Verhandlung B 11 AL 19/18 R
Verhandlungstermin
12.09.2019 10:30 Uhr
Terminvorschau
M.P. ./. Bundesagentur für Arbeit
Die Klägerin, die im Überprüfungsverfahren Alg vom 1.6. bis 23.8.2017 begehrt, schloss mit ihrer Arbeitgeberin eine Altersteilzeitvereinbarung. Danach arbeitete sie ab November 2006 bis Ende Mai 2013 mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden. Anschließend war sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses im Mai 2017 von der Arbeitsleistung freigestellt.
Nach Arbeitslosmeldung der Klägerin mit Wirkung zum 1.6.2017 bewilligte die Beklagte Alg erst ab 24.8.2017. Der Anspruch auf Alg habe wegen des Eintritts einer zwölfwöchigen Sperrzeit geruht, weil die Klägerin ihr Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund einvernehmlich gelöst habe.
Den Antrag der Klägerin auf Rücknahme der Bescheide und rückwirkende Erbringung von Alg, den sie mit dem Urteil des BSG vom 12.9.2017 (B 11 AL 25/16 R) zur Sperrzeit nach Altersteilzeitvereinbarung begründete, lehnte die Beklagte mit Hinweis auf § 330 SGB III ab.
Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Überprüfungsbescheide verpflichtet, der Klägerin unter Änderung bzw Aufhebung der Bescheide Alg in gesetzlicher Höhe auch vom 1.6. bis 23.8.2017 zu erbringen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin könne sich auf einen wichtigen Grund berufen, weil sie einen nahtlosen Wechsel in den Rentenbezug beabsichtigt habe und hiervon auch prognostisch auszugehen gewesen sei. § 330 Abs 1 SGB III stehe einer rückwirkenden Korrektur nicht entgegen. Die Rechtsfrage, ob der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung einen wichtigen Grund darstelle, sei nicht erst durch das BSG-Urteil vom 12.9.2017, sondern bereits zuvor geklärt gewesen.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 330 Abs 1 SGB III. Erst mit dem Urteil aus September 2017 habe das BSG entschieden, dass ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht dadurch entfalle, dass entgegen der ursprünglichen und prognostisch belegten Absicht unmittelbar nach der Altersteilzeit keine Altersrente, sondern zunächst Alg in Anspruch genommen werde. Für die Frage, ob eine "ständige Rechtsprechung" vorliege, habe das BSG darauf abgestellt, ob die betroffenen Verwaltungen eine höchstrichterliche Entscheidung auch für andere gleichgelagerte Fälle als verbindlich akzeptierten.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Karlsruhe - S 5 AL 352/18, 11.06.2018
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 12 AL 1019/17, 22.06.2018
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 43/19.
Terminbericht
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die zu überprüfenden Bescheide zurückzunehmen sind, weil der Klägerin Alg vom 1.6. bis 23.8.2017 zusteht. Ein Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit ist nicht eingetreten. Bei Vereinbarung der Altersteilzeit mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Ende Mai 2017 konnte sich die Klägerin auf einen wichtigen Grund berufen. § 330 Abs 1 2. Alt SGB III steht einem Anspruch auf rückwirkende Korrektur der rechtswidrigen Bescheide nicht entgegen. Von der eng auszulegenden Regelung von vornherein nicht erfasst sind Fallgestaltungen, in denen die Verwaltung eine bei Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes bereits bestehende ständige Rechtsprechung nicht berücksichtigt. Die Verwaltungspraxis der Beklagten, also ihre Auslegung des § 159 SGB III bezogen auf die Konstellationen der Altersteilzeitvereinbarungen, stimmte nicht mit der ständigen Rechtsprechung des BSG überein. Für den Umfang der rückwirkenden Korrektur rechtswidriger Verwaltungsakte nicht entscheidend ist, ob die Agentur für Arbeit eine höchstrichterliche Rechtsprechung akzeptiert.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 43/19.