Bundessozialgericht

Verhandlung B 1 KR 3/19 R

Verhandlungstermin 08.10.2019 10:40 Uhr

Terminvorschau

Universitätsklinikum Tübingen ./. DAK-Gesundheit
Die bei der beklagten KK versichert gewesene, 1934 geborene H. litt an einer chronischen myelomonozytären Leukämie. Sie wurde zunächst mit Bluttransfusionen behandelt. Das klagende Universitätsklinikum nahm die Versicherte am 30.9.2008 stationär auf und führte nach einer dosisreduzierten Konditionierung eine fremd-allogene Stammzelltransplantation (SZT) durch (10.9.2008). Die Versicherte verstarb während des stationären Aufenthalts am 30.10.2008. Der Kläger berechnete die Fallpauschale (Diagnosis Related Group - DRG) A04C (Knochenmarktransplantation/Stammzelltransfusion, allogen, außer bei Plasmozytom, ohne In-vitro-Aufbereitung, HLA identisch; 9.12.2008). Die Beklagte beglich die Rechnung zumindest in Höhe von 116 597,47 Euro. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), dass die SZT aufgrund ihres experimentellen Charakters nur innerhalb einer klinischen Studie hätte erfolgen dürfen, rechnete sie 116 597,47 Euro mit unstreitigen Forderungen des Klägers aufgrund der Behandlung anderer Versicherter der Beklagten auf. Das SG hat die Beklagte zur Zahlung von 116 597,47 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das LSG hat ihre Berufung zurückgewiesen: Die Aufrechnung gehe ins Leere. Dem Kläger stehe der Vergütungsanspruch zu. Er habe mit seiner Leistung den Anspruch der Versicherten gegen die Beklagte auf Versorgung mit der SZT nach den Grundsätzen über die grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts erfüllt. Die SZT sei die einzige kurative Behandlungsoption gewesen (transplantationsbedingte Mortalität: 30 vH, Rückfallquote: 35 vH, Heilungschancen: 35 vH). Eine palliative Behandlung mit Hydroxyurea, die die Versicherte abgelehnt habe, hätte statistisch einen Überlebensvorteil von 9-15 Monaten eröffnet. Wegen der konkreten Ausprägung der Erkrankung hätte die Versicherte mutmaßlich aber nicht längerfristig damit behandelt werden können. In eine klinische Studie habe die Versicherte nicht einbezogen werden können. Auch liege eine wirksame Einwilligung nach umfassender ärztlicher Aufklärung vor.

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V, § 7 Satz 1 Nr 1 KHEntgG iVm FPV 2008 und § 17b KHG, § 2 Abs 1 Satz 3 und Abs 4, § 12 Abs 1 Satz 2, §39 Abs 1, § 70 Abs 1 Satz 2 SGB V.

Vorinstanzen:
Sozialgericht Reutlingen - S 1 KR 3622/12, 11.02.2015
Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 4 KR 1055/15, 23.02.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 46/19.

Terminbericht

Die Revision der beklagten KK ist im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich gewesen. Ob die Aufrechnung der Beklagten mit einem Anspruch auf Erstattung von 116 597,47 Euro den eingeklagten Vergütungsanspruch des klagenden Universitätsklinikums erfüllte, der die Behandlungen anderer Versicherter betrifft, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Die an den Kläger gezahlte Vergütung für eine Stammzelltransplantation (SZT) bei der Versicherten H. begründet keinen Erstattungsanspruch, wenn der Kläger mit der SZT einen Behandlungsanspruch der Versicherten aus grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts gegen die Beklagte erfüllte. Hierbei ist eine kurative Behandlung ausnahmsweise nicht vorrangig, wenn die palliative Behandlung einen zeitlich größeren Überlebensvorteil eröffnet, weil der kurative Behandlungsansatz ein hohes Mortalitätsrisiko aufweist - hier operationsbedingt 30 vH nebst einem tödlichen Rückfallrisiko von 35 vH - und die vorläufige palliative Behandlung die Erfolgsaussichten der kurativen Behandlung für die Zukunft nicht zunichtemacht. Da das LSG hierzu keine Feststellungen getroffen hat, wird es dies nachzuholen haben. Auch fehlt es an hinreichenden Feststellungen dazu, ob die Versicherte - als weitere vergütungsrechtliche Voraussetzung - wirksam in die SZT einwilligte. Die dafür erforderliche Aufklärung erforderte, dass der Kläger der Versicherten die palliative Behandlung und deren relativen Überlebensvorteil im Vergleich zur vagen Heilungsaussicht der SZT deutlich vor Augen führte. Hierbei unterliegt der Nachweis gebotener Aufklärung gegenüber Routinefällen gesteigerten Anforderungen.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 46/19.

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