Bundessozialgericht

Verhandlung B 6 KA 12/18 R

Verhandlungstermin 11.12.2019 12:30 Uhr

Terminvorschau

In den Verfahren 4) bis 7) der Terminvorschau Nr. 59/19 sind Bescheide der KÄV Hessen umstritten, mit denen Vertragsärzte bzw ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) für die Zeit vom 1.7.2012 bis zum 30.6.2013 zu Beiträgen für die Zwecke der sog Erweiterten Honorarverteilung (EHV) herangezogen worden sind.

Als einzige KÄV in der Bundesrepublik stellt die KÄV Hessen auf der Grundlage eines Landesgesetzes aus dem Jahr 1953 auch die Altersversorgung der nicht mehr beruflich tätigen Vertragsärzte sicher. Das erfolgt über ein reines Umlagesystem: Die Vertragsärzte müssen während der Zeit ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit Abzüge vom Honorar hinnehmen; die auf diese Weise eingenommenen Beträge verteilt die KÄV an die nicht mehr aktiven Vertragsärzte. Mit der Entrichtung von "Beiträgen" in Form eines Honorarabzugs erwirbt der Arzt eine Anwartschaft auf spätere Leistungen aus der EHV; je höher der Beitrag für Zwecke der EHV ist, desto höher sind später die Leistungen, allerdings begrenzt auf derzeit 14.000 Punkte, was im Jahr 2017 einer monatlichen Zahlung von ca 2 750 Euro entsprach. Die Satzung des Versorgungswerks der Hessischen Ärztekammer trägt den Besonderheiten der EHV dadurch Rechnung, dass Ärzte, die in Hessen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, nur die Hälfte des Höchstbeitrages an das Versorgungswerk entrichten müssen; auf diese Weise soll in typischen Konstellationen eine zu hohe Beitragsbelastung - einerseits zum Versorgungswerk und andererseits zur EHV - vermieden, aber auch eine "Übersicherung" im Alter durch Kumulation von Versorgungsbezügen ausgeschlossen werden.

Nachdem die KÄV die Beiträge jahrelang in Form eines festen Vom-Hundert-Satzes vom Honorarumsatz festgesetzt, den Umsatz aber in verschiedenen Varianten um die auf besonders kostenintensive Leistungen entfallenden Beträge bereinigt hatte, entschied sie sich für eine Umstellung auf ein System von neun Beitragsklassen: Ab dem 1.7.2012 wurden die Vertragsärzte je nach dem Verhältnis ihres individuellen Honorarumsatzes zum Durchschnittsumsatz aller hessischen Vertragsärzte in eine der neun Beitragsklassen eingestuft. Umsätze unter 25 % des Durchschnitts wurden der Klasse 1 zugeordnet, jeder Sprung um weitere 25 %-Punkte führte zur Einstufung in die nächst höhere Beitragsklasse und Ärzte mit Umsätzen über 200 % des Durchschnittsumsatzes wurden der Klasse 9 zugewiesen. In jeder Beitragsklasse waren feste Beiträge zu entrichten, die zwischen 627 Euro und 5 643 Euro je Quartal schwankten. Abzüge vom Honorarumsatz für Leistungen mit besonders hohen Sachkostenanteilen wurden - von ganz wenigen Einzelkonstellationen abgesehen - nicht mehr vorgenommen.

Gegen die auf der Grundlage dieser neuen Systematik erlassenen Bescheide der KÄV haben sich zahlreiche Ärzte gewehrt; über vier Musterverfahren hat das BSG nun zu entscheiden.

Das SG hat die Systematik der Beitragsklassen insgesamt als zu grob angesehen, weil insbesondere Ärzte mit geringen Umsätzen überproportional zu Abzügen für die EHV herangezogen würden. Das LSG ist dem nicht gefolgt, hat die neue Systematik gebilligt, aber beanstandet, dass in § 3 der "Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung (GEHV)" keine Sonderregelungen für besonders kostenintensive Leistungen vorgesehen seien. Das führe zur Rechtswidrigkeit der Regelung über die Festsetzung von Beiträgen für die EHV insgesamt, so dass alle angefochtenen Beitragsbescheide aufzuheben seien. Die KÄV müsse umfassend neu entscheiden.

Gegen die Urteile des LSG in allen vier Verfahren richtet sich jeweils die Revision der KÄV, die ihre Regelungen verteidigt. Im Verfahren B 6 KA 9/19 R hat auch die klagende Ärztin Revision eingelegt, weil sie - anders als das LSG - der Auffassung ist, in ihrem Fall sei die Einstufung in die Beitragsklasse 2 verfehlt. Ihre Umsätze beliefen sich auf 27,5 % des Durchschnitts und überschritten damit nur knapp die Grenze zwischen den Beitragsklassen 1 und 2. Die Forderung der KÄV nach einem Jahresbeitrag von 5 016 Euro bei Umsätzen von ca 57 000 Euro sei unvertretbar.

