Verhandlung B 12 KR 6/18 R
Verhandlungstermin
16.07.2019 09:00 Uhr
Terminvorschau
Die Revisionen sind Teil einer Vielzahl von Fällen, in denen die klagende DRV Bund mit Drittanfechtungsklagen Statusentscheidungen der beklagten Krankenkasse BKK24 als Einzugsstelle angreift, weil diese kompetenzwidrig das Nichtbestehen von Sozialversicherungspflicht für Tätigkeiten von Familienmitarbeitern festgestellt habe. In den Vorinstanzen ruhen ca 150 Verfahren. Mehr als einhundert weitere Verfahren betreffen vergleichbare Statusentscheidungen zweier anderer Krankenkassen.
Der Gesetzgeber hat zum 1.1.2005 ua für Austauschverhältnisse in Familienunternehmen ein obligatorisches Statusfeststellungverfahren eingeführt und die DRV Bund als Clearingstelle für zuständig erklärt. Die sieben Revisionsverfahren betreffen die Tätigkeit von Ehegatten oder Kindern eines Firmeninhabers (Familienmitarbeiter). Über Jahre hinweg sind die Beteiligten davon ausgegangen, dass die betroffenen Familienmitarbeiter aufgrund Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Dementsprechend sind auch Gesamtsozialversicherungsbeiträge entrichtet worden.
Hintergrund der Verfahren ist ein Konzept einer auf private Altersvorsorge spezialisierten, inzwischen aufgelösten Beratungsagentur (aAG), das auch Gegenstand eines umfangreichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie eines aufsichtsrechtlichen Verfahrens geworden ist. Die Agentur konzipierte gegen Honorar private Altersvorsorge in Familienunternehmen; Geldbeträge in Höhe bisheriger Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sollten in (vermeintlich ertragreichere) private Versicherungen investiert werden. Dazu bedurfte es der Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht für die Tätigkeit der Familienmitarbeiter. Nach Einschaltung der Agentur wechselten die Familienmitarbeiter - in Ausübung ihres Krankenkassenwahlrechts - als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zur beklagten BKK24, die damit zuständige Einzugsstelle wurde. Ein intern allein für Statusentscheidungen zuständiger Mitarbeiter der beklagten BKK24 erhielt standardisiert den entsprechenden Antrag auf Aufnahme als Mitglied "bei Versicherungspflicht" sowie die Kündigungsbestätigung der bisherigen Krankenkasse. Separat ging bei ihm gleichzeitig ein Antrag auf "Statusüberprüfung" ein, da der Familienmitarbeiter selbstständig tätig sei. Dazu wurde ein gleichartig formulierter, neuer, von Firmeninhaber und Familienmitarbeiter unterschriebener "Arbeitsvertrag" eingereicht, der einen Monat nach dem Wechsel zur beklagten BKK24 wirksam werden sollte. In einem Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen sind Angaben über das familiäre Näheverhältnis sowie zahlreiche Umstände zur angeblichen Selbstständigkeit des Familienmitarbeiters enthalten. Unmittelbar nach Eingang dieser Unterlagen bestätigte die beklagte BKK24 die Aufnahme als versicherungspflichtiges Mitglied. Gleichzeitig stellte sie die "Sozialversicherungsfreiheit" ab dem ersten Tag des auf den Krankenkassenwechsels folgenden Monats in Aussicht. Die Arbeitgeber meldeten den Krankenkassenwechsel der beklagten BKK24, ohne dabei das vorgesehene Statusfeld zum familiären Näheverhältnis auszufüllen. Der beklagten BKK24 lag vor Bescheiderteilung ua der neue "Arbeitsvertrag" vor. Nach Wirksamwerden des Krankenkassenwechsels erließ die beklagte BKK24 Statusbescheide, wonach die Familienmitarbeiter einen Monat danach nicht mehr aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegen. Zeitgleich wurden die Familienmitarbeiter freiwilliges Mitglied der beklagten BKK24. Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung wurden fortan nicht mehr entrichtet.
Das gesamte Verfahren steuerte die Beratungsagentur auf Basis zweier Vollmachten: Einerseits bevollmächtigten regelmäßig Familienmitarbeiter und Firmeninhaber die Agentur, der Einzugsstelle im Zusammenhang mit der sozialversicherungsrechtlichen Prüfung bestimmte Auskünfte zu erteilen; andererseits bevollmächtigte der Familienmitarbeiter den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der Beratungsagentur, einen Rechtsanwalt, mit der "Befreiung" von der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Die DRV Bund bemerkte im Rahmen von Betriebsprüfungen die Abmeldung vieler Familienangehöriger aus der Beschäftigtenpflichtversicherung kurz nach einem Wechsel zur BKK24. In der daraufhin durchgeführten Einzugsstellungsonderprüfung bei der BKK24 erlangte sie Kenntnis von den Statusbescheiden, gegen die sie, gestützt auf § 7a Abs 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 3 SGB IV, Klage erhoben hat.
