Bundessozialgericht

Verhandlung B 14 AS 44/18 R

Verhandlungstermin 11.07.2019 12:30 Uhr

Terminvorschau

J.M. ./. Jobcenter Berlin Neukölln
Umstritten sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Mai 2016 insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung des der abschließenden Entscheidung zu Grunde zu legenden Einkommens.

Die 1996 geborene Klägerin bezog als Mitglied der nach ihrer Mutter gebildeten Bedarfsgemeinschaft Alg II für die Zeit von Mai bis Oktober 2016 zunächst auf Grund vorläufiger Bewilligung. In diesem Zeitraum erhielten ihre Mutter Kindergeld in Höhe von 190 Euro zunächst von Mai bis Juni und sie selbst schwankendes Einkommen aufgrund einer ab Juli ausgeübten Beschäftigung, das jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurde; das Kindergeld für Juli bis Oktober wurde im November nachgezahlt. Im Rahmen der abschließenden Entscheidung bewilligte das beklagte Jobcenter der Klägerin Alg II, ohne dem ein durchschnittliches Einkommen im Bewilligungszeitraum zu Grunde zu legen.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin für Mai und Juni 2016 weiteres Alg II unter Berücksichtigung eines monatlichen Durchschnittseinkommens zu gewähren. Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung des Beklagten geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin für Mai 2016 weitere Leistungen in Höhe von 126,67 Euro zu bewilligen: Die Berufung sei zwar für Juni aus prozessualen Gründen begründet, im Übrigen sei entgegen § 41a Abs 4 SGB II bei der abschließenden Entscheidung kein monatliches Durchschnittseinkommen zu Grunde gelegt worden.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 41a Abs 4 SGB II. Bei gebotener einschränkender Auslegung sei ein Durchschnittseinkommen bei der abschließenden Entscheidung nur zu Grunde zu legen, wenn der Grund für die vorläufige Entscheidung schwankendes Einkommen gewesen sei, was hier nicht der Fall sei. Daneben rügt er die Art und Weise der Berechnung des vom LSG zugrunde gelegten zu berücksichtigenden Durchschnittseinkommens (erfasste Monate, Bereinigung um Absetzbeträge).

Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 66 AS 5440/17, 16.10.2017
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 34 AS 2310/17, 20.09.2018

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Terminbericht

Die Revision des Beklagten war überwiegend erfolglos. Im Wesentlichen zutreffend hat das LSG entschieden, dass der Klägerin unter Bildung eines Durchschnittseinkommens höhere Leistungen für Mai 2016 zu gewähren sind.

Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs für Mai 2016 als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zu Grunde zu legen war. Das gibt die wegen der Beendigung des maßgeblichen Bewilligungszeitraums im Oktober 2016 (vgl BSG vom 12.9.2018 - B 4 AS 39/17 R - RdNr 21 ff, vorgesehen für BSGE und SozR 4) hier anzuwendende Neuregelung für die abschließende Entscheidung zwingend vor. Danach ist von vorliegend nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen bei ihr als monatliches Durchschnittseinkommen "für jeden Kalendermonat im Bewilligungszeitraum der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt" (§ 41a Abs 4 Satz 3 SGB II).

Diesem Wortlaut lassen sich keine Anknüpfungspunkte dafür entnehmen, dass es für die Bildung eines Durchschnittseinkommens darauf ankommt, ob der Bezug von Einkommen der Grund der Vorläufigkeit war, erst recht nicht der von schwankendem Erwerbseinkommen. Solche Anhaltspunkte bieten auch weder Entstehungsgeschichte noch Systematik oder Sinn und Zweck der Regelung. Insbesondere rechtfertigt der vom Beklagten herausgestellte Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität ein einschränkendes Normverständnis nicht. Ob mit der Vorschrift die nach den Gesetzesmaterialien angestrebte Verwaltungsvereinfachung zu erreichen ist, hat allein der Gesetzgeber zu beurteilen. Im Übrigen könnte auch fraglich erscheinen, ob ein engeres Verständnis im Sinn des Beklagten einfacher zu handhaben wäre, weil dies weitere Differenzierungen in Abhängigkeit von dem jeweils angegebenen Vorläufigkeitsgrund bedingen und damit zusätzliche Umsetzungsschritte erforderlich machen könnte.

Durchgreifende Gründe für eine teleologische Reduktion der Vorschrift sind ebenfalls nicht zu erkennen. Das gilt insbesondere für den Einwand des Beklagten, die Regelung führe bei wortlautgetreuer Auslegung zu einer - aus seiner Sicht - ungerechtfertigten Besserstellung bestimmter Leistungsberechtigter. Ob es sich so verhält und ob dem durch - möglicherweise wiederum mit einer weiteren Komplizierung verbundenen - Korrekturen des Regelungsprogramms zu begegnen ist, obliegt der Einschätzung des Gesetzgebers und kann nicht dem Verwaltungsvollzug und seiner gerichtlicher Kontrolle überlassen werden.

Bei Bildung eines monatlichen Durchschnittseinkommens im Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2016 hat die Klägerin Anspruch auf höheres Alg II für Mai 2016. Maßgebend dafür ist das um die Absetzbeträge für die einzelnen Einkommensarten jeweils unterschiedlich bereinigte Durchschnittseinkommen (vgl § 11b SGB II), hier also ihr Einkommen im Bewilligungszeitraum aus nichtselbständiger Arbeit im August, September und Oktober 2016 sowie das für sie gezahlte Kindergeld im Mai und Juni 2016. Insoweit ist auch ein normativer Anknüpfungspunkt, "Festeinkommen" wie das Kindergeld nicht in die Bildung des Gesamtdurchschnittseinkommens einzubeziehen, nicht ersichtlich.

Nicht gesondert abzusetzen ist von dem daraus sich ergebenden monatlichen Durchschnittseinkommen entgegen der Auffassung der Vorinstanzen die Versicherungspauschale von 30 Euro (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V). Aufwendungen für Versicherungsbeiträge sind von dem bereits berücksichtigten Grundfreibetrag für Erwerbstätige (§ 11b Abs 2 Satz 1 SGB II) pauschal umfasst. Dass die Versicherungspauschale beim Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und Kindergeld grundsätzlich insgesamt nur einmal in Abzug gebracht werden kann (vgl BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 49/13 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 66 RdNr 18 ff; BSG vom 17.2.2015 - B 14 AS 1/14 R - RdNr 15 ff), gilt auch bei der Bereinigung der monatlichen Durchschnittseinkommen unterschiedlicher Einkommensarten.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 31/19.

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