Dr. G. D. ./. KÄV Hessen, 1 Beigeladene
Vorinstanzen:
Sozialgericht Marburg - S 12 KA 23/14, 10.12.2014
Hessisches Landessozialgericht - L 4 KA 2/15, 11.04.2018

Sämtliche Vorschauen zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in der Terminvorschau 59/19.

Terminbericht

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Im Ergebnis hat das LSG die Regelung des § 3 der "Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung der KÄV Hessen“ (im Folgenden: GEHV) zu Recht für unvereinbar mit höherrangigem Recht gehalten. Im Zuge der Neufassung dieser Vorschrift zum 1.7.2012 hat die Beklagte darauf verzichtet, bestimmte Anteile der vertragsärztlichen Umsätze von der Heranziehung zu Beiträgen zur sog Erweiterten Honorarverteilung (EHV) freizustellen. Das hat zur Folge, dass es für die Zwecke der EHV nicht mehr von Bedeutung ist, welcher Anteil des Umsatzes auf Praxiskosten, Kosten für bestimmte technische Leistungen oder Kostenerstattungen für Sachleistungen - zB bei der Dialyse - entfällt. Das ist mit dem Gleichbehandlungsgebot (Art 3 Abs 1 GG) unvereinbar, weil bei besonders hohen Kostenanteilen der Schluss von überdurchschnittlich hohen Umsätzen auf überdurchschnittlich hohe Erträge und damit eine hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arztes nicht mehr gerechtfertigt ist. Die Ungleichbehandlung wirkt sich - anders als in den nachfolgenden Verfahren Nr 5 bis 7 - zu Ungunsten der Klägerin aus, die als Ärztin für Nephrologie mit dem Schwerpunkt Dialyseleistungen tätig ist. Die Dialysesachkosten machen 80 bis 90 % ihres gesamten Umsatzes aus vertragsärztlicher Tätigkeit aus und übersteigen damit den durchschnittlichen Sachkostenanteil von Vertretern anderer Arztgruppen erheblich.

Seit der ersten Entscheidung zur EHV in jüngerer Zeit aus Dezember 2004 hat der Senat in allen Urteilen die Heranziehung von Umsätzen für die Zwecke der EHV gebilligt, aber stets betont, dass das nur unter der selbstverständlichen Einschränkung gerechtfertigt ist, dass tendenziell höhere Umsätze auch höhere Erträge indizieren. Zu näheren Festlegungen bestand in den Urteilen aus den Jahren 2004, 2008 und 2014 kein Anlass, weil die Beklagte in allen bisher vom Senat beurteilten Fassungen der GEHV entsprechende Bereinigungsregelungen - insbesondere hinsichtlich bestimmter technischer Leistungen - vorgesehen hatte. Das Fehlen solcher Vorkehrungen wirkt sich seit der Umstellung des Systems der Beitragserhebung von einem für alle Ärzte gleichen Vom-Hundert-Satz des Umsatzes auf neun Beitragsklassen noch stärker aus. So würde eine Ärztin, die den Umsatz der Klägerin im Jahr 2011 während ihrer gesamten vertragsärztlichen Tätigkeit erzielt, schon nach 20,7 Jahren die höchste Punktzahl für die EHV erreicht haben und müsste dann unterstellt man eine 30-jährige vertragsärztliche Tätigkeit - fast ein Drittel ihres Berufslebens Höchstbeiträge entrichten, ohne dass sich das auf die Höhe ihrer Altersbezüge auswirken könnte, obwohl Grundlage der Verpflichtung zur Entrichtung der Höchstbeiträge ganz überwiegend überdurchschnittlich hohe Kosten sind.

Die Beklagte muss § 3 GEHV neu fassen und Regelungen über die Bereinigung des Umsatzes bei überdurchschnittlich hohen Kosten einer Arztgruppe oder bei besonders kostenintensiven Leistungen vorsehen. Allerdings muss nicht jede minimale Kostendifferenz zwischen einzelnen Arztgruppen oder Untergruppen (zB bei den Internisten) exakt für die EHV abgebildet werden. Erreicht die Differenz der Kostensätze einer Gruppe aber 15 % in Relation zum Durchschnitt der Kosten aller vertragsärztlichen Praxen, muss dem bei der Ermittlung des Abzugs für die EHV Rechnung getragen werden.

Sämtliche Berichte zu den Verhandlungsterminen des Senats an diesem Sitzungstag finden Sie auch in dem Terminbericht 59/19.

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