Das SG Berlin hat die Statusbescheide der beklagten Einzugsstelle wegen Kompetenzwidrigkeit aufgehoben. Das LSG Berlin-Brandenburg hat die Berufungen der BKK24 zurückgewiesen. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die klagende DRV Bund aus § 7a Abs 1 Satz 2 SGB IV ein Alleinentscheidungsrecht in den dort genannten Fällen besonderer Nähe zum Arbeitgeber habe, das sie zur Drittanfechtungsklage befuge. Das Klagerecht sei nicht verwirkt. Die Voraussetzungen des § 7a Abs 1 Satz 2 SGB IV lägen vor, als Meldung im Sinne der Vorschrift genüge die Meldung des Krankenkassenwechsels an die Einzugsstelle und deren Kenntnis über den Status des Beschäftigten als naher Angehöriger aus anderer Quelle.
Dagegen wehrt sich die Beklagte mit den Revisionen, mit denen sie neben einer Verletzung ihres Anspruchs auf den gesetzlichen Richter wegen eines behaupteten Berichterstatterwechsels im Berufungsverfahren auch die fehlende Klagebefugnis der klagenden DRV Bund rügt. Sie meint, die DRV Bund habe ihr Klagerecht verwirkt, weil sie einer Verwaltungsvereinbarung zugestimmt habe, in der sich die Sozialversicherungsträger unter anderem auf ein Absehen von der Beteiligung der anderen Träger geeinigt hätten. Sie macht geltend, das LSG habe die Grenzen zulässiger Beweiswürdigung überschritten, indem es von kollusivem Zusammenwirken ausgehe. Das Vertrauen vor allem der Familienmitarbeiter in den Bestand ihrer, der Beklagten, Bescheide sei schutzwürdig. Die Beklagte rügt schließlich eine Verletzung des § 7a Abs 1 Satz 2 SGB IV, dessen Tatbestandsvoraussetzung insbesondere eine Meldung des Arbeitgebers sei, die hier in keinem Fall vorliege.
Deutsche Rentenversicherung Bund ./. BKK24 und Beigeladene
Der Beigeladene zu 1. ist Inhaber eines Betriebs für Baubegutachtungen. Er entrichtete für seinen dort seit 2009 mitarbeitenden Sohn, den Beigeladenen zu 2., bei angenommener Beschäftigtenpflichtversicherung bis zum 30.6.2013 Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Zum 1.6.2013 wechselte der Beigeladene zu 2. als versicherungspflichtig Beschäftigter zur Beklagten; seit dem 1.7.2013 ist er dort freiwilliges Mitglied.
Am 11.4.2013 beantragte die aAG für den Beigeladenen zu 2. bei der Beklagten die Aufnahme als Mitglied bei Versicherungspflicht zum 1.6.2013 und eine Statusüberprüfung. Mit Bescheid vom 14.6.2013 stellte die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen zu 2. fest, dass für dessen Tätigkeit beim Beigeladenen zu 1. ab dem 1.7.2013 wegen Selbstständigkeit keine Versicherungspflicht bestehe. Der Beigeladene zu 1. meldete unter dem 21.6.2013 den Krankenkassenwechsel des Beigeladenen zu 2. als sozialversicherungspflichtig Beschäftigter zum 1.6.2013.
Die Klägerin, die am 2.5.2014 Kenntnis von dem Bescheid erlangt hatte, erhob am 23.5.2014 Klage.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Berlin - S 208 KR 899/14, 24.11.2015
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 9 KR 539/15, 13.12.2017
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Terminbericht
Die Revision der beklagten BKK24 hatte keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG ihre Berufung gegen das den angefochtenen Statusbescheid vollständig aufhebende Urteil des SG zurückgewiesen.
Das Urteil des LSG ist wegen des geltend gemachten ad-hoc-Wechsels des Berichterstatters nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Art 101 Abs 1 S 2 GG gewährleistet kein Recht auf "den gesetzlichen Berichterstatter" im vorbereitenden Berufungsverfahren, sondern die richterliche Zuständigkeit im Zeitpunkt der Entscheidung.
Die Anfechtungsklage der DRV Bund ist zulässig. Sie ist als Drittbetroffene klagebefugt. Es ist nicht offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass ihr § 7a Abs 1 S 2 iVm S 3 SGB IV ein "wehrfähiges" Alleinzuständigkeitsrecht für Statusfeststellungen zuweist. Ihre Klage war nicht verfristet und ihr Klagerecht weder verwirkt noch wegen ihrer Beteiligung an der "Gemeinsamen Verlautbarung zur Behandlung von Verwaltungsakten vom 21.11.2006" nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Die DRV Bund hat darin nicht per se auf Rechtsschutz verzichtet und jedenfalls die einmonatige Regelklagefrist eingehalten. Auf kollusives Zusammenwirken kam es insofern nicht an. Ein Rechtsschutzbedürfnis der DRV Bund besteht; die angestrebte vollständige Aufhebung des Statusbescheides kann nicht auf einfachere Weise erreicht werden.
