Verhandlung B 12 KR 2/19 R
Verhandlungstermin
08.10.2019 10:00 Uhr
Terminvorschau
Die vier auf dieselbe Uhrzeit geladenen Verfahren betreffen die Frage, ob den als Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) pflichtversicherten Klägern zugeflossene Kapitalleistungen eines privaten Versicherungsunternehmens Versorgungsbezüge sind, auf die sie Beiträge zur GKV und sPV entrichten müssen.
Die jeweiligen Kläger waren als Seelotsen tätig und beziehen unter anderem eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Aufgrund ihrer Tätigkeit als Seelotsen bildeten sie von Gesetzes wegen (§ 27 Abs 1 Satz 1 Seelotsgesetz <SeeLG>) eine für das jeweilige Seelotsrevier zuständige Lotsenbrüderschaft in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr obliegt es nach § 28 Abs 1 Nr 6 SeeLG, Maßnahmen zu treffen, die eine ausreichende Versorgung der Seelotsen und ihrer Hinterbliebenen für den Fall des Alters, der Berufsunfähigkeit und Todes gewährleisten, und die Durchführung dieser Maßnahmen zu überwachen. Die aus den Lotsenbrüderschaften gebildete (beigeladene) Bundeslotsenkammer (§§ 34 ff SeeLG), wiederum eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, hatte im Juli 1972 mit einem privaten Versicherungskonzern einen Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen, der allerdings nur für bestimmte Lotsenbrüderschaften gilt. Danach ist jeder Lotse, der zugleich Mitglied einer vom Gruppenversicherungsvertrag erfassten Lotsenbrüderschaft ist, selbst Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeits-, Alters-, Witwen- und Waisenrentenversicherung des Versicherungsunternehmens. Das Versicherungsunternehmen verzichtete auf eine Gesundheitsprüfung. Der Gruppenversicherungsvertrag konnte nur durch die Bundeslotsenkammer oder das Versicherungsunternehmen gekündigt werden. Die Prämien für die Versicherung wurden unmittelbar durch die Lotsenbrüderschaften von den Lotsgeldern abgezogen und von der Bundeslotsenkammer an das Versicherungsunternehmen gezahlt. Mit Eintritt in den Ruhestand erhielten die Kläger aus der Gruppenversicherung Kapitalleistungen in erheblicher Höhe. Die beklagte Deutschen Rentenversicherung (DRV) Knappschaft-Bahn-See legte als Kranken- und Pflegekasse die Leistungen verteilt über zehn Jahre mit dem 120ten Teil (§ 229 Abs 1 Satz 3 SGB V) als monatliche Einnahme in Form eines Versorgungsbezugs gemäß § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V, § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI der Beitragserhebung in der GKV und sPV zugrunde.
Dagegen haben sich die klagenden Seelotsen ohne Erfolg gewandt. Die beklagte DRV Knappschaft-Bahn-See sowie die Instanzgerichte haben sich unter anderem auf ein früheres Urteil des Bundessozialgerichts zu dieser Thematik vom 10.6.1988 (12 RK 35/86 - SozR 2200 § 180 Nr 43) gestützt. Demgegenüber berufen sich die Kläger in erster Linie auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.9.2010 (1 BvR 1660/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 11), das bei der beitragsrechtlichen Berücksichtigung von Kapitalleistungen der betrieblichen Altersversorgung als Versorgungsbezug gemäß § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V entscheidend darauf abgestellt habe, ob der Betroffene Versicherungsnehmer gewesen oder geworden sei.
Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, beigeladen: Bundeslotsenkammer
Der früher als Seelotse tätige Kläger bezieht seit 1.9.2012 unter anderem eine Altersrente der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See. Am 3.9.2012 erhielt er von dem privaten Versicherungsunternehmern einmalige Kapitalleistungen in Höhe von 38 774,98 Euro, 154 411,04 Euro und 160 583,70 Euro (zusammen 353 769,72 Euro). Grundlage der Leistungen war der von dem Versicherungsunternehmen mit der beigeladenen Bundeslotsenkammer im Juli 1972 geschlossene Gruppenversicherungsvertrag. Als Kranken- und Pflegekasse legte die beklagte DRV Knappschaft-Bahn-See die Kapitalleistungen als Versorgungsbezüge der Beitragserhebung in der GKV und sPV bis zum Differenzbetrag von Beitragsbemessungsgrenze und Altersrente zugrunde.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Schleswig - S 6 KR 92/13, 08.09.2015
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 5 KR 125/15, 25.04.2018
Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 48/19.
Terminbericht
Die Revision des klagenden Seelotsen hatte keinen Erfolg. Die ihm zugeflossenen Kapitalbeträge sind Versorgungsbezüge iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V und unterliegen der Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung. Der Kläger wurde mit seiner Bestallung zum Seelotsen über den zwischen der beigeladenen Bundeslotsenkammer und dem privaten Versicherungsunternehmen 1972 geschlossenen Gruppenversicherungsvertrag im Wege einer unechten Gruppenversicherung gegen das Risiko einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung versichert. Die Versicherung war ausschließlich bestimmten Berufsangehörigen, konkret den Seelotsen bestimmter Lotsenbrüderschaften, vorbehalten. Die Exklusivität zeigt sich ua darin, dass das Versicherungsunternehmen auf eine Gesundheitsprüfung verzichtete und die Lotsenbrüderschaften die Versicherungsprämien von den Lotsgeldern einbehielten. Ob die Gruppenversicherung notwendig ist, um eine ausreichende Versorgung der Seelotsen zu gewährleisten, spielt keine Rolle. Ein Verfassungsverstoß liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor. Das BVerfG hat lediglich bei Leistungen der betrieblichen Altersversorgung iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V eine Ausnahme von der Beitragspflicht anerkannt, wenn der betroffene Arbeitnehmer in die Position des Versicherungsnehmers einrückt und es um Versicherungszeiten geht, in denen der Bezug zur beruflichen Tätigkeit, zB nach Aufgabe der Tätigkeit bzw einer Weiterversicherung bei einer Pensionskasse ohne Beteiligung des Arbeitgebers, nicht mehr gegeben ist. Selbst wenn diese Überlegungen auf Renten einer für Angehörige bestimmter Berufe errichteten Versicherungseinrichtung übertragen werden könnten, wäre die Beitragspflicht nicht entfallen. Der Kläger war während der gesamten Einzahlungsphase als Seelotse tätig.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 48/19.