Bundessozialgericht

Verhandlung B 9 V 4/18 R

Verhandlungstermin 12.09.2019 10:45 Uhr

Terminvorschau

W.F. ./. Land Niedersachsen
Der Kläger wurde 1954 im kasachischen Lugansk, 55 km nordöstlich von Pawlodar, als Kind deutscher Eltern geboren. Die Familie lebte dort nach der Deportation des deutschstämmigen Vaters aus Georgien im Jahr 1941 unter sowjetischer Kommandanturaufsicht. Nach deren Aufhebung zog die Familie 1957 zu Verwandten nach Semipalatinsk/Kasachstan, wo der Kläger bis Juni 1976 lebte. Rund 150 km westlich und rund 200 km südwestlich von Pawlodar befand sich das Atomwaffentestgelände der Sowjetunion, die dort zwischen 1949 und 1991 nukleare Bombentests durchführte.

Im Jahr 1991 übersiedelte der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland. Wegen eines Plasmozytoms beantragte er erfolglos Beschädigtenversorgung. Das SG und LSG haben die Klage abgewiesen. Das LSG hat ua ausgeführt, einem Versorgungsanspruch stehe entgegen, dass der Kläger keine gesundheitliche Schädigung "durch eine Internierung" erlitten habe. Der Kläger sei zwar in seinem Geburtsort Lugansk interniert gewesen. Von ionisierender Strahlung durch die Atomwaffentests und einer Geheimhaltung über mögliche gesundheitliche Risiken sei - unbeschadet einer dortigen Internierung - die gesamte im Gebiet Semipalatinsk ansässige Bevölkerung betroffen gewesen. Der Geburtsort Lugansk befinde sich in so erheblicher Entfernung vom Atomwaffentestgelände, dass ein gezieltes Verbringen der Familie des Klägers zum Zwecke der Erforschung von atomarer Strahlung am Menschen ausgeschlossen erscheine. Erst recht lasse sich für die Zeit in Semipalatinsk ein gezielter Einsatz der Familie des Klägers als Versuchsobjekt atomarer Waffentests nicht feststellen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1 Abs 1 iVm Abs 2 Buchst c BVG. Der Senat habe mit Urteil vom 27.9.2018 (B 9 V 2/17 R) entschieden, dass Strahlungskontamination am Internierungsort ein mit der Internierung zusammenhängender schädigender Vorgang sei. Die Internierung habe in Semipalatinsk durch die Rückkehrverhinderung nach Deutschland fortbestanden. In Bezug auf den Internierungsort Lugansk habe das LSG entgegen § 103 SGG eigene Feststellungen zu Art und Ausmaß der Strahlenbelastung des Klägers unterlassen.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Hannover - S 18 VE 25/13, 26.05.2016
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen - L 10 VE 40/16, 29.08.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 42/19.

Terminbericht

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Der Senat kann nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entscheiden, ob dem Kläger wegen kriegsbedingter Internierung ein Versorgungsanspruch nach § 1 Abs 1 iVm Abs 2 Buchst c Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.

Der Kläger gehört wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit grundsätzlich zu dem geschützten Personenkreis. Er war während der Zeit der sowjetischen Kommandanturaufsicht in Lugansk bis zum Jahr 1956 wegen seiner deutschen Volkszugehörigkeit interniert. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Strahlenkontamination durch die im sowjetischen Atomwaffentestgelände Semipalatinsk durchgeführten Atomwaffenversuche grundsätzlich ein internierungseigentümliches Ereignis ist (Urteil vom 27.9.2018 - B 9 V 2/17 R). Näherer Feststellungen bedarf es aber noch, ob der Kläger auch während seines Aufenthalts in Semipalatinsk kriegsbedingt interniert war. Ebenso muss noch geklärt werden, ob und in welchem Umfang der Kläger am Ort der Internierung in Lugansk, ca 200 bis 300 km vom Atomwaffentestgelände gelegen, einer atombombenbedingten Strahlenkontamination ausgesetzt war. Sollte sich eine solche Strahlenexposition in Lugansk herausstellen bzw eine Internierung auch in Semipalatinsk fortbestanden haben, ist weiter zu klären, ob dies zu einer Gesundheitsschädigung beim Kläger geführt hat, die eine oder mehrere dauerhafte gesundheitliche Schädigungsfolgen bedingen. Wegen der fehlenden Feststellungen hat der Senat den Rechtsstreit zurückverwiesen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 42/19.

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