Verhandlung B 2 U 35/17 R
Verhandlungstermin
20.08.2019 13:00 Uhr
Terminvorschau
Dr. J. R. ./. Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte für die beiden Jagdreviere, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Jagdverbands e.V. (BJV) gepachtet hat, Grundbeiträge iHv jeweils 75,00 Euro für das Umlagejahr 2012 festsetzen durfte.
Der BJV nutzt die benachbarten Jagdreviere als Lehrreviere und setzt dafür Arbeitskräfte und Betriebsmittel wechselseitig ein. Pächter und Leiter beider Jagdreviere ist der Kläger, der damit zugleich Pflichten aus seinem Dienstvertrag mit dem BJV erfüllt. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten richtete den "Aufnahmebescheid" vom 4.12.2003 an den Kläger, bezeichnete die Jagdreviere jeweils als "Unternehmen", ordnete ihnen verschiedene Unternehmensnummern zu und setzte jeweils getrennte Veranlagungswerte fest. In den Folgejahren erhob sie für beide Jagdreviere - neben den jeweiligen Umlagebeiträgen - nur einen Grundbeitrag. Erstmals für das Jahr 2012 setzte die Beklagte davon abweichend die Umlage nicht in einem gemeinsamen Bescheid für beide Jagdreviere, sondern mit zwei getrennten Bescheiden fest und berücksichtigte dabei (zwei) Grundbeiträge iHv jeweils 75,00 Euro für jedes Jagdrevier gesondert. Das SG hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Die beiden Jagdreviere seien zwei selbständige (Haupt-)Unternehmen im Sinne des Bundesjagdgesetzes (BJagdG). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Beide Jagdreviere seien selbständige (Jagd-)Unternehmen des Klägers iS des § 123 Abs 1 Nr 5 SGB VII. Dies ergebe sich zwar noch nicht unmittelbar aus dem Aufnahmebescheid vom 4.12.2003, der beide Jagdreviere als getrennte Unternehmen aufführe, sondern folge aus dem BJagdG und dem Bayerischen Jagdgesetz, die das Recht zur Jagdausübung an behördlich festgelegte Jagdbezirke (Jagdreviere) koppelten. Deshalb sei die Beklagte befugt gewesen, den Grundbeitrag iHv 75,00 Euro für jedes (Jagd-)Unternehmen gesondert zu erheben, zumal die beiden Jagdreviere nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenunternehmen zueinander stünden.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 123 Abs 1 Nr 5 iVm § 121 Abs 1 SGB VII. Beide Jagdreviere seien Teile eines einheitlichen Unternehmens, weil sie unter einer einheitlichen Leitung stünden und zwischen ihnen ein wirtschaftlicher und betriebstechnischer Zusammenhang bestehe. Die Zahl der Jagdbezirke dürfe nicht mit der Zahl der versicherten Jagdunternehmen gleichgesetzt werden.
Vorinstanzen:
Sozialgericht München - S 1 U 5037/13, 30.06.2014
Bayerisches Landessozialgericht - S 3 U 287/14, 19.10.2017
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Terminbericht
Die Revision des Klägers hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Die Beklagte hat bei der Festsetzung der Gesamtbeiträge lediglich die in dem Aufnahmebescheid im Jahre 2003 getroffene Regelung umgesetzt, dass der Kläger Unternehmer zweier (Jagd-)Unternehmen ist. Die Festsetzungen der Gesamtbeiträge (bestehend aus Grund- und Umlagebeitrag) sowie die entsprechenden Zahlungsgebote in den angefochtenen Bescheiden sind damit formell und materiell rechtmäßig, soweit sie der Kläger - begrenzt auf den Grundbeitrag - zulässig im Wege der Teilanfechtung angegriffen hat. Die Beklagte hat die zunächst unterbliebene Anhörung im Widerspruchsverfahren wirksam nachgeholt. Denn sie hat dem Kläger die - aus ihrer Sicht - entscheidungserheblichen Tatsachen bereits in den Bescheiden vom 29.1.2013 mitgeteilt und ihn dort auf die Äußerungsmöglichkeit hingewiesen, woraufhin im Widerspruchsbescheid vom 18.6.2013 ausführlich auf das Widerspruchsvorbringen eingegangen wurde. Die Festsetzungen der Grundbeiträge iHv jeweils 75 Euro sind gemäß § 183 Abs 5 S 1 SGB VII auch materiell rechtmäßig. Denn aufgrund des bestandskräftigen und wirksamen, dh nicht nichtigen Aufnahmebescheids vom 4.12.2003 steht zwischen den Beteiligten und auch für den Senat bindend fest, dass die Beklagte zuständige landwirtschaftliche BG und der Kläger Unternehmer zweier landwirtschaftlicher (Jagd-)Unternehmen ist. Als solcher hat er satzungsgemäß Beiträge zu zahlen, die sich je Unternehmen aus einem Grundbeitrag und einem Umlagebeitrag zusammensetzen.