Die Klage ist auch begründet. Ein obligatorisches Clearingstellenverfahren geht einer Statusfeststellung der Einzugsstelle stets vor. Der angefochtene Statusbescheid ist rechtswidrig, weil die beklagte BKK24 für seinen Erlass sachlich unzuständig war. Allein die klagende DRV Bund durfte als Clearingstelle über die Statuszuordnung des zu 2. beigeladenen Familienmitarbeiters entscheiden. Die Beklagte war nach dem Krankenkassenwechsel des Sohnes als versicherungspflichtig Beschäftigter zum 1.6.2013 die für ihn zuständige Einzugsstelle. Das Verwandtschaftsverhältnis zum zu 1. beigeladenen Unternehmer ergab sich auch "aus einer Meldung des Arbeitgebers (§ 28a)" im Sinne des § 7a Abs 1 S 2 SGB IV. Hat der Arbeitgeber eine förmliche Meldung bei Beschäftigungsbeginn oder bei Wechsel der Einzugsstelle (§ 28a Abs 1 S 1 Nr 1 und 6 SGB IV) ohne die notwendigen Angaben über das persönliche Näheverhältnis zum Beschäftigten - wie hier beim Krankenkassenwechsel zum 1.6.2013 - abgegeben, ist das obligatorische Clearingstellenverfahren gleichwohl durchzuführen, wenn die Einzugsstelle auf andere Weise - wie hier bereits aus den Anlagen zum Statusüberprüfungsantrag vom 11.4.2013 - von diesem Näheverhältnis Kenntnis erlangt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Arbeitgeber der Einzugsstelle gegenüber seine Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung aufgrund objektiver Umstände zum Ausdruck gebracht hat. Die Annahme einer Beschäftigung ist wesentliche Grundlage für förmliche Meldungen bei Beschäftigungsbeginn oder dem Wechsel der Einzugsstelle. Hier hatte der zu 1. beigeladene Unternehmer der Beklagten zu verstehen gegeben, dass er erst ab 1.7.2013 von einer selbstständigen Tätigkeit ausging. Er unterzeichnete den der Beklagten bereits seit dem 21.5.2013 bekannten, neuen "Arbeitsvertrag". Damit sollte eine selbstständige Tätigkeit des Familienmitarbeiters erst ab 1.7.2013 vereinbart werden und es im Zeitpunkt des Meldeereignisses (Krankenkassenwechsel) am 1.6.2013 sowie der Entscheidung über den Statusfeststellungsantrag durch die Beklagte am 14.6.2013 bei einer abhängigen Beschäftigung des Sohnes beim Vater bleiben. Der nach § 7a Abs 1 S 2 SGB IV von der Einzugsstelle zu stellende "Antrag nach Satz 1" hat keine konstitutive Bedeutung.
Mit ihrer gleichwohl getroffenen Statuszuordnung hat die beklagte Einzugsstelle das "wehrfähige" Alleinentscheidungsrecht der DRV Bund verletzt. Auch Zuständigkeitsvorschriften können ausnahmsweise drittschützend sein, wenn sie - wie hier - einem Hoheitsträger ein derart verselbständigtes Kompetenzrecht einräumen, dass es im Konfliktfall gegenüber einem anderen Hoheitsträger "wehrfähig", dh gerichtlich durchsetzbar, sein soll. Im Rahmen des obligatorischen Statusfeststellungsverfahrens, bei dem es typischerweise an einem Interessengegensatz der Vertragspartner des Tätigkeitsverhältnisses fehlt, handelt die Clearingstelle als herausgehobener Statusentscheiders mit besonderer Gemeinwohlverantwortung. Dieses zwingend durchzuführende Clearingstellenverfahren dient einerseits dem Schutz der Familienmitarbeiter. Ihnen soll aus Gründen der Rechtssicherheit zügig und von Amts wegen eine objektive Entscheidung einer neutralen Stelle über die Versicherungspflicht zukommen, die eine leistungsrechtliche Bindung der Bundesagentur für Arbeit nach § 336 SGB III bewirkt. Es schützt andererseits die Solidargemeinschaften der Pflichtversicherten. Weder Beschäftigte noch Arbeitgeber oder die im Wettbewerb untereinander stehenden Krankenkassen mit ihren Einzugsstellen dürfen über die Versicherungspflicht disponieren. Der Gesetzgeber darf dazu verfahrensrechtlich sicherstellen, dass bereits nicht der Anschein entstehen kann, eine Behörde handle bei ihrer Entscheidung, ob Versicherungs- und Beitragspflicht vorliegt, aus eigenem Interesse.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 32/19.