Verhandlung B 14 AS 23/18 R
Verhandlungstermin
11.07.2019 13:30 Uhr
Terminvorschau
1. A.K., 2. N.A.K., 3. T.A.K. ./. Jobcenter Landkreis Görlitz
Umstritten ist die abschließende Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Januar bis Juni 2015. Der Kläger zu 1 ist Vater der 2003 und 2005 geborenen Söhne N und T - der Kläger zu 2 und 3 -, die sich im streitbefangenen Zeitraum zu gleichen Anteilen bei der getrennt lebenden Mutter und bei ihm aufhielten. Auf den Widerspruch gegen die vorläufige Bewilligung aufstockender existenzsichernder Leistungen entschied das beklagte Jobcenter abschließend über die streitbefangenen Ansprüche. Dabei teilte es die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung kopfteilig auf die Kläger auf und legte der Festsetzung einen monatlichen Durchschnittsverdienst des Klägers zu 1 zugrunde. Die Anerkennung eines anteiligen Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung lehnte es ab.
Das SG hat den Beklagten unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids zur Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines hälftigen Mehrbedarfs bei Alleinerziehung und des tatsächlichen monatlichen Einkommens des Klägers zu 1 sowie zu weiteren Leistungen für die Kläger zu 2 und 3 verurteilt. Die Ansprüche bestimmten sich nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des § 41a SGB II monatsweise. Bei dem hier praktizierten familienrechtlichen Wechselmodell sei zwar die kopfteilige Aufteilung der Unterkunftskosten nicht zu beanstanden, jedoch habe der Kläger zu 1 Anspruch auf einen anteiligen Mehrbedarf bei Alleinerziehung. Die Kinder hätten für Wechseltage mit einem mehr als zwölfstündigen Aufenthalt beim Vater Anspruch auf weitere Leistungen.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt der Beklagte sinngemäß eine Verletzung des zu seiner Überzeugung hier anwendbaren § 41a SGB II und von § 21 Abs 3 SGB II. Die Erwägungen des BSG zum Mehrbedarf bei Alleinerziehung beim familienrechtlichen Wechselmodell überzeugten jedenfalls mit Blick auf das Alter der Söhne hier nicht.
Vorinstanz:
Sozialgericht Dresden - S 52 AS 4184/16, 08.03.2018
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Terminbericht
Die Revision des Beklagten war erfolglos. Zutreffend hat das SG entschieden, dass den Klägern weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines hälftigen Mehrbedarfs bei Alleinerziehung zu gewähren sind.
Rechtsgrundlage der abschließenden Entscheidung sind hier noch die Vorschriften zur abschließenden Bewilligung von Leistungen, die bis zur Einführung von § 41a SGB II am 1. August 2016 galten. Wie der Senat bereits entschieden hat, ergeht eine abschließende Entscheidung zu einer nach alter Rechtslage erlassenen vorläufigen Bewilligung nur nach neuem Recht, wenn der Bewilligungszeitraum bei Inkrafttreten der Neuregelung noch nicht beendet war (BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - RdNr 21 ff, vorgesehen für BSGE und SozR 4); so liegt es hier nicht. Zu Recht hat das SG deshalb ausgesprochen, dass das Einkommen des Klägers zu 1 monatsweise jeweils in konkreter Höhe und nicht mit dem Durchschnittsbetrag im Bewilligungszeitraum zu berücksichtigen ist.
Ebenfalls zutreffend ist es davon ausgegangen, dass beim Kläger zu 1 ein hälftiger Mehrbedarf bei Alleinerziehung (§ 21 Abs 3 SGB II) anzuerkennen ist. Zwar besteht eine "alleinige Sorge" für die Pflege und Erziehung minderjähriger Kinder im Sinne dieses Mehrbedarfstatbestands grundsätzlich nur, wenn ein Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil oder anderen Personen nicht derart unterstützt wird, dass von einer nachhaltigen Entlastung seiner Betreuungsverantwortung auszugehen ist (stRspr; vgl zuletzt nur BSG vom 12.11.2015 B 14 AS 23/14 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 24 RdNr 13). Jedoch kann der Alleinerziehendenmehrbedarf nach ständiger Rechtsprechung des BSG als hälftiger Bedarf anzuerkennen sein, wenn sich getrennt wohnende Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer gemeinsamen Kinder über einen längeren Zeitraum in mindestens wöchentlichen Intervallen abwechseln und die Kosten etwa hälftig untereinander aufteilen (grundlegend BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R - BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 16; BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, RdNr 16); so hat es das SG für den streitbefangenen Zeitraum hier festgestellt.
Daran hält der Senat fest. Soweit sich der Beklagte dagegen mit grundsätzlichen Einwänden gegen die gesetzliche Regelung wendet, obliegen Korrekturen dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten. Das gilt ebenso, soweit die Anerkennung des Mehrbedarfs seiner Auffassung nach von dem Nachweis dem Grunde nach entstandener Mehrkosten wegen einer anteiligen Betreuung in Alleinerziehung abhängen sollen; das widerspräche dem ausdrücklich pauschalierenden Regelungsansatz dieses Mehrbedarfs. Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch keinen Anlass, zumindest beim familienrechtlichen Wechselmodell von einer Anerkennung des (jeweils hälftigen) Alleinerziehendenmehrbedarfs bei der Versorgung von Schulkindern durch teleologische Reduktion abzusehen. Vielmehr gilt weiterhin, dass sich in solchen Konstellationen mit einer annähernd gleichen Verteilung der Pflege- und Erziehungsverantwortung zwischen den Elternteilen nicht feststellen lässt, wer "allein" die Sorge für Pflege und Erziehung trägt, und deshalb eine Zuordnung des Alleinerziehendenmehrbedarfs ausschließlich zu einem Elternteil nicht gerechtfertigt erscheint.
Vergleichbar liegt es beim familienrechtlichen Wechselmodell auch bei der Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Hält sich ein Kind getrennt wohnender Elternteile überwiegend bei einem Elternteil auf, begründen umgangsbedingte höhere Wohnkosten des anderen Elternteils keinen zusätzlichen Bedarf des Kindes. Sie sind vielmehr ausschließlich dem Bedarf des umgangsberechtigten Elternteils zuzurechnen (BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 2/15 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 89 RdNr 16). Demgemäß ist grundsicherungsrechtlich ein Wohnbedarf nur für die Wohnung anzuerkennen, die den Lebensmittelpunkt bildet, also die überwiegend genutzte Wohnung (BSG ebenda RdNr 17). Dafür findet sich allerdings kein grundsicherungsrechtlich tauglicher Anknüpfungspunkt, wenn sich eine Hauptverantwortung (nur) eines Elternteils für ein Kind nicht feststellen lässt. Wechseln sich die Eltern über einen längeren Zeitraum in der Betreuung eines Kindes vereinbarungsgemäß derart ab, dass jeder von ihnen etwa die Hälfte der Versorgungs- und Erziehungsaufgaben wahrnimmt, hat das Kind einen grundsicherungsrechtlich anzuerkennenden Wohnbedarf in den Wohnungen beider Eltern. Dem hat der Beklagte nach den Feststellungen des SG zutreffend durch eine Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen Rechnung getragen; ein Wahlrecht - wie vom SG angenommen - bestand insoweit nicht.
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