Allerdings ist der Aufnahmebescheid aus dem Jahre 2003 nach Überzeugung des Senats seinerseits rechtswidrig, denn anders als im Aufnahmebescheid festgestellt, ist beitragspflichtiger Unternehmer der BJV und nicht der abhängig beschäftigte Kläger, der hier lediglich als jagdrechtlicher "Strohmann" fungiert. Denn das Ergebnis des Jagdschulungsunternehmens, das der BJV auf den vom Kläger gepachteten Jagdrevieren betreibt, gereicht allein dem BJV unmittelbar zum Vor- oder Nachteil iS des § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII. Zudem handelt es sich bei dieser Schulungseinrichtung nicht um zwei selbständige Unternehmen der Jagd, sondern um ein einheitliches (Jagd-)Unternehmen, das in zwei benachbarten Jagdrevieren betrieben wird. Denn der BJV hat die beiden Jagdreviere unter Leitung des Klägers zu Schulungszwecken planvoll und dauerhaft zusammengefasst, nutzt sie "gemeinsam als Lehrreviere", setzt Arbeitskräfte sowie Betriebsmittel wechselseitig ein und unterhält in diesem Bereich die Landesjagdschule, um Jäger aus- und fortzubilden. Aufgrund dieses technisch-betriebswirtschaftlichen Zusammenhangs liegt ein Unternehmen iS des § 121 Abs 1 SGB VII vor; jagdspezifische Regelungen sind insoweit unfallversicherungsrechtlich irrelevant.
Obwohl die Verwaltungsakte über die Feststellung der Unternehmereigenschaft des Klägers und über die Aufnahme zweier selbständiger (Jagd-)Unternehmen in das Kataster mithin rechtswidrig sind, beseitigt dies die Bindungswirkung des Aufnahmebescheids nicht, weil die Fehler weder zu den Nichtigkeitsgründen des § 40 Abs 2 SGB X zählen noch "besonders schwerwiegend" iS der Generalklausel des § 40 Abs 1 SGB X sind. Die aufgezeigten materiell-rechtlichen Fehler führen damit nicht zur Nichtigkeit der entsprechenden Verwaltungsakte, weil mit § 136 Abs 1 SGB VII eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass derartiger Regelungen in Aufnahmebescheiden existiert. Es liegt mithin kein besonders schwerwiegender, zur Nichtigkeit führender Rechtsgrundlagenmangel (absolute Gesetzlosigkeit) vor, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine objektiv gegebene, gültige und anwendbare Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Aufnahmebescheids als Grundlagenbescheid willkürfrei (Art 3 Abs 1 GG) zu Lasten des Klägers "lediglich" falsch ausgelegt bzw - ohne sonstigen Verfassungsverstoß - unrichtig angewandt hat. Eine vorgreifliche Vorweg- bzw Inzidentprüfung des Aufnahmebescheids im Beitragsverfahren scheidet aus, weil das Gesetz die behördliche Entscheidungsfindung zur Vereinfachung der Beitragserhebung gerade in mehrere Verfahrensstufen aufspaltet und die nachfolgende Entscheidungsebene an die Ergebnisse der vorangegangenen bindet, was mit Blick auf Art 19 Abs 4 GG auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint der Rückgriff auf die (Tatbestands-)Bindung auch nicht rechtsmissbräuchlich, obgleich der Kläger auf die Fortsetzung der jahrelang geübten und von ihm präferierten Praxis vertraute und der Aufnahmebescheid selbst an schwerwiegenden Mängeln leidet. Die Beitragsbescheide erweisen sich damit im Ergebnis als richtig, wobei der Kläger letztlich nur aufgrund der Bestandskraft des Aufnahmebescheids vom 4.12.2003 in diesem Verfahren unterliegt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 36/19.