Verhandlung B 13 R 14/18 R
Verhandlungstermin
16.10.2019 10:00 Uhr
Terminvorschau
In allen am 16. Oktober 2019 zur Entscheidung durch den Senat anstehenden Revisionsverfahren steht ein Anspruch auf höhere Rente unter unbegrenzter Anrechnung von Entgeltpunkten (EP) für Beitragszeiten der Kindererziehung (KEZ) im Streit.
Die Klägerinnen beziehen Altersrenten mit einem Rentenbeginn nach dem 30. Juni 2014 und vor dem 1. Januar 2019. Der beklagte Rentenversicherungsträger (RV-Träger) berücksichtigte bei den jeweiligen Rentenberechnungen KEZ im zeitlichen Umfang von jeweils 24 Monaten für jedes vor dem 1. Januar 1992 geborene Kind. Grundsätzlich werden den KEZ bei der Rentenberechnung 0,0833 EP - hier EP (Ost), da alle Klägerinnen Kinder im Beitrittsgebiet erzogen haben - pro Monat zugrunde gelegt. Dies entspricht fast 1 EP pro Jahr, also dem Wert, der mit einem Durchschnittsentgelt in der Rentenversicherung erzielt wird.
Alle Klägerinnen waren vorliegend auch während der KEZ - wenn auch in unterschiedlichem zeitlichen Umfang und gegen unterschiedlich hohes Entgelt - sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Soweit Monate sowohl mit KEZ als auch mit sonstigen Beitragszeiten belegt waren, addierte der RV-Träger die EP (Ost) für die KEZ zu den für die Beitragszeiten ermittelten EP (Ost) hinzu. Jedoch deckelte er die Summe der EP auf den maßgeblichen Höchstbetrag der Anlage 2b zum SGB VI (§ 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Dieser Wert entspricht der Höchstzahl an EP, die Versicherte mit Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze erzielen können. Daher lag den KEZ bei der Bemessung der Rentenhöhe der Altersrenten der Klägerinnen nicht in jedem der sowohl mit sonstigen Beitragszeiten als auch KEZ belegten Kalendermonate ein zusätzlicher Wert von 0,0833 EP (Ost) zugrunde.
Gegen diese Begrenzung der EP (Ost) für KEZ wenden sich die Klägerinnen mit ihren Revisionen. Sie rügen einen Verstoß des § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI gegen Art 3 Abs 1 GG. Es bestehe eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung mit Personen, die während der KEZ nicht oder nur in geringerem Umfang rentenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien, so dass die EP für deren KEZ ungemindert in die Rentenberechnung einflössen. Auch bestünde kein sachlicher Grund für die unterschiedliche Bewertung der KEZ bei Bestands- und Zugangsrentnern. Bestandsrentner (Bezieher von Renten, die am 30. Juni 2014 bereits einen Anspruch auf Rente hatten) erhielten für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind statt der Erweiterung der KEZ um 12 Monate mit jeweils maximal 0,0833 EP (§ 249 SGB VI in der am 1.7.2014 in Kraft getretenen Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23.6.2014, BGBl I 787) einen pauschalen Zuschlag in der Höhe eines persönlichen EP (§ 307d SGB VI). Dies gelte unabhängig davon, ob im zweiten Lebensjahr des Kindes zugleich EP für Beitragszeiten gegeben seien. Bei Zugangsrentnern hingegen könnten solche sonstigen Beitragszeiten zu der Deckelung der EP für KEZ nach § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI iVm der Anlage 2b zum SGB VI führen.
U.B. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund
Die 1950 geborene Klägerin ist Mutter zweier im März 1972 und März 1979 geborener Kinder. Der RV-Träger bewilligte ihr ab August 2015 Regelaltersrente. Im Rahmen der Rentenberechnung begrenzte er bei 21 Monaten die zu berücksichtigenden EP (Ost) für KEZ wegen Erreichens des Höchstbetrags der Anlage 2b zum SGB VI nach Addition der EP für sonstige Beitragszeiten. Bei 4 Monaten blieben die KEZ in vollem Umfang unberücksichtigt, da die Klägerin den Höchstwert an EP bereits mit EP (Ost) aus beitragspflichtigem Entgelt ausgeschöpft hatte.
Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren gegen die begrenzte Berücksichtigung der EP (Ost) für KEZ sind erfolglos geblieben. Gründe für einen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI hat das LSG nicht ausmachen können. Die Kürzung des Werts der KEZ beim Zusammentreffen mit sonstigen Beitragszeiten sei gerechtfertigt, da die Begrenzung der Beitragspflicht und damit einhergehend der Leistungen zu den Grundprinzipien der GRV gehöre. Die Berücksichtigung eines pauschalen Zuschlags von einem persönlichen EP für jedes vor dem 1. Januar 1992 geborene Kind bei Bestandsrentnern ohne Ansehung sonstiger Beitragszeiten sei aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität geboten.
Vorinstanzen:
Sozialgericht Dresden - S 50 R 1648/15, 01.06.2017
Sächsisches Landessozialgericht - L 5 R 425/17, 24.10.2017
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Terminbericht
In den Rechtsstreiten zu den Aktenzeichen B 13 R 14/18 R und B 13 R 18/18 R waren die Klägerinnen erfolglos. Der Senat hat ihre Revisionen zurückgewiesen. In den weiteren Verfahren haben sich die Beteiligten durch einen vorab geschlossenen Vergleich dem Ausgang der erst genannten Rechtsstreite unterworfen.
Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf höhere Regelaltersrente.
Zu Recht hat die Beklagte bei der Rentenberechnung Kindererziehungszeiten nicht oder nur in begrenztem Umfang rentenerhöhend berücksichtigt, soweit sie mit sonstigen Beitragszeiten zusammentreffen.
Einfachrechtlich ist dies nicht zu beanstanden. Denn nach § 70 Abs 2 SGB VI erhalten Kindererziehungszeiten für jeden Kalendermonat 0,0833 EP. Dies gilt grundsätzlich auch für Kindererziehungszeiten, die in einem Kalendermonat mit sonstigen Beitragszeiten - zB wegen Erwerbsarbeit - zusammenfallen. Dann werden die EP für sonstige Beitragszeiten zwar ebenfalls um 0,0833 EP für Kindererziehungszeiten erhöht, höchstens jedoch um die EP bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.
Von der Verfassungswidrigkeit dieser Regelung ist der Senat nicht überzeugt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich bereits mehrfach mit der angegriffenen Regelung befasst und entschieden, dass die Ausgestaltung der Höchstwerte entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze nicht verfassungswidrig ist (BSG Urteil vom 17.12.2002 - B 4 RA 46/01 R - SozR 3 2600 § 70 Nr 6; nachfolgend BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.8.2007 - 1 BvR 858/03 - Juris; BSG Urteil vom 30.1.2003 - B 4 RA 47/02 R; BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 4 RA 36/05 R - BSGE 96, 218 - 226 = SozR 4 2600 § 70 Nr 1; nachfolgend BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 29.8.2007 - 1 BvR 2477/06 - unveröffentlicht und BSG Urteil vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R = SozR 4 2600 § 70 Nr 2; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 16.12.2016 - 1 BvR 287/14 - Juris). Der Senat schließt sich dem aufgrund eigener Prüfung im Ergebnis an.
Die gegenteilige, insbesondere in den Vorlagebeschlüssen des SG Neubrandenburg an das BVerfG (SG Neubrandenburg vom 11.9.2008 und vom 12.1.2012 - S 4 RA 152/03 - Juris; nachfolgend BVerfG Beschluss vom 21.9.2016 - 1 BvL 6/12) vertretene Rechtsansicht, die von den Klägerinnen geteilt wird, veranlasst den Senat zu keiner Abkehr von dieser Rechtsprechung.
Die Regelung des § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI verstößt weder gegen Art 14 Abs 1 GG, noch gegen Art 6 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip. Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 GG vorliegt. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Ungleichbehandlung, weil sich die Kinderziehungszeiten wegen der Höchstwertbegrenzung nach § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI iVm Anlage 2b zum SGB VI nicht bei allen Elternteilen in gleicher Weise erhöhend auf den Rentenwert auswirken (1), als auch mit Blick auf die unterschiedliche Behandlung von Zugangsrentnern und sog Bestandsrentnern nach § 307d SGB VI (2).
