Revisionsverfahren ist nur noch die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung Streitgegenstand.

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 7 Abs 1 SGB IV.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Augsburg - S 2 R 954/14, 13.05.2016
Bayerisches Landessozialgericht - L 14 R 5089/16, 06.07.2017

Terminbericht

Der Senat ist in den neun entschiedenen Revisionsverfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tätigkeit sog "Honorarärzte" regelmäßig in einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird und damit der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Der Versorgungsauftrag von Krankenhäusern, Vorschriften zur Qualitätssicherung im Krankenhaus und zum Patientenschutz sowie das Abrechnungswesen für Krankenhäuser bringen im Regelfall die Eingliederung ärztlichen Krankenhauspersonals in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses mit sich. Für eine nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehende selbstständige Tätigkeit müssen gewichtige Indizien bestehen. Zwingende Regelungen des Sozialversicherungsrechts können nicht dadurch außer Kraft gesetzt werden, dass Beschäftigungsverhältnisse als Honorartätigkeit bezeichnet werden. Die nach der ständigen Rechtsprechung des Senats geltenden Maßstäbe bei der Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit sind auch bei honorarärztlichen Tätigkeiten anzuwenden. Zwar weist die ärztliche Tätigkeit in einem Krankenhaus Besonderheiten auf. Dass Ärzte grundsätzlich frei und eigenverantwortlich handeln, lässt allerdings nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit schließen. Umgekehrt ist nicht allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Krankenhauses zwingend eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Indizien für eine die Tätigkeit prägende fremdbestimmte Eingliederung in den Betrieb eines Krankenhauses können aber in der Gesamtschau, jedenfalls wenn sie kumulativ vorliegen, insbesondere die Erbringung einer vom Krankenhaus geschuldeten (Teil-)Leistung innerhalb der vorgegebenen Organisationsabläufe, die Nutzung der Einrichtungen und Betriebsmittel des Krankenhauses und die arbeitsteilige Zusammenarbeit mit dem ärztlichen und pflegerischen Krankenhauspersonal in vorgegebenen Strukturen sein. Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu berücksichtigen.

- B 12 R 11/18 R - Landkreis A. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund und Beigeladene
Die Revision des klagenden Landkreises hat keinen Erfolg gehabt. Die beigeladene Ärztin war während ihrer Tätigkeit für die vom Kläger betriebenen Krankenhäuser abhängig beschäftigt. Schon vertraglich war die beigeladene Ärztin verpflichtet, die im Krankenhaus geltenden organisatorischen Regelungen einzuhalten, sich an die Anweisungen und Vorgaben der Chefärzte zu halten und die bei der Untersuchung oder Behandlung erhobenen Befunde und Protokolle, die Dokumentation der Aufklärung sowie die sich daraus ergebenden Beurteilungen dem zuständigen leitenden Abteilungsarzt zur Aufnahme in die Krankengeschichte zur Verfügung zu stellen. Sie hat - nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Krankenhausärzte - ihre Arbeitskraft eingesetzt. Dabei hatte sie innerhalb der betrieblich vorgegebenen Ordnung - verglichen mit angestellten Krankenhausärzten - keine ins Gewicht fallenden Freiheiten hinsichtlich Gestaltung und Umfang ihrer Arbeitsleistung innerhalb des einzelnen Dienstes.

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