(1) Anders als bei der früheren für verfassungswidrig erklärten Rechtslage (BVerfG Beschluss vom 12.3.1996 - 1 BvR 609/90 - BVerfGE 94, 241-267) liegt ein hinreichender Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung infolge der Höchstwertbegrenzung durch Anlage 2b zum SGB VI vor. Die geltende Rechtslage unterscheidet sich von den Vorgängerregelungen bereits dadurch, dass Kindererziehungszeiten damals nur einen deutlich unterhalb dieser Grenze liegenden, spezifischen Wert erhielten (nur 75 % des Durchschnittseinkommens im Jahr = 6,25 Werteinheiten bzw 0,0625 EP mtl). Sonstige Beitragszeiten, zB auf Grund von Erwerbstätigkeit, konnten nur bis zu diesem Wert aber nicht um diesen Wert aufgestockt werden. Demgegenüber liegt dem geltenden Recht das additive Modell zugrunde; dies bedeutet eine zusätzliche Berücksichtigung der Kindererziehung mit dem (gegenüber der Vorgängerregelung höheren) Wert von 0,0833 EP auch für Erwerbstätige. Differenzierungskriterium ist nicht mehr die versicherte Erwerbstätigkeit als solche, sondern eine systemimmanente Grenze. Die Höchstwerte der Anlage 2b zum SGB VI entsprechen der Zahl an EP, die Versicherte mit einem Arbeitsentgelt in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze jährlich maximal erzielen können. Die Beitragsbemessungsgrenze stellt ein sachgerechtes und angemessenes Differenzierungskriterium dar. Denn bei ihr handelt es sich um ein grundlegendes Strukturelement der gesetzlichen Rentenversicherung. Ihr immanent ist - quasi als Kehrseite - eine Leistungsbemessungsgrenze im Sinne einer Versicherungsschutzgrenze, die in Anlage 2b zum SGB VI abgebildet wird.
Daran ändert auch der Hinweis der Klägerinnen nichts, die Kindererziehung könne als nicht monetärer (Natural-)Beitrag durch die Beitragsbemessungsgrenze nicht begrenzt werden, weshalb nach dem versicherungsrechtlichen Prinzip der Äquivalenz von tatsächlich erbrachter Vorleistung und zu beanspruchender Gegenleistung ein höherer Rentenwert als bei kinderlosen Erwerbstätigen resultieren müsse. Die Vorleistung der Kindererziehung ist rechtlich völlig anders geartet als die entgeltliche Beschäftigung bzw pflichtversicherte selbständige Tätigkeit oder die Zahlung freiwilliger Beiträge. Denn sie kann im Unterschied zu den monetären Beiträgen nicht sogleich wieder in Form von Rentenzahlungen an die ältere Generation ausgeschüttet werden.
Auch aus der "Beitragszahlung" für Kindererziehungszeiten des Bundes nach § 177 SGB VI lässt sich nach dem Äquivalenzprinzip kein höherer Leistungsanspruch begründen. Denn dabei handelt es sich bereits nicht um Rentenversicherungsbeiträge, die nach dem Beitragsrecht (§§ 158 bis 167 SGB VI) bemessen sind und sich individuell zuordnen ließen.
Soweit die Klägerinnen die Auffassung vertreten, dass die Beitragsbemessungsgrenze wesentlich die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung bezwecke und diese nicht als Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung herangezogen werden könne, weil die Beiträge für Kindererziehungszeiten durch Steuern finanziert würden (§ 177 SGB VI), führt auch dies den Senat zu keiner anderen Bewertung. Das Argument berücksichtigt bereits nicht, dass die Beitragsbemessungsgrenze bzw die Höchstwertbegrenzung über die Finanzierbarkeit hinaus auch die Stellung der Versicherten im Gesamtgefüge sichert und generell den Umfang des versicherten Schutzes bestimmt.
(2) Auch die unterschiedliche Behandlung von Zugangs- und Bestandsrentnern auf Grundlage von § 307d SGB VI veranlasst den Senat nicht zur Annahme der Verfassungswidrigkeit. Bei Bestandsrentnern wird die Zeit der Kindererziehung im zweiten Lebensjahr eines vor 1992 geborenen Kindes zwar pauschal durch einen Zuschlag an persönlichen EP und damit immer ungekürzt berücksichtigt. Es handelt sich für Bestandsrentner ausgehend vom gesetzlichen Normalfall des § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI damit um eine bevorzugende Pauschalierung. Eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Zugangsrentner, wie der Klägerin, liegt jedoch nicht vor, weil die Differenzierung zwischen Bestands- und Zugangsrentnern insbesondere aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt ist.
Es liegt bei der Ungleichbehandlung von Bestands- und Zugangsrentnern auch keine Diskriminierung wegen der Herkunft vor (Art 3 Abs 3 GG). Es mag zwar zutreffen, dass es, bedingt durch unterschiedliches Erwerbsverhalten, Unterschiede bei der Häufigkeit der Höchstwertbegrenzung in Ost- und Westdeutschland gibt. § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI knüpft aber nicht - wie bei Art 3 Abs 3 GG erforderlich - unmittelbar an die Herkunft, sondern an systembedingte Berechnungskriterien an.
Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 47/19.